Seite 7: Experimentelle Spiele - Alles außer gewöhnlich

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Octodad: Dadliest Catch

Entwickler: Young Horses Preis: 14 Euro (Steam) Worum geht's:Wir stemmen unfreiwillig komisch den Alltag eines Meeresbewohners in Menschenkleidern.

Sebastian Stange: Octodad ist blanker Unsinn! Das ganze Spiel basiert auf einem einzigen, höchst albernen Gag: Da trägt ein Tintenfisch einen Anzug und schon hält ihn jeder für einen normalen Menschen. Tja und diesen Oktopus, den spiele ich. In seiner glitschigen Haut meistere ich den Alltag als Familienvater. Oh ja, der gelbe Krake lebt seine Lüge bereits seit Jahren, hat eine Frau, zwei Kinder und dazu ein Haus mit Veranda und weißem Gartenzaun. Der Kopffüßer lebt den amerikanischen Traum!

Die Handlung von Octodad ist eigentlich ganz banal: Am Anfang stehen einige ganz normale Familien-Szenen - so normal das mit einem Oktopus als Vater halt geht: Ich koche Kaffee, mähe den Rasen oder kaufe im Supermarkt ein. Die ganze Wahrheit droht dann aber, bei einem Familienausflug ins Aquarium ans Licht zu kommen. Dann wird auch das Gameplay etwas komplexer: Ich schleiche mich an Meeresbiologen vorbei, bezwinge Kletter-Parcours oder probiere die Attraktionen der örtlichen Spielhalle aus.

Octodad lebt davon, ganz banale Situationen zu inszenieren - nur eben mit einem Tintenfisch, der ganz offensichtlich nicht da hineinpasst und der hoffnungslos damit überfordert ist. Dem acht-armigen Protagonisten fehlen schließlich feste Knochen. Er steuert sich daher in etwa so, als würde man gekochte Spaghetti benutzen, um mit Stäbchen zu essen. Er glitscht und wabbelt chaotisch durch die Gegend, seine Tentakel fliegen unkontrolliert durch die Gegend und er hinterlässt Chaos, wohin er die Füße … pardon, Saugnäpfe setzt.

Schon die allererste Version von Octodad bot genau das: Chaos als Oktopus im Menschenkostüm. Es entstand 2010 als Studentenprojekt an der DePaul-Universität in Chicago. Interessierte können diese Ur-Fassung als Freeware auf der Webseite der Entwickler herunterladen. Für Dadliest Catch wurde das Konzept des albernen Minispiels auf etwa zwei Stunden Spielzeit aufgeblasen.

Und während dieser Zeit war ich stets unterhalten, amüsiert und auf angenehme Art frustriert. Die Steuerung ist kurios: Mittels Leertaste wechsle ich zwischen Lauf- und Greif-Modushin und her. In Ersterem bewege ich mit der Maus die Tentakel in seinen Hosenbeinen und wähle mit den Maustasten, welches Bein ich gerade bewegen will. Damit bin ich weder elegant noch präzise unterwegs, aber das unbeholfene Stolpern strahlt pure physische Comedy aus. Octodad - der Buster Keaton der Spielewelt.

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Im Greif-Modus hält das Meeresfrüchtchen dann inne und ich bewege mit der Maus eins seiner Arm-Tentakel in alle Richtungen, um Items aufzunehmen, Türen zu öffnen oder Trauringe an Finger zu stecken. Auch mit dem Controller ist Octodad spielbar: Mit den Schultertasten wechsele ich dann zwischen linkem und rechtem Bein. Und wenn ich will, kann ich sogar kooperativ zocken, was dann richtig absurd wird.

Bis zu vier Spieler steuern einzelne Arme und Beine - und zwar gleichzeitig. Das artet in ein herrliches Chaos aus, das das Abenteuer zwar an den Rand der Unspielbarkeit treibt, aber in der Gruppe für ordentlich Gaudi sorgt. Zuweilen verhöhnt mich das Tentakelspiel aber auch regelrecht, indem esmir scheinbar triviale Aufgaben vorsetzt, die mit dieser Glibber-Steuerung richtig schwierig sind. Das Erklimmen einer Leiter etwa ließ mich beispielsweise fast verzweifeln. Immer wieder rutschte die Spielfigur ab. Doch zu schwer sind die Aufgaben (zumindest im Solo-Modus) nie, teilweise sind die Anweisungen des Spiels allerdings arg vage, das kann nerven.

Damit Octodad sein volles Spaßpotenzial entfaltet, rate ich aber dringend dazu, es mit einem leicht angeheiterten Publikum zu spielen. Da müssen Freunde zuschauen, da muss man sich abwechseln oder gar kooperativ spielen und über das Chaos auf dem Bildschirm und die Missgeschicke der Kollegen lachen. Ganz allein fiel mir zu schnell auf, dass das Spiel eigentlich immer nur denselben Witz erzählt: »Guckt mal! Alle denken, dieser Oktopus wäre ein Mensch. Und guckt mal, wie schwer er sich tut!« Und so besudele ich das Wohnzimmer der Familie mit Milch, nur um der Tochter ein Glas einzuschenken. So räume ich Supermarktregale leer, um an eine Packung Cornflakes zu kommen, und immer wieder verspritzt meine Spielfigur nervös Tinte. Ich kenne die Pointe, trotzdem schmunzle ich.

Gleichzeitig fällt mir aber auf, dass die automatische Kamerasteuerung zuweilen nervt und die Steuerung zusätzlich verkompliziert, dass die Story eher zweckmäßig und schmucklos inszeniert wird und dass der Aquarium-Level ein gutes Stück zu lang ist. Lieber hätte ich mehr banale Alltagssituationen erlebt.

Gegen Ende wird Octodad sogar kurz dramatisch. Ich erfahre den Ursprung der seltsamen Beziehung zwischen Mensch und Meeresbewohner, ich rechne mit meinem Erzfeind ab und rechtzeitig, bevor ich den Witz mit dem Tintenfisch im Büroanzug nicht mehr lustig finde, ist das Spiel vorbei. Eine echte Punktlandung für die Entwickler! Denn nicht viel länger, und dem ganzen Konzept wäre die Luft ausgegangen. Octodad ist ein netter Spaß, aber nur in kleinen Dosen. Mit dem Titel verhält es sich so, wie mit Youtube-Videos, in denen Leuten lustige Missgeschicke passieren. Da lacht jeder gern drüber. Aber als abendfüllender Film funktionieren sie eben nicht.

Wer soll's spielen: Leute, die über den Loriot-Sketch »Das Bild hängt schief« lachen können.

Wer soll's lassen: Jeder, der sich mehr als ein kurzweiliges Gaming-Experiment erhofft.

7 von 7


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