Das meistverkaufte Passagierflugzeug der Welt steuert auf die Rente zu und der Nachfolger wird »radikal anders«

Airbus zeigt, welche Technologien den Nachfolger des A320 ausmachen werden: KI, Flügel wie Vögel, Materialien und Triebwerke wie aus Sci-Fi. Wir erklären die Zusammenhänge und warum das nur der Anfang ist.

Mehr als Skizzen gibt es bisher nicht, aber hinter den Kulissen hat Airbus längst definiert, was ihr neues Hauptflugzeug für Millionen von Menschen in den 2030ern definieren wird.
(Bildquelle: Airbus und Unsplash) Mehr als Skizzen gibt es bisher nicht, aber hinter den Kulissen hat Airbus längst definiert, was ihr neues Hauptflugzeug für Millionen von Menschen in den 2030ern definieren wird. (Bildquelle: Airbus und Unsplash)

Sekündlich hebt irgendwo auf der Welt ein Flugzeug von Airbus ab, erklärt der Ingenieur Bruno Fichefeux auf einer Konferenz, die die Zukunft der Luftfahrt definieren will. Sein Arbeitgeber, Airbus, hat geladen. Der Airbus A320 hat die legendäre Boeing 737 längst im Hinblick auf Bestellungen eingeholt. Doch auch wenn Airbus seinen Hit noch auf Jahre hinaus bauen wird, basiert er auf inzwischen veralteter Technik. Die Rente rückt näher.

Vor Kurzem lüfteten sie den Schleier, woran das europäische Luftfahrt-Konsortium seit mehr als 10 Jahren arbeitet: das Future Aircraft. Derweil rangiert der neue Mainstream-Jet nichtmal ganz oben in Sachen Neuartigkeit: Airbus hat noch etwas im Petto, das sie selbst mit dem legendären Überschalljet Concorde vergleichen – allerdings eher mit mahnender Sorge.

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Hoffnungsträger der europäischen Luftfahrt

Im Zuge einer Präsentation zeigte Airbus seine Zukunftsvision für die Luftfahrt – oder zumindest deren Umrisse. Das Konzept beschreibt ein in allen Belangen besseres, aber allen voran umweltfreundlicheres Schmalrumpf-Flugzeug, auch »Single Aisle« genannt. Es soll ähnlich viele Passagiere transportieren, wie die Mittelstrecken-A320er, also etwa 150 bis 220 über Strecken von wenigen 1.000 Kilometern.

Am neuen Jet arbeiten die Ingenieure schon seit gut zehn Jahren. Fliegen soll er gegen Ende der 2030er Jahre – mit nachhaltigem Kerosin (SAF). Von diesem soll er obendrein 20 bis 30 Prozent weniger pro identischer Strecke brauchen als die A320neo-Reihe heutzutage an herkömmlichen Treibstoff.
Das ist entscheidend, denn die Luftfahrtbranche hat sich ähnlich wie die Schifffahrt vorgenommen, in den kommenden Jahrzehnten ihre Neu-Emissionen von Klimagasen drastisch zu reduzieren – bei der Luftfahrt bis 2050 auf quasi null.

Laut Airbus soll das Flugzeug radikal anders werden, um die hochgesteckten Effizienzziele zu erreichen. Die Veränderungen konzentrieren sich auf die Bereiche:

  • Neuartige Flügel
  • Sci-Fi-Triebwerke
  • Neue Materialien
  • Hybridisierung und künstliche Intelligenz

Die neuen Flügel

Die Tragflächen heutiger Verkehrsflugzeuge haben kaum noch etwas gemein mit denen des frühen 20ten Jahrhunderts. Doch die neuen Flügel der nächsten Generationen könnten folgende Features aufweisen:

  • deutlich länger und stromlinienförmiger für reduzierten Luftwiderstand, bei gleichbleibender oder geringerer Tiefe (höheres Verhältnis also von Länge zu Breite)
  • flatternde Flügelspitzen, die sich von Albatrossen abgeschaut worden. Hierdurch soll sich die Wendigkeit erhöhen und Turbulenzen fallen milder aus. Zudem verbessern sich die Flugeigenschaften bei Landung und Start.
  • Die Spitzen können zudem zu einem erheblichen Teil rechtwinklig hochklappen. So kann das Flugzeug mit seinen längeren Flügeln an bestehenden Gates Platz finden.
    • Das Klappbarkeit am Boden hat Boeing bei der 777X eingeführt, wobei das Flugzeug noch nicht im Liniendienst steht.

Ungewöhnliche Triebwerke

Hauptfaktor für die Effizienz von Flugzeugen sind seine Triebwerke. Sie erzeugen den Schub, wodurch ein Flugzeug überhaupt in der Lage ist, die Geschwindigkeit zu erreichen, damit die Tragflächen Auftrieb erzeugen können. Und hier plant Airbus auf komplett neue Technologien zu setzen – ohne sie wären die obig angepeilten Einsparungen beim Verbrauch undenkbar.

Ein wahrscheinlicher Weg nennt sich Open-Fan-Design. Sie stellen eine Parallelentwicklung heutiger Turbofan-Triebwerke dar, stießen aber bisher auf diverse technische Hürden. Dank neuer Entwicklungen strebt Airbus aber an, diese endlich zu überwinden.

Das Erscheinungsbild weicht dabei stark von einem Turbofan ab: Die Verdichtungsschaufeln liegen frei und sind deutlich größer als in Turbinen. So erreicht der Open-Fan beim für die Effizienz wichtigen Nebenstromverhältnis einen Wert von 60 zu 1. Top-Turbofans (Mantelstromtriebwerke genannt) wie die unter A320neos, 787s, 777s oder A350s kommen auf etwa 12 zu 1.

(Animation) Das Open-Fan-Triebwerk von CFM an einem Airbus A3380. Zum Vergleich ist praktischerweise kurz davor ein klassisches Turbofan-Triebwerk vom Typ Trent 900 zu sehen.
Bildquelle: Airbus (Animation) Das Open-Fan-Triebwerk von CFM an einem Airbus A3380. Zum Vergleich ist praktischerweise kurz davor ein klassisches Turbofan-Triebwerk vom Typ Trent 900 zu sehen. Bildquelle: Airbus

Das bedeutet vereinfacht: 12-mal mehr Luft fließt schubrelevant an der Brennkammer vorbei als durch sie hindurch. Im Kern möchten Entwickler nämlich nicht möglichst viel Luft in die Brennkammer bekommen, sondern schlicht eine maximale Menge Luft beschleunigen. Klassische Propeller schaffen das zwar auch, aber sie büßen oberhalb von 0,6-facher Schallgeschwindigkeit stark an Effizienz ein. Das übliche Reisetempo vom A320 liegt bei 0,78 Mach, größere Flugzeuge rasen mit 0,80 bis 0,85 Mach über den Himmel (via flugrevue und Airbus).

Bis Ende des Jahrzehnts möchte Airbus solch ein RISE getauftes Aggregat gemeinsam mit seinem Hersteller CFM an einem Airbus A380 testen.

Neue Materialien

Egal ob Rumpf, Triebwerke oder die Tragflächen, zu großen Teilen soll alles aus neuartigen Materialien bestehen, ihr Vorteil: leichter, stabiler bei Verformung und widerstandsfähiger gegen Verschleiß. Biomasse-Verbundwerkstoffe und Thermoplaste CFK stellen beides Weiterentwicklungen bestehender Kohlefasermaterialien dar, von denen sich Airbus diese Kombi an Vorteilen verspricht. Obendrein strebt der Flugzeughersteller an, in Zukunft verstärkt auf besser recycelbare Werkstoffe zu setzen.

Hybridisierung und künstliche Intelligenz

Auch an der Luftfahrt wird KI nicht vorbeifliegen: Zukünftige Systeme kommen hochgradig vernetzt und automatisiert daher. So sollen Piloten entlastet und in kritischen Situationen zusätzlich unterstützt werden. KI soll auch dem Wartungspersonal helfen, Schäden früher zu erkennen und Wartungen zu beschleunigen.

Batterien, Brennstoffzellen oder Energierückgewinnungssysteme werden ebenfalls mitgedacht. Ziel dahinter lautet, die Generatoren an Triebwerken (egal ob Hilfs- oder Hauptturbinen) am Boden so wenig wie möglich zu brauchen. Letztendlich sollen die Triebwerke nur laufen, wenn sich das Flugzeug bewegen will – nicht lange davor oder danach.

Auch wenn scheinbar konzeptionell vieles in Stein gemeißelt scheint, steht selbst das Aussehen des Fliegers längst nicht fest. Die Ingenieure wissen relativ genau, wie sie die Ziele technisch erreichen können, aber welcher Weg der wirtschaftlich, ökologisch und operational beste ist, wird noch diskutiert. Es gebe eine Vielzahl an denkbaren Konfigurationen, was zum Beispiel die Platzierung der Triebwerke angeht.

Es ist nur eine von vielen Fragen, deren Beantwortung irgendwann in den kommenden Jahren das finale Design des nächsten Airbus ergeben wird.

Zum Scheitern verdammter Treibstoff der Zukunft?

Parallel zum nächsten Mittelstrecken-Airliner werkelt Airbus weiter an einem rein durch Wasserstoff befeuerten Flugzeug, das ZEROe – in dem Fall für um die 100 Passagiere für Strecken bis 2.000 Kilometer. Es würde nach aktuellen Plänen von vier Elektrotriebwerken in die Luft gebracht werden. Den Strom würden Brennstoffzellen liefern, die den Wasserstoff aus Tanks im Flugzeug beziehen.

Das ZEROe-Konzept von Airbus. Vier elektrische Turboproptriebwerke, die mit Strom aus Wasserstoff laufen. Es sind aber auch andere Versionen denkbar, zum Beispiel mit jetähnlichen Turbinen, die Wasserstoff direkt verbrennen.
Bildquelle: Airbus Das ZEROe-Konzept von Airbus. Vier elektrische Turboproptriebwerke, die mit Strom aus Wasserstoff laufen. Es sind aber auch andere Versionen denkbar, zum Beispiel mit jetähnlichen Turbinen, die Wasserstoff direkt verbrennen. Bildquelle: Airbus

Als großes Problem bei dieser Konzeptfamilie benennt Airbus CEO Guillaume Faury, dass sie dabei auch im Falle eines Top-Flugzeuges scheitern könnten: Wir riskieren eine Art ´Concorde des Wasserstoffs´ zu bauen. Wir hätten [wie einst der Überschall-Passagierjet] eine Lösung, aber keine, die kommerziell auf globalem Maßstab wettbewerbsfähig ist. Airbus glaube fest an Wasserstoff als Treibstoff der Zukunft, aber dafür brauche es auch die Infrastruktur und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

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