Der Fallturm, seit 1990 dominiert er mit seinen 146 Metern die Skyline des Technologieparks in der norddeutschen Großstadt Bremen. Als ein Urgestein der hiesigen Universität dient er der Wissenschaft weit über meine Heimat hinaus – und ich sehe ihn jeden Tag durch ein Fenster von zu Hause.
Vor einigen Jahren erschufen Forscher in seinem Inneren, den nach unserem Wissen, wohl kältesten Ort des Universums. Ich nehme euch mit an einen Ort, an dem die Existenz buchstäblich (beinahe) stillstand.
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Wolkenkratzer als 1.000 Meter hoher Energiespeicher
Temperatursturz
Im August 2018 geschah im Fallturm, was dort am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) alltäglich ist: Eine Forschungskapsel stürzte hinab und erlebt dabei eine kurzzeitige quasi-Schwerelosigkeit. In ihr befand sich eine extrem kalte Gaswolke: ein Bose-Einstein Kondensat (BEK). Solch eine exotische Teilchenansammlung, gilt als fünfter Aggregatzustand (gasförmig, flüssig, fest, Plasma und BEK).
Wie können wir die Schwerkraft aufheben? Die Anziehungskraft der Erde durch ihre Gravitation lässt nicht abschalten. Aber wir können ihr zeitweise entkommen und so kurzfristig für sogenannte Mikrogravitation sorgen. Dies geschieht mittels des freien Falls. Würden wir uns am 10 Meter Turm eines Schwimmbads eine Waage unter die Füße schnallen und dann hinunterspringen, wögen wir nichts – nur der Luftwiderstand ließe den Zeiger ausschlagen.
Im Turminneren pumpen zudem Anlagen alle Luft aus der Fallröhre. So entsteht ein Vakuum, was quasi ideale Bedingungen für den freien Fall gewährleistet. Durch den Einsatz eines Katapults kann die übliche Schwerelosigkeitsdauer von rund 4,75 Sekunden auf 9,5 verdoppelt werden. Der Zustand herrscht dann beim Aufstieg sowie nach Umkehr gleichermaßen im Sturz (via swb und ZARM).
Die Gravitation wirkt weiter, sie zieht uns an – aber unsere Masse stößt (stark vereinfacht ausgedrückt) nirgendwo gegen. Deshalb befindet sich alles, was freifällt in einem Zustand der nahen Schwerelosigkeit. Gleich gilt für Satelliten oder auch die ISS. Die Erde greift fortwährend nach ihnen, aber sie rasen derart schnell über den Horizont, dass sie ununterbrochen an der Erde vorbeifallen. Ein schier ewig währender freier Fall lässt sie so schwerelos ihre Bahnen ziehen (via ingenieur und dlr).
Das BEK kühlte sich durch ein in der Kapsel währenddessen stattfindendes Experiment bis auf 1/1.000.000.000.000.000.000 Kelvin über dem absoluten Nullpunkt ab.
Für zwei Sekunden hielt sie diese Temperatur und schrieb Geschichte. Das BEK im Fallturm war der wohl kälteste Ort im Universum – zumindest soweit bekannt. Bis dahin lag der (dauerhaft messbare) Rekord im 5.000 Lichtkahre entfernten Boomerang Nebel: -272,15 Grad Celsius. Der Abstand von 1 Kelvin zu 2 ist exakt so groß, wie von 1 Grad Celsius zu 2. Nur der Nullpunkt ist verschoben. Er liegt bei -273,2 Grad Celsius oder 0 Kelvin (via Max-Planck-Institut).
38 Picokelvin, da hörte das Thermometer auf zu fallen – wobei das nicht wörtlich zu nehmen ist. Denn keine alltägliche Messmethode für Temperatur hätte diesen Wert aufzeigen können. Dafür bedarf es Sensorik, die die Bewegung der Atome selbst messen kann. Denn im Endeffekt ist warm, kalt oder heiß nichts anderes als die Wahrnehmung der Schwingung von Partikeln. Je höher, desto stärker die Bewegung und umso heißer die Materie.
Rekord als Nebenprodukt einer anderen Topleistung
Derweil war die tiefe Temperatur nur ein Nebenprodukt. Denn die Forscher wollten die sich mit der geringsten Geschwindigkeit ausbreitende Atomwolke erschaffen – und hierfür stellte seine Verlangsamung durch die Abkühlung das ideale Mittel dar. Im Labor unter Schwerkraft blieb sie nur 22 Millisekunden bis zur Selbstauflösung erhalten – im Fallturm 90-mal so lang.
Die Wissenschaftler am ZARM bauten die Kapsel im Zuge eines Partnerprojektes, an dem auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt beteiligt ist/war, QUANTUS. Hinzu kamen Forscher von der Leibniz Universität Hannover, Humboldt-Universität zu Berlin und der Johannes Gutenberg Universität Mainz.
In einem weniger ausgefeilten Versuch gelang im Orbit an Bord der ISS eine andere Art BEK bereits für eine Sekunde in einem Labor zu beobachten. 2018 spekulierten die Forscher hinter dem Bremer-Versuch, sie könnten durch ihre Methoden aus den 2 Sekunden im Fallturm im Orbit unter Idealbedingungen 17 Sekunden machen.
Solch ein BEK kann einer Vielzahl an Zwecken dienen, zum Beispiel als Bestandteil ultra-genauer Messinstrumente oder Navigationssysteme. Ihren Versuch sowie das Ergebnis beschreiben sie in einer Fachzeitschrift.
Meistens gilt in der Wissenschaft: Es geht immer noch tiefer, höher, weiter oder heißer, doch bei Kälte könnte es sein, dass wir schon sehr nah an der Grenze des Machbaren kratzen. Denn der absolute Nullpunkt von -273,2 Grad Celsius oder 0 Kelvin, ist nach den uns bekannten Gesetzen der Quantenmechanik, wie das Max-Planck-Institut erklärt, nicht erreichbar.
Wir können uns ihr nur beliebig annähern, aber es bleibt immer ein minimaler Rest an quantenmechanischer Bewegung bestehen – die sogenannte Nullpunktenergie.
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