Die Intel-Katastrophe ist unvermeidlich - und das Beste, was uns seit Jahren passieren kann

Meinung: Es sieht nicht gut aus für Intels Arc-Grafikkarten. Zumindest noch nicht. In Zukunft könnten sie die Gaming-Landschaft aber entscheidend verändern.

Update, 26. Juli: Unser Autor Nils Raettig hat den Artikel überarbeitet und um zusätzliche Sichtweisen ergänzt, auch durch manche Anregung in den Kommentaren, vielen Dank dafür!

Wenn man sich all die Tests und Videos anschaut, die in den letzten Tagen zu Intels neuen Arc-Grafikkarten erschienen sind, dann wird schnell klar, warum der Launch immer wieder verschoben wurde: Es gab einfach zu viele offene Baustellen - und wie die aktuellen Berichte zeigen, gibt es sie immer noch. Intel steuert dadurch mit dem baldigen Launch offenen Auges auf eine Katastrophe zu.

Die je nach Titel stark schwankende Performance ist da noch das geringste Problem. Erschwerend hinzu kommen Grafikfehler, Abstürze sowie eine starke Abhängigkeit von der so genannten Resizable Bar-Funktion - die in Kombination mit AMD-Prozessoren aktuell noch nicht mal von Arc genutzt werden kann. Mehr über Resizable Bar erfahrt ihr im folgenden Artikel zum Release per Nvidia-Treiber Anfang 2021:

Die Testerfahrungen zu Arc von den Kollegen bei Computerbase, Golem und Igorslab basieren zwar alle auf dem Einsteigermodell A380, das aus China importiert wurde. Aber auch die Videos zu den schnelleren Modellen A770 beziehungsweise A750 in Kooperation mit Intel von amerikanischen Tech-Youtubern wie LinusTechTips und GamersNexus machen klar, dass der Weg für Intel noch weit ist.

Ich kann gut verstehen, wenn man deshalb der Meinung ist, dass Intel mit Arc zu früh auf den Markt kommt, schließlich will man ein verlässliches Produkt und kein Glücksspiel kaufen. Gleichzeitig bin ich aber überzeugt davon, dass dieser Weg Intels letztlich unvermeidlich ist - und dass man als Spieler froh sein kann, dass Intel ihn geht. Vorausgesetzt, der Chip-Riese bleibt auch dauerhaft dran.

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Intel kennt die Schwierigkeiten...

Überraschend kommen die Schwierigkeiten der Arc-Grafikkarten nicht, selbst wenn man bedenkt, wie riesig und finanzstark Intel ist. Jahrzehntelange Erfahrung in der Entwicklung von GPUs und gute Treiber für ein neues Produkt kann man sich eben nicht kaufen. Und ja, ich weiß, dass Intel dank der in Prozessoren integrierten Grafikchips seit langer Zeit mit weitem Abstand Marktführer ist. Aber eine nennenswerte Rolle spielen diese iGPUs im Gaming-Bereich eben nicht.

Was man sich mit Geld aber sehr wohl kaufen kann, sind Know-How, Zeit und Ressourcen, und all das braucht Intel, um mittel- und langfristig eine Chance auf dem Grafikkartenmarkt zu haben.

Intel erkennt das an und sagt auch selbst, dass man viel aufzuholen hat. Dieser Umstand bringt für potenzielle Käufer aber ein großes Problem mit sich: Nach allem, was wir bisher über Arc wissen, kann man nie sicher wissen, wie gut die Performance je nach Spiel ist: Ordentlich und durchaus zu AMD und Nvidia konkurrenzfähig oder viel zu langsam und weit hinterherhinkend?

Nils Raettig
Nils Raettig

Nils Raettig ist seit Oktober 2013 Hardware-Redakteur bei der GameStar. In dieser Zeit hat er bereits über 25 Grafikkarten getestet. Privat gab es dedizierte GPUs zu seinen ersten Gehversuchen mit dem PC noch längst nicht, umso besser kann er sich an die beeindruckenden Ergebnisse mit legendären Modellen wie der 3dfx Voodoo erinnern. Dass es schon seit Ewigkeiten nur noch AMD beziehungsweise ATI und Nvidia auf dem Markt gibt, findet er ebenso verständlich wie bedauerlich. Wenn es jemand schafft, dass zu ändern, dann Intel - auch wenn die Probleme zum Start groß sind.

Sphären wie die der Ende 2023 erwarteten Geforce RTX 4090 (Ti) oder auch aktueller High-End-Modelle hat Intel dabei noch nicht einmal im Blick, dafür ist es zu früh. Wie groß der Leistungssprung mit RTX 4000 sein könnte, lassen gleichzeitig Gerüchte mit ersten Messwerten bereits erahnen.

Auch die Spielentwickler sind dabei ein wichtiger Baustein, wodurch ein Henne-Ei-Problem entsteht. Wieso sollten Entwickler sich um eine für Arc optimierte Performance bemühen, wenn kaum jemand diese Grafikkarten besitzt? Und wieso sollte man solche Grafikkarten kaufen, wenn Spiele nicht dafür optimiert sind und nicht zuverlässig gut laufen? Auch dieser Umstand ist ein Grund dafür, dass Intel gefühlt verfrüht mit Arc auf den Markt kommt.

...aber reicht das aus?

Nach aktuellem Stand kann ich euch nicht ruhigen Gewissens empfehlen, eine Arc-Grafikkarte der ersten Generation zu kaufen. Dafür sind die Performance-Schwankungen in meinen Augen einfach (noch) zu groß beziehungsweise die Chancen zu gering, einen der Bestfälle zu erwischen. Beispiele dafür nennt Intel unter anderem in den unten zu sehenden Benchmarks anhand der Arc A750 im Duell mit Nvidias 3060.

Wenn es gut läuft, kann Intel Nvidia laut eigenen Angaben schlagen. Doch wenn das Wörtchen Wenn nicht wär... Wenn es gut läuft, kann Intel Nvidia laut eigenen Angaben schlagen. Doch wenn das Wörtchen "Wenn" nicht wär...

Ich glaube zwar nicht, dass sich das bis zum baldigen Release der schnelleren Modelle hierzulande ändert oder das eigene Erfahrungen mit der GPU zu neuen Erkenntnissen führen würden. Aber gleichzeitig hoffe ich dennoch, dass es genug Experimentierfreudige gibt, die das Arc-Experiment wagen werden - und dass man es ihnen durch möglichst niedrige Anschaffungskosten leichter macht, das zu tun.

Immerhin will Intel die noch nicht genau bekannte Preisgestaltung in der westlichen Welt nicht etwa an Spielen mit der höchsten Leistung im Bestfall orientieren, die als Stufe #1 einsortiert werden, sondern an den Problemfällen der Stufe #3 auf Basis älterer Schnittstellen die DirectX 11 und OpenGL. Stufe #2 sind weniger gut optimierte Titel mit aktuellen Schnittstellen wie DirectX 12 und Vulkan.

Die Frage ist aber, ob das genügt, auch in Anbetracht der neuen Konkurrenz in Form von RTX 4000 und RX 7000. Was von AMDs und Nvidias neuen GPUs zu erwarten ist, erfahrt ihr in unserem Podcast:

Link zum Podcast-Inhalt

Erste Spekulationen über den Preis

Videocardz spekuliert beispielsweise, dass das Top-Modell A770 weniger als 400 US-Dollar kosten könnte. Die Performance soll im Bestfall gleichzeitig grob auf dem Niveau einer Geforce RTX 3070 liegen, die aktuell für ungefähr 600 Euro zu haben ist.

Allerdings sind auch 400 Dollar beziehungsweise Euro immer noch sehr viel Geld. Das gilt umso mehr, wenn zu einer schwankenden Perfomance weitere Probleme wie Abstürze und Grafikfehler hinzukommen, wie es in den Tests des Einsteigermodells A380 teilweise der Fall war.

Ob und wenn ja zu welchem Preis man bereit ist, so etwas in Kauf zu nehmen, muss jeder für sich selbst beantworten. Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass die eigene Erfahrung ja nach Spieleauswahl und System - ihr braucht unbedingt Resizable Bar! - sehr unterschiedlich ausfallen kann und dass nicht absehbar ist, wie schnell Intel für spürbare Verbesserungen sorgen kann.

Wir können einen dritten Spieler gut gebrauchen!

Es gibt aber auch mögliche positive Blickwinkel, allen voran der Umstand, dass neue Konkurrenz für AMD und Nvidia wieder mehr Bewegung in den Grafikkarten-Markt bringen kann. Das zeigt sich etwa an den sehr guten Arc-Fähigkeiten beim De- und Enkodieren mit AV1.

Ich glaube außerdem, dass Intel in ein paar Jahren mit Blick auf eine zuverlässige Performance und die Treiber stark zu AMD und Nvidia aufholen kann - und das wäre in meinen Augen das Beste, was uns im Hardware-Bereich seit Jahren passieren könnte.

Klar, Intel will am Ende auch nur etwas vom großen Gaming-Kuchen abhaben und macht nichts davon aus reiner Spieler-Freundlichkeit. Aber wenn jemand AMD und Nvidia früher oder später unter Druck setzen kann, dann Intel.

Zunächst wird das wohl nur über den Preis und mit vielleicht zu großen Abstrichen für uns Spieler in Sachen Performance möglich sein. In Zukunft könnte Intel aber auch technologisch und in Sachen Leistung ordentlich Druck aufbauen. Das zeigt sich auch an den durchaus vielversprechenden ersten Ergebnissen des DLSS-Pendants beziehungsweise der Upscaling-Technologie XeSS.

Deshalb wünsche ich mir, dass genug Arc-GPUs verkauft werden, um auch das Interesse der Entwickler zu wecken. Ich könnte es aber auch sehr gut verstehen, wenn so ein Kauf trotz eines eventuell niedrigen Preises für (zu) viele erstmal keine Option ist.

Habt ihr die jüngsten Tests und die aktuelle Berichterstattung über Intels kommende Arc-Grafikkarten verfolgt? Und wie steht ihr zum Status Quo, der sich daran ablesen lässt und zu dem, was Intel in Zukunft mit seinen Desktop-Grafikkarten noch bringen kann? Schreibt es gerne in die Kommentare!

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