ArmA 3 - Gemeinsam stark

So, es ist zwei Uhr nachts. Bereits seit einem Jahr will ich diese Rezension schreiben, aber erst jetzt bin ich schlaftrunken genug, um es durchzuziehen. Ich...

von Laxemann am: 08.09.2015

So, es ist zwei Uhr nachts. Bereits seit einem Jahr will ich diese Rezension schreiben, aber erst jetzt bin ich schlaftrunken genug, um es durchzuziehen.
Ich könnte mir den Aufwand auch sparen, zumal ich noch nie eine Rezension über ein Spiel geschrieben habe, aber verdammt, das bin ich diesem Spiel schuldig. Feuerstatus grün.

"Krach, Bumm, Peng...

...höre ich überall. Links von mir schlägt eine Granate ein, vor mir wird ein verbündeter Spieler zusammengeschossen. Ein hektischer Blick nach links lässt mich gerade noch den Jet erahnen, der soeben über meinen Kopf gedonnert ist. Wildes Chaos, ich höre, wie die Projektile in die Wand neben mir einschlagen.
BAM.
Schon wieder tot. So ein Mist. Weißt Du, das Spiel ist einfach zu schnell", erzähle ich meinem Kameraden neben mir. Er dreht den Kopf leicht in meine Richtung, gibt einen Schmunzler von sich und schaut dann durch sein ACOG-Visier. Situational Awareness ist wichtig.
"Ja ja, Battlefield.", seufzt er, "Sobald wir wieder in der FOB sind, dann zocken wir 'ne Runde, was meinst Du?"
Ich schaue auf und muss ein wenig schmunzeln. Leute, mit denen man Rollenspiel betreiben kann, sind für mich Gold wert. Schließlich sitzen wir bereits seit einer halben Stunde im selben Gebäudekomplex und warten darauf, dass unsere verdammte Munition endlich eintrifft.
"Klingt nach 'nem Plan. Sag mal, was macht deine Frau daheim eigentlich..."

Paveway

Du, lieber Leser, wirst es Dir schon denken können: Die obige Szene stammt aus einem ArmA 3 Event. In meinem Leben habe ich schon das ein oder andere Spiel gespielt, aber keines so lange wie ArmA 3. Keines so intensiv. Keines so begeistert. Und dennoch würde ich diese Rezension lieber über ein anderes Spiel schreiben.
Wieso?
Weil ich keine Ahnung habe, wo ich anfangen soll. In meinem Kopf schwirren gerade tausende Bilder und Situationen herum, die aufzeigen, warum ArmA einzigartig ist.
Umso mehr nagt es an mir zu wissen, dass ich sie Dir nicht alle zeigen kann.
Stattdessen werde ich versuchen, Dir zu zeigen, wie Du selbst erfahren kannst, welches Potenzial dieser heilige Simulationsgral bietet.
Und warum Du Dich von Publicservern fern halten
solltest.

Aller Anfang ist... ein Schlag ins Gesicht

Wir beide spulen jetzt einmal die Zeit zurück (Na, wer hat sich das entsprechende Geräusch vorgestellt...?). Gelandet sind wir soeben im Jahre 2005 und eine PC-Zeitschrift beinhaltet "Operation Flashpoint - Cold War Crisis" als Vollversion.
Der Taktikshooter ist der direkte Großpapa von ArmA, behandelt einen eskalierenden kalten Krieg und legt überdurchschnittlich viel Wert auf Realismus.
Das 2004 erschienene Far Cry hob die Grafik-Messlate ziemlich an und so denke ich beim ersten Start von Operation Flashpoint (OFP) nur "ugh.. okey...".

Das Tutorial präsentiert eine klobige Steuerung des Grauens, die Waffengeräusche wurden von einem Toaster generiert und... und... hey, ich kann meinen Kopf unabhängig vom Körper bewegen, cool. Apropos, meinen Körper sehe ich ja auch. Salutieren geht ebenfalls, hihi. Dann kommt das erste Feuergefecht. Projektile schlagen neben mir ein. Hektisches umschauen (nur der Kopf!). Nichts zu sehen... und ich sterbe. Die meisten Shooter haben mir Gefechte auf 30 Metern eingedrillt. Hätte ich nicht nur mein näheres Umfeld begutachtet, wäre mir bestimmt der feindliche Soldat aufgefallen, welcher mich aus 300 Metern erwischt hat.
Oder auch nicht. Ich bin fasziniert und fühle mich sehr verwundbar.

Operation Flashpoint: Cold War Crisis (Bild: Gamestar)

Spezieller Fall

Warum ich meinen lahmen Einstieg in OFP geschildert habe? Weil er darstellt, was die meisten Leute seit jeher von der OFP/ArmA Reihe oftmals zuerst erleben:
Ein komplexes wie manchmal auch instabiles Technikgerüst, Funktionen, die 60% der Spieler nicht verstehen sowie Frust und Verwunderung.
Von allem eine Menge.
Weitergespielt habe ich trotzdem. In fast jedem anderen Shooter habe ich das Gefühl, ein Held zu sein, der irgendwie alles bewältigen kann. In ArmA/OFP lernt man dafür umso schneller und schmerzhafter, dass ein kleinkalibriges Gewehr nichts gegen einen Schützenpanzer ausrichtet. Man ist stets nur ein kleiner Teil eines größeren Verbundes. Und wenn man selbst nur als Schütze-Arsch unterwegs ist, dann kauert man sich bei Panzerkontakt ganz schnell hinter die nächste massive Deckung und hofft, dass der Panzerabwehrschütze trifft.
Wenn nicht, dann wars das eben.

Schattengesellschaft im Sandkasten

Die meisten Spieler, vielleicht auch Du, lieber Leser, lernen ArmA 3 auf demselben Weg kennen: Sie stürzen sich in den Onlinemodus und daddeln drauf los, manchmal vielleicht sogar noch mit einem Kumpel, der ebenfalls "neu dabei ist".
Die beliebtesten Spielmodi sind dabei "King Of The Hill", "Wasteland" sowie "Altis Life". Diese Spielmodi werde ich Dir nicht vorstellen. 
Warum?
Nun, unkoordiniertes Onlinezocken kann bestimmt auch Spaß machen, Fakt ist aber, dass Du lediglich 5% von dem erlebst, was ArmA ausmacht.
Ich möchte Dir zeigen, was in dem Spiel steckt.
ArmA 3 ist ein nämlich ein riesiger Sandkasten, der einem endlose Möglichkeiten bietet. Die Hauptkarte des Spiels, Altis, ist allein 270km² groß, detailliert und abwechslungsreich. Einen Missionseditor gibt es ebenfalls. Dieser ist einfach zu bedienen, dank eigener Programmiersprache lässt sich damit allerdings alles Vorstellbare und Unvorstellbare anstellen.
Hinzu kommt eine der größten und aktivsten Modding-Communitites der Welt. Im Minutentakt gibt es neue Missionen, Fahrzeuge, Funktionen, Waffen, ganze Karten... die Liste lässt sich endlos lange weiterführen.
Was ich damit sagen will ist: Wer in ArmA wirklich will, der kann.
So entstanden über die Jahre hinweg mal mehr und mal weniger aktive Communities rund um ArmA. Viele davon spielten einfach nur zusammen auf Public Servern.
Doch einige wollten mehr.

Während sich ArmA 2 noch Militärsimulation nannte, schimpft sich ArmA 3 nur noch "Taktik Shooter". Doch bereits zu den Zeiten von Operation Flashpoint versammelte man sich in großer Runde, baute eigene Missionen, mietete eigene Server und spielte eigene "Events".
Der Fokus lag (und liegt) dabei auf Koordination, Teamwork sowie Befehlsstrukturen, welche dem echten Leben nachempfunden wurden. Während dessen spielten andere Team Deathmatch...

Event-trächtig

Im Folgenden werde ich versuchen, Dir zu vermitteln, zu welchem komplexen Immersionswunder ArmA in "professionellen" Gemeinschaften wird. Ich selbst spiele dabei seit 2011 in geschlossenen Communities, derzeit bei "Gruppe W".
Hier also der typische Werdegang einer Mission nach amerikanischen Militärstrukturen:

Vorbereitung:
Ein Missionsbauer bereitet eine Mission vor. Die Spielfiguren sind dabei nach realistischen militärischen Strukturen aufgebaut und vom Missionsbauer vorgegeben. Es gibt in der Regel eine Führungsgruppe, wobei ein Spieler die Gesamtführung der Mission übernimmt.
Dieser Führungsgruppe sind die restlichen Einheitenteile unterstellt.
Ein Fireteam besteht aus 4 Mann (Teamleader, Automatic Rifleman, Grenadier, Sonderrolle), ein Squad besteht aus 9 Mann (Squad Leader sowie 2 Fireteams), ein Platoon besteht aus einem Platoon Leader, einem Platoon Sergeant sowie 2-4 Squads.
Der Missionsbauer eröffnet einen Forentread, in den er Datum sowie Startbeginn der Mission, Informationen sowie eine Liste mit den verfügbaren Einheiten einstellt.
Die Spieler können dann schreiben, welche Rolle sie gerne innerhalb der Mission einnehmen würden (Z.B. Combat Engineer beim 2. Squad des "Dude"-Platoons).

 

Ein Fireteam dringt in einen Gebäudekomplex ein


Missionsstart
Die Gesamtführung weist die untergebenen Führungskräfte in den Plan ein, danach haben diese wiederum kurz Zeit, ihre Untergebenen einzuweisen.
Die Kommunikation wird durch Modfikationen ermöglicht, welche die Spieler nicht nur positionell im Raum verteilen, sondern auch Funkgeräte möglichst realistisch abbilden. Ist jede Einheit auf dem richtigen Funkkreis? Sind die Kanäle eventuell verschlüsselt? Gibt es Ausweichkanäle? Und und und...
Dann geht es los.
Der Plan wurde besprochen, jetzt wird er ausgeführt. Soldaten steigen in ihre Fahrzeuge (falls vorhanden), warten auf das Signal zur Abfahrt, die Logistiker stellen ihre Geräte ein, die MEDEVAC-Crew checkt ihren Helikopter ab.

Logistik? MEDEVAC? Häää?
Ja, auch das wird abgedeckt. Der kämpfenden Truppe könnte früher oder später die Munition ausgehen. Dann muss diese über mehrere Kilometer hinweg angeliefert werden. Außerdem kann es zu Verletzten kommen. Dank Modifikationen wie ACE verfügt ArmA 3 über ein unglaublich komplexes Sanitätssystem. Der Blutdruck muss gecheckt werden, Wunden müssen gereinigt und versorgt werden, für den Schmerz gibt es eine Spritze Morphium und vielleicht kann der Soldat nicht mehr atmen und benötigt einen Luftröhrenschnitt...?
So oder so, an der Front versorgt es sich schlecht. Alles, was über Fleischwunden hinausgeht, muss also in der Basis versorgt werden. Bei schweren Verletzungen fordern die Jungs also MEDEVAC (MEDical EVACuation) an.
Ein zum mobilen Lazarett umgebauter Helikopter hebt dann mit einer Gruppe von Sanitäter ab, landet im Gebiet, lädt den Verletzten nach Erstversorgung ein und fliegt ihn in die Basis, wo er erst im Lazarett richtig behandelt wird.

Ein Sanitäter trägt einen Verwundeten ins Lazarett, im Hintergrund wartet die Logistik.

Und wenn es einen mal richtig erwischt?
Dann wars das. Respawn gibt es in diesen Missionen nicht, jeder Spieler möchte am Leben bleiben. Durchdachtes, koordiniertes und oftmals langsames Vorgehen steht an der Tagesordnung.

Typische Szene:
Beim Vorrücken kriegt das Platoon leichten Beschuss rein, das Gelände voraus ist schwierig. Der Platoon Leader entscheidet sich dafür, seine Männer zurückzuziehen und Luftnahunterstützung bei der Gesamtführung anzufordern.
Diese bewilligt dies und schickt ein Flugzeug in die Luft. Der Pilot/Spieler klinkt sich in den Funkkreis der entsprechenden Bodentruppen ein und erwartet weitere Anweisungen. Der FAC (Forward Air Controller) des Platoons weist das Flugzeug ein, indem er ihm die eigene Position, die Feindposition, die Anflugsrichtung sowie Munitionsart mitteilt. Sobald das Flugzeug geschossen hat, gibt der FAC am Boden Feedback (Guter Effekt aufs Ziel/ 30m weiter Richtung Nord, erneuter Anflug...).

 



Ich könnte stundenlang weiterschreiben, würde aber zu keinem Ende kommen.
Du siehst, lieber Leser, ArmA 3 kann unglaublich komplex und immersiv sein.
Hat man sich erst einmal darin eingearbeitet und ist Teil des ganzen Apparates,
dann kommt man so schnell nicht mehr davon weg. Versprochen.

Wo anfangen?

Habe ich Dein Interesse geweckt, ja, Dich vielleicht sogar fasziniert?
Dann entferne Dich gaaaanz schnell von sämtlichen Publicservern und schaue Dir diese Liste mit ArmA Gemeinschaften an.

Wer bin ich?

Als Abschluss noch ein paar Infos zum Autor dieses nächtlichen Erbrechens, welches ich Rezension nenne:
In ArmA-Kreisen kennt man mich als LAxemann, meines Zeichens ein absoluter Realismus-Fetischist. Seit 2013 bin ich zudem in der ArmA modding Szene aktiv, wobei ich mich vor allem im Immersions- sowie Soundbereich engagiere.
Fans des YouTubers JeremiahRose kennen mich als Leon.
Meinen YouTube Kanal findest Du hier.

Abschließend noch ein offizielles Video, welches 33 interessante Eigenschaften des Spiels aufzeigt:

 

LAxemann Ende


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Häufiger, unregelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(5)
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