Automobilista - Der Underdog der Rennsimulationen

Ein kleines Entwicklerstudio, keine großen Lizenzen und eine betagte Engine - Kann das überhaupt was sein? Auf jeden Fall! Automobilista ist ein Kleinod der...

von bessertommel am: 10.11.2019

Wer ist Reiza und wo kommen die her?

Der Weg von Automobilista reicht mittlerweile einige Jahre zurück. Die Geschichte liest sich ähnlich, wie die von Simbin (GTR, GT Legends, Race07, ...). Reiza Studios begann als Modding Crew für rFactor1, konnte mit Mods in hervorragender Qualität Aufsehen erregen und formte sich schließlich zur Firma. Für das Erstlingswerk GameStockCar wurde die rFactor Engine lizensiert und eine eigenständige Simulation entwickelt, die einige Fahrzeuge und Strecken aus bereits bekannten Mods enthielt und durch weiteren neuen Content - teils Fantasie, teils lizensiert - erweitert. Auch hier deutete sich bereits an in welche Richtung es gehen würde: Puristische Rennsimulationen, ohne viel Schnickschnack. Am Content erkannte man auch recht schnell, dass Reiza seinen Sitz in Brasilien hat. Die namensgebenden Stock Cars, die die wichtigste Serie im Spiel darstellten sind eine brasilianische Version der hierzulande bekannten DTM. Zudem waren nur wenige hier bekannte Strecken lizensiert. Auch hier lat der Schwerpunkt auf lokalen brasilianischen Strecken. Außerdem konnte mit Rubens Barichello ein lokal Hero und bekennender Simracer gewonnen werden, um sein Feedback in die Entwicklung einzubringen.

Das mit den Verkaufserlösen generierte Geld wurde durch eine Crowdfundingkampagne ergänzt und nachdem die geplante Summe in kürzester Zeit eingespielt war die Entwicklung von Automobilista gestartet. Zur Überraschung vieler setze Reiza damals nicht auf die zu dem Zeipunkt recht neue Engine von rFactor2, sondern weiterhin auf die schon damals betagte rFactor1 Engine.

Alte Engine, neues Fahrgefühl

Umso beeindruckender ist jedoch das Ergebnis. Was die alte Engine in Automobilista auf den Bildschirm zeichnet kann sich durchaus sehen lassen. Klar passiert neben der Strecke nicht viel und es gibt keine besonderen Effekte, dank knackigen Texturen und einer gelungenen Ausleuchung fühlt sich das Bild aber sehr realistisch an. Ein Wehrmutstropfen ist allerdings, dass die alte Engine nativ keine VR Unterstützung hat. Im Bereich des Simracings ist das tatsächlich ein relevantes Argument. Während sich VR im Gaming aktell noch ein wenig ausprobiert, ist es im Simracing schon voll angekommen. Kaum eine Umgebung ist so für VR geschaffen, wie die eines Rennfahrzeugs. Dafür läuft am Bildschirm alles wunderbar flüssig mit hohen Frameraten, was für das Fahrgefühl widerum essentiell ist.

Denn nicht nur die Grafik, auch die Physik wurde nochmals weiterentwickelt. So wurde beispielsweise ein neues System für eine dynamische Gripentwicklung auf der Strecke implementiert, das abhängig davon, wo die Fahrer sich auf der Strecke bewegen Gummi und somit Grip aufbaut. Auch das Reifenmodell ist komplett überarbeitet worden. Hier gibt es ein sehr interessante Video (zumindest für Autonerds wie mich) in dem Niels Heusinkveld, der Physik Guru bei Reiza, die Besonderheiten des Reifenmodells erklärt. Bei wem es jetzt bei dem Namen Heusinkveld klingelt: Ja das ist auch der, dessen Firma die High End Racing Pedale für PC verkauft.

Ein sehr entscheidender Tweak an der Engine wird allerdings gerne übersehen. Die Frequenz der Pyhsik Berechnung wurde auf 720Hz hochgeschraubt und die Frequenz der Input-Berechnung auf 500Hz. Das Ergebnis spürt man auf der Strecke sofort. Wer rFactor kennt wird sich zwar sofort bei Automobilista zuhause fühlen, aber alles wirkt einen Tick direkter, einen Tick schneller und weniger distanziert. Das hat zur Folge, dass sich das Fahren natürlicher und ehrlicher anfühlt. Das Fahrgefühl ist schlichtweg überragend. Ein Lenkrad, mindestend Logitech G29 ist dafür allerdings Voraussetzung. Lenkräder mit aktuellerer Technik, die die Geschwindigkeit der ForceFeedback Befehle schneller umsetzen können verbessern hier natürlich das Erlebnis. Man spürt jede Bodenwelle, jede Belastung und Entlastung der Reifen, jedes Verschiebung in der Balance des Fahrzeugs und kann entsprechend reagieren.

Die Fahrzeuge und Strecken

Hier kommen wir zu einem Punkt, den ein kleines Studio mit begrenztem Budget nur bedingt durch Enthusiasmus aufwiegen kann. Wem bekannte Originallizenzen wichtig sind, der kommt hier nicht wirklich auf seine Kosten. Die Lizenzen für die großen internationalen Serien fehlen ebenso wie auch viele der typischen Strecken. Nichtsdestotrotz finden sich neben den vielen unbekannten brasilianischen Strecken, die immerhin für die Meisten mal was neues sein dürften, auch hierzulande bekannte Strecken, wenn auch zum Teil unter anderem Namen.

Dasselbe gilt für die Fahrzeuge. Es gibt zwar für beinahe jede Epoche der Formel1 ein entsprechend designtes Fahrzeug, echte Team Namen oder Lackierungen gibt es aber nicht. Unter dem Fuhrpark tummeln sich so ca. 50% lizensierte und 50% realen Vorbildern nachempfundene nicht lizensierte Fahrzeuge.

Wie kann man jetzt fehlende große Lizenzen mit Einsatz und Herzblut wett machen? In dem man so ziemlich alles anbietet, was vier Räder hat. Allein bei den Karts gibt es Leihkart, Viertakt Rennkart, Zeitakt Rennkart, Zweitakt Schaltkart und Superkart. Und bei denen trifft die Fahrphysik im Gegensatz Beispielsweise zu den katastrophal umgesetzten Karts aus Project Cars die Realität wirklich gut. (Da ich selber Rennkart fahre kann ich zumindest bei diesen Fahrzeugen einen fundierten Vergleich Sim vs. Realität anstellen)

Dazu kommen die schon erwähnten F1 Fahrzeuge, verschiedene Nachwuchsformelklassen, Mini, Caterham und sonstige Trackday Cars, Driftcars (mit Driftbewertungsmodus statt Rundenzeit), Stockcars, V8Supercars, Prototypen, Rallycross, Stadium Super Trucks (Die mit den Schanzen) oder auch Renntrucks (Die LKWs ohne Auflieger). Es gibt nur wenige Simulationen, die ein derart breites Spektrum des virtuellen Motorsports mit so gleichbleiben hohem Nivaeu der Umsetzung bieten. Natürlich lassen sich alle Fahrzeuge ensprechend ihrer realen Vorlage in alles Details des Setups einstellen, was auf der Strecke nachvollziehbare Reaktionen des Fahrzeugs spüren lässt.

Wem das alles nicht reicht, der kann sich auch noch mit Mods aushelfen. Der Modsupport ist zwar nicht so ausgeprägt, wie seinerzeit bei rFactor, aber die ISI gMotor Engine bleibt immer noch gut Modbar, was gerne angenommen wird.

Spielmodi

Hier gibt es nicht viel. Automobilista ist eine Simulation und der Spielmodus ist: Geh auf die Strecke und fahr!

Das ganze kann spannender gemacht werden, indem man entweder virtuelle Gegner in Form der großteils wirklich clever agierenden und gut auf die eigenen Fähigkeiten anpassbaren KI Gegner dazu nimmt, oder echte Gegner im Multiplayer. Hier finden sich leider nur über Communities oder Ligen wirklich genug Leute zusammen. Da Automobilista eher ein Nieschenprodukt ist, ist die Zahl der Spieler die gleichzeitig online sind sehr überschaubar.

Wer einfach nur Hotlaps fahren und sich an dem grandiosen Fahrgefühl erfreuen möchte, der kann das auch in einem Leaderboard Modus tun und so eine Einschätzung der eigenen Fähigkeiten bekommen und bestzeiten jagen.

Auch Meisterschaften sind möglich. Hier gibt es nur wenige vorgefertigte Meisterschaften. Wer mehr möchte kann sich die im enthaltenen Championship Editor mit eigenen Fahrzeugen, Rennkalender und Regelwerk selbst Meisterschaften erstellen und diese dann fahren.

Fazit

Automobilista ist ein wahres Kleinod der Simulationen, das Aufgrund der unbekannten Lizenzen und des puristischen Ansatzes gerne übersehen wird. Wer ein brauchbares Lenkrad zuhause hat, sollte sich das aber nicht entgehen lassen.  Spielmechaniken für Langzeitmotivation gibt es nicht. Das übernimmt das perfekte Fahrgefühl, das einem jederzeit eine ehrliche und volle Kontrolle über das Fahrzeug gibt. Wenn man abfliegt, spürt man sofort was der Fehler war und möchte nicht dem Spiel die Schuld geben, wenn man das Fahrzeug abfängt fühlt sich das einfach großartig an, wenn man Kurve um Kurve perfekt trifft, ist das unglaublich befriedigend und nach kurzer Zeit stelle das alte Heroes of Might and Magic Gefühl ein: Nur noch eine Runde!


Wertung
Pro und Kontra
  • Perfektes Fahrgefühl
  • überschaubare Hardwareanforderungen
  • Unverbrauchte Fahrzeuge und Strecken
  • Enorme Vielfalt
  • unbekannte Lizenzen
  • ohne Community oder Liga kaum online Rennen möglich
  • kein VR
  • Der Nachfolger steht in der Startlöchern

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



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