Das Beste "Souls/Borne"?

Mortal Shell hat mich als Souls/Borne-Hater trotzdem überzeugt.

von Armageddon2021 am: 23.05.2021

Eines vorneweg: ich bin kein Fan von "Souls/Borne" Spielen. Die Idee von ständig nachwachsenden Gegnern, ultraharten Boss-Kämpfen, auswendig lernen von Angriffsmustern und "Seelen"-Hatz weckt in mir keinen besonderen Reitz. Dark Souls 1-3 habe ich dennoch gespielt (aber nie beendet), Bloodborne habe ich beendet und selbst das von Vielen verschmähte Lords of the Fallen habe ich angespielt. All diese Spiele sehen zwar mehr oder weniger nett aus und haben interessante Ansätze, das war's dann aber auch. (Ausser Bloodborne, das war einfach nur geil dank der Lovecraft-Anleihen!). Warum also noch ein weiteres Souls-Borne kaufen? Ein Freund hat mich dennoch überzeugen können, dass ich sogar ein Epic Games Konto eröffnet habe (und ich habe mir geschworen das niemals zu tun!). Und Mortal Shell stellte sich als ein ganz besonderer Geheim-Tip heraus!

 

Bekanntes Spielprinzip mit einigen Innovationen

Auf dem ersten Blick macht Mortal Shell erstmal nicht viel her: das übliche "Souls"-Spielprinzip, statt Seelen jagt man hier Tar, statt Lagerfeuer gibt es hier Swester Genessa. Und ja, ein Grossteil des Spieles spielt sich in einem düsteren Sumpf ab. All das mag erstmal zum Nase rümpfen führen. Aber wer hier dankend abwinkt, dem entgeht eines der besten Spiele von 2020 (für mich sogar DAS Spiel des Jahres 2020!)

Trotz Sumpflandschaft und Dark Fantasy Setting kann die Kulisse voll überzeugen: die Atmosphäre sticht alle Souls Spiele aus und übertrifft sogar meinen bisherigen Favoriten Bloodborne. Bedenkt man das Mortal Shell von einem kleinen Independent Studio gemacht wurde ist es um so verblüffender was die Damen und Herren von Cold Symmetry hier auf die Beine gestellt haben. Grafisch lässt es - der Unreal Engine 4 sei Dank - FromSoftware's Flagschiffe weit hinter sich.

Mortal Shell bringt zahlreiche Innovationen in das bekannte Spielprinzip, eine davon bemerkt man sofort bei Spielbeginn: es gibt keine Charakter-Kreation. Stattdessen schlüpft man in die Rolle eines fremdartigen Wesens das etwas an die hautlosen Menschen aus Hellraiser erinnert (allerdings in weiss statt blutrot). Dieses Wesen, genannt "Findling", kann in die Körper verstrobener Helden schlüpfen und übernimmt deren Fähigkeiten. Vier dieser Helden stehen zur Auswahl, vom gepanzerten Ritter mit wenig Ausdauer bis zum flinken Dieb, der aber nur ein oder zwei Treffer einstecken kann. Diese Hüllen muss man aber erstmal in der Spielwelt finden... Auf eine zauberkundige Spielfigur müssen wir in Mortal Shell aber verzichten, Zaubersprüche gibt es nicht, ebenso war der Frauengleichstellungsbeauftragte bei Cold Symmetry wohl gerade im Urlaub, eine weibliche "Hülle" in die man schlüpfen kann ist ebensowenig vorhanden. Neben der typischen Lebensenergie und Ausdauer spielt auch Entschlossenheit eine wichtige Rolle, diese erlaubt das Parieren von Angriffen sowie das Ausführen bestimmter Waffenspezialangriffe.

Jede Hülle besitzt 10 freischaltbare Fähigkeiten die man gegen Tar und die etwas selteneren "Einblicke" bei Sester Genessa freischalten kann. Erfahrungslevel die man aus allen anderen Rollenspielen kennt gibt es in Mortal Shell überhaupt nicht. Das ganze funktioniert übrigens so gut, dass ich die Erfahrungsstufen im Spielverlauf gar nicht einmal vermisst habe.

Cold Symmetry hält sich an das Credo "weniger ist mehr", es gibt sage und schreibe nur vier (4) Waffen, die sich bis zu fünfmal upgraden und mit einigen Spezialangriffen versehen lassen, Rüstungen kann man hingegen keine finden - jede Hülle behält ihre Klamotten für den gesamten Spielverlauf. Aber auch das vermisst man im Spiel nicht. Die Waffen erhält man - abgesehen von ersten Schwert - übrigens erst nachdem man eine Art Mini-Boss besiegt hat, der uns mit dieser Waffen gegenübertritt.

Ein besonderes Novum ist dass Gegenstände anfangs genauso kryptisch sind wie die Handlung: erst nach mehrmaligen Benutzen von Items findet man heraus was diese tatsächlich tun. Besonders fies: ein bestimmter Pilz vergiftet uns beim einmaligen Benutzen. Vergiften wir uns aber einige Male freiwilig mit besagtem Pilz stellt sich heraus, dass er uns ab sofort stattdessen für einige Minuten immun gegen Gift macht.

Eine weitere Innovation sticht im Kampfsystem hervor: per Knopfdruck wird unsere Figur zu Stein und ist für einen gegnerischen Treffer unverwundbar, und zwar solange wie den Knopf gedrückt halten oder wir einen Treffer einstecken. Der Clou: das "Verhärten" kann sogar mitten in einer Aktion angewendet werden, etwa mitten in einer Angriffsanimation oder beim Heilen. Damit diese Fähigkeit allerdings nicht zu übermächtig daherkommt gibt es dafür allerdings einen Cooldown der neben unserer Lebensenergie/Ausdauer & Entschlossenheitsanzeige zu finden ist.

Ansonsten verfügt das Programm über die Souls'schen Kampfelemente: leichter (schneller) Angriff, schwerer (langsamer) Angriff sind ebenso mit von der Partie wie die Ausweichrollen und das Parieren und Kontern. Lediglich das Blocken entfällt und wurde durch das "Verhärten" ersetzt, einen Schild für unseren Helden gibt es ebenfalls nicht.

Ehrlich gesagt gefallen mir die Kämpfe in Mortal Shell wesentlich besser als in allen anderen Genre-Kollegen: durch das Verhärtungssystem kommt hier im Gegensatz zu dem arg auf Timing fixierten Dark Souls Pendanten sogar etwas Taktik ins Spiel. Auch hat man sich etwas anderes als nur einen Estus Fläschen Klon einfallen lassen: Heil-Items sind selten, einige kommen mit Nachteilen, z.B. büsst man Entschlossenheit ein wen man sie einsetzt oder die Lebensenerigie wird langsam regeneriert. Die untote Hülle von Tiel dem Akolyten kann sich z.B. mit Gift heilen.

 

Der Tod ist nicht das Ende

Gestorben wird bei Mortal Shell oft. Wie in "Souls" Spielen üblich verliert der Held dabei seine gesammelten X (setze hier die jeweilige Währung des Spiels ein, in diesem Fall Tar) an Ort und Stelle und hat eine Chance diese zu retten: er muss an die Stelle seines "Todes" zurückkehren und diese wieder einsammeln, allerdings werden alle Feinde (bis auf Bosse) wiederbelebt. Stirbt man nochmals auf dem Weg dahin ist das Tar allerdings futsch. Dieses Prinzip ist identisch zum grossen Vorbild. Glücklicherweise bleiben unsere "Einblicke" aber erhalten.

Allerdings hat sich Cold Symmetry hier noch etwas Neues einfallen lassen: fällt unsere Lebensenergie auf 0 sind wir nicht sofort tot sonder werden unsanft aus unserer Hülle katapultiert und wir stehen nackt da. Schaffen wir es zu unserer Hülle zurück zu gelangen ohne einen einzigen Treffer einzustecken erhalten wir noch eine Chance mit aufgefüllter Lebensenergie weiterzumachen -das funktioniert allerdings nur einmal pro Rast, sinkt unsere Lebenskraft erneut auf null heisst es zurück zum letzten Speicherpunkt.

 

Der Schwierigkeitsgrad - Fair geht vor!

Ein Punkt der die "Souls"-Fans spalten wird ist sicher der Schwierigkeitsgrad. Mortal Shell ist kein leichtes Spiel, das vorneweg. Gleichzeitig dürfte es aber das "leichteste" Souls Spiel sein, das es bis jetzt gibt. Gleichzeitig ist es auch das fairste Souls Spiel: Rücksetzpunkte sind zu Beginn jedes neuen Spielabschnitts gesetzt. Auch auf lange Wege zu den Boss Fights wurde verzichtet: gleich beim ersten richtigen "Mini Boss" wurde der Speicherpunkt genau gegenüber gesetzt, ohne das man auch nur einen einzigen Feind auf den Weg dorthin bezwingen muss. Ein Speicherpunkt ist ebenso direkt neben den Waffen-Boss Fights gesetzt. DAS ist hervorragendes und faires Design, da kann sich FromSoft eine Scheibe von abschneiden.

Ebenfalls erfreulich: Cold Symmetry hat es mit den Boss Fights nicht übertrieben: es gibt 4 normale Boss Fights und 3 Mini-Bosse, zwei davon sind optional. Ebenfalls optional sind die Mini-Bosse für die 3 Waffen, allerdings hat man dann nur Zugriff auf das Anfangsschwert. Auf den 30+ Boss-Overkill wie in Dark Souls II hat man zum Glück verzichtet, ebenso auf unfaire "Gank Bosse" wie Ornstein und Smough. Auch wurden diese Kämpfe nicht unnötig in die Länge gezogen und lassen sich relativ flott beenden. Somit haben auch Spieler eine Chance die bei den anderen Souls Spielen kein Bein auf die Erde bekommen.

Das bedeutet allerdings nicht dass Mortal Shell einfach ist. Eine gewisse Frustresistenz und Einarbeitungszeit ist mitzubringen wenn man hier bestehen möchte. Es ist über ein Jahr her seit dem ich das letzte Mal ein Souls Spiel gespielt habe und ich habe zahlreiche Stunden und mehr als 20 Versuche gebraucht um den ersten Mini-Boss "Grisha" zu bezwingen, ebenso dauert es einige Stunden bis man sich in der Sumpfortschaft Fallgrim orientieren kann ohne sich zu verfranzen: eine Karte gibt es nämlich - wie im Vorbild - nicht.

Auch sonst gibt es hier wenig "Händchen halten" wie man es von modernen Spielen wie Skyrim gewohnt ist: es gibt keine Quest Marker und kein GPS zum nächsten Questziel. Ein kurzes Tutorial um die Steuerung und Basics zu erläutern, dann ist man auf sich selbst gestellt und muss sich jeden Meter erkämpfen.

 

Alles nur geklaut?

Es gibt schon wesentlich dreistere Klone, wie Lords of the Fallen zum Beispiel, aber Ähnlichkeiten sind auch bei Mortal Shell nicht von der Hand zu weisen: vom Spielsystem (Fokus auf harte Boss-Kämpfe, jeder 08/15 Gegner kann einem mit 2 oder 3 Treffern töten, das Nachwachsen von Feinden, Seelensammeln, etc.) bis hin zu den kryptischen Gegenstandsbeschreibungen, der nebulösen Story und der melancholischen Grundstimmung kommt einem ziemlich viel vertraut vor. Das ist keinesfalls ein Einzelfall, gab es in den 1990ern eine ganze Welle von Doom-Klonen, und auch Diablo-Klone erfreuen sich nachwievor grosser Beliebtheit.

Mortal Shell bringt aber genügend Erneuerungen an den Tisch, aber macht keinen Hehl daraus, dass es sich bei den Machern um Dark Souls Fans handelt, die ihrem grossen Vorbild hiermit huldigen. Das Kampfsystem hat im Vergleich zu FromSoft's Spielen mehr taktische Tiefe, die Atmosphäre - vor allem wenn nach dem Töten der Hauptbosse die Spielwelt in einen mysteriösen Nebel getaucht wird und die Standardfeinde durch schwere Horrormonster ausgetauscht werden - ist wesentlich besser. Genial auch die Idee mit den "Instinkten": wir erhalten per Knopfdruck eine Art Vision mit Landschaftsmerkmalen die sinnvolle Tips zum finden der Waffen und Hüllen geben. Die Idee mit dem "Bekanntmachen" von Items ist eine der interessantesten Neuerungen.

 

Kompakt dafür aber zum kleinen Preis

Mit ca. 20 Stunden Durchspielzeit gehört Mortal Shell nicht zu den umfangreichsten Vertretern der Genres, mit einem Preis von ca. 30 Euro allerings auch nicht zu den teuersten. Cold Symmetry hat auf unnötigen Füllstoff verzichtet und das Spiel wirkt nicht künstlich gestreckt. Wie schon üblich gibt es auch hier New Game + und New Game ++, ob sich das bei der geringen Zahl von Charakteren und Waffen lohnt kommt auf den Spielstil an: mache ich mit meiner vertrauten Hülle weiter oder spiele ich mit einer anderen? Waffen lassen sich weiterleveln (+10 statt nur +5) und einige Gimmicks haben sich die Programmierer auch einfallen lassen (Verhärten absorbiert nicht mehr 100% Schaden). Somit ist Mortal Shell auf jeden Fall sein Geld wert.

Die Umgebungen fallen ziemlich abwechslungsreich aus und sind sehr gut in Szene gesetzt. Sowohl Grafik als auch Sound können sich sehen und hören lassen. Als kostenloses DLC gibt es noch einen alternativen Soundtrack der Gruppe Rotten Christ wobei die Original Tracks mir wesentlich besser gefallen obwohl ich ein Metal Fan bin. Alle NPCs sind vollvertont - auch keine Selbstverständlichkeit bei Independent Studios. Im Gegensatz zu Triple-A Studio Spielen ist Mortal Shell auch erstandlich bugfrei!

Auch bei der Steuerung hat man sich einigermassen Mühe gegeben: zwar lässt sich das Spiel gut mit Maus+Tastatur spielen, die Menüs sind aber nachwievor "konsolig" und die Steuerung per Controller läuft wesentlich flüssiger. Wenigstens hat man die Möglichkeit alle Tasten beliebig zu belegen (nur Tastatur, nicht Controller) und auch die grafischen Einstellungen sind ziemlich umfangreich ausgefallen.

Mortal Shell gibt es bis Sommer 2021 für den PC ausschliesslich über den Epic Store, die im Handel erhältliche physische Version muss ebenfalls über die Epic Plattform gestartet werden, enthält aber noch ein Poster und ein 18-seitiges Art Design Booklet als Beilage. Im Sommer fällt dann die Epic Store Exklusivität, ich konnte allerdings nicht so lange warten...

 

Etwas Schatten...

Zum Schluss möchte ich auch die negativen Aspekte nicht vorenthalten: so sind einige Animationen etwas langatmig, z.B. wenn wir duch die teils sehr langen Tunnels klettern müssen. Hardcore Souls Fans werden zudem den (verhältnismässig) geringen Schwierigkeitsgrad beklagen.

Die Hüllen sind sich sehr ähnlich, lediglich die Tiel-Hülle (agile "Schurken"-Klasse) spielt sich etwas anders als die anderen drei. Es gibt lediglich 4 Waffen und keine alternativen Rüstungen, Rollenspielfans werden zudem die drastisch reduzierte Charakter-Entwicklung und das Fehlen der genretypischen Erfahrungsstufen bemängeln.

Die Story ist minimalistisch und geradlinig, es gibt keine Nebenstränge und vergleichsweise wenig Geheimnisse.


Wertung
Pro und Kontra
  • Atmosphäre & Artdesign & Präsentation hervorragend
  • sehr gute, abwechslungsreiche Spielwelt
  • fairer als alle anderen "Souls"-Spiele (Speicherpunkte, Zweite Chance bei Tod)
  • kompaktes Design bei ca. 20 Stunden
  • New Game +
  • ohne Erfahrungslevel ist jeder Gegner zu jedem Zeitpunkt besiegbar
  • Vertrautheitssystem bei Items
  • taktische Tiefe bei Kämpfen
  • für Hardcore Souls-Cracks wahrscheinlich zu leicht
  • Maus+Keyboard Steuerung etwas umständlich
  • 4 Hüllen sehr ähnlich
  • nur 4 Waffen, keine Rüstung
  • minimalistische Handlung ohne Nebenstränge

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



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