Endzeitliche Lust oder endzeitlicher Frust?

Ein neuer Test zur Quarantäne, nach nur einem Monat schon! Viel Spaß beim Lesen.

von Bakefish am: 07.05.2020

Fallout 3. Ein großartiges Spiel und eins der ersten RPGs, die ich überhaupt je gespielt habe. Fallout: New Vegas werde ich ebenfalls für immer in Erinnerung behalten. Die Konsequenzen meiner Entscheidungen, die riesige, offene Spielwelt, so viele Quests und Spielstile, das ist einfach unvergleichlich.
Dann kam Fallout 4. Die Meinungen dazu waren sehr gespalten. Typische Bethesdastärken, spaßigere Action, sagte die eine Seite. Typische Bethesda-Schwächen, heruntergedummtes Rollenspiel, sagte die andere Seite. Ich verfolgte das alles und ließ mir Zeit. Und habe dann im letzten Jahr das Spiel samt allen DLCs besorgt.
Wie ist Fallout 4 denn nun, fast 5 Jahre nach seinem Release? Ist es nun ein gutes Spiel, ein würdiger Teil einer ganz großen Rollenspielreihe des sich nie verändernden Krieges? Oder verhaut es das auf ganzer Linie? Das werdet ihr im folgenden Test lesen. Doch gleich eine Vorwarnung: Dieser Test wird lang, wie schon mein Test zu New Vegas. Es gibt so viel Kram, den ich abdecken will, da brauche ich einfach mehr Text für. Macht euch eine Tasse Tee und genießt die Zeit. :-)

 

Trauma? Nein, Roboter!

 

Es ist das Jahr 2077. Die USA stecken im Krieg mit China, Ressourcen sind knapp, der Unmut in der Bevölkerung groß. Ich in einem kleinen Vorort von Boston kriege von all dem aber nichts mit. Mit meinem Sohnemann und Partner/ meine Partnerin sind wir eine glückliche Familie. Der Krieg? Weit weg.
Bis am 23. Oktober 2077 die atomare Apokalypse ausbricht. Welch Glück, dass ich kurz vorher ein Platz in der nahe gelegenen Vault 111 reserviert habe! Schnurstracks gehts dort rein. Dann… werde ich eingefroren. Unfreiwillig. Doch damit nicht genug. Ich erwache aus dem Kryoschlaf und darf sehen, wie meine bessere Hälfte kaltblütig ermordet und mein Sohn entführt wird. Dann friert man mich wieder ein. Kurze Zeit später erwache ich erneut. Das Ziel ist simpel: Ich muss meinen Sohn finden. Doch während das alles nur kurze Momente für mich war, sind ganze 200 Jahre vergangen. Boston ist zerstört und voller Mutanten, Raider, Strahlung und Siedlungen, die verzweifelt ums Überleben kämpfen.
Als würde das alles noch nicht ausreichen, hat die Gegend um die alte Stadt (auch Commonwealth genannt) Probleme mit den sogenannten Synths. Menschen verschwinden auf mysteriöse Weise und werden durch synthetische Varianten ersetzt, die selbst nichts von ihrer künstlichen Vergangenheit wissen. Nur eins ist klar: Sie stammen vom mysteriösen Institut, das irgendwo im Commonwealth versteckt ist. Boston ist in Gefahr und ich stecke mittendrin…
Puh, das ist viel. Zuerst mal ein paar allgemeine Sachen. Man kann Bethesda hinsichtlich des Plots doch tatsächlich ein paar Komplimente machen. Zwar tritt der Plot angesichts der Fülle an sonstigen Quests (dazu später mehr) hin und wieder in den Hintergrund. Dennoch habe ich das Gefühl, dass das Thema Synths recht gut in die Spielwelt eingebunden ist. Der Plot, welcher hauptsächlich mittels Skriptsequenzen oder Dialogen erzählt wird, wirkt nun dank verbesserter Animationen allgemein besserer Inszenierung viel lebendiger und authentischer als noch in den beiden vorherigen Teilen. Damit ist ein großer Kritikpunkt angegangen worden. Dank einigen sehr interessant gestalteten Szenen und einigen unerwarteten Wendungen wird die Handlung weiter „aufgepeppt“.

Diamond City, erbaut in einem Baseballstadium und der wohl zivilisierteste Ort im Commonwealth.


Nicht zuletzt ist das Thema der synthetischen Menschen auch generell sehr interessant und bietet einen guten Anhaltspunkt für Diskussionen. Haben Synths Gefühle? Haben sie ein Recht auf Freiheit? Oder sind sie doch nur „Werkzeug“? Müssen sie gar zerstört werden? Die Fraktionen haben hierzu unterschiedliche Sichtweisen und ich muss entscheiden, wie ich selbst dazu stehe.
Klingt doch alles sehr interessant! Ist der Plot dann auch wirklich so super, wie das alles jetzt klang? Nun… leider nicht. Es gibt hier gleich mehrere Probleme. Zum Einen ist die Inszenierung auf jeden Fall besser, kann solchen Spielen wie Mass Effect oder gar einer Witcher-Reihe aber noch lange nicht die Stirn bieten. Auch in Fallout 4 wirken viele Szenen durch steif wirkende Scriptszenen und Figuren immer noch unfreiwillig hölzern und verlieren dadurch sehr viel Atmosphäre. Selbst krasse Wendungen lösen bei mir eher Cringe aus als dass sie mich wirklich mitnehmen. Ich kann den Plot dadurch an vielen Stellen nicht wirklich ernst nehmen.
Ein weiterer Punkt ist in meinen Augen kein wirklicher Fehler, sondern viel eher eine verpasste Chance. Mein Charakter hat die Welt vor den Atombomben gesehen und viel Zeit in dieser verbracht. Nun muss er sich in einem komplett verwüsteten und ihm feindlich gesinnten Boston zurechtfinden. Obendrein ist sein Kind weg. Das alles muss mich doch komplett fertigmachen, ja eigentlich traumatisieren. Doch das alles wird mit einem Achselzucken quittiert. Meine Vergangenheit, meine alten Freunde, Erinnerungen? Egal! Stattdessen geht es nur um die Synths.
Ich will hier nicht böse klingen, aber diese ganze Synth-Thematik wirkte in meinen Augen fast schon… „Fallout-unlike“. Ich habe das Gefühl, als wäre dieser Plot viel besser bei einem Spiel wie Binary Domain aufgehoben. Die Möglichkeit eines Traumas wird hier eigentlich auf dem Silbertablett präsentiert und dann vollkommen ignoriert. Ziemlich schade, wie ich finde!
Das soll alles nicht so klingen, als könnte man die Geschichte, die Fallout 4 erzählt, getrost ignorieren. Ich finde sie deutlich besser erzählt als in den vorherigen Teilen und sie bietet ein paar interessante Themen. Doch mal wieder nimmt die beschränkte Technik des Spiels einiges vom Potential wieder weg.

 

Ein Zigfach-Agent

 

Habe ich Fallout 3 oder New Vegas gespielt, werde ich mich an vielen Stellen gleich heimisch fühlen. Auch in Teil 4 reise ich durch eine große, offene Spielwelt voller Überraschungen. Ich treffe auf viele verschiedene Charaktere und sammle dadurch natürlich wieder eine Menge an Aufgaben an.
Diese Aufgaben sind sehr vielfältig. Mal suche ich für einen Detektiv nach bestimmten Personen, mal gehe ich mysteriösen Drogendeals auf die Spur, mal säubere ich Abwasserpumpen. Teilweise gibts aber auch richtig absurde Quests. Zum Beispiel darf ich als Superheld verkleidet einigen Ganoven das Händchen legen. Oder ich helfe Robotern dabei, ein uraltes Kriegsschiff aus dem 18. Jahrhundert zum Laufen zu kriegen. Natürlich gibt es dabei auch die eine oder andere coole Geschichte und auch ordentlich was zum Lachen.
Nun gibt es auch in Fallout 4 Fraktionen. Insgesamt vier verschiedenen Gruppierungen kann ich helfen – den Minutemen, der Brotherhood of Steal und der myteriösen Railroad. Über die vierte Gruppe verrate ich spoilerbedingt mal nichts. Die Sache ist, dass sich manche dieser Gruppen spinnefeind sind; das heißt, ich muss irgendwann eine Entscheidung treffen, wem ich nun helfen will.
Irgendwann“. Ja, ich betone dieses Wort. Was ich damit meine?
Nun… nehmen wir zum Beispiel die Brotherhood. Diese ist der Auffassung, dass Synths hochgefährliche Experimente sind und dass Technologie unfassbar wichtig ist, aber auch unbedingt kontrolliert werden muss. Nach der Brotherhood müssen Synths und das Institut um jeden Preis vernichtet werden. Die Railroader hingegen gestehen Synths ein Recht auf das Leben und freie Entscheidungen zu, bekämpfen das Institut aber ebenso. Diese beiden Seiten sind sich verfeindet.

 

Baseball und Fallout? Hauptsache, es gibt XP!


In New Vegas war es noch so, dass gerade bei solch verfeindeten Fraktionen das Gutstellen mit der einen Seite automatisch dazu führte, dass man es sich mit der anderen versaute. Nicht so in diesem Spiel. Hier kann ich für jede Seite unfassbar viele Quests erledigen. Ich kann also von beiden Seiten munter Ressourcen abgreifen und viele anderen Vorteile sammeln. Irgendwann (recht spät im Spiel) gibt es dann Hinweise, dass mir bestimmte Gruppen feindlich gesinnt sein werden, sobald ich bestimmte Missionen fortsetze. Mein gesamtes Verhalten bis dahin? Nicht nur widersprüchlich, sondern auch ohne Konsequenzen.
Generell sind Konsequenzen meiner Entscheidungen… nun ja, eher spärlich. Auch bei den Quests, die an keine Fraktion gebunden sind, gibt es zwei, vielleicht drei mögliche Ausgänge. Doch auch diese haben auf den weiteren Spielverlauf keinen Einfluss. Kombiniert mit der Tatsache, dass es nun kein Karmasystem mehr gibt, gibt mir dies eine gewisse Gleichgültigkeit. Ich werde für mein Verhalten weder belohnt noch bestraft. Dann kann ich mich ja gleich wie der lette Drecksack benehmen. Macht ja eh keinen Unterschied.
Dann gibt es noch diese zufälligen Fraktionsquests. Zum Beispiel muss ich den Minutemen aushelfen, wenn bestimmte Siedlungen wieder Hilfe brauchen. Dann muss ich einen zufälligen Ort aufsuchen und eine Geisel retten oder Raider töten. Ja, das Meme „Another settlement needs your help!“ kommt da gleich auf. Doch die Kernaussage dieses Memes ist leider zu wahr: Diese Zufallsquests sind einfallslos und spätestens nach dem dritten Mal einfach nur noch langweilig und penetrant. Dass sie mir dann auch noch ohne mein Einverständnis aufgedrückt werden und mein Questlog zumüllen, ist ein absolutes No-Go.
Ich mache es hier kurz: Zwar stecken bei Quests und Fraktionen ein paar gute Gedanken dahinter, am Ende sind meine Entscheidungen aber doch irrelevant. Das schmerzt besonders, wenn man New Vegas gespielt hat, denn hier hat jede noch so kleine Entscheidung Konsequenzen nach sich gezogen. Ärgerlich!

 

Die Suchtspirale der Perks

 

Wenn ich so durch Boston streife und allen möglichen Unfug anstelle, kann ich das auf viele verschiedene Arten und Weisen tun. Und damit komme ich zu einem viel diskutierten Punkt von Fallout 4: Dem Rollenspielanteil.
Zuerst das Bekannte: Das für die Reihe so bekannte S.P.E.C.I.A.L., also meine Grundattribute, gibt es auch hier wieder. Das S zum Beispiel steht für „Stärke“ und gibt mir zum Beispiel Boni auf das maximale Gewicht, welches ich tragen kann. E („Endurance“) gibt mir mehr Gesundheit und lässt mich länger sprinten. Und so weiter.
Der Rest wurde jedoch grundlegend überarbeitet. Beziehungsweise vereinfacht. So gibt es nun keine getrennten Perks und Skills mehr. Diese sind jetzt fusioniert worden, es gibt nur noch Perks.
Für jedes der Grundattribute gibt es zehn Perks (also insgesamt siebzig), in welche ich Punkte investieren kann. Jeder dieser Perks passt thematisch zu diesem Grundattribut. So finde ich zum Beispiel zu Stärke Perks, die mich noch mehr tragen lassen oder meinen Schaden beim Zuschlagen mit der Waffe erhöhen. Unter dem I für Intelligenz kann ich zum Beispiel Punkte in einen Perk investieren, der die Effektivität medizinischer Items verbessert. Meistens gibt es jeden Perk in mehreren Stufen, sodass beispielsweise mein Umgang mit medizinischen Items noch besser wird. Die Punkte, die ich dafür brauche, kriege ich mit Stufenaufstiegen.

Die Qual der Wahl. Und man kriegt nie genug davon. [1]


Nun ist es so, dass ich jedoch Perks nur dann erst anwählen darf, wenn ich auch entsprechend viele Punkte in das Grundattribut investiert habe. Habe ich zum Beispiel stattliche sieben Punkte in Charisma gesteckt, kann ich die ersten sieben Perks anwählen. Sind es nur drei Punkte, kann ich auch nur die ersten drei Perks auswählen. Das ist insofern von Bedeutung, dass viele der „höheren“ Perks auch stärkere Effekte bzw. Boni geben.
Je nachdem, wie ich mich bei den Grundattributen fokussiere, verändert dies also auch meinen Spielstil. Alternativ kann ich den Perkpunkt aber auch nutzen, um ein Grundattribut zu erhöhen, damit ich zum Beispiel in bisher unerreichbare Perks investieren kann.
Ja, das ist im Vergleich zu den Vorgängern vereinfacht. Das hat mir persönlich aber nichts ausgemacht, denn auch mit diesem System gibt es eine Unmenge an Spielstilen, die sich mir öffnen. Ein Schleicher mit Silberzunge und hohem Nahkampfschaden? Ein Pistolero als Hacker, dem Strahlung nicht viel anhaben kann? Egal, was ich will, es geht. Nun ja, fast. Denn wenn ich in eine Richtung gehe, muss ich bei einer anderen irgendwo Abstriche machen. So viele Perkpunkte kann ich dann im Spiel doch nicht sammeln. Übermächtig werde ich so jedenfalls nicht. Doch das hält mich nicht davon ab, immer weiter aufzuleveln. Egal, wie weit ich bin und welche Perks ich schon angewählt habe; es braucht immer noch einen. Ich kann nie genug kriegen, muss immer mächtiger werden. Das hat in einer richtigen Suchtspirale resultiert, weil es immer etwas gab, worin ich mich noch verbessern musste. Ein neues Level? Pah, ich brauche noch eins!
Man mag das gut oder schlecht finden, doch mir hat dieses System richtig gut gefallen und mir unglaublich viel Motivation gegeben, meinen Charakter immer weiter auszubessern. Die Vielseitigkeit an Spielstilen leidet in meinen Augen jedenfalls nicht. Schlechter finde ich dieses System also auf keinen Fall.
Bei einer Sache aber hat dieses System einen Nachteil. Die Komplexität von Questverläufen ist durch diese Fusion doch klar eingeschränkt worden. Skillchecks gibt es nun nämlich nicht mehr. Nur an sehr, sehr wenigen Stellen gibt es noch Grundattributs- oder Perkchecks. Warum eigentlich? Wirklich verstehen kann ich das nicht. Sauer aufgestoßen hat mir das schon etwas.

 

Als Labertasche…

 

Als Mensch mit mehr oder weniger ausgeprägten sozialen Skills kann ich in Fallout 4 mit vielen verschiedenen Charakteren interagieren. Ganz neu ist nun, dass ich das nicht mehr mit einer Textliste an möglichen Antworten tue, sondern mittels Sprache. Ja, mein Charakter redet! Damit kann ich mich nun offen oder ablehnend gegenüber Personen sein oder nach Hintergrundinformationen fragen. Im Rahmen von Sprachchecks (mehr Charisma entspricht einer höheren Wahrscheinlichkeit, diesen zu bestehen) kann ich andere Charaktere auch häufig von Dingen überzeugen, sie einschüchtern oder besondere Informationen aus ihnen herausholen.

Ja, nein, Rammstein. Das Dialogsystem ist schnell durchblickt. Zu schnell.

 

Dass ich nun reden kann, ist eine wirklich schöne Sache, weil ich mich mit meinem Charakter nun noch besser identifizieren kann. Es gibt dabei aber ein Problem; ich kann meistens nur zwischen vier möglichen Antworten aussuchen. Diese sehen meistens immer gleich aus; Ablehnung („Nein“), Zuneigung („Ja“), Nachfragen oder ein dämlich sarkastischer Kommentar (ja, warum eigentlich?). Kombiniert mit dem Fehlen von wirklichen Grundattributs- oder Perkchecks wirkt das System so etwas zu stark vereinfacht und ich habe das Gefühl, als würde der Dialog sowieso immer gleich ablaufen. Reden ist cool; aber so vereinfacht ist es leider nicht besser. Auf Dauer sogar vorhersehbar.

 

oder mit Blei und Uran

 

Manchmal hilft Reden eben doch nicht weiter. Hier darf Fallout 4 eine seiner großen Stärken ausspielen.
Natürlich gibt es wieder zig Feinde. So treffe ich auf Raider, Supermutanten, Ghule und die gefürchteten Deathclaws. Man kennt sie aus den vorherigen Teilen. Es gibt auch interessante neue Gegner wie die Bloodbugs oder manche Synths. Außerdem gibt es nun auch legendäre Varianten, die meistens noch stärker austeilen können, aber dafür auch besondere Ausrüstung fallen lassen.
Apropos Ausrüstung, auch hier gibt es wieder zig Schießprügel und Rüstungen. Pistolen, Maschinengewehre, Raketenwerfer (der Fatman ist natürlich auch wieder dabei), Leder- und Kampfrüstungen… da ist für jeden was dabei. Neu ist nun das Modden meiner Ausrüstung, zu dem ich gleich komme.

Das Gunplay macht Spaß. Ist auch wichtig bei einem Spiel in welchem viel geballert wird.


Das Gunplay funktioniert jetzt DEUTLICH besser als noch in den vorherigen Teilen. Anvisieren, Schießen, Waffenhandling und Trefferfeedback, wirken viel, angenehmer und flüssiger als man es von den Vorgängern kennt. Auch neue Hotkeys wie eine Taste fürs Granatenwerfen oder Nahkampfangriffe versüßen die Action noch mehr. Man merkt ganz klar, dass Bethesda hier Tipps von id Software bekommen haben.
Erwähnenswert sei noch, dass der für die Reihe so bekannte Zielmodus (VATS) nun nicht mehr die Zeit anhält, sondern lediglich verlangsamt. Das war anfangs etwas ungewohnt, aber so in meinen Augen sogar ein Stück angenehmer. So konnte ich meistens noch kurz warten, bis ein Feind perfekt im Visier lag.
Ja, an das Gunplay solcher Shooterkönige wie Doom oder Battlefield kommt Fallout 4 immer noch nicht heran. Doch trotzdem fühlen sich Schusswechsel nun tatsächlich gut an! Und bei einem Spiel, in dem es doch recht viel Action gibt, ist das eigentlich schon eine wichtige Sache. :-P

 

Pflugscharen zu Schwertern!

 

Wie schon gesagt: In Fallout 4 finde nicht nur zahllose Items, ich kann sie nun auch kräftig aufmöbeln.
An Weapon- oder Armor-Workbenches kann ich fast meine gesamte Ausrüstung modden bis zum Unfallen. Dafür brauche ich bestimmte Materialien. Stahl, Kleidung, Gummi, Aluminium, all das sind wichtige Zutaten für ein stärkeres Arsenal. Überall in der Spielwelt verteilt finde ich entsprechenden Krempel, der solche Materialien enthält. Mainboards enthalten Schaltkreise, Blechbüchsen Aluminium, Klebeband Klebstoff und Kleidung. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, nehme ich mit. Dann wird losgebastelt.
Und was ich alles basteln kann. Bessere Visiere? Längere Läufe für mehr Präzision? Oder lieber eine insgesamt kleinere Variante, die dafür leichter ist? Wie wäre es mit einer Rüstung, die mein Schleichen verbessert? Oder weniger wiegt? Alles ist möglich! Egal, ob ich eher schleiche oder voll draufhaue oder eher auf leicht und schnell einsetzbar gehe, ich kann meine Ausrüstung komplett an meinen Spielstil anpassen – vorausgesetzt, ich habe die Materialien und in die entsprechenden Perks investiert. Dass Rüstungen nun aus verschiedenen Teilen (Helm, Brust, Arme, Beine) bestehen, erweitert das Ganze sogar noch.
Das Herumbasteln macht einen riesigen Spaß, zumal es für jede Modifikation noch XP gibt. Ich muss nur bedenken, dass ich auch bei den Knarren häufig Kompromisse eingehen muss. Stärkere Waffen sind vom Handling her meistens langsamer und wiegen mehr. Ein flinker Schleicher profitiert eher von kleinen, leichten Schießprügeln als ein grobschlächtiges Soldatenschwein.

Sammle, sammle, Waffe baue. Das fetzt!

 

Wie schon geschrieben gibt es dann noch legendäre Ausrüstung: Zum Beispiel ein Jagdgewehr mit mehr Schaden, aber auch mehr Rückstoß. Oder ein Messer, das Blutungsschaden verursacht. Das ist an sich eine ganz nette Idee, erinnert mich aber eher auf unangenehme Art und Weise an Borderlands. So wirklich nötig ist dieses Feature nicht; da diese Effekte auf Items per Zufall verteilt werden, wirkt es auch manchmal etwas unlogisch. Wenn ein Raider mit mieser Ausrüstung plötzlich ein Plasmagewehr fallen lässt, welches nachts mehr Schaden verursacht, wirkt das schon sehr komisch.
Außerdem geht meine Ausrüstung nun nicht mehr kaputt. Habe ich also eine Knarre, muss ich sie nicht mehr reparieren. Warum das gestrichen wurde, erschließt sich mir nicht. Bei all dem Plunder, den ich regelmäßig anschleppe, wäre es doch ein Leichtes, entsprechende Reparaturen durchzuführen. Warum wurde das dann entfernt? Bei der Power Armor ist das zum Glück anders.
Power Armor? Richtig gehört! Anders als in den beiden vorherigen Spielen ist die für Fallout so typische Power Armor nun kein simpler Anzug zum Drüberziehen. Nein, das Ding ist nun eine besonders starke Panzerung, mit welcher ich Kugeln und Laser fresse, als gäbe es kein Morgen. An einer Power Armor Station kann ich die Einzelteile austauschen oder reparieren. Und natürlich kann ich sie auch upgraden. Mehr Stärke? Mehr Wahrnehmung? Längeres Sprinten? Geht alles, wenn ich auch hier Material und Perks bereithalte. Dann brauche ich noch einen Fusionskern, um das Ding zum Laufen zu kriegen. Ist der ausgebrannt, kann ich die Rüstung nicht mehr nutzen.

Momente wie dieser machen die Power Armor so großartig.

 

Aber Junge, macht das einen Spaß, wenn das Ding dann einsatzbereit ist. Das gesamte Interface verändert sich, sobald ich in dem Ding stecke. Das Movement fühlt sich allgemein gewichtiger und einfach mächtiger an. Vorzugsweise mit einer wirklich dicken Knarre kann ich nun einen Gegner nach dem anderen wegpusten. Und auch, wenn ich darin nicht übermächtig bin (gerade bei Dauerbeschuss geben die einzelnen Teile schneller den Geist auf als ich das gerne hätte), fühle ich mich in solchen Momenten wie Iron Man oder ein Space Marine, der einfach alles wegpustet, was ihm vor die Flinte läuft. Ein geiles Gefühl!

 

Carcassonne in ziellos

 

Ich darf nicht nur an meiner Ausrüstung basteln, sondern nun auch ganze Siedlungen aufbauen. Dafür hat Fallout 4 nun einen ganz eigenen Baumodus.
Ich darf Häuser bauen, Farmen errichten, eine Wasser- und Energieversorgung sicherstellen und auch entsprechende Verteidigungsmechanismen installieren. Habe ich das entsprechende Material angesammelt, kann ich eine Menge an entsprechenden Items errichten. Stück für Stück baue ich damit meine eigenes Zuhause neu auf, optimiere und erweitere, bis ich am Ende ganze Festungen aus dem Boden gestampft habe.

"It just works!" - Mhmmh, absolut. [2]


Prinzipiell ist dieser Baumodus eine super Idee. Es passt auch super zum Spiel, alles neu aufzubauen und damit wieder ein Stück Zivilisation in das Commonwealth zu bringen. Und außerdem gibts für das Bauen XP! Wenn das mal kein Argument wäre!
Doch dieser Baumodus hat mehrere Krankheiten. Da wäre einerseits die furchtbare Steuerung. Durch die Menüs springen, Gegenstände suchen, Items aufstellen oder verschieben; das alles ist durch die furchtbare Tastaturbelegung und die sehr fehlerhafte Hilfe beim Platzieren extrem umständlich.
Und dann ist es auch so, dass mir dieser Baumodus auf Dauer – abgesehen von XP – keine richtigen spielerischen Vorteile bringt. Weder kriege ich dadurch irgendwelche Boni noch Perks noch sonstige Vorteile. Anfangs hat das alles noch Spaß gemacht, aber weil es weder ein wirkliches Ziel noch eine wirkliche Belohnung gab, habe ich diesen Modus dann doch recht schnell wieder links liegen lassen. Auch hier gilt, dass die Grundidee gut ist, aber die Umsetzung einfach zu viele Krankheiten hat.

 

Mit der Knarre in der Hand und dem Radio im Ohr

 

Wenn Fallout 4 mir eine Sache gegeben hat, die ich von dieser Reihe so liebe, dann ist das die unvergleichliche Atmosphäre.
Wenn ich durch das Commonwealth laufe, Dinge entdecke, irgendwohin reise, etwas entdecke, dann gibt es konstant was zu erleben. Mal stoße ich auf einen Haufen von Supermutanten, mal streift eine Patrouille der Bruderschaft durch das Ödland und kämpft gegen Raider. Die Spielwelt wirkt dadurch sehr lebendig, ständig passiert irgendetwas.
Das liegt jedoch nicht nur an solchen Begegnungen, sondern auch an der Vielseitigkeit der Welt. Egal, ob die alte Innenstadt von Boston, der Freedom Trail, die Küstengebiete oder die völlig verstrahlte Glowing Sea im Südwesten; es gibt überall etwas zu entdecken. Ich sehe in der Ferne einen großen Turm? Dieser Zipfel auf meiner Karte wirkt noch unerkundet? Diese Strandstreifen wecken in mir als norddeutschen Seebären Heimatgefühle? Nix wie hin! Meine Abenteuerlust wird stets belohnt.
Und natürlich gibt es dabei auch wieder zig kleinere Geschichten. Notizen, Terminals, Audiologs, das Commonwealth hat viel zu erzählen. Natürlich kann ich das alles ignorieren, aber diese kleinen Storyhäppchen geben der Stadt und Umgebung einige zusätzliche Tiefe und sind auch einfach nett durchzulesen bzw. anzuhören. Vieles davon ist zum Lachen, aber auch zum Mitfühlen.

Gerade ein solcher Ort wie die Glowing Sea, eine tödlich verstrahlte Wüste, entfaltet sein volles Potential. Ohne Power Armor und dicke Knarre wird das nix. [3]


Letztendlich ist es einfach die Mischung. Das Durchlesen der Terminaleinträge, das Wegpusten eines Supermutanten, das Aufbauen des Selbstbewusstseins eines DJs, das Bezirzen einer reizenden Sängerin in einer Bar, das Finden des ersten Fat-Mans, die Mucke aus dem Diamond City Radio. Das gibt es nirgendwo anders. Und es ist einfach großartig. Stichwort Musik, auch hier ist der Soundtrack aus 50er-Songs mal wieder super. Ich fand es zwar etwas schade, dass sehr viele Radiosongs direkt von Fallout 3 übernommen wurden, doch die neuen (und lyrisch teils sehr zynischen) Songs passen super in die düstere, aber von schwarzem Humor triefende Welt von Fallout.
Kurz gesagt: Bethesda zeigen hier mal wieder, dass sie Environmental Storytelling einfach draufhaben und präsentieren mir eine quicklebendige Spielwelt voller kleinerer Plots und auch interessanter Ereignisse.

 

Not tehc

 

Jaja, das so typische Sorgenkind für Bethesda. Die Technik.
Zuerst ein paar Worte zur Hardware, mit der ich das Spiel getestet habe. Als CPU wurde ein Intel Core i7-6700k genutzt, im Rechner stecken 16 GB RAM DD4-2133Mhz und eine Nvidia Geforce GTX1070.
Fallout 4 wird von Bethesdas eigener Creation-Engine betrieben. Diese wiederum basiert auf der Gamebryo Engine, die damals z.B. in Oblivion zum Einsatz kam.
Zuerst zu den positiven Seiten. Grafisch präsentiert sich Fallout 4 deutlich besser als zum Beispiel noch New Vegas. Der allgemeine Detailgrad ist deutlich nach oben geschraubt worden und die Beleuchtung ist sogar richtig gut gelungen. Damit kann das Spiel gerade zu Tagesbeginn oder -ende einige richtig schicke Szenen auf den Bildschirm zaubern. Die Spielwelt wirkt nun auch etwas „dynamischer“ als ich das von den Vorgängern kenne. Auch viele Charaktermodelle wirken nun viel plastischer und detaillierter.

Beleuchtung und Weitsicht stimmen. Und das kriegt man sogar häufiger zu sehen.


Aber selbst nach all den Verbesserungen ist die Grafik für das Jahr 2015 wirklich nicht mehr zeitgemäß. Viele Animationen sind immer noch sehr starr, viele Texturen matschig und Partikeleffekte mau. Gerade die Mimik der Charaktere wirkt häufig sehr leblos.
Dann ist auch die Performance nicht besonders gut. Regelmäßig sind die FPS bei recht anspruchslosen Szenen eingebrochen, was bei der Grafik und meiner Hardware wirklich nicht sein sollte.
Als Nächstes die Interfacegestaltung. Ich kann es mit einem Wort beschreiben: Grauenhaft. Auch abseits des Baumodus haben inkonsistente Tastenbelegungen, unübersichtliche Menüs, unnötig viele Mausklicks und gefühlt minutenlanges Scrolling meine Geheimratsecken noch größer werden lassen.
Doch das Schlimmste sind (irgendwie ist über meine ganzen letzten Tests hinweg ein Dauerthema -.-) die Bugs.

...mal ehrlich, was soll das?


Das fängt mit Grafikglitches an. Damit, dass meine KI-Kollegen einfach verschwinden und nach einigen Minuten plötzlich wieder auftauchen. Damit, dass NPCs einfach verschwinden oder nicht auf mich reagieren. Damit, dass Gegner halb in Wänden stecken. Manchmal gab es extrem starke Performanceeinbrüche und ich war deshalb zum Neustart des Spiels gezwungen. Manchmal hing sich das Spiel bereits beim Starten auf. Und manchmal beendete es sich einfach. Ohne irgendeinen Grund. Zack, aus. Doof, wenn man nicht alle 30 Sekunden speichert.
Zuletzt sollte man die auch hier ständig auftretenden Ladepausen nicht unerwähnt lassen. Die sind gerade dann nervig, wenn man in größeren Siedlungen unterwegs ist und das Areal häufig wechselt.
Ich machs kurz. Die Technik ist einfach faulig. Bethesda muss (gerade auch nach dem Debakel um Fallout 76) dringend die gesamte Engine komplett von vorne nach hinten überholen. Das ist gerade bei so einem Monsterprogramm alles andere als einfach. Aber umso nötiger. Denn ein paar nette neue Grafikeffekte ändern nix an einem komplett maroden Grundgerüst. Das kann den Spielspaß nicht nur trüben, es trübt ihn definitiv. Außerdem: Mal ehrlich Bethesda, sind kompetente UI-Entwickler wirklich so teuer und selten?

 

Fazit

 

Vieles mag in meinem Test negativ herübergekommen sein. Ich will da auch nichts abstreiten. Es gibt Dinge, die von Bethesda einfach nicht bis ans Ende gedacht wurden. Quests und meine Handlungen in Fraktionen bleiben ohne wirkliche Konsequenzen. Gerade das ist wirklich schmerzhaft, insbesondere für solch ein Rollenspiel. Der Baumodus ist eigentlich sinnlos. Generische Aufgaben nerven. Mir fehlen die Skillchecks. Dann die Technik, Thaddäus. Die alte Leier. Wenn man es rational betrachtet, ist Fallout 4 eigentlich kein reines Rollenspiel mehr, sondern ein Action-Rollenspiel.
Und trotzdem habe ich 130 Stunden in Boston verbracht. Denn Fallout 4 hat mir einfach Spaß gemacht. Weil die kleinen Geschichten immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert haben. Weil der Plot mich trotz allem zum Grübeln gebracht hat – im positiven Sinne. Weil das Ballern nun endlich Spaß macht. Weil ich ständig neue Perks ausprobieren wollte. Weil das Gefühl, in einer Power Armor Legionen von Feinden niederzumähen, einfach geil ist. Weil das Craften fetzt. Weil die Spielwelt einfach so typisch für ein Fallout ist. Weil es einfach cool ist, morgens um 6.00 Uhr (sowohl im Spiel als auch in der Realität) die Küste Bostons unsicher zu machen.
Ist Fallout 4 denn nun ein würdiger Teil einer so bekannten Reihe? Ich glaube, die Antwort hängt davon ab, mit welchen Erwartungen man an das Spiel geht. Wenn man ein Rollenspiel mit vielen möglichen Spielstilen in einer interessanten und mit Tätigkeiten vollgestopften Spielwelt erwartet, wird man mit Fallout 4 viel Spaß haben. Erwartet man jedoch ein zweites New Vegas, wird man enttäuscht. Denn an die Stärken dieses Ablegers kommt Fallout 4 nicht ansatzweise heran.
Ich wurde etwas enttäuscht. Habe aber trotzdem so viel Spaß mit dem Spiel gehabt und würde die Frage nach einem würdigen Teil daher mit „Ja“ beantworten.
Ich vergebe 80 Punkte. Anders gesagt: Die 130 Stunden haben sich gelohnt, ich werde einige Momente in Erinnerung behalten. Es war eine schöne Zeit. Doch im Gegensatz zu New Vegas würde ich Fallout 4 nicht noch einmal spielen. Weil ich nicht erwarten kann, dass ein zweiter Durchlauf viel anders aussähe als der erste.
So oder so muss Bethesda nun die Kurve kriegen. Nicht nur hinsichtlich der Technik hinter dem Spiel. Sie müssen überlegen, ob sie manche Designentscheidungen hinter Fallout 4 wirklich so weiterverfolgen sollten. Denn das würde der Serie auf Dauer nicht gut tun. Und dann hat sich der Krieg eben doch geändert.

 

Bilder:

[1] https://i.ytimg.com/vi/cTl8P2AwINE/maxresdefault.jpg

[2] https://i.imgur.com/KOlhXpE.png

[3] https://i.ytimg.com/vi/7yhyYQGqxi8/maxresdefault.jpg


Wertung
Pro und Kontra
  • Große, offene Spielwelt voller Ereignisse
  • Große Motivation zum Entdecken, die auch reichlich belohnt wird
  • Viele Quests, viele kleine Geschichten
  • Hauptplot bietet interessante Grundgedanken mit unterschiedlichen Sichtweisen
  • Tolles Environmental Storytelling
  • Viele Items, viele Gegner
  • Fetziges Craften
  • Wesentlich verbessertes und nun endlich spaßiges Gunplay
  • POWER ARMOR!
  • Suchtspirale bei den Perks
  • Einfach typische Fallout-Atmosphäre
  • Geile Radiosongs
  • Sprechender Charakter prinzipiell gute Idee
  • Questentscheidungen haben praktisch keinen Einfluss aufs Spiel
  • Komplexität bei Quests hat stark abgenommen
  • Langweilige, generische Zufallsquests
  • Fraktionssystem unlogisch und auch hier fast ohne Konsequenzen
  • Baumodus auf Dauer sinnlos
  • Dialogsystem läuft eigentlich immer gleich ab
  • Bugs. So. Viele. Bugs.
  • Grässliche Interfacegestaltung
  • Steuerung "gewöhnungsbedürftig"

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Oft, regelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



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