Sinngemäß erklärte Gamestar FIFA 21 zu einem der teuersten Updates der Spielegeschichte. Kann man, gerade im Hinblick auf Kaufpreise von rund 60 Euro so bewerten: Grafisch hat sich im Prinzip nichts zum Vorgänger getan. Bei genauerem Blick sind aber doch einige tiefgreifende Veränderungen in der Spielmechanik erkennbar – die sich für den Anspruch einer Fußball-Simulation aber leider als Reinfall entpuppen.
In meiner Bewertung möchte ich als langjähriger, inniger Fußball-Fan und Liebhaber des Spiels vor allem auf diesen Aspekt eingehen. Ist FIFA 21 eine gute Fußball-Simulation? EA Sports selbst bewirbt die neuesten Ableger der Reihe ja immer wieder gerne mit Lobhudeleien auf den selbstinszenierten Realismus. In diesem Jahr aber, und das vorweg, zeigt sich EA mit FIFA 21 gerade dort aber von seiner schwächsten Seite.
Agiles Dribbling: Mit dem Zug über den Fußballplatz
Das von EA neu implementierte agile Dribbling ist ein Feature, das eine engere Ballkontrolle ermöglichen soll. Im Hinblick auf die zunehmende technische Komponente des modernen Spitzenfußballs mag das zwar eine sinnige Idee zu sein, verfehlt im Spiel aus Simulations-Gesichtspunkten ihr Ziel aber meilenweit.
Zum einen liegt das daran, dass mit dem agilen Dribbling Spielerbewegungen in das Spiel eingeführt werden, die sich eher auf eine Modelleisenbahnanlage verorten lassen, als auf einen Sportplatz – die Spieler fahren förmlich in sämtlichen Richtungen des Körpers vor und zurück, hin und her, ganz ohne dabei an Koordination oder physischer Geschwindigkeit zu verlieren. Statt filigraner Ballbehandlung wirkt das eher wie eine Slapstick-Einlage im Eiskunstlauf als realistische Bewegungen mit Ball.
Zum anderen sorgt das Feature auch dafür, dass Spieler noch mehr denn je Ballaktionen mit dem Rücken zu Spielfeld und Mitspieler durchführen, ohne dabei an Präzision einzubüßen. So manches mal wirkt das Geschehen auf dem virtuellen Platz so, als hätten alle Beteiligten ihre Sehkraft auf die Rückseite ihres Kopfes erweitern können.
Zweikampfführung: Filigran trifft auf unbeholfen
Bei FIFA 20 konnte man die Zweikampfführung durchaus als Stärke und Schwäche des Spiels zugleich bezeichnen. Mit FIFA 21 verschiebt sich der Regler leider deutlich in Richtung der Schwäche. Die Kombination au fast übernatürlichen Ballabschirmbewegungen und agilen Dribbling-Manövern verursachen bei den wenig feinmotorisch veranlagten Verteidigern mit ihren beschränkten Eingriffsmöglichkeiten für konstantes Schulterzucken. Ein konsequentes Stellen eines Gegenspielers, wie das im modernen Fußball üblich ist, wird zum Ding der Unmöglichkeit. Dem Spielfluss mag das helfen, ist im Kontext der Simulation aber allenfalls als unzulässiges Ausweichmanöver ob der unbalancierten Offensiv-Features anzusehen. Letztendlich wird es beinahe zur Glücksache, ob der gespielte Verteidiger trotz perfekten Timings final auch den Ball erobern oder zumindest wegspitzeln kann. Gerade in langsameren Dribbling-Situationen ist dies sowohl in Online-Modi als auch im Spiel gegen die KI immer wieder zu beobachten.
Bei der Taktikschulung nicht aufgepasst
Die genannten Gameplay-Veränderungen sorgen dafür, dass eine der größten Schwächen von FIFA 20 in FIFA 21 noch stärker zum Vorschein kommt. Die KI versteht grundlegende taktische Fußball-Prinzipen nur unzureichend. Gerade anhand der Viererkette wird dies in den Räumen vor und rund um den Strafraum besonders sichtbar.
Durch die neuen Dribbling-Varianten nötigt das Spiel den Spieler nämlich dazu, noch früher Verteidiger, insbesondere Innenverteidiger, aus der Vierkette herauszuziehen, um sich nähernde Angreifer trotz fehlender Durchschlagskraft zu stellen. Was dabei aber grundsätzlich nicht passiert, ist das Einrücken der nebenstehenden Verteidiger, um Halbräume zu besetzen und mögliche Passwege zu eliminieren – weder durch automatisches Verhalten noch durch aktive Befehle ist dies möglich. Dabei sind genau diese Bewegungen der Grund dafür, dass die Viererkette in den Stadien dieser Welt heutzutage als DIE Formation für eine moderne und agile Verteidigung im Fußballsport gilt.
Im Spiel resultiert das allzu häufig in Situationen, in denen das bloße Anlaufen eines Gegenspielers der gegnerischen Innenverteidigung bereits so viele Räume eröffnet, dass die sich ergebenden Räume fast zwangsweise eine hochkarätige Torchance zur Folge haben.
Als weiteres Beispiel der taktischen Probleme des Spiels sei die Inflexibilität der KI in Bezug auf konträre Taktikformationen und Bewegungsvorgaben genannt. Auch wenn es natürlich richtig ist, dass die KI die Spielervorgaben befolgt, wirkt es schon ein wenig lächerlich, dass eine angreifende Mannschaft mit Ballbesitz in der Mittelfeldzentrale nicht selten sowohl Außenverteidiger als auch Flügelspieler bereits tiefer in der gegnerischen Spielhälfte stehen haben, als die Außenverteidiger der gegnerischen Mannschaft postiert sind. Im Prinzip reicht ein schneller Ball um bereits komplett hinter des Gegners Abwehrreihe gemütlich in den Strafraum hinzuspazieren.
Fazit: Ordentliches Spiel vielleicht, ordentlicher Fußball auf keinen Fall
Natürlich kann FIFA 21 Spaß machen. Gerade im FUT-Modus, in dem beide Seiten mit denselben Waffen kämpfen, kann das direkte Säbelrasseln eine Menge Spaß bieten. Als Simulation des Fußballsports macht FIFA 21 aber einen riesigen Schritt zurück. Die eingeführten Features spiegeln kein nachvollziehbares Spielerverhalten wider und fördern zudem eklatante Schwächen, die bereits die Vorgänger in sich trugen, zutage.
Für den Anspruch von Fußball-Puristen wie auch für die markigen Worte, mit denen EA Sport einmal mehr für seinen neuesten Ableger warb, ist FIFA 21 aber eine maßlose Enttäuschung.
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