Intelligence für Intelligente

Normalerweise traue ich der Schwarm-Intelligenz bei Steam. Ich schaue mir die Bewertung an und denke mir, dass das im Wesentlichen schon stimmen wird. Aber...

von Yeager am: 16.08.2018

Normalerweise traue ich der "Schwarm-Intelligenz" bei Steam. Ich schaue mir die Bewertung an und denke mir, dass das im Wesentlichen schon stimmen wird. Aber ich bin auch ein sehr großer Fan rundenbasierter Taktik-Spiele. Xcom, Silent Storm, Xenonauts, Jagged Alliance und wie sie alle hießen, zockte ich rauf und runter. So viele gibt's davon ja leider nicht und deswegen freute ich mich sehr auf Phantom Doctrine, nachdem mir das Debut "Hard West" von Creative Forge schon gefallen hat.

Darin hatten sie komplett auf den Glücksfaktor verzichtet, bzw. eine planbare Ressource daraus gemacht. Sie haben sich also getraut eine eigene Spielmechanik in einer bereits bekannten Spielmechanik zu verpacken. Gewagt, da sowas zu Missverständnissen führen kann und das bei Hard West auch passiert ist. Nun wiederholt sich das und die Bewertungen sind im Keller.

Wirklich so schlecht?


Stimmt es also? Ist Phantom Doctrine nur ein billiger Xcom-Klon schlecht gemachter Art?

Nein. Es wurde einfach wieder missverstanden. 
Es verlangt MIT- und UMDENKEN vom Spieler und eignet sich daher nicht für die breite Masse, die hier nur ein Xcom mit Spionen erwartet hat, in dem aber sonst nix anders ist. Von Deckung zu Deckung huschen, 1000 x ballern und darauf hoffen, dass die Gegner schon irgendwann umkippen: Das funktioniert hier so nicht. Ein schlechtes Spiel ist es deswegen noch lange nicht, höchstens noch hier und da nicht ganz poliert.

CIA, KGB und Beholder-Hydra


Es ist das Jahr 1983, der kalte Krieg dauert an und wir schneidern uns zu chilliger Jazz-Mucke einen Agenten einer der beiden Blöcke. Inklusive Vokuhila-Frisur, die damals todschick war ;-). Zusätzliche Agenten kommen aus befreundeten Blockstaaten und deren Geheimdiensten, so kann man z.B. Stasi-Offiziere auf der Seite des KGB und BND-Kollegen auf amerikanischer Seite haben. 

Aber wir sind nicht die CIA oder der KGB, sondern die Kabale, eine eigenständige Organisation, die eine Verschwörung durch eine dritte Macht aufdeckt. Nein, nicht die Hydra, sondern Beholder, daher auch das Auge des Betrachters. Wir haben eine Basis, upgraden die dortigen Facilities, stellen Dietriche und weiteres Zeug her und trainieren unsere Spezialisten. In Gefechten haben wir 2 Bewegungspunkte, es gibt volle, halbe und gar keine Deckung. So weit, so bekannt. Und das war's auch schon mit Xcom-Anleihen.

Kein Xcom, sondern Schulbank

Zwar besitzt das Spiel ein paar Tutorials, aber Vieles darin müssen wir uns durch Nachdenken und Ausprobieren selbst erarbeiten. Bei Xcom hat man alles in der Basis beisammen und startet von dort aus Einsätze, kehrt dahin auch gemeinsam zurück. Agenten arbeiten so aber sicher nicht. Die hocken nicht freudig vereint in der NSA-Zentrale rum und zocken Karten, sondern sind Under Cover überall im Einsatz. Es bietet sich also an bei verschiedenen Event-Hot Spots Agenten gleich da zu lassen, da sie somit schneller bei benachbarten Gebieten zum Einsatz kommen. Denn unser Gegner schläft ebenfalls nicht. 

Starten wir immer von der Basis aus, kann es durch die langen Flugzeiten (besonders in der riesigen UdSSR) zu spät sein Vorteile für uns raus zu holen. Z.B. eine taktische Aufklärung einzuleiten, durch die wir einen Agenten im Tarn-Outfit losschicken, für den Alarmmelder wegen unbefugten Betretens von Sperrgebieten nicht gelten. Ein gewaltiger Vorteil, denn somit kann man Alarmanlagen ausschalten, geheime Dokumente auf Mikrofilm bannen, Items klauen und einzelne Wachen lautlos umhauen und deren Körper dann verstecken. 

Das können wir zwar auch "so", aber sobald uns Wachen ungetarnt sehen, beginnt die Kampfphase. Einmal eingeläutet werden endlose Wellen von Verstärkungen gerufen, die wir unmöglich alle besiegen können. Dann sind wir die Gejagten und müssen schnell abhauen. Taktik und Aufklärung ist also nötig und macht chirurgische Einsätze möglich, die aber dennoch mit Vorsicht zu geniessen sind, denn wenn zu viele Wachen sich nicht melden, sucht man nach uns. Auch das Fluchtauto sofort zu rufen stellte sich als keine gute Idee heraus, denn nach 3 Runden wird es kompromittiert und dann haben wir den Salat. Also braucht es auch dafür Fingerspitzengefühl, das wir im Laufe der Zeit bekommen. Wir lernen fortlaufend beim Zocken dazu - und müssen das auch!


LOS toppt Deckung

Es gibt nicht nur 2 Bewegungs-, sondern auch 1 Aktionspunkt. Einige Waffen und Skills brauchen nur 1 Bewegungs-, andere auch den Aktionspunkt. Zusätzlich haben wir "Awareness", eine Art Aufmerksamkeitsspanne, die eine Ressource ist. Bei den ersten Treffern werden wir nicht verwundet, sondern weichen aus, wodurch aber die Aufmerksamkeit nachlässt, die wir aber auch für andere Aktionen brauchen, wie z.B. tödliche Kopfschüsse aus Kleinkalibern. Es gibt Skills, die sie wieder pushen und sie regeneriert sich im Laufe der Zeit auch von selbst. 

Deckungen bieten, anders als bei Xcom, keinen echten Schutz, getroffen wird man auf jeden Fall. Die LoS (Line of Sight / Sichtlinie) ist das eigentlich Relevante, daher können wir hier nicht einfach hinter Mauern campen, sondern müssen ausserhalb des Sichtfeldes des Gegners gehen. Trotzdem ist Deckung nicht egal, sie verringert erheblich den erlittenen Schaden.

Geh mal beiseite

Dabei wird aber nicht, wie oft behauptet, durch Mauern geschossen, sondern Sidesteps gemacht und per Animation gezeigt: Es wird also davon ausgegangen, dass die Figuren in Wirklichkeit simultan schießen, nur scheinbar rundenweise bewegt werden - und dabei einen Schritt zur Seite abseits der Deckung machen. Die Trefferquote ist immer bei 100%. Beides ist gewöhnungsbedürftig. Das Schöne ist: Dasselbe gilt auch für uns. Kein Ärgern mehr über zahllose Fehlschüsse wie bei Xcom. Dafür aber jede Menge Gefahr.

Fast wie im wahren Leben

Das ist nicht unrealistisch. Ich war beim Militär und kann sagen, dass eine Menge Dinge als "sicher" in Games verkauft werden, die es im wahren Leben nicht sind. Schutz wird permanent über- und Feuerkraft permanent unterschätzt. Ich würde hinter einer Mauer nicht von Sicherheit sprechen, wenn mein Gegner ein MG hat. Dass eine 9 mm dann aber auch die Wand durchschlägt: Tut sie nicht, siehe Sidestep-Mechanik. Ja, das ist nicht intuitiv verständlich und dürfte der Hauptgrund für die Kritiken sein, neben der nicht immer nachvollziehbaren LoS.


Köpfchen ist gefragt

Man muss umdenken gegenüber Xcom. Dort konnte man in Ruhe campen und flankieren, nur die Timer sorgten für echten Stress. Hier müssen wir Positionen wechseln, unsere Ressourcen im Auge behalten und uns damit anfreunden, dass wir Spionage-Agenten sind und keine kampfwilligen Söldner. Kämpfe sind bei Xcom unvermeidbar, hier versuchen wir ihnen aus dem Wege zu gehen. Das Spiel ähnelt eher Invisible Inc, statt Xcom. Köpfchen ist gefragt.

Auch bei der Pinnwand, wo wir Zusammenhänge durch Signalwörter erkennen, dadurch Belohnungen erhalten und Einsätze freischalten. Es gibt je 1 Kampagne für CIA und KGB und eine dritte, die ich noch nicht erspielt habe nach 30 h. Das Spiel ist groß, spannend und macht Spaß - wenn man sich auf die ungewohnte Kampf-Engine einlässt. Wenn aber nicht, wird es im Gegenteil zu einem frustrierenden Erlebnis, was wohl auch die Bewertungen erklärt.


Fazit


Phantom Doctrine sieht auf den ersten Blick aus wie Xcom mit Spionen, ist das aber nicht. Grund: Ungewohnte Sidestep-Mechanik und 100%-Trefferquote. Akzeptiert man das, fuchst man sich in die komplexe Spielmechanik rein, dann wird man mit einem sehr spannenden Spiel belohnt. Erwartet man hingegen einfach nur Amis oder Russen statt Aliens, dann ist man hier falsch. Ein missverstandenes, aber gutes Spiel! Das grösste Problem von Phantom Doctrine hat nichts mit dem Spiel zu tun, sondern mit einer Konditionierung in unseren Köpfen, die da lautet: "Deckung = Sicherheit". Doch das ist nur eine Illusion.



Wertung
Pro und Kontra
  • Taktik, Taktik, Taktik!
  • Kein Glück, jeder Schuss ist auch ein Treffer
  • Überlegtes Vorgehen ist permanent nötig
  • Skills alle brauchbar und wertvoll
  • Sehr lange Kampagne(n)
  • Kein uninspirierter Xcom-Klon
  • Mitdenken nötig
  • Spannende Kämpfe
  • Interessantes Spiel im Spiel mit der Pinnwand
  • Nur noch eine Runde ;-)
  • Einige Einsatzarten wiederholen sich
  • Animationen nicht auf Höhe der Zeit
  • LoS nicht immer nachvollziehbar
  • Kampfsystem nicht sofort intuitiv verständlich
  • Tutorials bereiten nur mäßig vor, Einarbeitung und Mitdenken nötig

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



Kommentare(1)
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