KI-Irrgarten für Hobbyanthropomorphisten

Ein Mix aus seichten und abstrusen Rätseln trifft auf seichtes Philosophiegeschwafel.

von Misie Gaming am: 05.03.2021

Ein Knobelspiel-Gefängnis bei dem man "Testkammern" durchläuft, während uns eine Stimme aus dem Off leitet mit der Aussicht auf eine Belohnung? Na also The Talos Principle hört sich doch bekannt an und wie etwas, das man nur lieben kann. Es hat durchweg positive Rezensionen erhalten und wurde mir von einem Freund empfohlen. Beim Spielen machte sich allerdings durch zahlreiche Schwächen schnell die Ernüchterung breit.

Ohne umständliche Einleitung landet man direkt im ersten Gebiet und die erste Spielmechanik ist leicht verstanden. Mit portablen Störsendern lassen sich Laserschranken, Geschütztürme oder explosive Annäherungsdrohnen temporär deaktivieren. Die anfänglichen Gebiete sind allesamt überschaubar und einfach zu durchblicken.

Die sich bewegenden Drohnen waren übrigens der Grund weshalb ich mich bisher nicht um das Spiel gerissen hatte. Statische Geschütztürme stören mich nicht, die mobilen Bomben hetzen aber etwas unnötig. Sie werden nämlich nicht nur für reine Rätsel eingesetzt, sondern auch für kleinere Hindernisläufe, bei denen man sie bloß vermeiden muss. Wirklich genervt haben sie mich lediglich an einer optionalen Stelle, diese Stellen nagen aber dennoch an der ansonsten prominenten Entspannungsstimmung, die ich zum effektiven Rätseln gerne habe.

Das wäre nicht so tragisch, wenn der Titel wenigstens ein ansteigendes Maß an Anspruch liefern würde – was leider nicht gelingt. Die Rätsel mit den Laserverbindungen laufen zu oft darauf hinaus, einfach einen richtigen Platz zu finden, von dem aus die gewollten Verbindungen möglich sind. Aus einer Top-Down- oder isometrischen Ansicht wären jene Level praktisch nicht der Rede wert. Später kommen dann erste Testkammern, bei denen nicht absehbar ist, was sich hinter der nächsten Schranke befindet (auch wenn sich bemüht wird möglichst viel zu zeigen). So überwindet man die erste Hürde, nur um zu merken, dass man nochmal alles umbauen muss, für das was dahinter kommt. Dies ist aber mehr eine Beschäftigungstherapie statt ernster Herausforderung.

Aber okay, das ist ab und an noch unterhaltend. Zwischenzeitlich stößt man dagegen auf sehr viele Kammern, die progressiv aufgebaut sind. Sprich man trifft darin auf eine kleine Hürde, die sich trivial überwinden lässt, man geht weiter zur nächsten Schranke und spielt so einfach die einzigen jeweils möglichen und bekannten Rätselmechaniken gedankenlos ab. So werden die Level länger und umfangreicher, bloß eben nicht wirklich komplexer. Gegen Ende wirken mehrere Rätsel wie zusammengesteckte Anfängerlevel. In einem der letzten Sternenlevel gibt es sogar drei unabhängige, durch Wände getrennte Abschnitte, über die man mit Leitern klettern (und somit nichts hinübertragen kann), wobei ich im mittleren sogar für einen Würfel und Strahlenverbinder keinen Verwendungszweck hatte.

Schade ist auch, dass die letzte neue Fähigkeit sogar die wohl einfachste des ganzen Spiels darstellt. Im Gebiet das sie vorstellt war ich so zügig fertig, wie mit sonst keinem. Andererseits werden im Verlauf ab und an Elemente eingefügt, die überhaupt nicht zur Lösung verwendet werden müssen. Als ich ohne groß nachzudenken – verdummt durch die anderen Rätsel – das zum ersten Mal bemerkt hatte, war ich doch etwas erstaunt. Dabei wirkt die Verteilung der Levelkammern, die so etwas enthalten, recht wahllos. Bis auf eine kleine Verwirrung wird nämlich kaum versucht den Spieler irgendwie in eine gedankliche Falle zu locken. Wenn man darauf eingestellt ist, ist der Anspruch schnell wieder verflogen und in vielen Level wirken diese zusätzlichen Elemente fast wie Dekoration.

Des Weiteren stört es, wenn andauernd Rätselgegenstände nach der selben Masche hinter trivialen Barrieren oder einfach hinter drei Ecken versteckt werden. Man rennt so die ersten Sekunden eines Rätsels alles ab, um zunächst die benötigten Gegenstände einzeln einzusammeln – ziemlich unnötig.

Das ist aber nichts im Vergleich zu dem, was mich mittendrin fast zum Spielabbruch gebracht hatte. Ein Level besitzt zwei Würfel und einen Ventilator mit Druckplatte für dessen Aktivierung. Der Ventilator bläst auf ihm platzierte Dinge auf die andere Seite des Levels. Dazwischen liegt ein abgezäunter Bereich in den ein Würfel muss. Scheinbar soll die Flugbahn verkürzt werden, also probiere ich die Würfel zu stapeln, mich auf einen zu stellen oder nur ganz kurz den Luftstrom zu aktivieren. Nach dem ich alles sinnvolle ausprobiert hatte, bin ich mir sicher, dass etwas nicht stimmen kann und ich greife zur Onlinesuchmaschine meiner Wahl. Die Lösung: Einen Würfel während des Flugs einfach fallen lassen, dieser plumpst dann nämlich kerzengerade nach unten, als hätte ein Programmierer beim Thema Trägheit in der Schule nicht aufgepasst. Vielleicht war dieses Verhalten leichter Umzusetzen, aber dann muss man doch nicht extra ein Rätsel aus dieser kaputten Physik-Engine machen, zumal zu keinem einzigen späteren Punkt darauf aufgebaut wird. Die Lösung wirkt zusätzlich völlig abstrus, da man beim normalen Springen eben keine Dinge in der Luft fallen lassen kann.

Eine Inkonsistenz zieht sich durch das gesamte Spiel. Besonders störend sind generell die Ventilatoren. Jene unterscheiden sich ohne ersichtlichen Grund, wie weit man wegkatapultiert wird, wie weit ihr Luftstrom Objekte am näherkommen hindert und sogar wie weit sich der imaginäre Luftstrom zu den Seiten ausbreitet. So scheinen viele Rätsel als hätte jemand eine spannende Idee für eine schick aussehende Testkammer, die dann aber extrem konstruiert wirkt und in einem willkürlichen Verhalten der Spielobjekte endet. Entsprechend kommt man nicht um Trial-and-Error herum, wobei sich die Error-Häufigkeit durch die geringe Schwierigkeit in Grenzen hält. In einen Zustand von dem aus man nicht mehr zum Ziel kommt, geriet ich zum Glück eher selten. Mit der "Playbutton"-Mechanik kann das schon einmal passieren, spätestens dort weiß man aber, was der Fehler war. Beim zweiten Versuch sollte dann alles klappen... sofern man sich nicht mit den Timings vertan hat *genervtes Augenrollen*. Ich will nicht genauer darauf eingehen, doch eine Pausefunktion dürfte diese Mechanik deutlich angenehmer machen, ohne sie mächtiger werden zu lassen.

Stirbt man durch einen Gegner startet man ebenfalls erneut am Levelbeginn. Dabei wird nicht nur jeder Gegenstand dieses Rätsels zurückgesetzt, sondern immer das gesamte Gebiet. Ein Gebiet umfasst normalerweise drei bis fünf dieser Kammern, die ringsum von Mauern umgeben sind, mit Ausnahme eines Eingangs. Der Eingang besitzt eine Art Kraftfeld, dass nur uns passieren lässt. Allerdings gibt es Stellen, an denen man im Rätsel die Mauern überwinden kann, um Objekte zu entwenden. Ein bisschen spaziert man also wie ein Speedrunner durch die Welt, der zunächst nach Exploits Ausschau hält. Anstatt eines Weges um Zeit zu sparen, ist unser Ziel die Sterne zu erreichen. Also nicht die am Nachthimmel, sondern Collectibles, die sich in der Welt verstecken und weitere, optionale Gebiete freischalten.

Aber auch bei den Sternen gilt wieder Hit-and-Miss. Die Erkundung der Gebiete und Suche nach den wenigen clever gemachten Sternen mit dem Versuch aus Leveln auf besondere Weise zu entkommen zählen zumindest zu den interessantesten Momenten von Talos Principle. Genauso finden sich allerdings in Kammern Sterne hinter einer Barriere, die man während dem Lösen des Rätsels auch einfach öffnen kann. Oder man bekommt keinen Hinweis, wo im Gebiet sie sein könnten, und man muss hoffen, dass man den Schalter im Gebüsch im Eck einfach findet. Zumindest ist ausgeschildert, wie viele es pro Gebiet gibt. Für ein paar Sterne muss man ein gutes Auge haben und Level müssen in einem bestimmten (meist gelösten) Zustand sein. Wird man an einem Ort zu einem Gebietsreset gezwungen, kann das daher besonders stören. Eine Rückspulfunktion wie man es aus manchen Rennspielen kennt wäre praktisch gewesen – selbst für die normalen Level. Wenn man bei einem Rätsel kurz vor Schluss nicht weiter weiß, kann man theoretisch mit einem anderen beginnen, riskiert aber einen globalen Reset.

Ein klein wenig haben sich die Entwickler allerdings selbst ins Bein geschossen. Wenn man den Spieler zum Suchen geplanter Exploits bringt, stößt er vielleicht auch auf unerwartete. An zwei oder drei Stellen war ich mir unsicher, ob ich gerade das Level ungewollt abgekürzt oder einfach die roten Heringe umgangen hatte. Als ich mit einer kleinen Hüpfeinlage sowohl einen Stern, als auch danach das Levelende erreichte, musste ich doch einmal andere Lösungen anschauen. Und tatsächlich, mein fieser Exploit war so nicht geplant. Aber wer weiß, vielleicht soll uns insgeheim der Titel auch spielend zu potentiellen Betatestern machen.

Wirklich Nennenswertes hat Talos ansonsten leider nicht zu bieten. Storymäßig steuern wir einen Roboter, der eigentlich eine KI-gesteuerte Figur eines Programms ist. Christofs Stimme aus dem Mond ist selten zu hören und befiehlt oder verbietet Dinge ohne klaren Grund. Audiologs einer Frau lassen sich an verschiedenen Stellen finden. Ihr Gesülze verwundert zunächst, besonders weil es etwas unpassend wirkt. Zusammen mit (beschädigten) Archivdatein an Terminals lässt sich jedoch etwas mehr über die Vorgeschichte erfahren. Jene bleibt aber trotzdem relativ nebulös und viele Einträge im Archiv lesen sich wie belangloses Füllmaterial. Die witzigste Stelle ergab sich bei in der Welt verteilten, kurzen Sätzen. Der Scherz ist aber nicht direkt den Autoren zuzuschreiben.

Über die Terminals meldet sich ab und an eine weitere Instanz. Während man anfänglich nur durch die Erstellung eines Administratorkontos geleitet wird, wird es bald arg philosophisch. Leider durchschaut man ziemlich schnell, was die Entwickler scheinbar mit diesem Charakter bewirken wollten, denn trotz Dialogentscheidungen kann man nicht wirklich etwas bewirken. Auf seine Fragen stehen entweder keine vernünftigen Antworten zur Auswahl (die ich geben würde, wenn mich das jemand fragen würde) oder es wird die Antwort mit billigen und sehr abstreitbaren "Gegenargumenten" abgelehnt. Das wird schnell nervig. Es ist nicht ganz so stumpf wie Kommentare der Art: "Eine KI die Stephen's Sausage Roll löst ist beängstigend und erinnert mich direkt an Skynet!", neben ein paar netten Ansätzen gelingt es diesen Gesprächen allerdings nicht ein größeres Interesse am Thema zu gewinnen, beziehungsweise die Denkweise der Writer nachvollziehbar zu machen.

Das Ende ist vorhersehbar und die Story im Ganzen ist eigentlich ziemlich idiotisch. An manchen Stellen scheint es so, als hätten die Autoren keine Ahnung von grundlegenden technischen Aspekten oder es wurde bewusst ins (teils kitschig) Fiktionale gezogen. Ich bin mir daher unsicher, ob die Handlung versteckter Slapstick sein soll (ich hatte mich dazu verleitet gefühlt, absichtlich eine wichtige Figur in den Abgrund stürzen zu lassen) oder der Käse ernsthaft etwas nachdenklich machendes sein soll. Denn keiner der beiden Punkte ist gut umgesetzt.

Beenden wir den Text aber zumindest mit den wenigen positiven Aspekten. Die Grafik ist eher simpel gehalten, doch auch heute noch ansehnlich. Die sehr entspannende Musik kann man gut in Dauerschleife hören, auch wenn es gerne mehr Stücke hätte geben können und die Entwickler auf den störenden Glitch-Sound verzichtet hätten sollen. Der kleine soziale Aspekt war übrigens auch recht nett.

Zusammenfassend sei gesagt, dass die paar von mir gegebenen Beispiele schlechten Rätseldesigns keinen zu vernachlässigenden Teil des Spiels ausmachen. So weit ich mich erinnere war Portal jetzt auch nichts wo man sich den Kopf zerbrechen musste, hatte aber später doch auch knackigere Stellen und einen nachvollziehbaren Schwierigkeitsanstieg. Bei Talos gibt es vielleicht eine Handvoll guter Level und etwa ein oder zwei nach denen man sich schlau gefühlt hat. Dafür lohnt sich die restliche Qual oder Langeweile allerdings nicht. Statt es mit der Portal-Serie zu vergleichen, sollte man es eher als Sammlung mehrerer Labyrinthe mit aufgesetzter Philosophie sehen, die höchstens die räumliche Orientierung und (wenn zugelassen) ein vorausschauendes Handeln testen. So kann ich den Titel praktisch nur Hobbyanthropomorphisten empfehlen, die auf einen Mix aus seichten und abstrusen Rätseln abfahren

Besondere Auszeichnung: Schlechtestes Spiel, das ich je durchgezockt hab.


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

zu leicht

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



Kommentare(2)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.