Märchenbuch trifft Film Noir

Was machen eigentlich unsere Märchenfiguren, nachdem alle Drachen erschlagen, alle Prinzessinnen wachgeküsst sind? Wo sich Jacob und Wilhelm Grimm...

von Ryuzaki am: 01.03.2015

Was machen eigentlich unsere Märchenfiguren, nachdem alle Drachen erschlagen, alle Prinzessinnen wachgeküsst sind? Wo sich Jacob und Wilhelm Grimm einst beharrlich ausschwiegen, setzt das von Telltale Games erschienene Adventure The Wolf Among Us ein. Basierend auf der preisgekrönten Comicreihe Fables von Autor Bill Willingham, leben hier unsere einstigen Helden aus Kindertagen unerkannt unter den gewöhnlichen Menschen. Doch glücklich bis ans Ende seiner Tage ist hier niemand mehr.

 

Einst, vor Jahrhunderten vom Feind aus ihren Heimatlanden vertrieben, flohen Rotkäppchen, Schneewittchen und Co. in die Welt der Menschen, der Weltlichen, und gründeten in Amerika zwei Enklaven von Märchen- und Fabelwesen. Die eine, Fabletown, entstand im frühen New York City und beherbergt alle menschlichen Fables sowie jene, die wohlhabend genug sind sich einen Glamour, einen Schutzzauber, zu kaufen, der ihre wahre Gestalt vor den Augen der Weltlichen verbirgt. Denjenigen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen können, droht ohne Umschweife eine Deportation in die andere Gemeinde fernab der Menschen, die sogenannte Farm.

In The Wolf Among Us verkörpern wir nun den ehemaligen großen, bösen Wolf der Märchengeschichte. Durch Amnestie von seinen früheren Vergehen freigesprochen, kann dieser mittlerweile menschliche Gestalt annehmen, hört auf den Namen Bigby Wolf und ist als Sheriff von Fabletown und somit exekutiver Arm für die Einhaltung und Ausführung der bestehenden Gesetzte zum Schutz der Märchengemeinde verantwortlich. Anzeichen, die die Menschen auf die Existenz der Fables hinweisen könnten, werden beseitigt. Wer sich keinen Glamour leisten kann, wird auf die Farm geschickt. Und wer in Not gerät, ruft uns um Hilfe.

Im Spiel verkörpern wir den ehemaligen großen, bösen Wolf der Märchengeschichte.

 

So auch Mr. Toad, der Bigby eines Abends zu seinem Appartement ruft und damit den Beginn unseres Abenteuers einleitet. Vor Ort angekommen begegnen wir besagtem Mr. Toad, einer drei Fuß großen sprechenden Kröte. Mit ihm dürfen wir unser erstes, in exzellentem Englisch vertontes Gespräch führen. Und davon wird es im weiteren Spielverlauf noch etliche geben, die Dialoge gehören mit zur Kerndisziplin von The Wolf Among Us. Hierbei haben wir immer vier sich in Tonfall und Aussage unterscheidende Auswahlmöglichkeiten. Ob wir uns nun für Freundlichkeit, Aggressivität, Mitgefühl oder gar gleich für Schweigsamkeit entscheiden, die Wahl liegt ganz bei uns. Wie Bigby auch agiert, sein Gegenüber reagiert dabei immer passend. Sie merken sich sogar manche seiner Aussagen und Handlungen, was ihn später wieder einholen kann.

Die Gespräche sind hervorragend vertont und bieten uns immer mehrere Auswahlmöglichkeiten.

 

Nachdem wir von Toad alles Wichtige erfahren haben, erfordert eine anscheinend heftige Auseinandersetzung in einem der oberen Zimmer Bigbys Einschreiten in seiner Funktion als Sheriff zur Beschwichtigung der beiden Streithähne. Folgender Anblick bietet sich uns bei Erreichen des Zimmers: Ein Mann schlägt gerade auf eine Frau ein, deren Gesicht schon mit reichlich Blessuren übersät ist. Ohne lange nachzudenken gehen wir in Bigbys Gestalt dazwischen, was zu einem Handgemenge mit dem Schlagenden, dem Holzfäller Woody, führt. Solche Actioneinlagen kommen im Verlauf des Spiels häufiger vor und münden stets in einem Quick-Time-Event, welche jedoch nicht allzu fordernd sind und leicht von der Hand gehen. Auch halten sich diese Momente mit dem restlichen Spiel die Waage und wirken sich somit nie deplatziert oder störend aus.

Solche Quick-Time-Events gehen dank Maus- und Tastatursteuerung leicht von der Hand.

 

Nach dem Geplänkel mit Woody bekommt Bigby noch die Möglichkeit für ein kurzes Gespräch mit der geretteten jungen Frau, bevor es für ihn auf den Weg in die eigene Wohnung geht. Im Woodlands angekommen, einem Appartement-Komplex ausschließlich für Fables, legen wir uns zur Ruhe, um nur kurze Zeit später aus dem Schlaf gerissen zu werden. Snow White, die Assistentin des stellvertretenden Bürgermeisters Ichabod Crane, klopft bestimmt und mit ernster Miene an unsere Tür mit der Bitte um unverzügliches Mitkommen. Bigby folgt ihr und findet sich kurz darauf am Eingang des Woodlands wieder. Schnell wird klar, was hier nicht stimmt. Auf den Eingangsstufen finden wir eine Leiche, genauer gesagt den Kopf der zuvor von uns geretteten jungen Frau. Es ist seit langer Zeit der erste Mord und läutet damit eine spannende Schnitzeljagd in die kriminellen Ränke von Fabletown ein.

Auf den Stufen des Woodlands machen wir eine furchtbare Entdeckung.

 

Viel mehr möchte ich zur Handlung gar nicht schreiben, denn diese ist neben den Dialogen die zweite große Stärke von The Wolf Among Us. Die Geschichte erstreckt sich Telltale-Typisch über insgesamt fünf Episoden mit einer jeweiligen Spieldauer von zwei Stunden. Dabei bleibt sie durchweg spannend, abwechslungsreich und ist dank der Kameraeinstellungen und den Schnitten in den Zwischensequenzen klasse inszeniert. Nur so viel sei verraten, bei dem einen Mord bleibt es nicht.

Auf der Suche nach dem Mörder erkundet Bigby, teilweise allein oder in Begleitung von Snow White, nach und nach verschiedene Schauplätze, wie Appartements, Striplokale, Kneipen und Metzgereien. Diese sind dabei nicht sonderlich groß, dafür aber abwechslungsreich gestaltet und toll anzusehen. Verwendet wird hierfür der Cel-Shading-Look. The Wolf Among Us gibt sich dabei allerdings, im Gegensatz zum zuvor erschienenen The Walking Dead, wesentlich farbenfroher. Schwarz wechselt sich mit Pink ab, Neon-Gelb grenzt an Blau. Diese Designentscheidung passt hervorragend zum Titel und unterstreicht damit noch einmal gekonnt seine Comicbook-Wurzeln.

The Wolf Among Us präsentiert sich deutlich farbenfroher als das zuvor erschienene The Walking Dead.

 

Und was genau unternehmen wir nun beim Erkunden der einzelnen Gebiete? Nun, das ist wohl ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Wir können in den Arealen Gegenstände betrachten, vereinzelt auch aufheben und in unserem Inventar verstauen. Allerdings ist es nie erforderlich, diese Gegenstände miteinander zu kombinieren. Kurz gesagt, wir rätseln nicht. Das mag für Einzelne ein Kritikpunkt sein, für mich jedoch nicht. Telltale versucht nie, mit seinem Spiel ein typisches Rätsel-Adventure zu kreieren, sondern legt von Anfang an seine Schwerpunkte auf die Handlung und die Dialoge. Und das macht der Titel hervorragend.

Die Schauplätze sind überschaubar gestaltet und bieten nur wenige Interaktionsmöglichkeiten.

 

Somit ist es gänzlich uns selbst überlassen, wie wir bei der Mörderjagd vorgehen. Bleiben wir bei der Befragung eines Verdächtigen ruhig und geben uns mitfühlend oder lassen wir Bigby die gewünschten Informationen mit der Vorschlaghammer-Methode erhalten und prügeln diese kurzer Hand aus dem Verdächtigen heraus, das Spiel überlässt uns auch hier wieder die Wahl. Die Entscheidungen müssen dabei aber, ebenso wie in den Dialogen, innerhalb einer Zeitvorgabe getroffen werden. Lassen wir diese Zeit verstreichen, entscheidet das Spiel für uns. Jedoch wirken sich die verschiedenen Vorgehensweisen nicht markant auf den Verlauf der Story aus, sondern unterscheiden sich nur in Nuancen. Wie wir uns auch verhalten, schlussendlich kommen wir immer zum vorgesehenen Ergebnis.

Guter Bulle oder böser Bulle? Wir entscheiden selbst, wie wir vorgehen möchten.

Fazit

Anfangs war ich skeptisch, was die Spiele von Telltale Games angeht. Zu oft schon hatte ich gelesen, dass deren Titel mehr Film als Spiel wären. Ich fragte mich, ob es mir genügen und mich nicht langweilen würde, wenn für mich als Spieler nur hin und wieder etwas zum Klicken übrig bleibt. Letzten Endes wollte ich es genauer wissen, kaufte mir The Wolf Among Us und damit mein erstes Spiel von Telltale.

Und was war ich begeistert. Bereits innerhalb der ersten Episode hatte mich The Wolf Among Us fest im Griff und lies mich bis zum Ende nicht mehr los. Zu gut war die Inszenierung und die Handlung viel zu spannend, als das ich mich diesem Sog hätte entziehen können. Jeder, der einer guten Kriminalgeschichte nicht abgeneigt ist, sollte hier mal mehr als einen Blick riskieren.

Für mich selbst bleibt indes nur darauf zu hoffen, dass die bereits angedeutete 2. Staffel auch wirklich umgesetzt wird. I´ll see you around, wolf …


Wertung
Pro und Kontra
  • hervorragende englische Sprecher
  • deutsche Ingame-Texte vorhanden
  • spannende und toll inszenierte Handlung mit vielen Storywendungen
  • Entscheidungen vom Spieler ziehen Konsequenzen mit sich
  • glaubwürdige und abwechslungsreiche Charaktere
  • der farbenfrohe Cel-Shading-Look unterstreicht gekonnt die Comic-Vorlage
  • stimmige Musik und Soundeffekte
  • keine deutsche Sprachausgabe
  • teilweise matschige Texturen
  • Schauplätze sind sehr klein gestaltet

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher leicht

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



Kommentare(10)
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