Mit dem Camcorder durch den Wald

Bei Blair Witch handelt es sich um einen so genannten “Walking Horror Simulator” vom Publisher Lionsgate Games, veröffentlich am 30.08.2019. Ohne groß zu...

von kazzig am: 12.11.2020

Endlich wieder ein Horror Spiel! Ich muss jedoch zugeben, dass ich mehr durch einen Zufall auf dieses Spiel gestoßen bin. Hätte mich der Epic Games Store nicht mit einem kostenlosen Angebot auf Blair Witch aufmerksam gemacht, hätte ich es wahrscheinlich nie durch Eigenmotivation entdeckt – der oft verhasste Store hat also auch hier seine Vorteile!

Horrorspiele sind, wie ich finde, bisschen wie Lakritze. Es gibt Leute, die können einfach rein gar nichts mit solchen Titeln anfangen und dann sind es Leute wie ich, die dieses Genre abgöttisch feiern. Es wäre tatsächlich mal von der psychologischen Seite her interessant zu wissen, warum sich gewisse Menschen gerne “gruseln” lassen und was dahinter steckt. Nun ja, überlassen wir die Psychologie den Experten und ich widme mich meiner kleinen Expertise, dem Testen, zu!

Bei Blair Witch handelt es sich um einen so genannten “Walking Simulator” vom Publisher Lionsgate Games, veröffentlich am 30.08.2019. Viele können sich vielleicht unter dem Begriff “Walking Simulator” nicht viel vorstellen. Ich versuche es in sehr kurzen Sätzen zu erläutern: In einem solchen Spiel steht in der Regel die Geschichte, die Atmosphäre, ja die Immersion im Vordergrund. Solche Spiele haben meist eine Gesamtspielzeit (wenn es keine Reihen sind!) von ca. 3-8 Stunden. Deshalb wird oft empfohlen, solche Spiele möglichst in einem Rutsch oder mit kurzen Zeitabständen dazwischen durchzuspielen, da eben sonst die oben genannten Eigenschaften in den Hintergrund rücken.

Story

Ohne groß zu spoilern: In Blair Witch schlüpfen wir in die Rolle von Ellis, einem ehemaligen Polizisten. In der Stadt Burkittsville (die Stadt gibt es wirklich im Bundesstaat Maryland, USA) ist auf mysteriöse ein Junge im Wald verschwunden. Ausgerechnet im dem Wald, in dem auch der namensgebende Horrorfilm “The Blair Witch Project” aus dem Jahr 1999 spielt.

Im Laufe des Spiels sind wir mit unserem Schäferhund Bullet unterwegs, der nicht nur als nette Beigabe dient, sondern ein Schlüssel-Element im Gameplay ist. Ellis stößt im Verlauf auf grausame und schauerliche Funde, den der Suchtrupp vor ihm augenscheinlich übersehen hat.

Seltsamerweise scheint der Suchtrupp, mit dem wir über ein Funkgerät Kontakt halten, sonst relativ wenig von unseren Anstrengungen wissen zu wollen. Unser schwer traumatisierte Hauptakteur ringt nämlich oft im Spiel um seinen geistigen Zustand.

Grafik & Sound

Kommen wir vielleicht zum wichtigsten Teil, worauf ich auch im Spieldurchlauf sehr großes Augenmerk gelegt habe. Blair Witch ist auf dem PC jetzt nicht der Überflieger Grafik AAA Titel, aber die Landschaft in der wir uns bewegen sieht fantastisch stimmig aus. Das Spiel sagt uns, plump gesagt, dass wir allein im Wald sind und den Jungen suchen sollen. Dieses “Allein sein”-Gefühl wird in meinen Augen praktisch ohne Makel vermittelt und dazu trägt auch das brilliante Sounddesign einen großen Anteil. Gebüsche und Blätter rascheln in höchster Qualität, das entfernte Knacken von Ästen und fallenden Gegenständen lässt uns im echten Leben einen kurzen Moment innehalten, damit sich die Gänsehaut im Körper ausbreiten kann.

Horrorspiele zu bewerten kann Segen oder Fluch sein, denn es gibt wahrscheinlich kein anderes Genre bei den Games, welches so von subjektivem Empfinden beeinflusst wird. Wenn wir jetzt einen Spielertypus annehmen, der genau das Gegenteil von mir darstellt, also: Rennt gerne geradeaus durch Levels, achtet auf keine Details, ist nicht schreckhaft. Diese Person würde dem Spiel wahrscheinlich eine 40er Wertung reinklatschen und das Spiel für immer in die unterste Schublade im Keller versenken. Bei mir entfalten solche Spiele aber ein ganz anderes Gefühl, deshalb bin ich da vielleicht etwas voreingenommen – genießt den Test also mit einer Prise von Vorsicht.

Ich hatte in meinem Durchlauf einen einzigen kleinen Bug, bei dem ich vom Spielablauf nicht mehr weiterkommen konnte, mein Charakter ist in einer Sequenz hängengeblieben, wo ein Folgeevent einfach nicht kam. Ein etwas älterer Spielstand geladen und das Problem war gelöst. Ich musste ca. 14 Minuten Gameplay wiederholen, ärgerlich, aber kein Game-Breaker.

Gameplay

Was machen wir also die ganze Zeit in Blair Witch, einfach durch den Wald rennen und uns gruseln!? Hmm, also wenn wir das wirklich auf die Kernaussage runterbrechen, dann muss ich nickend zustimmen. Ich hatte Eingangs unseren treuen Kumpel Bullet erwähnt, der in diesem Spiel mit uns zusammen die Hauptrolle beim Gameplay übernimmt. Bullet spürt Gegenstände auf, weist uns auf Dinge hin und zeigt, woher die schemenhaften Astwesen demnächst angreifen werden. Unser Protagonist hat im Laufe des Spiels immer wieder Flashbacks, vor allem der Krieg scheint ihn traumatisiert zu haben, von dem er sich nie erholt hat.

Im gesamten Spiel gibt es keine Waffen, bis auf ein paar Leckerlis für Bullet gibt es praktisch keine anderen Gegenstände, die wir als nutzbare Ressource nutzen können. Die Gegner in Form von Astwesen können wir uns mit unserer Taschenlampe blenden und verjagen – Bullet hilft uns mit der Orientierung und knurrt in die entsprechende Richtung. Außerdem haben wir im Spiel einen Camcorder und finden im Verlauf einige Kassetten, die wir abspielen und bestimmte Dinge im Jetzt manipulieren können. Ein umgefallener, riesiger Stein, bei dem ein Hinweis darunter ist? Entsprechendes Videomaterial bis zur relevanten Stelle anschauen und der Stein steht wieder! Technisch hervorragend, wobei die Tiefe bei den Puzzles und Rätseln wirklich kaum einen Tiefgang findet.

Der richtige Horror kommt jedoch wirklich beim letzten Drittel des Spiels voll zur Geltung, auch wenn mit ein paar Schwachstellen in der Umsetzung. Die Schreckensbilder aus dem Krieg und die Flashbacks werden immer heftiger. Der Bildschirm verschwimmt, alles leuchtet und dröhnt. Auf der technischen Seite hervorragende Arbeit und definitiv eine Spur abgefahrener als z.B. Layers of Fear.

Mein persönliches Highlight waren die Passagen, bei denen wir uns nur Mittels des Camcorders in völliger Dunkelheit bewegen und Monstern bewusst ausweichen müssen. Hier wurden meiner Meinung nach ein paar Stellen etwas in die Länge gezogen, das wirkte bisschen überladen.

Trotz der bedrückenden Stimmung mag die Story nicht so richtig in Fahrt kommen. Über ein uralt Handy kommunizieren wir (müssen es aber nicht) mit Ellis’s Ex. Es scheint irgendeine Beziehungsgeschichte zwischen Ihnen ereignet haben, das ganze wird aber nur sehr oberflächlich wie in einer Telenovela transferiert und bleibt über viele Passagen einfach als langweilige Beigabe.

Fazit

An diesen Teil des Tests habe ich mich am wenigsten gefreut. An wen geht die Empfehlung jetzt raus, Blair Witch zu spielen? Also ganz klar würde ich sagen an alle, die solche Spiele wie Layers of Fear, SOMA und Konsorten abfeiern. Deutlich differenzieren muss man aber bei Spielen wie zum Beispiel Resident Evil 7, The Evil Within, Outlast, Amnesia usw. Ja, Blair Witch ist auf seine Art sehr gruselig und entfaltet vor allem mit guten Kopfhörern (binaurale Tonaufnahme) sein volles Potential. Man sollte aber keinen direkten Vergleich zu den genannten Titeln ziehen, denn das sind einfach auch andere Spiele.

Insgesamt war ich mit Blair Witch äußerst zufrieden, dafür, dass ich es nie auf dem Schirm hatte. Mir persönlich war die Hintergrundstory mit dem Kriegstraum etwas zu viel, da hätte man sich doch irgendwie mehr an den Film oder dem Mythos widmen können. Man bekommt nicht den Eindruck weg, dass Ellis im Spiel hauptsächlich gegen seine eigenen inneren Dämonen kämpft.

Motivationskurve

Wir starten mit einer Grundmotivation von knapp unter 80. Die Erwartungen lehnen sich hier deutlich an Layers of Fear an. Nach den ersten Stunden fühle ich mich sehr wohl, die Mechanik funktioniert, die Geschichte wird skurriler, der Wald lebt. Nach dem ersten Drittel macht die Kurve einen leichten Knick nach unten, das ist hauptsächlich der Story geschuldet, da ich vor allem aus Ellis und seiner Ex nicht wirklich schlau werde. Im letzten Drittel finde ich dann irgendwo auch meine finale Wertung. Der Horroranteil nimmt deutlich Fahrt auf, das Ende kann man sich zusammenreimen, aber dafür ziehe ich keine Punkte ab. Am Schluss landen wir bei einer wirklich soliden 71 – ein gutes Ergebnis.


Wertung
Pro und Kontra
  • Dichte und bedrückende Atmosphäre
  • Atemberaubende Soundkulisse
  • Stimmiges Grafikdesign
  • Allein-Gefühl wird gut vermittelt
  • Zu viele Kriegstrauma Bezüge
  • An manchen Stellen sehr überladene Effekte
  • Keine richtig spannende Story

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher leicht

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



Kommentare(2)
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