Spaß auf Kosten der Identität

Ein Assassin's Creed sollte aber doch eigentlich mehr leisten, und immer noch Assassin's Creed sein. Doch diesen Faktor ignoriert Ubisoft ganz bewusst.

von D3nn15_M_10 am: 09.11.2018

Das RPG-Problem
Ubisoft versucht aktuell, mit aller Macht modern zu bleiben. Und spätestens seit The Witcher 3 muss man anscheinend ein Rollenspiel sein, um zu funktionieren. Und wenn ein Gronkh auf einmal anfängt, Assassin's Creed zu spielen, weißt du, dass sich was verändert hat.
Perfekter Zeitpunkt für Ubisoft also, ihre erfolgreichste Reihe in ein Konzept zu pressen, das sich weitestgehend von dem verabschiedet, was in der Vergangenheit mal Wert hatte: Ein Roter Faden
Trotz jeglicher Weiterentwicklung zeichnete Assassins Creed immer seine Hauptgeschichte aus. 

In Odyssey versteckt sich das Wesentliche hinter seiner Grafik und der größten Welt, die es wohl jemals in einem Spiel gab. 
Wichtige Werte, wie eine spannende und fesselnde Geschichte, Abwechslung in Dialogen (Kamerafahrten/Themen/Stimmfarben) bleiben auf der Strecke. Für ein Spiel, das immer Filmcharakterhatte, eigentlich ein unerlässlicher Bestandteil. Trotz halbherziger Bemühungen schafft es das Spiel einfach nicht, eine glaubwürdige Geschichte, sowie Charaktere zu schreiben, die wirklich von Bedeutung sind. Die wohl irrelevanteste Seifenoper Griechenlands. Aber hey, die Welt ist gigantisch groß, kümmere dich doch um den zehnten Löwenalpha oder töte in der zwanzigsten Festung alle Soldaten. Ob diese Soldaten Spartaner oder Athener sind, spielt ja irgendwie auch nie eine Rolle. An den beiden Kriegsparteien ändert sich ja sowieso nichts, bis auf die Farbe der Kleidung. Egal, denn Alexios oder Kassandra sind ja eh Söldner und somit ungebunden. Krass Praktisch, oder?


Freiheit scheint allgemein das große Thema in diesem Jahr zu sein. Man gibt jegliche Kontrolle an den Spieler ab und verletzt damit das große Geheimnis, dass AC seit immer begleitet. Die Templer sind der wahre Star der Reihe. Der Reihe tut ein geführter Spielmodus gut, eine Geschichte wird am besten erzählt, wenn man nicht weiß was kommt und sich seinen Weg nicht selbst basteln kann.
Außerdem steckt man im Animus und erlebt nicht seine eigene Geschichte. Keiner wird mir wohl nahebringen können, warum es in diesem Spiel Antwortmöglichkeiten gibt. Es entbehrt leider jeglicher Logik und ist ein weiteres Opfer der Pre-Witcher Welt.

Aaaber wie war das noch gleich mit den beiden Hauptprotagonisten?
Aaah, stimmt! Es gibt eigentlich nur einen. Zu Beginn erhält man die Illusion der freien Wahl von zwei Personen (m/w) bzw. Storylines. Letztendlich beeinflusst diese Wahl nur den Skin und die Synchronstimme. Aber Hauptsache politisch korrekt sein, dann kann man auch gleich die Hälfte der Söldner weiblich machen. Dafür hat man nicht mal den Epilog umgeschrieben. Aber der Establishing Shot ist geil. Immerhin.

AC blieb in der Vergangenheit doch immer ein Action Adventure, dass den Anschein einer offenen Welt erweckte-und mehr musste die Welt auch nie bieten. 

Bekannte, endliche Weiten
Wenn ich mich an AC2 zurückerinnere, weiß ich noch, wie ich die Landschaft fern der Mauern von Florenz bestaunt hab, in der Hoffnung, da vermutlich irgendwann mal hinkommen zu können. Und eben hier setzt die Fantasie ein. 
Legt man alle Karten auf den Tisch, so bleibt dem Spieler wenig Anreiz, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, weil das schon vorher von jemandem erledigt wurde; wer auch immer das sein mag.
Der unscheinbare Fluch eines RPGs und am wenigsten dafür können die einzelnen Teile, denn eine offene Welt muss eben genau das leisten. Man will aber letztendlich immer doch genau das, was man nicht hat oder eben will dorthin, wo man nicht hin kann. (Hier könnte ihre Kapitalismuskritik stehen)


Zugegeben: Ich mag die Grafik. So wie vermutlich jeder andere Spieler auch. Allerdings nur, wenn man zwischen den generischen Landschaften mal wieder etwas Neues findet. Auch darum geht es in diesem Spiel. Man hangelt sich oft von Highlight zu Highlight in einem Meer aus kalten repetitiven Löchern.
Ich wollte mich ja wirklich in dieses Spiel verlieben, so wie es bei jedem Teil seit Ezio war, aber dazu muss man auch Liebe zurückbekommen und die ist im kalten Krieg um Kunden rar gesät.


Grafik darf aber auch So niemals der Antrieb sein, ein Spiel zu erstellen und mir scheint es, dass die hauptsächliche Arbeit des Spiels in der Gestaltung der Welt liegt. Hierfür ist die Erwartungshaltung verantwortlich. Schon Jahre vorher weiß man immer, welches Setting der neue Assassin's Creed Teil haben wird. Also muss man es auch schön herrichten, sonst enttäuscht man Viele. Gleichzeitig enttäuscht man andere auf andere Art und Weise. Aber wer kündigt schon eine emotionale und verflochtene Geschichte an. Das kann ja gar kein guter Catchy Headliner werden. Zumindest nicht, wenn man das macht, was einem als Erstes einfällt. Und genauso wirkt das Ganze hier.

Wo man viel in Griechenland investiert, so wurden Dialoge, Musik, der Hauptcharakter und die Gameplay-Herausforderungen vernachlässigt. Alles essenzielle Sujets um ein emotionales Gesamtbild zu erschaffen.
Doch vielleicht erwarte ich einfach zu viel. Denn so sehr das Spiel auf vielen Ebenen enttäuscht, so setzte es mal wieder Maßstäbe und der Spaß kennt keine Grenzen.

Das Spiel des Jahres
Wenn Ubisoft eines kann, dann ist es, für dich jeden einzelnen Tag im Oktober und darüber hinaus zum Festtag werden zu lassen. Odyssey bietet ein gewaltiges Spektrum an Unterhaltung und Herausforderungen, die du abarbeiten kannst. Das ist seit Black Flag die größte Stärke von Assassin's Creed geworden und der Grund, warum sich die Spielzeit mindestens verdoppelt hat. Abarbeiten ist hier gar nicht mal negativ zu betrachten, auch wenn sich dahinter der Gedanke verbirgt "mehr ist leider auch nicht".

Trotzdem: Das Ziel ist das Ziel. Und das Ziel ist klar bestimmt: 100 %
Der Weg dahin ist nie langweilig, denn der Gesamteindruck vom Gameplay allgemein ist wirklich extrem positiv. Die Steuerung ist seit Jahren die unangefochtene Nummer eins, kein Vergleich zum steifen Geralt von Riva bewegt sich Alexio/Kassandra so flüssig und geschmeidig wie die Adrasteia im hohen Gewässer. Die Seeschlachten sind sowieso ein Genuss, auch wenn es meinem empfindsamen Gemüt auffällt, dass das Knallen der Kanonen deutlich intensiver klingt als das Zischen der Pfeile. Aber dass man die feindliche Crew beim Entern von Bord treten kann entschuldigt wieder alles. Das ist halt Sparta und nicht Hawaii.
Zurück zum Festland, denn hier spielt die Musik, ne warte, nochmal zurück auf See. Die Shantys hören sich wieder toll an, vor allem die weibliche Synchro davon. Da bin ich doch glatt froh über geschichtliche Unstimmigkeiten. So viel Eargasm darf sein. Und dem Anblick schadet es auch nicht. (Hier könnte ihre Sexismuskritik stehen)



Der Charakter des Rollenspiels hat natürlich auch Vorteile. Das Waffen- und Ausrüstungssystem bietet tolle Möglichkeiten, seine gewünschte Spielweise auszuleben. Ich bin zwar eher ein Fan des Stealth, aber bei den spektakulären Fähigkeiten, die man zusätzlich in einem Menü skillen kann, tut es gleich weniger weh, wenn einem mal die Hand ausrutscht und in ein 1vs 8-Gefecht torkelt.

Möglicherweise tut sich Ubisoft keinen Gefallen, die Wurzeln immer weiter herauszureißen, vielleicht tut ein Genrewechsel der Reihe aber gut. Ganz bestimmt ist Odyssey ein weiterer Schritt Richtung Mainstream und vielleicht muss das ja gar nicht so schlimm sein. In jedem Fall macht Assassin's Creed wieder unglaublich viel und lange Spaß, daher kann man letztendlich doch irgendwie darüber hinwegsehen, dass es eigentlich kein Assassin's Creed mehr ist.


Wertung
Pro und Kontra
  • Rießiger Spaßfaktor
  • Größte Spielwelt aller Zeiten
  • Kampfsystem
  • oberflächliche Geschichte
  • zu wenig Assassin's Creed

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



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