Wohlfühl-Oldschool Rollenspiel

Eines Vorweg: mit PILLARS OF ETERNITY erfand Obsidian das Rad nicht neu. Das war aber auch nicht beabsichtigt. PILLARS OF ETERNITY (kurz PoE) richtet sich an...

von - Gast - am: 27.05.2018

Eines Vorweg: mit PILLARS OF ETERNITY erfand Obsidian das Rad nicht neu. Das war aber auch nicht beabsichtigt. PILLARS OF ETERNITY (kurz PoE) richtet sich an Fans der Infinity Engine games aus den 90er Jahren, wie BALDUR'S GATE, ICEWIND DALE und PLANESCAPE TORMENT, die sich sogar heute noch berechtigterweise einer grossen Beliebtheit erfreuen und teilweise als bahnbrechend galten. Das lag allerdings nicht an den grafischen Qualitäten - die waren eher bescheiden - noch an einer riesigen, begehbaren Open World, die Infinity Engine Games glänzten eher mit "inneren" Werten. Und das wird mit PoE hervorragend Fortgesetzt!

Präsentation

Wie bereits erwähnt gehört die Präsentation nicht zu den überzeugendsten Verkaufsargumenten. Minimalismus ist King, und obwohl Obsidian doch etwas mit der Zeit gegangen ist - was die Präsentation angeht liegen zwischen BALDUR'S GATE und PILLARS OF ETRENITY Welten - war PoE technisch zur Zeit seiner Erscheinung bereits nicht mehr auf dem Stand der Zeit.

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Grafik (Ausreichend)

Ganz hübsch ist was mir auf dem ersten Blick einfällt. PoE ist ein Isometrisches RPG mit "Pseudo"-3D Grafiken, die aber keine wirkliche Interaktion mit der Umgebung zulässt im Gegensatz zu z.B. DIVINITY: ORINAL SIN. So haben Erhöhungen und Abgründe keinerlei spielerische Auswirkungen, ein Bogenschütze der sein Ziel von einem Hügel beharkt hat keine Vorteile und Gegner lassen sich nicht in den Abgrund schubsen. Generell ist die Spielwelt etwas "statisch": NPCs stehen wie angewurzelt rum - Tag und Nacht.

Schön gezeichnet und zweckmässig mit sauberen Animationen und einer maximalen Auflösung von 1960 x 1080 - der Standard eben. Der düstere Stil sagt mir persönlich sehr zu - im Gegensatz zum knallbunt Look von DIVINITY: ORIGINAL SIN, das ist aber Geschmackssache und mag dem einen oder anderen etwas zu eintönig erscheinen. Immerhin lässt sich die Ansicht mittels Mausrad zoomen, allerdings geht es manchmal vor allem im Kampfgetümmel mit einer grösseren Gegnerschar mitunter sehr unübersichtlich zu.

Sound (Ausreichend)

Ebenfalls unspektakulär kommt die Geräuschkulisse daher. Die ist spärlich und erfüllt lediglich ihren Zweck.

Wesentlich besser schneidet die musikalische Untermalung ab - diese ist durchweg gelungen, wiederholt sich allerdings ein bisschen schnell.

Vertonung (Mangelhaft)

Wie bei von meisten Infinity Engine Spielen gewohnt sind die Dialoge nicht komplett vertont, sondern immer nur auszugsweise. Das ist teilweise sehr nervig, besonders wenn der erste Teil der langen Konversation vertont wurde, der zweite und dritte Teil jedoch nicht, dafür aber aus unerklärlichen Gründen wieder der vierte Teil. Die Nicht-Dialoge zwischen den Dialogen (also z.B. "blabla" sagte er und schaute hoch... "blabla") sind ebenfalls nicht vertont - da weiss man wieder was man an dem Erzähler aus DIVINITY: ORIGINAL SIN 2 hat - und die Sprecher der Dialoge machen hier auch keine Pause, was teilweise wirklich stört. Die Spielfigur bleibt während des gesamten Spielverlaufs stumm, wie in SKYRIM.

Gameplay

Wer die Infinity Engine Spiele kennt findet sich leicht zurecht: man steuert zunächst einen selbstkreiierten Helden (oder Heldin), dabei wählt man aus Genre-typischen Rassen und Klassen aus, legt Charakterwerte wie Stärke und Intellekt fest, die nicht nur bei Kämpfen beeinflussen wieviel Schaden wir anrichten, sondern auch mehrere Optionen in Dialogen freischalten. Während des späteren Spielverlaufs kommen noch bis zu 5 Begleiter hinzu, diese können wir aus vorgefertigten NPCs rekrutieren (die auch ihren eigenen Handlungsstrang haben und das Spielgeschehen oft kommentieren) oder wir basteln uns die restlichen Begleiter in einer Taverne im Stil der Hauptfigur selbst zusammen. Theoretisch kann man also das Spiel mit bis zu 6 selbst erstellten Charakteren durchspielen, dadurch geht allerdings sehr viel an Atmosphäre verloren, da diese wie die Hauptfigur stumm bleiben und den Spielverlauf nicht kommentieren. Auch auf die zahlreichen NPC-spezifischen Nebenmissionen muss man dann verzichten.

Bedienung (Gut)

Wer die Infinity Spiele kennt dürfte sich schnell zurecht finden. Es gibt auch viele Verbesserungen was den Komfort angeht: z.B. leuchten bei gedrückter TAB-Taste alle Gegenstände auf der Karte auf, mit den agiert werden kann. Der beste Freund bei den in Echtzeit ablaufenden Kämpfen ist wie bisher die Leertaste, mit der sich das Spiel jederzeit pausieren lässt. So lassen sich jeder Spielfigur in Ruhe Kommandos geben. Auch reagieren die Spielercharaktere und NPCs jetzt wesentlich besser und intelligenter als in z.B. BALDUR'S GATE.

Ein hervorragendes Tutorial und Nachschlagewerk erleichtert Neulingen den Einstieg und erklärt die Steuerung ins Detail.

Zugänglichkeit (Gut)

Eins vorweg: Oldschool bedeutet auch hier: Charakterwerte und Regelwerke und kein simples "Hau-Druff" wie in SKYRIM oder DIABLO 3. Für alle denen jetzt die Haare zu Berge stehen und denen vor dem Studium eines 500 Seiten Regelkompendiums graut kommt die Entwarnung: alles wird on-screen erklärt. Schlagworte sind speziell gehighlighted und zeigen eine zusätzliche Erklärung an sobald man mit der Maus darauf klickt. Ein ausführliches Nachschlagewerk gibts auf Knopfdruck auch, in dem man alles nachlesen kann.

Komplexität (Gut)

PILLARS OF ETERNITY bietet 5 Schwierigkeitsgrade, vom "Story Mode" bis hin zum "Path of the Damned" und einem zuschaltbaren Hardcore mode, und ist somit sowohl für blutige Anfänger als auch Profis geeignet. Schon auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad (Normal) sind die Kämpfe sehr fordernd und erfordern taktisches Vorgehen, sorgfältigen Einsatz der -hoffentlich - gut zusammengestellten Truppe. Bestimmte Gegnertypen sind gegen bestimmte Angriffe immun oder resistent - dafür kann ich meine Figuren mit zwei (später auch mehreren) Waffensets ausrüsten, zwischen denen ich per Knopfdruck auch während des Kampfes schnell wechseln kann, sollte ein Feind beispielsweise gegen scharfe und Stichwaffen resistent sein, gibt's eben haue mit dem Morgenstern.

"Was muss ich jetzt eigentlich als nächstes tun?" Abschnitte gibt es nicht, auf Knopfdruck öffnet sich ein Tagebuch mit allen aktuellen und abgeschlossenen Quests und einer Zusammenfassung was zu tun ist. Auf genaue SKYRIM/WITCHER 3-typisches "Händchenhalten" wurde glücklicherweise verzichtet: es gibt kein Geralt-GPS und es erscheint auch kein Prompt "drücke jetzt Taste X". Allerdings braucht auch niemand die extreme Komplexität älterer Ultra-Hardcore RPGs fürchten (Ultima Serie), alle Aufgaben sind stets lösbar, oftmals auf unterschiedliche Weise und extreme Kopfnüsse gibt es auch nicht...

Story und Handlung (keine Spoiler) (Gut)

Also, ich persönlich fand die Story wirklich gelungen, es geht um (fiktiv) religiöse und soziale Themen, die perfekt in die Handlung eingebettet wurden und nicht aufgesetzt wirken.

Allerdings sollte man viel Geduld mitbringen und sehr viel Lesewillen, den die (grösstenteils) unvertonten Texte erreichen schon die epischen Ausmasse von Tolkien's HERR DER RINGE Trilogie. PILLARS OF ETERNITY ist kein Spiel für "Zwischendurch", bietet aber ein unvergessliches Erlebnis wenn man sich darauf einlässt und erlaubt einen das Eintauchen in eine sehr gut durchdachte Welt. Die Texte sind sehr gut geschrieben und haben die Qualität eines sehr guten Romanes.

PoE ist keine Umsetzung eines bekannten Pen & Paper Systems, sondern die komplette Spielwelt wurde von Grund auf neu erschaffen, und das sehr gut und detailliert, PoE verfügt über eine eigene Geschichte und Mythologie.

Atmosphäre (Gut)

Wer sich in den Bann ziehen lässt - und lesewillig ist - der kann auch richtig in die Welt eintauchen. Eine düstere Welt, und doch voller Schönheit. Klar kann ein Iso-Spiel sicher nicht die Immersion eines 3D Spiels erreichen, aber das stört bei den fordernden Kämpfen und der gelungenen Story wenig.

Viele verschiedene Schauplätze und Monstertypen, die aber nicht zu abgedreht wirken und (bis auf ein paar Ausnahmen) gut in die Spielwelt integriert wurden, sorgen für die nötige Abwechslung.

Spieldesign (Gut)

Relativ simpel und leicht zu erlernen. Erkundung, Dialoge und taktischeKämpfe sowohl die altbekannte Sammelwut von Gegenständen und Handel sind gut umgesetzt, später bekommen wir noch ein Schloss, dass wir erstmal instand setzten müssen und uns später als Basis dient. Nicht optimal umgestetzt wurden allerdings die Angriffe auf dieses Schloss im späteren Spielverlauf, diese sind Zufallsevents, die wir entweder vollautomatisch abwickeln können (nicht zu empfehlen, da dabei grundsätzlich immer mühsam erbaute Gebäude beschädigt werden, die dann erst zeitintensiv neu erbaut werden müssen) oder wir kümmern uns persönlich darum (und reisen dazu extra an). Teilweise geschehen diese Zufallselemente zu den ungünstigsten Zeitpunkten, sodass man ziemlich weit reisen muss, dann auch mal gerne zwei Mal hintereinander, gerade als ich wieder an den Ausgangsort zurückgekehrt bin. Das ist kein Einzelfall sondern passiert häufig und nervt nach einer Weile einfach nur. Abschalten oder irgendwie regeln lassen sich diese Events leider nicht.

Auch lässt die Engine nicht wirklich viel Interaktion mit der Spielwelt zu: die meisten Entscheidungen treffen wir in Konversationen, in der Spielwelt selber können wir nicht viel eingreifen, ein Ausnutzen der Landschaft und der Physik z.B. in Kämpfen ist nicht möglich, viele Auseinandersetzungen sind fest in ihreren Lösungswegen vorgegeben und erlauben nur den Kampf als Lösungsweg, wobei aber auch oft Diplomatie hilft.

Etwas störend sind auch das fehlen von kleinen Details: z.B. wirkt sich der Tag und Nachtzyklus nicht auf die Spielwelt aus: Shops sind durchgehend geöffnet.

Umfang (Sehr Gut)

Bloss nicht von der Iso-Perspektive täuschen lassen - was den Umfang angeht steckt PoE so manches 3D Spiel in die Tasche. Ich habe mehr als 100 Stunden in PoE verbracht und die beiden DLCs noch nicht einmal angefangen.

Fans von Dungeon-Crawlern (zu denen ich zähle) erwartet unterhalb der eigenen Burg eine besondere Überraschung: ein Riesen-Dungeon zum freien erkunden im Diablo 1 Stil (nur ohne den Zufallsfaktor).

Viele Optionen und Lösungswege laden zum erneuten Durchspielen ein - ich habe gut 100 Stunden fürs erste Durchspielen gebraucht - und viele Quests sorgen für sehr viel Spielzeit.

Langzeitmotivation (Sehr Gut)

Ich empfand PoE extrem motivierend, das Spiel hat eine immense Sogwirkung - wenn man sich auf die enorme Textflut einlässt - und ist dementsprechend episch angelegt. Damit traf PoE genau meinen Geschmack, sehr sehr viele Stunden sind garantiert. Abwechslungsreiche Schauplätze, von Städten bis Küstenregionen und Wäldern und dem erwähnten Riesen-Dungeon motivieren einfach und laden zum fröhlichen Erkunden ein (pah! wer braucht schon First Person 3D?), die NPCs verfügen im Gegensatz zu manch anderem RPG über Persönlichkeit und sind sehr gut geschrieben. Erfreulicherweise hat man das RPG-typische Charaktersystem nicht auf ein dürres Minimum abgespeckt, sodass auch viele verschiedene Builds möglich sind - fröhliches experimentieren, inklusive ReSpec-Option in jeder Taverne. "Basen"bau (oder besser Burgbau) sind eine nette Zugabe.

Für wen ist PILLARS OF ETERNITY?

PoE richtet sich in aller erster Linie an die Fans der oben erwähnten Oldschool Infinity Engine Spiele aus den späten 90er Jahren. Wer diese kennt und mochte wird PILLARS OF ETERNITY bestimmt lieben. Wer unter RPG aber soetwas wie SKYRIM oder DIABLO versteht dürfte ziemlich enttäuscht sein, den auch wenn PoE sehr kampflastig ist, steht Action nicht im Vordergrund, sondern LESEN. Und zu lesen gibt es wirklich sehr viel. Sehr sehr viel. Die Kämpfe erinnern ein bisschen an die Echtzeit-Strategiespiele aus den 90ern, wie WARCRAFT 2, laufen also "indirekt" ab, d.h. man haut nicht wie in DIABLO selber zu, sondern sagt den Figuren nur wen sie wie vermöbeln sollen.

Fazit

Ich gebe PILLARS OF ETERNITY eine 90, somit reiht es sich in meiner persönlichen Favoritenliste auf Platz 3 hinter DARKEST DUNGEON und THE WITCHER 3 ein, auch wenn es sich nicht wirklich mit dem Hexer direkt vergleichen lässt. PoE ist definitiv Referenzmaterial, wenn auch nicht für Jedermann, ich habe aber sehr sehr viel Zeit in PoE verbracht, sodass eine derart hohe Wertung definitiv gerechtfertigt ist, auch bei einigen Schwächen, die jedoch zu vernachlässigen sind. Für echte Rollenspielfans ist PoE ein absoluter Pflichtkauf.


Wertung
Pro und Kontra
  • riesiger Umfang
  • hervorragendes, detailliertes Charaktersystem
  • viele spielerische Freiheiten
  • viele verschiedene Lösungswege
  • viele abwechslungsreiche Schauplätze
  • interessante und detaillierte Welt und Story
  • Grafik bereits bei Erscheinen nicht auf dem Stand der Technik
  • nur Bruchteile von Dialogen vertont
  • Party lässt sich nicht splitten (beim Verlassen einer Karte)
  • wenige Eingreifsmöglichkeiten in die Umgebung
  • kein taktisches Ausnutzen der Physik oder Spielumgebung

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(1)
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