Theoretisch betrachtet: No Thing - Töte den Boten

Eine Nachricht zur Eiskönigin bringen? An sich eine ehrenwerte Aufgabe – allerdings nicht für die unterdrückte Arbeitsdrohne eines totalitären Regimes. No Thing ist psychedelisches Cyber-Drama par excellence, ein surreales Mistspiel, in dem ich nichts mache außer rennen, stürzen und mich schlecht fühlen. Und gerade das motiviert.

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No Thing führt uns an die Grenzen des Erträglichen. Also wollen wir es dem verdammten, höhnischen, demoralisierenden Drecksspiel erst recht beweisen! No Thing führt uns an die Grenzen des Erträglichen. Also wollen wir es dem verdammten, höhnischen, demoralisierenden Drecksspiel erst recht beweisen!

Die roboterhafte Stimme schnarrt in meinen Ohren: »Level 01, unterster Helfer. Du musst eine Nachricht zur Eiskönigin bringen.« Damit sind die Parameter meiner Reise auch schon gesetzt. Ich bin ein Niemand, trotzdem muss ich eine wichtige Nachricht zur (scheinbaren) Herrscherin bringen. »Jemand musste Josef K. verleumdet haben...«, schießt es mir in den Kopf. Denn wie der Protagonist von Franz Kafkas Romanklassiker »Der Prozess« werde auch ich ohne Erklärung inmitten einer obskuren Welt ab- und zugleich in andauernder Bewegung festgesetzt.

Ab jetzt kann ich nur noch rennen. Nicht verschnaufen, nicht stehenbleiben, ich werde sogar immer schneller. Während Josef K. durch das Labyrinth der Bürokratie irrt, hetze ich in No Thing durch tatsächlich labyrinthische Levels. Zwar habe ich ein Ziel, das Spiel lässt mich aber in vollendeter Unklarheit darüber, wieso ich zur Eiskönigin eile, welche Botschaft ich trage, was das Ganze soll.

Wie passend, auch bei Kafka bellt ein Gerichtsscherge auf die Frage nach dem Grund für K.'s Verhaftung: »Wir sind nicht bestellt, Ihnen das zu sagen. Das Verfahren ist nun einmal eingeleitet und Sie werden alles zur richtigen Zeit erfahren. Ich gehe über meinen Auftrag hinaus, wenn ich Ihnen so freundschaftlich zurede.« Auch von No Thing habe ich wenig Mitgefühl zu erwarten. Im Gegenteil.

Der Autor
Maximilian Schulz (27) hat in Berlin studiert. Das Uni-Hauptgebäude an der Hardenbergstraße besteht aus schier endlosen Korridoren. Wer sich hier vor einer Vorlesung noch schnell etwas zu essen aus der Cafeteria holen möchte, der muss weit gehen, vielleicht sogar rennen und vor allem häufig Haken schlagen. Mit einer wichtigen Mission im Kopf einfach los zu sprinten, ist also nichts Neues für Max. Nur das Frustpotenzial hält sich an der Uni glücklicherweise in Grenzen.

Theoretisch betrachtet
In seiner Serie "Theoretisch betrachtet" widmet sich Max vermeintlich kleinen Spielen, die erzählerisch oder atmosphärisch andere Wege gehen. Hier die vorigen Serienteile:
Narcosis - Die nasse Hölle
The Signal from Tölva - Fantastische Open World
The Magic Circle - Die Rache der Betatester
Maize - Mindfuck im Maisfeld
Beholder - In den Klauen des Stasi-Hausmeisters
Diaries of a Spaceport Janitor - Der Müll der anderen
Elegy for a Dead World - Die interstellare Klagemauer
Event[0] - Kann eine KI hassen?
Quadrilateral Cowboy - Das ultimative Hacker-Spiel
Asemblance - Und täglich grüßt das Merkesdir

Mein Feind

Der ewige Begleiter meines Marathons ist der Kommentator, gleichzeitig Erzähler einer Geschichte, die laufend an mir vorüberzieht. Im Rausch aus den wirren, sich andauernd verändernden Farben der surrealen, bruchstückhaften Spielwelt zerfasert die sonore Maschinenstimme zum Hintergrundrauschen. Überhaupt, der Rausch: No Thing ist wahrhaft psychedelisch, es versetzt mich in eine Art Trance - und möchte zugleich in keinem Fall, dass ich ans Ziel komme.

Das Spiel scheint nur dafür gemacht, dass ich aufgebe, scheitere, und so spiele ich niemals länger als 20 Minuten am Stück. Die Monotonie des Wirrwarrs regt mich auf. Ganz am Boden der Gesellschaft, gefangen in der ständigen Wiederholung, im ewigen Limbus der Sinnlosigkeit schickt mich No Thing auf einen spielerischen und atmosphärischen Höllentrip.

Ich bin der unterste Diener einer gesichtslosen Bürokratie. Ich bin der unterste Diener einer gesichtslosen Bürokratie.

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