Seite 4: »Angst, zu sein wie Sebastian B.« - GameStar-Interview: Was geht in jungen, computerspielenden Männer vor?

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Fabian: …und nicht um einen virtuellen Trainingsplatz für Amokläufe, wie die Boulevardpresse gerne behauptet.

Alexander: Was sollte man da auch trainieren? Jeder, der einen halbwegs funktionierenden Orientierungssinn hat, kennt seine eigene Schule sowieso in und auswendig, weil er dort Jahre seines Lebens verbringt. Abgesehen davon, dass es in dieser Map dann keine Lehrer und keine Schüler sondern höchstens Terroristen, Geiseln, Polizisten und eventuell Hühner gibt, macht es also keinen Sinn, dort mit Maus und Tastatur das Schießen zu üben. Nein, es geht wirklich nur um's Mappen und um das vertraute Szenario. Es geht dementsprechend in einem Mapping-Forum auch nur um Fragen wie »Wie erstelle ich eine Buyzone für CS?« und nicht um »Hey, ich würde mal gern meine Lehrer abschießen, wie geht das?«. Man diskutiert über Polygoncounts, über Texturen und so weiter, denn am Ende will man ja eine Art Kunstwerk abliefern, und das sollte so echt und realistisch aussehen wie möglich.

Fabian: Apropos realistisch aussehen: Wie Sebastian hast auch Du mit Freunden hobbymäßig einen Actionfilm gedreht.

Alexander: Das war peinlicher als die erste Folge Raumschiff GameStar.

Fabian: Das geht?

Alexander: Allerdings. Während meines Praktikums haben wir die Aufgabe gehabt, einen Film zu drehen. Also habe ich mit 20 anderen Jugendlichen einen zehnminütigen Drogen-Ballerei-Ketchup-Videoclip gemacht. Wir haben einfach alle Softair-Waffen genommen, die wir zusammenkratzen konnten, die schlechtstmögliche schauspielerische Leistung abgeliefert und uns gegenseitig über den Haufen geschossen. Am Ende waren alle außer einem tot und wir haben versucht, daraus eine Moral für den Abspann zu basteln. Wir fanden es dann aber doch lustiger, den letzten Überlebenden von einem Auto überfahren zu lassen. Wir haben sogar irgendeinen Schülerpreis dafür gewonnen, obwohl wir die Teilnehmer anderer Einsendungen bei der Präsentation ziemlich geschockt haben. Der Film war mehr als lächerlich, genauso lächerlich, wie Sebastians Videos heute auch wirken würden, hätte er nicht diese Tat begangen. Im Nachhinein wirkt das natürlich wie eine Ankündigung, aber es erwartet ja auch keiner, dass die Filmtruppe und ich nun Amoklaufen werden, nur weil wir so ein Video gedreht haben. Man muss ja nur mal schauen, wie viele solcher Clips es bei YouTube gibt – und deren Darsteller sind auch nicht alles Amok-Kandidaten, sondern eher auffällig schlechte Regisseure mit meistens genauso wenig Talent und Ahnung wie wir damals.

Fabian: Also alles halb so schlimm mit der Gewalt in Spielen, Filmen, selbstgemachten Videos?

Alexander: Nicht ganz. Ich schätze, dass ich mir durch Ego-Shooter die Tötungshemmschwelle tatsächlich ein Stück weit abtrainiert habe. Es ist einfach so, dass ich aus der Egoperspektive das Gefühl habe, selbst zu handeln. So tauche ich intensiver ein, als ich das in anderen Spielen tun würde. Und wenn man in Half-Life 2 eine Brechstange nimmt und Alyx damit ins Gesicht haut, nur um zu sehen, was passiert, hat man eine persönliche Grenze überschritten.

Fabian: Auf die Idee bin ich nicht gekommen, dafür sieht mir Alyx wohl zu echt aus.

Alexander: Es ist zwar alles virtuell und nicht ganz glaubwürdig, aber Alyx ist Teil dieser Welt und man selbst in diesem Moment halt auch. Und wer hat es sich schon verkneifen können, dem Sergeant in Americas Army in den Fuß zu schießen, nur um den Gefängnislevel zu sehen?

Fabian: Okay, das habe ich in der Tat ausprobiert.

Alexander: Ob man sowas jetzt aus Spaß macht oder aus Neugier ist nicht einmal so wichtig, aber der Einfluss, den so eine Handlung auf Kinder hat, ist meiner Meinung nach möglicherweise gefährlich. Ich bin mir sicher, ich hätte mir niemals vorgestellt, meinen Peiniger von damals zu erschießen, wenn ich nicht Ego-Shooter gespielt hätte. Und jetzt nimm einen wie mich damals, lass ihn ein paar echte Waffen daheim haben und mach ihn systematisch fertig. Seelisch, körperlich oder beides, und das lang genug. Das muss doch früher oder später schief gehen. Bei Volljährigen mag das anders sein - wenn die Kindheit in Ordnung war, kann danach sicherlich viel kommen. Deshalb bin ich dagegen, wenn Minderjährige Shooter spielen. Davon mal abgesehen nerven die in Spielen wie CS auch, weil sie ständig Unsinn schreiben.

Fabian: Du sprichst von »Dir damals«. Was ist im Vergleich dazu bei »Dir heute« anders?

Alexander: Ich bin auf jeden Fall ruhiger geworden, habe viel nachgedacht, einen Job, der mir Spaß macht, ein funktionierendes soziales Umfeld und nicht zuletzt eine Freundin. Freundinnen sind ein guter Rückhalt ins wahre Leben, so dass Du dort nicht verarmst, während Dein Computerspiel-Alter-Ego in virtuellem Gold schwimmt. Frauen haben häufiger Recht, als wir Männer manchmal wahr haben wollen. Den letzten Drink, der aus einer Partykanone eine peinliche Erinnerung macht, den erkennt nur eine Frau. Deine zulässige Höchstgeschwindigkeit beim Autofahren wird Dir Deine Beifahrerin mitteilen. Und die Softair, die Deine soziale Akzeptanz ins Bodenlose fallen lässt, die wird sie Dir zu Deinem eigenen Glück verbieten, genauso wie eben zuviel vor dem PC zu sitzen. Vielleicht ist es das, was Männer ausmacht: Etwas zu Ende bringen zu wollen, was man nie hätte anfangen müssen.

Fabian: Ich danke Dir für dieses Gespräch.

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