Über 48.000 Beschwerden: ARD und ZDF werden mit Anschreiben geflutet, die seltsam gleich klingen

Correctiv-Recherchen haben ergeben, dass die öffentlich-rechtlichen Sender seit einem Jahr von Beschwerden überflutet werden. Innerhalb der große Masse blitzt ein auffälliges Muster hervor.

Die öffentlich-rechtlichen Sender werden seit rund einem Jahr massenhaft von Beschwerden überrannt. Was steckt dahinter? (Bildquelle: ARD) Die öffentlich-rechtlichen Sender werden seit rund einem Jahr massenhaft von Beschwerden überrannt. Was steckt dahinter? (Bildquelle: ARD)

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF erleben seit Mitte 2024 eine beispiellose Welle von Programmbeschwerden, die sowohl durch ihre schiere Anzahl als auch durch ihre auffällige Gleichförmigkeit für Aufsehen sorgt.

Wie Recherchen des Medienhauses Correctiv zeigen, verzeichnete das ZDF innerhalb weniger Monate rund 17.000 Beschwerden – mehr als zehnmal so viele wie im Vorjahr. Bei der ARD gingen im selben Zeitraum sogar 31.000 Beschwerden ein.

Hinter dieser koordinierten Aktion steht eine Internetplattform, die gezielt zum Abfassen von Massenbeschwerden aufruft und deren Betreiber bereits in der Vergangenheit durch fragwürdige Geschäftspraktiken aufgefallen ist.

Was sind Programmbeschwerden und wie funktionieren sie?

Programmbeschwerden sind ein rechtsstaatliches Instrument, das allen Bürgern zur Verfügung steht. Sie ermöglichen es, Verstöße gegen gesetzlich festgelegte Programmgrundsätze des Fernsehens, Hörfunks oder Online-Angebote zu rügen. Diese Grundsätze umfassen unter anderem die Achtung der Menschenwürde, journalistische Sorgfaltspflichten und die Beachtung der Rechtsordnung.

Damit eine formale Programmbeschwerde wirksam wird, muss sie bestimmte Kriterien erfüllen. Sie kann nur zu bereits ausgestrahlten Sendungen eingereicht werden – zur allgemeinen Arbeitsweise oder Programmstruktur der Sender ist eine solche Beschwerde nicht zulässig. Die Beschwerden werden an den Rundfunkrat der jeweils verantwortlichen Landesrundfunkanstalt addressiert.

Koordinierte Kampagne: Eine einzige Plattform als Beschwerdemaschinerie

Die aktuelle Beschwerdeflut unterscheidet sich fundamental von den üblicherweise eingehenden Nachrichten. Drei Merkmale deuten laut Correctiv auf eine systematische Störaktion hin.

  • So stammt ein Großteil der rund 48.000 Beschwerden von der 2024 gegründeten Plattform »Rundfunkalarm«. Die Dunkelziffer dürfte indes höher liegen; Beschwerden sind auch bei anderen Landesrundfunkanstalten eingegangen.
  • Laut Sprechern beider Sender gleichen sich diese Beschwerden »bis ins Detail« und verwenden häufig identische Formulierungen mit Vorwürfen mangelnder Ausgewogenheit, »Propaganda« oder Kritik an der Corona-Berichterstattung.
  • Viele Eingaben enthalten keine E-Mail-Adressen, sondern nur Postanschriften, was einen Dialog praktisch unmöglich macht.

Gegenüber dem Spiegel erklärte eine ZDF-Sprecherin hierzu:

»Ein erheblicher Teil der Beschwerden stammt von Gegnern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dies trifft vor allem auf konzertierte Massenbeschwerden wie die über ›rundfunkalarm.de‹ zu.«

Die Plattform Rundfunkalarm bietet ihren Nutzern vorgefertigte Musterschreiben und Textbausteine an, um das Einreichen von Beschwerden zu vereinfachen. Nutzer finden dort Themenvorschläge mit Titeln wie »Hayali muss weg« oder »Corona-Märchen bei Lanz«. Das System ermöglicht es, mit wenigen Klicks Beschwerden in großer Anzahl zu generieren und abzusenden.

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Ein Unternehmer als Strippenzieher: Bönig der Beschwerden

Als Initiator der Beschwerdeaktion tritt dem Correctiv zufolge Markus Bönig auf, ein Unternehmer, der bereits während der Corona-Pandemie durch umstrittene Geschäftspraktiken bekannt wurde.

  • Bönig verkaufte damals gegen Entgelt »Impfunfähigkeitsbescheinigungen«, die Kunden ohne persönlichen Arztkontakt (via Volksverpetzer) erhielten.
  • Ausreichend hierfür war lediglich die Angabe von Unsicherheiten bezüglich möglicher Allergien gegen Impfstoffbestandteile.

Heute agiert Bönig laut Correctiv als Direktor mehrerer Plattformen, darunter das bereits genannte »Rundfunkalarm« oder »Beitragsblocker«. Letztgenanntes verspricht »anwaltlich erarbeitete Schreiben«, mit denen sich Personen angeblich gegen die Zahlung des Rundfunkbeitrags wehren können.

Seine Unternehmen sind in den Niederlanden registriert – die niederländische »Redcap B.V.« und die »Stichting Rudulin«. Nach eigenen Angaben wählte er diesen Standort, um »mehr Handlungsspielraum« bei juristischen Auseinandersetzungen zu haben und sich vor angeblicher »Willkür und Zensur« zu schützen.

Bönig rechtfertigt sein Vorgehen mit der Behauptung, der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe sich »in den vergangenen Jahren, mindestens seit der Corona-Zeit, vollständig von journalistischen Standards verabschiedet« und agiere als »einseitig ideologisch gefärbte Erziehungsanstalt im Staatsauftrag«.

Auswirkungen auf die Rundfunkanstalten

Die Beschwerdeflut verursacht bei ARD und ZDF ein extrem hohes Arbeitsaufkommen, wie Sprecher gegenüber dem Spiegel und weiteren Medien betonen. Wichtige Ressourcen werden für die Bearbeitung der massenhaft eingehenden, oft standardisierten Anliegen blockiert.

Diese gezielten Massenbeschwerden treffen auf ÖRR-Sender unter Spardruck, bei denen viele Programme auf der Kippe stehen – oder schon beendet wurden. Darunter befindet sich auch Game Two:

Correctiv bezeichnet das Phänomen indes als »digital orchestrierte Kampagne«, da die Beschwerden nicht aus der Eigeninitiative einzelner Zuschauer entstehen, sondern systematisch generiert werden.

  • Bönigs Registrierung seiner Unternehmen in den Niederlanden, während er gegen deutsche Institutionen agiert, wirft laut Correctiv zusätzliche Fragen bezüglich seiner Glaubwürdigkeit und Motivation auf.
  • Seine Begründung, in Deutschland würden »kritisch kommunizierende« Menschen »verfolgt und zensiert«, steht im krassen Widerspruch zu seiner gleichzeitigen Präsenz in deutschen Medien und sozialen Netzwerken.

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Gegenüber dem Spiegel betonte die ZDF-Sprecherin dennoch, dass konstruktive und sorgfältig zusammengetragene Beschwerden von Menschen, die dem Sender grundsätzlich positiv zugewandt sind, weiterhin erwünscht seien und zur Qualitätsverbesserung beitragen könnten. Das Problem bestehe in der schieren Masse und der mangelnden Substanz der aktuellen Beschwerdeflut.