Twitter heißt jetzt X – aber welchen Plan verfolgt Elon Musk damit wirklich?

Schweizer Taschenmesser fürs Internet: Twitter heißt jetzt X – und Elon Musk hat gigantische Pläne.

Elon Musk hat einen Traum. Aber träumt der Westen mit? (Bild-Quellen: lesslemon über Adobe Stock und marcinpasnicki über Pixabay) Elon Musk hat einen Traum. Aber träumt der Westen mit? (Bild-Quellen: lesslemon über Adobe Stock und marcinpasnicki über Pixabay)

»Die App für alles«. Mit diesen Worten umschreibt Elon Musk, was er mit Twitter in der Mache hat. 

Ein Blick nach Osten: In unseren Breitengraden kennen nur die Wenigsten die chinesische App »WeChat« (oder »Weixin«, wie die App in China heißt). Dermaßen fest integriert in das alltägliche, digitale Leben Chinas ist WeChat, dass von der Super-App verbannte Chinesinnen und Chinesen der »Digitale Tod« nachgesagt wird (wie The Guardian es formuliert). 

Soziales Netzwerk, Messaging-Dienst, Rechnungen bezahlen, Abo kaufen und kündigen, Essen liefern lassen, Zugticket buchen: Das alles und noch viel mehr ist mit WeChat möglich und wird fleißig gemacht. 

Die App zählt monatlich 1,2 Milliarden Userinnen und User. Zum Vergleich: China hat ungefähr 1,4 Milliarden Einwohner. Die Zahlen verdeutlichen, wieso in China die Wörter »WeChat« und »Internet« nahezu austauschbar sind.

Keine steile These, sondern Fakt: Elon Musk hechelt mit seiner visionierten Super-App X dem magischen Dreiklang aus Fernost hinterher: Online-Bezahlungen, Medienkonsum und Messaging. Das große Vorbild lautet WeChat. 

Änderungen, wie deutlich längere Textbeiträge, oder die Möglichkeit, Videos in Spielfilmlänge hochzuladen, die seit Musks Übernahme an Twitter vorgenommen wurden, gingen bereits vor der Umbenennung mehr in Richtung Allzweck-App.

Aber ist das fragwürdige Ideal WeChat in unserer westlichen Welt einholbar – oder gar: erstrebenswert?

Dieser Kernfrage nimmt sich dieser Artikel an.

Rückschau: Elon Musk benennt Twitter in X um

Erst letztes 2022 hat Elon Musk Twitter für 44 Milliarden US-Dollar gekauft. Letzte Woche hat Musk den von ihm einkassierten Microblogging-Dienst in X unbenannt.

Ein einziger Buchstabe für eine App, die künftig das Internet der westlichen Welt dominieren soll?

Musk macht aus seinem Masterplan kein Geheimnis, denn er twitterte am 25. Juli dieses Jahres:

»Twitter wurde von der X Corp. übernommen, […] um die Entwicklung von X, der App für alles, zu beschleunigen.« 

Blicken wir zunächst zurück - und nach China: Seine Anfänge machte WeChat 2011 als WhatsApp-Kopie: ein schnödes Chat-Tool, mehr nicht.

Dann wurde WeChat auf dem Planeten Internet sowas wie Sauerstoff, wie es die Süddeutsche Zeitung formuliert.

Wer in China ein Smartphone nutzt, kommt um den Monopolisten WeChat nicht herum. Wer in China ein Smartphone nutzt, kommt um den Monopolisten WeChat nicht herum.

WeChat in seiner heutigen Form ist die Kopfgeburt des Tencent-Entwicklers Allen Zhang. Tencent selbst ist ein im Jahr 1998 gegründetes Technologieunternehmen, das heute zu einem der wichtigsten Tech-Playern überhaupt gehört.

Auch in der Welt des Gamings gehört Tencent zu den größten Konzernen. Korrektur: Tencent ist der größte Spielekonzern der Welt. Michael Graf hat dazu einen hörenswerten Podcast mit Unternehmensberater Human Nagafi aufgenommen.

Zurück zu WeChat: Allen Zhang soll CEO Pony Ma eine vergleichsweise einfache Mobile-App vorgeschlagen haben, in der die verschiedenen Dienstleistungen Tencents zusammengeführt werden (Forbes hat berichtet).

Heute ist WeChat eine allgegenwärtige App in China. So sehr, dass kleinere Apps, die auf WeChat aufsetzen, entweder direkt von Tencent selbst stammen oder auf Partnerschaften zwischen kleineren App-Unternehmen Tencent fußen.

Tech-Analyst Benedict Evans beschreibt für The Guardian, wie wir uns als westliche Menschen den digitalen Alltag mit WeChat vorstellen müssen: 

»Stell dir vor, du würdest Uber und Deliveroo vollständig in der Facebook-App nutzen. Anstelle einer Kreditkarte verwendest du [für Bestellung und Bezahlung] deine Facebook-Identität und dein Facebook-Zahlungskonto. Deinen Kaffee und dein U-Bahn-Ticket hast du so auch bezahlt.« 

Es geht also, wenig überraschend bei einem Tech-Kapitalisten wie Musk, um Geld. Und darum, dass Geld möglichst lange bei X Corp. verweilt.

Aber wie will das Team Musk dieses Ziel erreichen?

X als Plattform für alle Geldgeschäfte

Warum Musk einen kolossalen Wettbewerbsvorteil darin sehen könnte, wenn sich speziell Geldbewegungen auf einer Plattform abspielen, darüber bietet ein Zitat aus der kommenden Musk-Biografie von Walter Isaacson Aufschluss.

Isaacson ist als Autor der gefeierten Steve-Jobs-Biografie bekannt. In seinem Tweet zitiert der renommierte Schriftsteller Herrn Musk - und bietet Einblicke in seine Strategie: 

»Wenn du alle Gründe beseitigst, weswegen Verbraucher Geld aus einem System abziehen, dann ist das der Ort, an dem das ganze Geld ist. So machst du ein Multimilliarden-Dollar-Unternehmen.« 

Linda Yaccarino ist CEO von X Corp. Sie war ehemals verantwortlich für die Werbegeschäfte beim US-amerikanischen Medienunternehmen NBC Universal. Ihren Posten beim wichtigen Medienunternehmen hat Yaccarino mittlerweile niedergelegt, ist seit Mai dieses Jahres als CEO von X Corp. tätig.

Wenn neben Musk eine Person Einblicke ins Innerste von X Corp bieten kann, dann Yaccarino.

Einer der nächsten Schritte für X fallen in die Bereiche Bezahlvorgänge und Bankgeschäfte, wird Yaccarino bei The Guardian zitiert.

»X ist die Zukunft unbegrenzter Interaktivität - mit Schwerpunkten auf Audio, Video, Messaging, Bezahlen/Banking. Wir schaffen einen globalen Marktplatz für Ideen, Waren, Dienstleistungen und Möglichkeiten.« 

Aber auch Musk sagte selbst im All-In Podcast persönlich, wie er sich die Zukunft des damaligen Twitters vorstellt: 

»[…] ich denke, WeChat ist tatsächlich ein gutes Modell. […] Wenn du in China lebst, dann lebst du sozusagen in WeChat. Es macht alles. Es ist sowas wie Twitter plus PayPal plus viele weitere Dinge. Alles kommt aus einer Hand und hat ein großartiges Interface. Es ist eine großartige App. So etwas gibt es außerhalb Chinas nicht.« 

Wenige später sagt Musk im selben Podcast zu seinen Plänen einer Rundum-Sorglos-App: 

» […] So eine App muss nicht auf Twitter entstehen. Es kann auch von Grund auf neu erstellt werden. Es kann etwas Neues sein.« 

Dass Musk letztlich doch keine gänzlich neue Plattform aufsetzt, sondern auf die bestehende Twitter-Plattform aufsattelt, dafür spricht die aktuelle Umbenennung in X. 

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Warum gibt es im Westen keinen WeChat-Ableger?

Bruce Daisley, Twitters ehemaliger Europachef, hat 2018 Urlaub in China gemacht. Daisley war fasziniert von WeChat. Der Mann ist kein Einzelfall: In den Köpfen von Tech-Unternehmen geistert das Gespenst »WeChat für die westliche Welt« schon lange.

Laut Forbes liegt für die großen Tech-Unternehmen die Herausforderung vor allem darin, den Online-Zahlungsverkehrs eines WeChats nachzubauen. 

An dahingehenden Versuchen mangelt es nicht.

Dieser Vogel ist ausgestorben: das babyblaue Twitter-Vögelchen Dieser Vogel ist ausgestorben: das babyblaue Twitter-Vögelchen

Facebook hat’s mit seiner Kryptowährung Libra versucht – und ist gescheitert. Pinterest hat in Erwägung gezogen, sich von PayPal aufkaufen zu lassen. Die Idee wurde letztlich fallengelassen. Auch dahinter stand der Gedanke, einen funktionierenden Online-Zahlungsverkehr unterzubringen. Nicht zuletzt Instagram hat sein Angebot auf Shopping-Funktionen erweitert.

Forbes schreibt, die Bereitschaft der US-Bevölkerung, mobilen Zahlungen durchzuführen, sei deutlich niedriger als in China. Gemäß einer Studie machen 80 Prozent der Erwachsenen in China vom mobilen Bezahlen Gebrauch. In den USA tätigen vermutlich weniger als ein Drittel der Erwachsenen mobile Bezahlungen. 

Dieser scheinbare Nachteil könnte ein Vorteil für Musk sein. Nicht nur sind die US-Amerikaner weniger routiniert im mobilen Zahlen, auch das System für Online-Banking und -Bezahlvorgänge ist in den USA weniger stark entwickelt als in Europa oder dem Vereinigten Königreich (The Guardian hat berichtet).

Liegt hierin also die Chance für Musk, Yaccarino und Konsorten, mit dem neuen Twitter eine Online-Bezahlmethode für US-Amerikaner nicht nur zu etablieren, sondern auch beliebt zu machen?

Stellt man Scott Kennedy diese Frage, dann ist sowas wie WeChat im Westen nicht umsetzbar.

Kennedy ist leitender Berater für chinesische Unternehmen und Wirtschaft am »Zentrum für strategische und internationale Studien« (kurz: CSIS). Er sieht X kritisch, denn er sagt in Forbes

»Einer der Kritikpunkte an WeChat sind die monopolistischen Tendenzen. Auch bei Facebook, Apple und anderen hegen wir diese Bedenken. Ich denke, eine Super-App würde in den Vereinigten Staaten auf kartellrechtliche und wettbewerbsrechtliche Hindernisse stoßen.«

X markiert die Gefahr: Eine bedenkliche Super-App nach chinesischer Bauart?

Wäre da noch die Frage nach der Sicherheit eines WeChats seine Nutze, die, da ist sich auch Amnesty International einig, sehr bedenklich ist.

Yaquiu Wang, eine in der Süddeutschen Zeitung zitierte China-Expertin von Human Rights Watch, sagt, WeChat sei eine ...

»[…] Super-App, die das komplette Leben der Chinesen in ein schwarzes Loch saugt, wo sie die Nutzer für die Kommunistische Partei Chinas zensiert und überwacht […] Auf X wird dann wohl Elon Musk das Äquivalent zur KP sein.« 

Musk twitterte am 25. Juli Anlässlich der Umbenennung seines Kurznachrichtendienstes: 

»Twitter wurde von X Corp übernommen, um die Meinungsfreiheit zu gewährleisten […]« 

Eine Meinungsfreiheit, die dann vor allem von Elon Musk definiert wird, einem Mann, der Hassrede und Desinformation seit seiner Twitter-Übernahme eine breite Plattform bietet (Golem hat berichtet).

Das ist mindestens bedenklich - und maximal gefährlich.

Wie geht's mit X weiter?

Stimmt das frisch getaufte X also den medialen Dreiklang aus Online-Bezahlungen, Medienkonsum und Messaging nach chinesischem Vorbild an? 

WeChat existiert seit mittlerweile knapp 10 Jahren. Elon Musk hat Twitter vor ungefähr zwei Wochen in X umbenannt. Sind also 52 Wochen abzuwarten, um zu sehen, ob X im Jahre 2033 mit WeChat Anno 2023 gleichauf ziehen kann. 

Ein kurzes Jonglieren mit Zahlen: 1,2 Milliarden Nutzer hat WeChat. 1,4 Milliarden Einwohner leben in China. Nordamerika beherbergt 580 Millionen Einwohner. Europa nicht mal ganz 750 Millionen.

Wenn Musk also jeden einzelnen Europäer und jede einzelne Europäerin erreicht, hätte er mit 1,3 Milliarden Nutzern die 1,2 Milliarden von WeChat geknackt (Bevölkerungswachstum nicht mitgerechnet). 

Vielleicht kann Musk aber auch niedriger stapeln: Der Anteil der in China lebenden Nutzer liegt bei nur 800 Millionen. 

Andererseits: Ob X noch in einem Jahr relevant sein wird? Manche sagen, Musk verscheucht Userinnen und User von seiner Plattform mit toxischem Gebaren, macht das Ex-Twitter damit auch für zahlende Werbekunden zusehends uninteressant.

Andere hängen an Musks schwarzen Polo-Shirts, als wäre alles wo »Musk« draufsteht ein Religionsersatz. Und woran glaubt Musk? An Geld, Wachstum und sich selbst, scheint es. 

Ist Elon Musk für euch eine gefährliche Lachnummer oder ein Medienprofi mit unternehmerischer Weitsicht? Avanciert X zu einer Super-App oder hat Tech-Kapitalist Musk mit der Umbenennung den Vogel endgültig abgeschossen? Schreibt uns dazu gerne in die Kommentare. 

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