Warum euer Handy manchmal zu vibrieren scheint, wenn ihr gar keine Nachricht erhalten habt

Hattet ihr schon mal einen halluzinierten Vibrations-Alarm? Dann gehört ihr zu den Handy-Hypochondern und werdet von Geister-Anrufen heimgesucht. Was steckt dahinter?

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Wer diese Alltagssituation noch nie erlebt hat, der werfe das erste Smartphone: Euer mobiles Endgerät vibriert, ihr greift in die Hosentasche und schaut auf das Display, aber … da ist gar keine Nachricht. Dabei könntet ihr schwören: Das Smartphone hat sich doch gerade vibrierend bemerkbar gemacht!  

Was führt also dazu, wenn wir gelegentlich ohne Grund unser Smartphone hervorholen? Und wie hängt das mit dem Mobiltelefon-Boom der Nullerjahre zusammen? Wir begeben uns auf Spurensuche.

Was ist das Phantom-Vibration-Syndrom?

Die aktuelle Wissenschaft spricht vom Phantom-Vibrations-Syndrom, oder kurz: PVS. Zu Deutsch ist auch von der Phantomvibration die Rede. Frühere Studien sprachen auch von der Modekrankheit Vibranxiety (ein Wortspiel aus den englischen Wörtern für Vibration und Angstzustand). 

Die Expertinnen und Experten beschreiben PVS auch als taktile Halluzination. Übersetzt in Wald-und-Wiesen-Deutsch bedeutet das: Ihr bildet euch ein, die Vibration eures Mobilteils zu fühlen - obwohl da gar nichts vibriert.  

Im Rahmen einer Studie der Indiana University gaben fast 90 Prozent der Probanden an, durchschnittlich alle zwei Wochen selber einen Fall von PVS zu erleben. Auch jenseits dieser Studie ist davon auszugehen, dass bis zu 90 Prozent der weltweiten Smartphone-Nutzer schon mal die Phantomvibration selber erlebt haben - vielleicht könnt ihr das ja aus eigener Erfahrung bestätigen.

Gewissermaßen ist PVS eine natürliche Folge unseres digitalen Dauerkonsums: ständig prasseln irgendwelche Notifications auf uns ein oder hämmern Push-Nachrichten gegen unseren Smartphone-Bildschirm. Handelt es sich letztlich um eine typisch-alltägliche Krankheitserscheinung des Homo Digitalis im 21ten Jahrhundert? Um eine profane Massenhalluzination?

Geht es dagegen um echten Komfort statt um eingebildete Vibrationen, seid ihr hier an der richtigen Adresse:

Die Vorläufer des PVS

Bereits im Jahr 2005, stolperten Leserinnen und Leser erstmals in einem Studentenblatt der Columbia University über den Terminus Technicus Phantom Cell Phone Vibration

Nur ein Jahr späteetablierte der Psychologe David Laramie die Begrifflichkeit Ringxiety in seiner Dissertation – was die auflagenstarke New York Times in einer seiner Ausgaben aufgriff.

Phantom Cell Phone Vibration, Ringxiety und aktuell das Phantom-Vibrations-Syndrom … sind das alles nur Worthülsen, die zuerst Geister-Anrufe und jetzt fälschlicherweise wahrgenommene Vibrations-Benachrichtungen nachzeichnen? Oder steckt mehr dahinter?

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Das sagt die Wissenschaft

Eines der frühesten Erklärungsmodelle lieferte Professor Alejandor Lleras von der University of Illinois. Lleras Erklärung stammt aus den Nullerjahren, also aus einer Zeit, als das Klingeln eines Handys noch häufiger zu hören war, als das Vibrieren eines Smartphones zu spüren. 

Lleras schlussfolgerte, es handele sich bei dem Phänomen um die Begleiterscheinung eines Lernprozesses. Denn durch die inflationär aufkommenden, allgegenwärtigen Klingel- und Benachrichtigungstöne, müsse der moderne Stadtzeitmensch erst lernen, alle möglichen Piepton-Varianten von anderen Geräuschen zu unterscheiden.

Dieses Video informiert kurzweilig darüber, was es mit PVS auf sich hat.

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Handelt es sich ergo schlicht um eine Wahrnehmungs-Fehlleistung? 

Einen jüngeren Erklärungsansatz zu PVS liefert Larry D. Rosen von der California State University. Laut Rosen erwartet unser aufs Smartphone konditionierte Körper ständig eine Art technologische Interaktion, die für gewöhnlich eben vom Handy ausgeht.  

Dieser Umstand führt allerdings so weit, dass wir beispielsweise ein Reiben am Hosenbein als ein vibrierendes Mobilteil missinterpretieren – und direkt wieder zum Smartphone greifen.  

Anders gesagt: Das Smartphone wird tagein, tagaus dermaßen körpernah getragen (etwa in der Hosentasche), dass in der Wahrnehmung die Grenze zwischen Eigen- und Fremdkörper verschwimmt.  

Daher kann auch schon ein bewusst kaum wahrnehmbarer Ausschlag in der Muskelgrundaktivität ausreichen, damit wir uns einbilden: Hey! Mein Handy bimmelt gerade!. Bereits minimale Muskelzuckungen können also dafür sorgen, sich die Vibration des Handys einzubilden.

Das es genug Gründe gibt, sich fürs Smartphone zu begeistern, weiß Mathias Dietrich zu berichten. Klassische PC-Spiele rocken eben - gerade auf dem Smartphone:

Das süchtige Gehirn 

Weil Nachrichten oder Anrufe, die wir auf unser Smartphone erhalten, eben speziell an uns gerichtet sind, antizipiert unser Gehirn einen möglichen Dopamin-Kick. Und das lässt auch überdurchschnittlich häufig zum Handy greifen.

Man kennst das: Das Handy vibriert, man greift danach, und der Anblick einer an sich trivialen Nachricht von Tante Gertrude, sie verspäte sich zum heutigen Zwetschgendatschi-Kuchenessen, löst Glücksgefühle aus. Einfach ausgedrückt sagt uns das Hirn: Juchu! Irgendeine Nachricht für mich! Ich bin wichtig! Hier ist also unser Ego am Werk, das bespielt werden möchte.

Patrick Poti
Patrick Poti

Hat mich überrascht: Stellenweise wird PVS sogar als Indikation für Smartphone-Abhängigkeit, Depression oder Angstzustände gewertet. Zugleich ist ein Großteil der Smartphone-Nutzer – und da schließe ich mich mit ein – laut dem Smartphone-Compulsion-Test von Dr. David Greenfield der University of Conneticut süchtig. Nach dem Smartphone. 

Probiert den Test doch mal aus: Ihr werdet erstaunt sein, wie sehr Smartphone-Abhängigkeit zu einer flächendeckenden Norm avanciert ist. Oder eben leidlich erstaunt, weil … Moment! Vibriert da gerade was? Ich muss nur mal kurz … 

Wo war ich? Ach ja: Bisher ist die eingangs erwähnte Verbindung zwischen PVS und ernstzunehmenden, geistigen Erkrankungen eher spekulativer Natur. Ich hoffe trotzdem, mich nicht allzu oft dabei zu erwischen, mal wieder einem Fehlalarm auf den Leim gegangen zu sein.

Ein Grund, sich für PVS zu schämen, ist keinesfalls gegeben. Tatsächlich ist dieser Mechanismus normal. Nur: Sollte diese Wahrnehmungs-Fehlleistung bei euch überhandnehmen, was könnt ihr dagegen unternehmen?

Was kann dagegen helfen? 

Einige praktisch anwendbare Möglichkeiten, wie ihr euren Smartphone-Konsum drosseln könnt, haben wir euch nachstehend zusammengetragen. 

  • Die Abhängigkeit vom Smartphone verringern: Etwa, indem ihr einen Kalender aus Papier nutzt oder dort alternative Kommunikationswege nutzt, wo es möglich ist. 
  • Bildschirmzeit tracken: Viele Messenger-Clients bieten die Option, sich anzeigen zu lassen, wie viel Zeit ihr mit einer bestimmten App verbringt. Auch lassen sich Obergrenzen für die Benutzung bestimmter Apps einrichten. Oder ihr lasst euch anzeigen, wie hoch eure Screentime mit dem Smartphone allgemein ist. 
  • Push-Notifications bestimmter Apps ausschalten: Viele Nachrichtendienste melden sich ständig nach dem Motto Dieses Rezept für eine Avocado-Quiche musst du jetzt unbedingt lesen!. Dabei wusste doch schon Peter Lustig, was hier zu tun ist: Einfach abschalten!
  • Verschiedene Geräte nutzen: Es kann hilfreich sein, für private und arbeitsbezogene Belange unterschiedliche Geräte zu verwenden. 
  • Smartphone außerhalb der unmittelbaren Reichweite aufbewahren – im Nebenzimmer, in einer verschließbaren Truhe – seid kreativ.

Habt ihr das Phantom-Vibration-Syndrom schon mal am eigenen Leib erspürt - oder haltet ihr das Phänomen für eher selten? Falls ihr euch jetzt gerade einbildet, euer Smartphone würde vibrieren, setzt gerne einen Notruf in unseren Kommentaren. Aber auch Nicht-PVS-Geschädigte sind dort herzlich willkommen.

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