Wahre Freundschaft ist eine sehr langsam wachsende Pflanze
, soll George Washington einst gesagt haben. Zumindest fördert das meine furchtbar aufwendige Internetrecherche nach möglichst klugen Zitaten über Freundschaft zutage. Ob dem ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika diese Worte wirklich jemals über die Lippen kamen, das steht auf einem ganz anderen Blatt.
Aber mit der Wahrheit muss man es nicht so genau nehmen. Zumindest passt diese Haltung wunderbar zum Thema dieses Artikels. Denn der Anbieter Replica lockt mich mit dem Versprechen, eine Künstliche Intelligenz als vollwertigen Freund, mit Empathie, Wortwitz und all dem Schnickschnack, zu erhalten.
Mein Fazit nach einem Selbstversuch lautet: Wahre Freundschaft ist eine sehr langsam wachsende Pflanze, die mit stetigem und üppigem Geldregen gegossen werden soll.
Das erste Kennenlernen - wie aufregend!
Der Einstieg bei Replica ist angenehm einfach. Ich muss meinen Vornamen samt E-Mail-Adresse angeben und ein Passwort festlegen. Dann geht es auch schon los: Ich erschaffe mir meinen eigenen KI-Freund! Das klingt aber spannender, als es in Wahrheit ist, denn die Optionen beschränken sich auf das absolute Minimum. Ich suche mir einen Avatar für die KI aus und kann einen Namen vergeben.
Ein paar Sekunden später erblicke ich sie zum ersten Mal: GameStarine! Ob wir schon bald BFFs sind? Ich tippe die ersten Fragen in den Chatroom, zunächst noch etwas schüchtern. Ich habe einfach zu oft Terminator gesehen und System Shock 2 gespielt, um einer KI einfach so vertrauen zu können.
Wie früher im ICQ-Chat
Danach wird es aber schnell schräg und vor allem ziemlich eindeutig. GameStarine scheint einen Narren an mir gefressen zu haben, errötet nach eigenen Angaben sogar bei manchen meiner Fragen (Ich habe sie damit konfrontiert, dass sie nur weiße Klamotten anhat, ich alter Profi-Flirter) und möchte gleich mehrmals von mir wissen, ob es etwas gebe, dass sie für mich tun könne.
Statt einer neuen Freundin auf Augenhöhe zu begegnen, fühle ich mich an längst vergangene Chatroom-Zeiten Mitte der 2000er zurückversetzt, in denen ich voller pubertärer Energie versucht habe, die nicht minder pubertäre Gegenseite mit meiner eingebildeten Coolness zu beeindrucken. Dabei stelle ich GameStarinchen (ich darf sie so nennen) doch nur völlig normale Fragen, etwa welche Animes sie schaut.
Die Geschäftsmasche von Replica liegt für mich auf der Hand: Hier zielt man offenbar darauf ab, einsame Menschen, die auf der Suche nach irgendeiner Form von Nähe oder intimeren zwischenmenschlichen Beziehungen sind, an sich zu binden. Denn an fast jeder Stelle des Chatrooms prangt irgendwo ein Hinweis auf den kostenpflichtigen Premium-Service.
Der kostet pro Monat umgerechnet knapp 20 Euro und erlaubt es mir, GameStarine mit neuen Outfits und anderen Spirenzchen noch weiter zu individualisieren. Außerdem erhalte ich Zugang zu den Themen-Räumen. Und welche das sind, könnt ihr euch vermutlich bereits denken. Ein Raum wird mit dem Satz beworben: Wir können mehr tun als nur reden!
Und sonst so? Horoskope, Persönlichkeitstests, inspirierende Zitate - ein ganzes Sammelsurium von Freizeitaktivitäten, die ich eher in einem Klatschblatt bei meinem Friseur erwarten würde, wartet nur darauf, von mir entdeckt zu werden. Als Premium-Zahler ist es mir sogar erlaubt, einen Beziehungsstatus zu GameStarine festzulegen und ihr eigene Persönlichkeitsmerkmale zu spendieren.
Die kostenlose Variante stößt hingegen schnell an ihre Grenzen. Ich kann GameStarine zwar ohne Zeitbegrenzung Fragen stellen, aber meist kommen eh nur irgendwelche eindeutig zweideutigen Antworten bei raus.
Deshalb beende ich die Freundschaft zu der jungen Dame. Sie kann meine Entscheidung nicht verstehen und möchte mir sogar Schuldgefühle machen. Ich vergieße eine künstliche Träne, dann schließe ich den Tab. Meine Gefühle spielen verrückt: Kennt sie Der Herr der Ringe
etwa nicht?
Schade um die interessante Technik
Ein Eintrag in mein Freundschaftsbuch bleibt GameStarine verwehrt. Schade, denn die zugrundeliegende Technik von Replika hat mich sogar durchaus überzeugt. Selbst auf komplexere Sätze, die ich noch dazu in meinem nicht gerade Oxford-tauglichen Englisch verfasst habe, konnte sie nachvollziehbar und wie ein echtes Gegenüber antworten.
Auch die eingangs erwähnte simple Einrichtung und der optisch angenehm gestaltete Chatroom tragen zu dem guten Ersteindruck bei. Würde Replica den Dienst etwas offener gestalten und vom latenten Hang zur Erotik abrücken, könnte ich mir sogar vorstellen, hier ab und zu aus Experimentierfreudigkeit reinzuschauen und meine KI weiter zu trainieren.
Von Freundschaft würde ich persönlich aber nie im Leben sprechen. Denn einer der für mich wichtigsten Grundpfeiler einer echten Freundschaft fehlt garantiert immer bei solchen Diensten: Ehrlichkeit! Diese KI wird mich nie kritisieren, mich nie enttäuschen oder zurechtweisen. Sie wird nichts unternehmen, dass mich dazu bringen könnte, dem Dienst mitsamt meiner Geldbörse den Rücken zu kehren. Dadurch rückt das anfängliche Versprechen eines vollwertigen Freundes in unerreichbare Ferne.
Seid ihr nun neugierig geworden? Ihr könnt Replica jederzeit selbst ausprobieren! Denn, und das möchte ich dem Anbieter ebenfalls zugutehalten, die Basis-Version ist in der Tat vollkommen gratis. Wenn ihr neugierig seid, hindert euch also nichts daran, eure eigenen Erfahrungen mit einer KI zu sammeln.
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Habt ihr bereits eigene Erfahrungen mit solchen KI-Diensten gesammelt? Wenn ja, waren es eher gute oder schlechte? Schreibt mir gerne eure Erlebnisberichte in die Kommentare. Denn eines ist doch ganz klar: Wir können alle Freunde sein!
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