Ein Fan-Remake, wie es sein sollte

Dieses Remake von Valves Topklassiker ist das ambitionierteste, was in der Modderszene zu beobachten war. Eine Totalumgestaltung, die 15 Jahre auf dem Buckel...

von TheVG am: 13.04.2020

Das altehrwürdige Half-Life hatte die Jahre aus technischer Sicht nicht mehr ganz so gut überdauert - nein, sagen wir´s ehrlich: sah schon seit geraumer Zeit pottenhässlich aus. Rein vom Look und der Soundqualität her hat das Spiel doch arg gelitten, spielerisch hingegen ist es immer noch erste Sahne und hat sich seine Trademarks erstaunlich gut erhalten können. Alle Achtung, dass sich ein paar Hardcore-Fans der Mammutaufgabe eines vollständigen Remakes stellten und konsequent verfolgten, und als es 2012 endlich so weit war, die herausgeputzte Neuauflage zu spielen, brach sie an einer Schlüsselstelle einfach ab – weil sie schlicht noch nicht entwickelt wurde.

Ein bisschen wehmütig, enttäuscht, aber irgendwie doch sehr befriedigt ließ mich ein Fan-Remake zurück, das uns nach gefühlt drei Vierteln am langen Arm verhungern ließ – Black Mesa war vor acht Jahren noch ohne die Xen-Welt kostenlos zum Download angeboten worden. Allerdings brauchte man viel Geduld, hatte schon jene Version ganze sieben Jahre Entwicklungszeit auf dem Buckel. Nochmal so lange sollte es dauern, bis letztendlich aus Half-Life Black Mesa wurde. Und nun ist es endlich so weit: Crowbar Collective – wie sich das Team mittlerweile nennt - veröffentlichte am 5. März ein Half-Life in neuem Gewand, spielerisch sanft verbessert und doch völlig verändert - äußerlich eine andere Gestalt, vereint es modernes Aussehen mit den Gameplay-Tugenden von einst.

Schönheitsoperation

Was nämlich so gut wie gar nicht angefasst wurde: die Story. Was hätte man der packenden Erzählung noch hinzufügen oder sie umgestalten sollen, ohne ein Sakrileg zu begehen? Eine gute Entscheidung des Modderteams, diese nicht anzurühren und stattdessen das Technikgerüst zu entkernen und völlig neu aufzubauen.

Black Mesa ist eben nicht Half-Life:Source, in dem dem alten Spiel nur eine neue Tapete aufgepappt wurde. Die Levels wurden von Grund auf neu gebaut, mit der Source Engine um etliche Umgebungselemente erweitert und sogar noch um ein paar kleine Ideen ergänzt. Zwar ist dies kein Ergebnis auf Next-Gen-Niveau, aber geradezu augenfreundlich, da wir nun keine groben Klötzchen mit Matschtexturen oder allzu pragmatisch dekorierte Räume mehr begutachten müssen, sondern endlich schick eingerichtete Büros, vielseitig bestückte Lagerhallen oder giftgrün leuchtende Verarbeitungsanlagen voll radioaktiven Mülls.

Altes erstrahlt in neuem Glanz - die neue Lasersequenz stimmig wie nie

 

Trotz dieses massiven Make-overs werden eingefleischte Fans sofort auf die Inhalte steil gehen, ich hatte jedenfalls regelmäßig Deja-Vus, sei es nun die Ereignisse vor und nach dem fehlgeschlagenen Experiment oder die Scharmützel mit den Soldaten in der Wüste. All die Elemente, die sich mir bei den Durchgängen ins Gehirn gebrannt haben, sind in Black Mesa vorhanden. Doch das, was wir kennen und lieben gelernt haben, sieht nun viel schöner aus, wurde mit deutlich mehr Detail gespickt und steht seinem Vorbild in Sachen Gameplay in fast nichts nach – das muss man als Modder auch erst mal schaffen, und ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass sie so manchem Profi eine lange Nase machen können.

Engine gut, alles gut

Was die auf die Beine gestellt haben, ist nicht nur optisch beeindruckend. Natürlich kann es die Source Engine mittlerweile mit Konkurrenten von Crytek oder der UE 4 nicht mehr aufnehmen. Und trotzdem gefällt mir der Look immer noch sehr, da sich zeigt, dass immer noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht zu sein scheint. Überblendeffekte von Lichtquellen etwa sind ein gutes Indiz dafür, was man aus der Engine noch herauskitzeln kann, von der Angleichung des Spielgefühls und der Stimmung in Half-Life 2 ganz zu schweigen.

Die moderne Version des Gargantua-Angriffs verstärkt die Immersion immens

 

Genau hier ist die Krux dieses Remakes gelagert. Das Team schaffte den waghalsigen Spagat zwischen sinnvollen Verbesserungen und der Entscheidung, welche Teile man lieber nicht anrühren sollte. Unabhängig von der Levelarchitektur kämpfen wir nun gegen mehr Gegner als im Vorgänger, was im Original dem Zeitgeist geschuldet weniger anspruchsvoll erscheint. Kleines Beispiel: wer sich von euch noch daran erinnert, wie wir den Reaktor im Lambda-Komplex aktivieren, kennt wahrscheinlich sogar noch die vielen Laufwege, die Gordon Freeman hinlegen muss. In Black Mesa ist dies räumlich betrachtet fast gleich, außer dass wir nun in den signifikanten Räumlichkeiten auf zusätzliche Gegner treffen. Zu den Alien Grunts etwa gesellen sich nun weitere Vortigaunts oder Headcraps, und so werden die Einzelkampfpassagen zu einem noch dynamischeren Vergnügen als noch anno dazumal.

Bis man so weit gekommen ist, werdet ihr natürlich die ikonischen Abschnitte erneut erleben – die Resonanzkaskade, den Horror danach, das Eintreffen der Soldaten und jede einzelne, noch so bekannte Aufgabe wird hier neu aufgelegt, seien es Sprungpassagen oder sich einen Weg durch die Wüste zu bahnen. Diese Eindrücke halten sich bis zum Erreichen des zweiten Portals, durch das wir in die Xen-Welt gelangen.

Dunkles Pandora

Und eben dieser Abschnitt wurde des Öfteren kritisiert. Xen sei ein lieblos dahin geklatschtes Anhängsel, sei zu schwer wegen seiner Hüpfeinlagen und auch sonst wegen bestimmter Spielelemente weniger Flow-fördernd. Ich konnte deren Gram durchaus nachvollziehen, obwohl ich damit weniger Probleme hatte, und war gespannt über die Ankündigung des Teams, die Alienwelt stärker überarbeiten zu wollen.

Stand Avatar Pate für das neue Xen?

 

Wir erinnern uns wohl sehr gut daran, wie besonders platt und farblich kurz vor der Würggrenze die Originalwelt ausschaute. Das neue Xen ist dagegen ein Augenschmaus sondergleichen geworden. Man fühlt sich unter Umständen an eine Dunkelversion von Avatars Pandora erinnert, wo Flora und Fauna in fluoreszierenden Farben leuchten. Im Hintergrund erstreckt sich ein faszinierender Sternenhimmel mit Nebelfeldern, davor gleiten Formationen außerirdischer Flugwesen anmutig durch die Luft. Ich kann mich gar nicht daran sattsehen, wie kreativ diese Version von Xen gestaltet wurde. Dass wir uns nicht komplett den Tagträumereien hingeben, hält die Welt etliche Gegner, Sprungaufgaben und Storyfetzen bereit, darunter die bekannten Bosskämpfe oder neuartige Schalterrätsel.

Ein wichtiger Punkt und Erzählsprung vom alten zum zweiten Teil von Half-Life war das Schicksal der Vortigaunts, die erst unsere Feinde und bei der Combine-Invasion Verbündete waren. Black Mesa greift diese Storylücke nun auf und präsentiert uns ein paar deutlichere Hintergründe zum Sklavendasein der Rasse. Ferner werden wir Zeuge von den Kolonialisierungsabsichten der Erdenbewohner. Anders als im Vorgänger entdecken wir eine ganze Basis im Stil von Wohnmodulen (anstelle vom profan präsentierten Erzählschnipsel in Form von Leichen im HEV-Suit, die nur als Munitionslager herhalten), überall stehen Vermessungsgeräte, die die Landschaft scannen.

Ihr werdet feststellen, dass die Modder sich sehr viel Gedanken darüber gemacht haben, ihrer Version noch ein paar Infos mehr hinzuzufügen, wo Valve uns einst mit sprunghaften Tatsachen teils vor den Kopf gestoßen hatte. Die finale Welt ist nun weniger mit Andeutungen denn Detailbeschreibungen im Alien-Alltag, basierend auf Darstellungen im Original, gefüllt worden und sorgen so für ein besseres Verständnis. Im Spiel selbst hat sich Crowbar Collective wahrscheinlich Half-Life 2 etwas genauer angeschaut, um die Geschäftigkeit auf Xen ähnlich plastisch aufzuzeigen. Wir kennen etwa die riesige Fabrik, in der Behälter mit gezüchteten Kriegern auf Laufbändern befördert werden. In Black Mesa bekommen wir nun einen konkreteren Einblick darin und müssen uns gleichzeitig mit neu erdachten Rätseln, Hüpfpassagen und schwierigen Gefechten auseinandersetzen. Gerade in diesem Abschnitt wird deutlich, dass das Team sich selbst von den Fesseln des Vorbildes emanzipieren wollte.

Was ich auch nicht unerwähnt lassen möchte, ist der Soundtrack. Die Stücke orientieren sich nur sehr lose am Original, die übrigens heute noch gut hörbar sind. Doch wurde für dieses Remake neue Musik komponiert, und die hört sich verdammt gut an, da wäre jeder Hollywood-Komponist stolz drauf gewesen.

Profiprobleme

Nun sollte man bei all der Lobhudelei die Fehler nicht vergessen. Positiv verhält sich die KI der Soldaten und Wachleute, die abseits von Scriptsequenzen nachvollziehbar reagieren und angenehm fordern. Jedoch sind noch nicht alle Macken ausgebügelt worden. Die Militärs bleiben gerne mal an Betonpollern oder sonstigem Interieur hängen und vergessen dabei das ihnen einprogrammierte Verhalten. An manchen Stellen passierte es, dass ich über einen Marine „stolperte“, der weiter seine Flüche in den Raum spie. Da er aber mit einem Bein im Beton festhing, bemerkte er wohl nicht, dass ich vor ihm in aller Ruhe ein Tänzchen anstimmte.

Auch das Militär macht trotz KI-Macken mehr Mucken

 

Auch die Aliens haben so ihre Aussetzer, etwa die Bull Squids, die mit ihren Säurespuckern gefährliche Gegner sind. Verschwindet man allerdings kurz um die Ecke, setzen sie ihr Verhalten zurück und patrouillieren, als wäre nie etwas geschehen. Im Originalspiel sind die uns dagegen schon mal weiter auf die Pelle gerückt. Auch die Programmroutinen der Vortigaunts wirken zuweilen etwas unausgegoren, wenn sie nicht das tun, was vorher durch Scripts vorgegeben ist.

Mitunter können auch Frameeinbrüche geschehen, was hauptsächlich von der Umgebung abhängig ist. In weitläufigen Außenarealen und mit entsprechender Action geschehen schon mal kleine Ruckler, auf Xen passiert das sogar in engen Höhlen. Crowbar Collective hat hierbei schon Nachbesserung angekündigt. Auch nicht schön und frustfördernd: an einer Stelle auf Xen ist ein Ausgang von einem Pflanzengeflecht versperrt, den man nur mit Feuer freibrennen kann. Schön, dass an mehreren Orten Leuchtfackeln ausliegen, die zur Zündung eines Gases in unmittelbarer Nähe führen. Das funktioniert auch an den meisten Stellen gut, nur an einem Durchgang ging da gar nichts. Da half nur noch eine Granate, wo es eine Fackel auch getan hätte, und die, die man in näherer Umgebung findet, leuchten zwar, brennen aber nichts an – ein Bug, der bitte noch überarbeitet werden sollte.

Allgemein hält sich die Fehlerliste zum Glück in Grenzen. Die Performanceeinbrüche sind verkraftbar, die KI-Macken dankbar, und die Programmfehler verzeihbar, wenn man sie denn umgehen kann. Einzig ein Savegame führte bei mir zu einem Programmabsturz, was man nur durch Laden des vorherigen, funktionierenden Slots beheben konnte. Einen weiteren dicken Aussetzer möchte ich nicht genau schildern, um nicht zu spoilern.

Retro rockt

Trotz der Auffälligkeiten trübte kaum etwas den Spielspaß, den ich beim Durchgang verspüren durfte. Es kam sogar wieder ein wenig das Feeling auf, das ich vor über zwanzig Jahren erfuhr, als ich das Originalspiel das erste Mal gezockt hatte. Aus nostalgischer Hinsicht ist Black Mesa also der beste Aufhänger, sich dem alten Spielprinzip wieder oder überhaupt mal zu nähern. Und selbst wenn das Remake rein spielerisch niemanden, der aktuelles Gameplay bevorzugt, mehr aus den Socken hauen dürfte, wird das Spiel so einigen Zielgruppen gerecht: den Nostalgikern sowieso, aber auch denen, die wegen der hoffnungslos veralteten Technik das Original gemieden hatten wie der Teufel das Weihwasser. Wer bisher mit einzelnen Storyelementen Verständnisprobleme hatte, wird hier etwas besser aufgeklärt werden, wenn auch diese Version nicht nach aktuellem Standard arbeitet. Gordon Freeman ist auch weiterhin ein stummer Heinrich, und die Immersion des Originals wurde nicht grundsätzlich angefasst. Immer noch müssen wir uns durch Erblicken und Deuten die Hinweise zusammenfügen, was gar nicht mehr dem heutigen Trend entspricht.

Mit einer der Gründe, das Remake mal anzugehen

 

Das kann man gut oder schlecht finden – ich persönlich vermisse das offen gesagt ein wenig. Dies in einem neuen Gewand zu spielen, ist natürlich keine Überraschung mehr für mich, und es gibt nur wenige Aha-Momente, die die Geschichte einschneidend ergänzen würden. Aber: es gibt solche, und das hat aus der Feder von Fans sogar noch einen höheren Stellenwert, als wenn es von Valve selbst käme. Während Publisher und Entwickler sich mehr dem Zeitgeist fügen, hat Crowbar Collective die alte Spielweise beibehalten. Wer Half-Life noch nie gespielt hat, wird wohl ebenso wie die Veteranen einst nach Schaltern und Wegen suchen müssen. Das jedoch mit einem Technikgerüst versehen, das zwar schon über ihren Zenit hinaus, aber immer noch schön anzusehen ist.


Wertung
Pro und Kontra
  • Sinn- und stilvoll neu gestaltete Erdenwelt
  • Xen ist ein besonderer Augenschmaus
  • Endlich gute Soundkulisse
  • Fulminanter Soundtrack
  • Action und Spielgefühl wurden beibehalten
  • Veränderter Xen-Abschnitt stellt uns vor neue Aufgaben
  • Vergleichbarer Umfang
  • Neue Details erzählen die Story noch deutlicher
  • KI funktioniert allgemein gut
  • Leichte KI-Macken bei Mensch und "Tier"
  • Bugs in bestimmten Xen-Arealen

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Häufiger, unregelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



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