Episches Classic-RPG mit Schwächen

Pathfinder: Kingmaker macht insgesamt eine gute Figur. Der Gamestar-Test stellt aber nicht alle Schwächen heraus, die man vor einer Kaufentscheidung kennen...

von mopple-the-whale am: 12.10.2018

Übersicht

1. Sinn dieses Tests

2. Das Spiel macht einem den Einstieg schwer...
2.1 … wenn man mit dem Regelwerk nicht vertraut ist
2.2 … und auch wenn man die wichtigsten Regeln kennt

3. Probleme im System der Charaktererstellung
3.1 Die Talentliste des Wahnsinns
3.2 Fehlende Informationen

4. Spielbalance, Zeitdruck und das drohende Game Over

5. Questdesign

6. Gegnerschwächen erkennen schwer gemacht. Freut euch auf eine sperrige und überholte Mechanik, die euch schlecht erklärt wird

7. Das Spiel ist bei weitem nicht fertig

 

1. Sinn dieses Tests

Dieser Test ist als Ergänzung zum offiziellen Gamestar-Test gedacht. Ich habe das Spiel selbst noch nicht durchgespielt und bereue meinen Kauf nicht, vermisse im Test und besonders im Testvideo aber einige Punkte, auf die ich selbst vor dem Kauf gern hingewiesen worden wäre. Diese Informationen möchte ich anderen Kaufinteressierten zur Verfügung stellen.

 

2. Das Spiel macht einem den Einstieg schwer ...

2.1 … wenn man mit dem Regelwerk nicht vertraut ist

Die Komplexität des Spiels, die sich durch die fast originalgetreue Umsetzung der Regeln der Pen and Paper Vorlage ergibt, ist natürlich ein harter Brocken, selbst für mich, der Baldurs Gate 2 gespielt hat. Denn das System ist schlichtweg monströs, in sich bis in alle Ecken vernetzt und Baldur's Gate oder Neverwinter Nights liegen viele Jahre zurück. Einen für Neulinge leichten Einstieg in dieses Spiel zu designen grenzt daher an ein Ding der Unmöglichkeit und kann nicht erwartet werden. Aber ein bisschen besser hätte man es mit Leichtigkeit gestalten können.

Es gibt zwar Tutorial-Popups und die erste Spielstunde nach der Charaktererschaffung bereitet wenig Probleme, aber so einfach geht die Reise nicht weiter. Die Tutorialhinweise sind später nicht mehr einsehbar und gehen nicht in die Tiefe. Und zu vielen Mechaniken fehlen sie auch. So hätte es nicht geschadet darauf hinzuweisen, dass ein "Permanenter Attributschaden" zwar nach dem rasten noch da ist, man ihm aber mit andern Methoden beikommen kann.

Man sollte sich definitiv darauf einstellen regelmäßig selbstständig die Ingame-Enzyklopädie zu Rate zu ziehen, die ich aber leider höchstens als brauchbar bezeichnen würde.

Meistens ist es ratsamer sich im Internet zu belesen. Diese Seite bietet Informationen zum Grundregelwerk:

http://prd.5footstep.de/Grundregelwerk

Noch ausführlichere und übersichtlichere Informationen findet man hier auf englisch:

http://www.d20pfsrd.com/basics-ability-scores/glossary/

Konkrete Informationen im Kontext des Videospiels finden sich zum Beispiel in diesem englischen Wiki, das sich im Aufbau befindet:

https://pathfinderkingmaker.gamepedia.com/List_of_basic_Pathfinder_terms_and_expressions

 

2.2 … und auch wenn man die wichtigsten Regeln kennt

Ja, auch wenn man einigermaßen Bescheid weiß, ist man womöglich überrascht, wenn man unvermittelt auf Gegner trifft, die völlig unbezwingbar sind. Entweder ist das beabsichtigt und man sollte ein paar Levelaufstiege später wieder kommen. Oder man sollte sich doch nochmal genauer einlesen. Thema: Gegner mit Schadensreduzierung.

Oder man wundert sich, dass die Gruppe plötzlich im Schneckentempo dahinschleicht. Auflösung: Schlechtes Wetter setzt unseren Abenteurern unerwartet stark zu. Ein entsprechendes Anzeigesymbol am Charakterportrait, wie bei jedem anderen Effekt, dem ein Charakter unterliegt, sucht man vergebens. Auch eine Überlastung durch zu viel Gepäck wird nicht angezeigt. Und das sind nur einige der Stellen, an denen der Entwickler geschlampt hat.

 

3. Probleme im System der Charaktererstellung

3.1 Die Talentliste des Wahnsinns

Zum Spielstart hat man die Wahl aus einer ungeheuren Fülle an Optionen. Wie im Gamestar-Test richtig angemerkt wird, sollte man jede Entscheidung dabei gut durchdenken oder der Charakter ist womöglich extrem schwach. Das große Problem liegt bei den Talenten. Es gibt über 150 Stück davon und sortiert sind sie nur danach, welche wählbar sind und welche nicht. Manche Talente wirken vielleicht nicht ansprechend, ermöglichen aber die Auswahl einer ganzen Reihe an anderen Talenten. Es sind aber nur die Voraussetzungen vermerkt für ein Talent vermerkt, nicht für was sie selbst die Voraussetzung darstellen. Ein schönes Feature wäre beispielsweise gewesen, wenn bei der Anwahl eines Talents nachgeordnete Talente automatisch aufploppen würden. Aber so muss man die gesamte Liste der Talente durchgehen und dabei den Überblick behalten. - Oder, was ich jedem nur empfehlen kann, der sich nicht gut auskennt, sich an Empfehlungen aus dem Internet halten. Allen Fernkämpfern, egal ob magisch oder nicht, seien Beispielsweise als erste Talente Kernschuss und Präzisionsschuss ans Herz gelegt. Auf der normalen Schwierigkeitsstufe und höher trifft man ansonsten kaum ein Ziel.

Und wie oft habe ich mir auch beim späteren aufleveln gewünscht, dass die Talentliste sortierbar wäre, beispielsweise nach Fernkampf-, Magie-, Kampfmanöver-, Teamtalenten und dergleichen...

 

3.2 Fehlende Informationen

Bei der Charaktererstellung haben wir leider nicht die Informationen zu allen Werten und Möglichkeiten, die unseren Helden ausmachen werden. Dabei ist diese Art Spiel doch gerade etwas für Bastelfüchse, die alles genau wissen wollen. Die Extralisten an Talenten, die einige Klassen erst später freischalten, sind nicht einsehbar. Die Zauber auch nicht, die man vielleicht kennen möchte, bevor man sich bei seinem Magier auf eine Spezialisierung festlegt. Der Anstiegsverlauf des Grundangriffsbonus und der Lebenspunkte für jede Klasse fehlen ebenfalls. Es wäre auch keine schlechte Idee gewesen dem Spieler die Grundregeln von Pathfinder bei der Charaktererstellung zur Verfügung zu stellen.

Alte Spiele hatten für all das dicke Handbücher mit vielen Tabellen und Listen. Da wundert es mich, dass der Gamestar-Test die Ingame-Enzyklopädie ausdrücklich lobt, obwohl die genannten Informationen im Spiel fehlen und bei der Charaktererstellung gar keine Infos verfügbar sind.

 

4. Spielbalance, Zeitdruck und das drohende Game Over

Das Spiel ist soweit ich es bisher gespielt habe gut balanciert. Warum ist das Internet dann voll mit Beschwerden darüber, dass das Gegenteil der Fall sei? Sind die unberechtigt? Nein. Der Hauptgrund ist der bereits oben angesprochene Punkt, dass man auf Gegner treffen wird, die noch nicht dafür gedacht sind bekämpft zu werden. Und das sieht man ihnen nicht an und es gibt einem auch niemand einen Hinweis. Besonders unglücklich ist das, wenn man in der Anfangsphase des zweiten Aktes konkret in ein Gebiet geschickt wird, in dem der gesamte Heldentrupp regelmäßig mit einem einzigen Schlag dahin ist. Und dass zum Balancing des Pathfinder-Regelwerks dazu gehört, dass Magier zu Beginn nicht halb so stark sind wie Kämpfer, wird auch nicht jedem einleuchten.

Dazu kommt, dass es im Spiel oft darauf ankommt Dinge in einem begrenzten Zeitrahmen zu erledigen. Sonst drohen schwere negative Konsequenzen bis hin zum Game Over. Ich war dem gegenüber sehr skeptisch eingestellt, aber mittlerweile kann ich ihr etwas abgewinnen. In Baldur's Gate war es oft so, dass man die Party auch nach kleinen Kämpfen rasten lassen konnte um alle Zauber wieder aktiv zu haben. Das überlegt man sich hier lieber zwei mal. Zeit ist in Pathfinder: Kingmaker etwas greifbares, etwas das sich real anfühlt.

Aber leider ist das Spiel nicht gut darin deutlich zu machen wie genau und für was dieser Zeitaspekt eine Rolle spielt. Muss ich vielleicht doch schnell diese Höhle im Gebiet der Todesmonster finden, sonst wird mein Reich von Trollen überrannt? Wenn ich das ignoriere und mich anderen Tätigkeiten zuwende, muss ich dann womöglich meinen alten Spielstand laden, der viele Stunden zurück liegt?

Im Nachhinein weiß ich: Die wichtigen Zeitlimits werden mir mitgeteilt, sie sind großzügig bemessen und ich bin nicht gezwungen mich nach der ersten Begegnung noch mal in die Nähe der Todesmonster zu wagen. Nur, das hätte ich gern vorher gewusst.

Und meine Hand dafür ins Feuer legen will ich auch nicht. Es gibt genug Leute, die berichten, ihr Reich wäre zerstört worden, und sie wären nicht konkret auf die Gefahr aufmerksam gemacht worden. Sie mussten uralte Spielstände laden oder hatten gar keinen mehr, auf den sie zurückgreifen konnten. Und die letzten Patchnotes (Der Gamestar-Test war vorher draußen) bestätigen das:

„Es war nicht immer klar, dass einige Ereignisse die Zerstörung des Königreichs nach sich ziehen können, wenn man sich ihnen nicht widmet. Lösung: Eine detailliertere Beschreibung für Ereignisse, die das Königreich beschädigen, und für Projekte, die diese Ereignisse verhindern.“

Originaleintrag: „It was not always clear that some events can destroy the kingdom if not addressed. Resolution: a more detailed description added for the events that damage the kingdom and projects that remove these events.“

 

5. Questdesign

Es gibt im Spiel keine Questmarker. Das ist in diesen Spielen standart und auch ok. Man ist auf jeden Fall darauf angewiesen beim lesen gut aufzupassen um zu wissen wo man hin muss. Und ganz klar sieht die Lage selbst dann nicht aus. Ich hatte trotz größter Aufmerksamkeit und Recherche auf jeden Fall öfter das Gefühl, ich müsste eigentlich wissen wo ich hin muss, weiß es aber nicht. Auch das mag beabsichtigtes Spieldesign sein, es gibt aber Leute wie mich, die sich schöneres vorstellen können.

 

6. Gegnerschwächen erkennen schwer gemacht. Freut euch auf eine sperrige und überholte Mechanik, die euch schlecht erklärt wird

Das Herausfinden der Stärken und Schwächen von Gegnern ist ein heiß diskutiertes Thema. Das System dafür ist unintuitiv und wird, wie bereits erwähnt, nirgends vom Spiel angemessen erklärt, obwohl es bei bestimmten Gegnern sehr wichtig ist (Dazu gehören solche, die Schadensreduzierungen vorweisen). Viele Spieler hätten stattdessen lieber ein Bestiarium gehabt, das zuverlässigere Infos über die Werte von Kreaturen bietet. Oder sie wünschen sich eine direkte Möglichkeit Gegnerwerte zu inspizieren.

Ich bin jedenfalls ein Verfechter der letzteren Option. Ich würde gerne sehen können, dass ich mich auf die Gegnergruppe, die ich gerade erspäht habe, gut vorbereiten sollte. Und ich wäre gern vorab in der Lage, mir eine passende Taktik gegen sie zurechtzulegen.

Ich habe wenig Gefallen daran regelmäßig zu speichern, mich in den Tod zu stürzen, diverse Dinge auszuprobieren und mich währenddessen eine halbe Ewigkeit durch das Kampf-Log klicken zu müssen. All das um zu erfahren, ob ich lieber Zauber wähle, gegen die mein Gegner mit Willenskraft, Zähigkeit, Reflexen oder Rüstung bestehen kann. Aber vermutlich bin ich da einfach zu casual.

 

7. Das Spiel ist bei weitem nicht fertig

Der Gamestar-Tester hatte scheinbar Glück, dass er nicht in bestimmten Quests hängen geblieben ist, denn Viele berichten davon und es ist auch an den Patchnotes zu sehen, dass es in der Hinsicht Probleme geben muss. Es kommt Hotfix nach Hotfix. Viele Talente und Klassenfähigkeiten funktionieren nicht. Dazu hier mal eine Auflistung: https://www.reddit.com/r/Pathfinder_Kingmaker/comments/9m4gar/list_of_mechanics_that_do_not_work_yet_as/

Das sind natürlich viele Kleinigkeiten, aber gerade in einem Spiel, bei dem man so viel Zeit und Hirnschmalz in seine Charakterentwicklung stecken muss, kann es schon ärgerlich sein, wenn man Talentpunkte investiert hat, die nichts bewirken oder wenn man einen Charakter hat, dessen Klassen-, Domänen- oder Blutlinien-Features nicht funktionieren.

Zudem macht der eine Einstellungsregler für die Gegnerschwierigkeit auf jeder Einstellungsstufe unterschiedliche Sachen und man weiß nicht welche. Fast alle Charakterportraits von Gesprächspartnern fehlen, und, und, und...

Der Entwickler macht den Eindruck alles gewissenhaft in einen guten Zustand bringen zu wollen. Aber dieser Moment ist noch nicht erreicht.


Wertung
Pro und Kontra
  • Hat alles was CRPG-Fans lieben
  • Sehr getreue Umsetzung des Pathfinder-PnP-Regelwerks
  • Alles was der Gamestar-Test positiv hervorhebt
  • Grundmechaniken, Gameplay, Zeitbegrenzungen und Königreichsmodus werden schlecht erklärt
  • Charaktererstellung ohne Komfort-Features und mit fehlenden Informationen
  • Richtungsangaben zu Quests hin und wieder unklar
  • Keine (optionale) Funktion um Gegnerstärken einschätzen zu können
  • Entwicklungsstand nicht abgeschlossen

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Häufiger, unregelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(25)
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