Von der Kunst des Mehrens

Nach einem spielerisch famosen Spiel musste sich Arkane der Bürde stellen, Dishonored 2 sinnvoll zu verbessern, vor allem bei der Story...

von TheVG am: 29.12.2019

Fortsetzungen können ein Segen, aber auch ein Fluch sein. Erstes bietet die Möglichkeit für die Spieleentwickler, Fehler nachhaltig zu korrigieren oder eine Idee bzw. beliebtes Konzept sinnvoll weiter zu entwickeln. Zweites birgt dagegen die Gefahr, sich zu wiederholen oder auch sich zu stark von eben diesen Ideen zu entfremden.

Als ich Dishonored durch hatte, war ich spieltechnisch zwar entzückt gewesen, wünschte mir aber auch viel Überarbeitung von einem Nachfolger. Ich liebe das Stealth-Szenario, die Spielweise und die dazu nötigen und zugegebenen Gimmicks, war aber gerade bei der Story entnüchert, so dass es mir nichts ausmachte, Teil 2 erst mal nicht anzugehen. Dieses innere Abwinken musste auch den Leuten bei den Arkane Studios aufgefallen sein (also nicht exklusiv wegen mir, sondern bei vielen), so dass sie nun in dem Dilemma steckten, die spielerische Freiheit freudig ausbauen zu können, aber auch mit dem Damoklesschwert einer bisweilen öden Story zurecht kommen zu müssen.

Besser bewahren

Es ist jedenfalls aller Ehren wert, sich dieser Aufgabe gestellt zu haben. Um den Nachfolger sogleich vom Original abzuheben, stellt uns das Spiel nach einer kurzen Einführung sogleich vor die Wahl: wir dürfen zwischen Corvo und seiner Ziehtochter Emily als Hauptfigur wählen. Spielerisch wird dies allerdings keine direkten Auswirkungen haben. Ich könnte mir selbst nur zugestehen, dass ich Emily als barmherzige Schleicherin und Corvo den brachialen Part zuordnen würde - vielleicht ein psychologischer Trick? Nun ist diese Tatsache keine Voraussetzung für ein komplexes Spiel mit verästelten Entwicklungen und vielseitigem Storyausgang, so viel möchte ich schon mal verraten. Nüchtern betrachtet sind es nur kosmetische Änderungen, die kaschieren, dass Teil 2 ähnlich aufgebaut ist wie sein Vorgänger, obwohl dieser Vorwurf etwas zu kurz greifen mag.

Durchatmen heißt die Devise, wenn wir wie hier unsere weiteren Schritte planen sollten

Wer nun seinen Spaß am ersten Teil hatte, wird sich sofort wohlfühlen. In seiner Mechanik ist Dishonored 2 kaum verändert worden, so werden sich Schleichfans sofort zurecht finden. Die Steuerung wurde eins zu eins übernommen, auch das Menüdesign wurde nur optisch überarbeitet und um ein paar Kleinigkeiten erweitert. Rein von der Bedienung unterscheidet sich das Spiel demnach kaum vom Vorgänger, dass man quasi beide Teile in einem Rutsch durchspielen kann, ohne sich umstellen zu müssen.

Die Entwickler haben die Stärken der Marke also ohne Veränderungen übernommen und auch die Spielwelt entsprechend gebaut. Wieder macht es einen Heidenspaß, sich von Deckung zu Deckung zu schleichen oder die magischen Kräfte einzusetzen und dem Spieler das Gefühl mitzugeben, sich auf einem spannenden Abenteuerspielplatz auszutoben. Zwar wieder in eng abgesteckten Arealen, aber die Entdeckerlust führt uns ein ums andere Mal in fremde Gefilde, wo wir regelmäßig anspruchsvollen Teilaufgaben ausgesetzt sind. Hangeln und warpen wir uns in den oberen Etagen von Wohnhäusern herum, wissen wir meist nicht, was uns erwartet, wenn wir durch ein Fenster in eine fremde Wohnung einsteigen. Dies wirkt durchaus vielseitiger, da die Rattenplage beendet scheint und man nun so genannte Blutfliegen als neue Gegnergruppe eingeführt hat – diese machen sich gerne in Massen breit und stellen uns nicht selten in den Weg. Eine für mich kluge Entscheidung, da die Nager lediglich auf dem Boden umher wuselten und nur sehr bedingt als Bedrohung zu gebrauchen waren.

Verlassene Pfade

Diese und andere sinnvolle Veränderungen in der Spielwelt fördern durchaus den Drang, die Missionen vielseitig absolvieren zu wollen. Das funktionierte schon im Vorgänger gut und hier nun entsprechend abgewandelt und taugt tatsächlich als gelungener Konsens zwischen einem „Weiter so“ und verbessertem Gameplay.

So wurde auch ein Kritikpunkt des Originals sichtbar gerade gerückt. Die KI in Dishonored erweckte noch den Eindruck von dumpfem Kanonenfutter, auch wenn sie zahlenmäßig und in ihrer Aggressivität eine Gefahr darstellte. Nun sollte man noch etwas genauer hinsehen, wohin man schleicht oder wem man das Messer in den Leib rammen möchte. Schon zwei bis drei Wachposten sind auf normalem Schwierigkeitsgrad schwierig zu meistern, vor allem bei einem Frontalangriff. Das heißt allerdings auch, dass man sich noch weniger ins Getümmel stürzen und lieber mit einem Plan vorgehen sollte. Einen offenen Kampf zu riskieren rate ich hier nur denjenigen, die die nötigen Fingerfertigkeiten besitzen. Geblieben ist die „räumliche Dummheit“ der Wachen, die uns einfach nicht erblicken, wenn wir nur über ihre Köpfe hinweg auf Schränke klettern.

Auf Augenhöhe - mordsgefährlich sind Wachen im Verbund, aber immer noch strunzdumm bei Höhenunterschieden

Die Marschrichtung ist also klarer denn je – der Spieler soll sich doch bitte als Schatten bewegen und nicht den Serious Sam heraushängen lassen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass all die sammelbaren Objekte irgendwen kaltlassen würde, denn dafür ist das Spiel auch nicht ausgelegt. Auch wenn man theoretisch alle Missionen ohne Schnickschnack schaffen könnte, sollte man sich lieber doch mal genauer umsehen. Vorteile bringende Dinge gibt es überall abzugreifen, und sei es nur hochprozentigen Alkohol, der Gegner schlafen legt oder Nester in Brand steckt. Baupläne kann man beim Schwarzhändler abgeben und in Verbesserungen investieren, Runen und Knochenartefakte sind wieder mit von der Partie. Ausprobieren ist hier wieder das höchste Gut, Aha-Momente werden sich öfter einstellen und sind ein Fest für Pedanten, die die Gegenden leerräumen wollen.

Zusätzlich wurde das Missionsdesign etwas überarbeitet, wenn auch nicht zum Abwechslungsmonster. Wieder gilt es, Zielpersonen aufzusuchen und über Leben und Tod zu entscheiden – hier wird die Wahlmöglichkeit lediglich etwas gestreckt, indem man für nicht tödliche Entscheidung etwas mehr Aufwand betreiben muss. Im Vorgänger noch kämpfte man sich bis zum Ziel heran und hatte lediglich die Auswahl, die Person eures Begehrs via Messer oder Schwitzkasten flachzulegen; Alternativen wie die Entführung der Zielperson waren Ausnahmen und sind nun in bestimmten Fällen ein fester Bestandteil geworden. Schwieriger zu meistern, aber eine spaßige Angelegenheit.

Tiefe Enttäuschung

Ich komme nicht drum herum, die Missionen mit den Charakteren und der Spielwelt zu verbinden, und spannt man den Bogen weiter, wird man unweigerlich mit der Story konfrontiert, die im Original noch die Achillesferse des Spiels war. Zuerst die gute Nachricht: die Welt und ihre Figuren wirken nun lebendiger, gehaltvoller. Die Spielwelt ist nun nicht nur ein Baukasten nach festem Schema, sondern ähnlich eines Open-World-Spiels trotz der Begrenzungen atmosphärisch gelungen. Während ich in Dishonored noch verzweifelt nach Anzeichen der Walölindustrie gesucht hatte und lediglich in Briefen und Büchern fand, kann man dies im Nachfolger endlich wirklich bezeugen. In den Häfen sehen wir nun getötete Meeressäuger oder blutiges Kopfsteinpflaster, wo sie für ihr kostbares Gut ausgenommen wurden. Die Grenzen von Altbauten und Anwesen betuchter Bürger sind nun fließender – man kann sagen, dass Serkonos mit viel Liebe zum Detail gebaut und jedes noch so flüchtige Detail berücksichtigt wurde. Im Staubbezirk behindern Sandstürme gerne mal die Sicht, Flaniermeilen sind mit Geschäften gesäumt, wo wir auch Belohnungen abräumen können. So lobe ich mir das.

Nicht komplex, aber kombinierbar - das Upgraden lädt zum Ausprobieren ein

Das kann im Nachhinein doch nicht ganz übertünchen, dass da etwas fehlt. Bei all dem Aufwand fehlt etwas, was man erst einmal geistig schwer erfassen kann. Natürlich freute es mich, dass die Welt so atmosphärisch und nicht jeder Raum nach dem Copy&Paste-Verfahren gestaltet worden ist. Auch toll: die Figuren sind nun lebendiger und differenzierter eingesetzt worden, sind auch mal abgedrehter, etwa wenn sie unter dem Einfluss von Gift oder dunklen Mächten stehen. Diese Umstände können begeistern, sind sogar spielerisch sinnvoll – also warum dann mein Gemecker? Ganz einfach: die Story ist auch nicht gehaltvoller als im Vorgänger. Man muss schon zwischen den Zeilen lesen, um herauszufiltern, was da nicht passt. Arkane hat spürbar den Aufwand erhöht, die Story erzählen zu wollen, hatten aber übersehen, dass die Essenz der Geschichte hätte einer Überarbeitung bedurft.

Ich will nicht ausklammern, dass mir die Inhalte hier schon sehr zugesagt haben, vor allem abwechslungsreich geschrieben und gebaut – dennoch wirkte es mir etwas zu konstruiert und schematisch. Die Vergleiche zum Vorgänger muss man etwas genauer suchen, sind aber erkennbar, und sei es nur die Missionsbeschreibung, in der wir von Hinz zu Kunz geschickt werden. Ob wir nun in mit Natur zugewucherten Villen oder Herzogsbehausungen zugange sind, ist letztlich austauschbar. Dies ist eben dem Spielprinzip geschuldet, weil man gerade für Schleichmissionen ein Ziel erreichen und eine moralische Entscheidung treffen soll. Die Bemühungen um Verbesserungen sind aller Ehren wert, aber wurde das schon in Dishonored in den Sand gesetzt – da wäre eine Generalüberholung nötig gewesen, und das war wohl ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man nicht gleich ein komplett anderes Spiel haben wollte. Unterm Strich sollte man also Arkane dafür loben, dass sie das Beste aus der Situation gemacht haben.

Spaßgarant

Da ich schon darüber schwelge, was dem Spiel als „mehr“ hinzugefügt wurde, möchte ich noch etwas genauer auf Gadgets und Verbesserungen eingehen, weil diese schon im Original sehr viel Spaß machten und hier immer noch Verwendung finden. Etwas enttäuschend war, dass wir die Fähigkeiten nur um zwei Stufen verbessern konnten, danach war Ende Gelände.

Für Teil zwei hat der Entwickler nun ordentlich aufgestockt und auch die Effekte vielseitiger designt. Planung beim Aufleveln sollte dennoch sein, da man nicht alle Fähigkeiten auf einmal einsetzen kann. Der Teleport ist wieder die mächtigste aller Perks, kann dazu je nach Spielfigur individuell entwickelt werden. Besonderen Spaß hatte ich vor allem mit neuen Gimmicks wie dem Dominoeffekt, der markierte Gegner dasselbe Schicksal erleiden lässt. Auch der Doppelgänger ist ein cooles Teil, mit dem wir ein Ebenbild erzeugen und so Wachen ablenken können, wenn wir mal feststecken sollten. Und je mehr Upgrades wir freischalten, um so spaßiger sind die Effekte, vor allem, da sich einiges davon sogar noch kombinieren lässt – ein El Dorado für Experimentierfreudige.

Das „Mehr“ lässt sich auch auf die Missionen ausweiten, da wir unter anderem mit noch mehr Wachen konfrontiert werden. Noch mehr Hirnschmalz ist nun also gefragt, wie kreativ wir denn zu Werke gehen sollen/wollen. Das lässt sich so weit fortführen, dass wir Einfluss auf die Herrschaftsverhältnisse des Kaiserreiches nehmen. Verschonen wir Zielpersonen, wird das Ende optimistischer, das kennen wir schon aus dem Vorgänger, wurde hier noch weiter ausgebaut, auch für die brachiale Spielweise, was auch im Umgang mit bestimmten Zielpersonen korrespondiert. Bis zu acht Varianten sind dadurch möglich und es ist spannend, welche Auswirkungen uns zum Schluss präsentiert werden, selbst wenn wir uns in den Spielstatistiken vorher schon ein ungefähres Bild davon machen können.

Das südeuropäische Flair von Karnaca ist eine deutliche, optische Verbesserung und fördert das Fernweh

Einfach mehr

Für meinen ersten Durchlauf hatte ich Emily gewählt und eine barmherzige Spielweise im Auge gehabt. Nachdem ich das Spiel durch hatte, konnte man getötete Soldaten an drei Händen abzählen, und darauf bin ich tatsächlich etwas stolz. Egal wie pedantisch man veranlagt ist, lohnt es sich, viel Zeit in das Spiel zu stecken. Das machte schon im Vorgänger viel Laune und wurde hier zu einer Art Königsdisziplin erhoben.

Auch wenn es im Detail immer noch keine Story ist, die annähernd Oscar-reif wäre, wirken Spielwelt, Charaktere und Handlungsstränge einfach durchdachter, trotz der sichtbaren Kosmetik. Dem Fluch, aus schon vorhandenen Elementen etwas Besseres kreieren zu müssen, ist Arkane elegant gelungen, und dass sie die Spielmechanik weiter verbessert haben, ist ein Segen für das Stealth-Genre. Dazu noch abschließend die Erwähnung, dass die anfänglichen Performance-Probleme bei mir kaum sichtbar waren. Ein paar Darstellungsmacken konnte ich erkennen, doch macht das Spiel einen sehr guten Eindruck, wobei etwa das Anti-Aliasing nun besser aussieht, die Lichtstimmungen nun noch mehr Kinnladen öffnen und der Detailreichtum einen glaubwürdigen Retro-Anstrich hat. Ich bin schlicht begeistert, dass in Dishonored 2 alles einfach ein bisschen besser geworden ist.


Wertung
Pro und Kontra
  • Amtliche Grafik mit hübschen Effekten
  • Detaillierte Spielwelt mit sichtbaren Referenzen
  • Viele sammelbare Objekte
  • Sehr gute Sprecher
  • Aufgemotzter Fähigkeitenbaum
  • Erzählung kosmetisch verbessert
  • Interessante Charaktere und Moralentscheidungen
  • Mehrere Enden
  • Fördert Experimentierfreude
  • Soundkulisse nur stiefmütterlich verbessert
  • Story immer noch nicht gehaltvoller

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



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