Die Downgrade-Spielverderber
Es ist der 3. März. Ich sitze in den Büros von CD Projekt und spiele als weltweit erster Journalist zwei Tage lang und ohne Einschränkungen The Witcher 3. In meinem Fazit schreibe ich, dass »meine zwei Tage mit Geralt zum Schönsten, Spannendsten und Überwältigendsten zählen, was ich in meiner 33-jährigen Gamer-Laufbahn je erleben durfte.« Ich lobe die großartigen
Quest, die ebenso riesige wie unfassbar detailverliebte Spielwelt und – ja – auch die Grafik der PC-Version, die mich »aus den Schuhen haut«.
Jetzt schreiben wir Sonntag, den 17. Mai. Während ich diese Zeilen verfasse, testen die Kollegen Maurice Weber und Michael Graf unter Hochdruck die finale PC-Version, die wir endlich in der vergangenen Nacht
und damit gerade mal 36 Stunden vor Redaktionsschluss erhalten haben. Während wir Vollgas geben, um Ihnen ab Seite 22 die bestmögliche Titelstory zum wahrscheinlich wichtigsten Titel des Jahres anbieten
zu können, hat auch CD Projekt jede Menge Stress. Ein gewaltiger Shitstorm ist über die Witcher-Entwickler hereingebrochen. Tausende wütende PC-Spieler bezichtigen sie der Lüge, werfen ihnen sogar teilweise
bewussten Betrug vor.
Was zum Geier ist passiert? Erste Videos und Bilder der PC-Version mit maximalen Grafikdetails legen teils deutlich sichtbare optische Unterschiede zu den bislang veröffentlichen Gameplay-Trailern offen. Die Sichtweite ist geringer, Texturen und Vegetation wirken detailärmer, die Farbgebung bunter. Weder ein neues noch ein ungewöhnliches Phänomen, zuletzt gab es etwa ähnliche Diskrepanzen bei Watch Dogs.
Allerdings haben Entwickler von CD Projekt noch vor vier Monaten im offiziellen Forum behauptet, dass man die grafische Qualität des Trailers auch im finalen Spiel erreichen werde.
Das hat The Witcher 3 nicht verdient
Eine bewusste Lüge? Oder wussten sie es zu diesem Zeitpunkt schlicht nicht besser? Das vermag ich nicht zu beurteilen. CD Projekt muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, die PC-Community in diesem Fall
zu lange im Unklaren gelassen zu haben. Genauso wie ich persönlich mir den Vorwurf gefallen lassen muss, dass mir damals die optischen Diskrepanzen zwischen Trailer und Spiel durchgerutscht sind.
Aber ehrlich gesagt habe ich sie auch schlichtweg nicht wahrgenommen. Ich weiß nicht mal, ob meine Version von damals bereits die heute monierten Downgrades aufwies. Gleich im ersten Absatz schrieb ich: »The Witcher 3 erlaubt keine Distanz!« Ich habe mich bewusst fallen gelassen in diese für mich so faszinierende Welt, wollte diese für Sie aus den Augen eines Spielers beschreiben. Nicht aus denen eines
Analytikers, der die Grasdichte am Wegesrand halmgenau mit der des Trailers vergleicht.
Und genau das ist für mich das eigentlich Tragische an diesem Shitstorm. Er dominiert aktuell nahezu jede Diskussion zu The Witcher 3, und das hat dieses Spiel schlicht nicht verdient. Denn Downgrade hin, Downgrade her: Es ist genau das erzählerische und spielerische Meisterwerk geworden, das ich nach meinem zweitägigen Besuch bei CD Projekt erhofft und prognostiziert hatte.
Ja, die Entwickler hätten im Fall der PC-Version ehrlicher und früher über die technischen Herausforderungen sprechen müssen. Aber nur wer nicht kommuniziert, sagt bei einem derart komplexen Projekt wie
Witcher 3 nie was Falsches. Mit jeder weiteren Beleidung und jeder weiteren Verschwörungstheorie steigt die Gefahr, dass bei The Witcher 4 nur noch PR-geprüfte Entwickleraussagen das Licht der Öffentlichkeit
erblicken, nur noch der Lead Designer das Spiel auf Messen mit der immergleichen Demo präsentiert und die Testmuster nicht mehr vor Release, sondern erst zum Verkaufsstart verschickt werden. Und das wäre zumindest für mich ein weitaus größeres Drama als jeder Downgrade der Welt.
Viel Spaß beim Lesen und Spielen!
Heiko Klinge
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