In einem einzigartigen See finden Wissenschaftler unseren ältesten noch lebenden Vorfahren

In einem abgelegenen Natronsee verbirgt sich seit Jahrtausenden der fehlende Trittstein der Evolution – und das ist nicht mal das Spannendste an B.monosierra.

Uralte Einwohner sind nicht das einzige, was den Mono Lake besonders macht. (Bild in Teilen KI-generiert mit Adobe Firefly, Andrii Mono County Tourism) Uralte Einwohner sind nicht das einzige, was den Mono Lake besonders macht. (Bild in Teilen KI-generiert mit Adobe Firefly, Andrii / Mono County Tourism)

An einem der lebensfeindlichsten Orte der Welt gedeihen Kolonien von Wesen, so alt wie komplexes Leben selbst. Ihre Heimat ist kaum mehr als ein abgelegener See salzig-seifigen Wassers. Doch was sie können, erregt weltweit Aufsehen in der Wissenschaft.

Denn so fremd ihre Umgebung uns erscheinen mag, sie könnten unser Verständnis dafür revolutionieren, wie aus Einzellern alle heutigen Tiere inklusive des Menschen entstanden.

Wir erklären euch, was sie in einem Natronsee in Kalifornien Atemberaubendes treiben - und was das mit unserem Innenleben, dem Mutterleib vieler Tiere sowie einem der bedeutendsten Momente irdischen Lebens zu tun hat.

Vertrautes in einer fremdartigen Welt

Beschrieben wurden die winzigen Wesen erstmals von Wissenschaftlern der Universität von Kalifornien, ansässig in Berkeley (USA) im Zuge einer Studie, hier bei der amerikanischen Gesellschaft für Mikrobiologie nachlesbar.

Die neu entdeckte Spezies gehört zur Gruppe der Kragengeißeltierchen (Choanoflagellates). Es handelt sich bei ihnen um winzige, einzellige Lebewesen. Sie erreichen eine Größe von einigen Mikrometern - in etwa die Größe eines ultrafeinen Staubkorns.

Allgemein gilt diese Gruppe als letzter evolutionärer Haltepunkt vor der Bildung von Mehrzellern. Die Neuentdeckten hören auf den Namen Barroeca monosierra (B.monosierra). Das zweite Wort ihres Namens leitet sich von ihrer Heimat, dem Mono Lake in Kalifornien ab. Zu diesem tatsächlich einzigartigen, aber auch lebensfeindlichen Ort lest ihr mehr hier, weiter unten im Artikel. In kurz: Es handelt sich um einen Natronsee, der basisch sowie salzig zugleich ist – ein echtes Unikat und wie von einem anderen Planeten.

Einzeller versus Mehrzeller
Was ist nochmal der Unterschied?

Einzeller sind Lebewesen, die nur aus einer einzelnen funktionsfähigen Zelle bestehen. Die meisten Bakterien gehören beispielsweise hierzu. Mehrzeller weisen entsprechend mehr als eine Zelle auf, die jeweils spezialisierte Funktionen übernehmen. Schwämme sind Beispiele für frühe Mehrzeller. Wir Menschen sind als höhere Säugetiere mit Einzellern nur noch entfernt verwandt - aber auch wir verdanken den kleinen Fast-Tierchen einiges.

Analysen des Erbguts legen nahe, dass es sich hierbei um das bisher fehlende Bindeglied auf dem Weg von Ein- zu Mehrzellern handelt. Vor rund 650 Millionen Jahren kam es zur Entwicklung erster mehrzelliger Tiere. Für sie alle ist B.monosierra derzeit der älteste bekannte gemeinsame Vorfahre.

Obschon ein neues Mitglied dieser Gruppe an Lebewesen bereits spannend ist, begeistert die Wissenschaftler an B.monosierra vor allem ihre Fähigkeit, Kolonien zu bilden. Dutzende Einzeller schließen sich dabei - oft kugel- oder kreisförmig - zusammen und bilden einen quasi-mehrzelligen Organismus, der auch auf äußere Reize wie Licht reagiert.

Der kann sogar derartig anwachsen, dass wir ihn mit bloßem Auge zumindest erahnen können.

Einige Kolonien von B.monosierra unter dem Mikroskop. Bildquelle: Alain Garcia De Las Bayonas und Nicole King Einige Kolonien von B.monosierra unter dem Mikroskop. Bildquelle: Alain Garcia De Las Bayonas und Nicole King

Die Kolonie ist derweil kein Selbstzweck. Die Ansammlung von Einzellern erschafft ein sogenanntes Mikrobiom. Das ist ein kleiner Lebensraum, dessen Bedingungen von der lebensfeindlichen Umgebung abweichen. Und hier fühlen sich Bakterien pudelwohl. Allerdings duldet B.monosierra hier nur bestimmte Arten von Bakterien, wie die Wissenschaftler durch Experimente feststellten.

Wo die Forscher noch spekulieren: Weshalb lassen die B.monosierra Bakterien in ihre Kolonie eindringen und sich dort vermehren? Vielleicht ernähren sie sich von den noch kleineren Einzellern? Viren und Bakterien stehen auf dem Speiseplan von Kragengeißeltierchen. Scheinbar regen die Bakterien aber auch die Fortpflanzung von B.monosierra an. Ferner könnten sie auch zum Schutz der Kolonie in der lebensfeindlichen Umgebung beitragen.

Doch eines steht fest: Solch ein Verhalten zum gegenseitigen Vorteil (Symbiose) ist neu:

Niemand hatte bisher ein Kragengeißeltierchen mit solch einer stetigen Interaktion mit Bakterien beschrieben.

Zell-Biologin Nicole King, Universität von Kalifornien, Berkeley

Optisch erinnert B.monosierra übrigens an Spermien. Sie bewegen sich nämlich einzeln oder eben als Kolonie auch mittels der Geißel, einem kleinen schwanzähnlichen Fortsatz, fort. Aber da hören die Ähnlichkeiten zu uns nicht auf.

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Denn ihre augenscheinliche Symbiose mit Bakterien findet sich in unseren Gedärmen wieder. Wir könnten ohne die unzähligen winzigen Helfer im Darm nicht überleben.

Und weiter ähneln die Kolonien einem frühen Entwicklungsstadium von vielen Tieren: einer Blastula. Das ist ein hohler Ball aus Zellen, der kurze Zeit nach der Befruchtung als Ergebnis erster Teilungen entsteht. Aus ihm wachsen in den Folgemonaten im Mutterleib Tiere verschiedenster Art heran.

Zukünftig möchte das Team die B.monosierra in ihrer natürlichen Umgebung untersuchen, um mehr über ihre Lebensweise zu erfahren. So erhoffen sich die Forscher, genauer zu verstehen, wie es zur Entstehung erster mehrzelliger Tiere kam. Ferner ist ihre Interaktion mit den Bakterien von großem Interesse.

Ein Ort für Aliens inmitten der Ödnis Kaliforniens

Wer B.monosierra besuchen möchte, muss in die ostkalifornische Hochwüste reisen. Dort liegt 2.000 Meter über dem Meeresspiegel der 180 Quadratkilometer große Mono Lake an der Ostflanke der Sierra Nevada. Er entstand vor rund 80.000 Jahren, als nacheiszeitliches Schmelzwasser die zuvor durch geologische Prozesse entstandene Mulde auffüllte.

Die Einzeller teilen diesen Ort nur mit wenigen Arten von Tieren, der Grund ist das schwer verträgliche Wasser des Sees. Denn stark vereinfacht können wir die Heimat von B.monosierra als eine seifige, salzige Brühe beschreiben (via Globalnature).

Der Mono Lake in Kalifornien, Bildquelle: Simon Hurry, unsplash Der Mono Lake in Kalifornien, Bildquelle: Simon Hurry, unsplash

Schmelzwasser ist auch heute noch die Hauptquelle jährlichen Zulaufs zum Mono Lake, Regen ist selten. Abläufe gibt es keine, doch es geht konstant Flüssigkeit durch Verdunstung verloren. Wo der See endet und das Land beginnt, ist deshalb seit Jahrtausenden vor allem abhängig vom vorherrschenden Klima.

In Zukunft wird vor Ort mit größerer Trockenheit gerechnet - Stichwort: Klimawandel. Wo Wasser verdunstet, bleibt zuvor von ihm Gelöstes zurück, Stichwort: Salz und Seife.

Je nach Wasserstand kann die Salzkonzentration im Wasser deshalb mehr als dreimal so hoch sein wie im Durchschnitt bei den Ozeanen. Über die Jahrzehnte gerechnet bewegen wir uns bei etwa 60 bis 70 Gramm pro Liter - ungefähr das Doppelte von Meerwasser. Aber der Mono Lake ist mit einem pH-Wert von 9,8 zusätzlich stark alkalisch. Hierher kommt auch die Bezeichnung Natronsee.

Diese Kombination hebt ihn von allen anderen irdischen Gewässern ab. Er ist wohl ein Ort, der einer hypothetischen Alienwelt recht nahekommt: Hohe Salzkonstellationen kennen wir von vielerlei Gewässern. Das Tote Meer im Nahen Osten bringt es hier sogar auf ein Vielfaches vom Mono Lake, nämlich rund 350 g/l. Aber die Fläche in Kalifornien ist der einzige uns bekannte See, der eine hohe Salinität mit solch enormer Alkalinität kombiniert.

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