Ich fotografiere schon seit mehr als einem Jahrzehnt und habe dabei allerlei Kameras und Handys ausprobiert. Es ist unbestreitbar, wie beeindruckend die Kameras in unseren mobilen Begleitern geworden sind – und vieles davon haben sie der »Computational Photography« und KI zu verdanken.
Und dennoch glaube ich, dass wir uns mit den neuen KI-Features in eine falsche Richtung begeben. KI sollte ein Werkzeug für bessere Fotos sein – und nicht das Foto selbst.
Das Problem mit den KI-Funktionen von Handys
Das größte Problem ist meiner Meinung nach der Fokus auf das Ergebnis und nicht auf den eigentlichen Prozess.
Jetzt fragt ihr euch wahrscheinlich: »Aber Linh! Beim Fotografieren zählt nur das, was am Ende als Ergebnis dabei herauskommt! Wen juckt der Prozess?« Und das ist natürlich ein berechtigter Einwand.
Mit KI-Funktionen kann das Foto nahezu unbegrenzt und beliebig angepasst sowie verändert werden:
- Gesichter in Gruppenfotos austauschen
- Personen entfernen oder sogar hinzufügen
- Die Tageszeit ändern
- Den Himmel austauschen
- Zusätzliche Objekte generieren (sogar den Mond oder andere Himmelsobjekte)
- Motive vergrößern und verkleinern
Das klingt doch alles sehr nützlich, oder? Ja, ist es auch. Mein Problem mit diesen KI-Funktionen ist nicht praktischer, sondern eher philosophischer Natur. Ich bin kein Fan davon, ein Foto hinterher so sehr zu verändern, dass es seine Identität verliert.
Ich vergleiche das mit dem »Schiff des Theseus« – einem philosophischen Paradoxon. Wenn bei einem Schiff über die Jahre viele oder gar alle Einzelteile ausgetauscht wurden, ist es dann noch dasselbe Schiff?
Schlagen wir die Brücke zur Fotografie: Wenn bei einem Foto Objekte generiert, der Ort gewechselt oder Personen entfernt wurden, handelt es sich dann überhaupt noch um eine Fotografie? Auf andere Art formuliert: Um eure eigene Fotografie?
KI sollte ein Werkzeug sein – und nicht das Endergebnis
Meiner Meinung nach sollten Handys KI-Funktionen bieten, die uns vor allem beim Fotografieren helfen sollen. Genau solche Features finden wir bei heutigen Systemkameras.
Viele Systemkameras, wie zum Beispiel die der Sony-Alpha-Serie oder die Canon-R-Kameras, verfügen über nützliche KI-Funktionen, die in meinen Augen praktisch sind und trotzdem viel Raum für Kreativität lassen.
Hier sind einige fünf Beispiele für KI-Funktionen, die ich besonders hilfreich finde:
Eye-AF-Tracking: Die Kamera erkennt, wo sich die Augen des Motivs befinden und kann konstant diese scharfstellen und sie mit dem Fokus verfolgen. So stellt eine solche Kamera sicher, dass bei Porträts immer die Augen fokussiert sind.
- Es gibt inzwischen Handys, wie das Sony Xperia 1 VI mit fortschrittlichen Autofokus-Systemen, wie man sie von Systemkameras kennt. So etwas wünsche ich mir auch für andere Handys.
Tier- und Objekterkennung: Dank KI können Systemkameras zuverlässig identifizieren, ob sich ein Tier, ein Flugzeug oder ein anderes Objekt vor der Linse befindet. So können optimierte Einstellungen, wie zum Beispiel eine schnelle Verschlusszeit bei Tieren, gewählt werden. Einige Kameras können sogar die Augen von Tieren zuverlässig scharf stellen und verfolgen.
KI-Weißabgleich: Die Kameras können erkennen, unter welchen Lichtbedingungen oder zu welcher Tageszeit ein Foto geschossen wird und schon im Voraus den korrekten Weißabgleich aussuchen.
- Bei Handys kommt schon eine ähnliche Technologie zum Einsatz. Pixel-Handys nutzen zum Beispiel »Real Tone«, um die Hauttöne von unterschiedlichen Menschen möglichst natürlich darzustellen.
KI-Upscaling: Inzwischen gibt es Systemkameras, wie etwa die Canon EOS R5 Mark 2, mit denen ihr Bilder intern wahlweise auf eine höhere Auflösung hochskaliert. Die Funktion ist hilfreich, wenn ihr Bilder in einem noch größeren Format ausdrucken möchtet.
KI-Rauschreduzierung: Kameras wie die Sony A7R 4 erkennen mittels KI, welche Bereiche geschärft und bei entsprechenden Rauschen reduziert werden müssen. So lassen sich selbst bei schlechten Lichtbedingungen und hohen Empfindlichkeitseinstellungen Fotos in hoher Qualität knipsen.
Beide Welten können koexistieren
Mein Problem besteht darin, dass viele KI-Tools, vor allem die, die groß von Apple, Google und Co. beworben werden, eher im Bereich der Post-Production angesiedelt sind. Fertige Fotos werden verändert, verbessert und bearbeitet.
Vor einigen Jahren hat man für viele dieser Prozesse viel Zeit investieren müssen. Nicht nur für die eigentliche Bearbeitung, sondern auch für das Erlernen der nötigen Skills. Jetzt geht das mit wenigen Fingertipps oder gar per Sprach- und Textbefehl – und das ist auch gut!
Trotzdem wünschte ich, dass Handyhersteller mehr KI-Tools uns in die Hand drücken, die uns beim eigentlichen Fotografieren als Werkzeug unterstützen.
Die Zukunft der Fotografie liegt in der Balance zwischen technologischer Innovation und der kreativen Freiheit der Fotografen – KI sollte dabei der unsichtbare Helfer sein, der unsere Visionen unterstützt, ohne sie zu dominieren.
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