Unerklärliche Kräfte reißen ein schwarzes Loch in die Seitenwand meines Arbeitszimmers. Statt Materie einzusaugen, spuckt der Dimensionsriss knuffige Fantasy-Monster aus, die um meine Gitarren herumfliegen, sich neben meiner Konsolensammlung einnisten und aus allen Rohren ballern.
Während treibende Technobeats meinen Puls hochjazzen, füllt sich der ganze Raum mit erbsengroßen Geschossen, die mich so stark ablenken, dass ich nicht bemerke, wie schnell die Decke über mir bedeutungsschwangere Dunkelheit verbreitet.
Anstelle meiner Lampe tritt ein pechschwarzer Himmel, der mich zu erdrücken droht. Welch eine pompöse Ankündigung für einen Endboss!
Dieser Boss hat es nicht auf mich persönlich abgesehen, sondern auf die kleine ballernde Elfe namens Yuki, die auf einem der beiden Controller des HTC Vive XR Elite Headsets sitzt. Aber ich fühle mich trotzdem eingeschüchtert.
Wild umher fuchtelnd dirigiere ich sie durch den Kugelhagel und lasse sie so gut es geht zurückschießen. Mut zur Lücke heißt es doch so schön. Nun, ich sehe einige Lücken im Projektilteppich, aber dass ich mit Yuki unbeschadet durchkomme, wage ich zu bezweifeln.
Wenn Realitäten verschmelzen
Yuki mag inhaltlich nicht mehr als ein dreidimensionaler Bullet-Hell-Shooter sein und mit seinen zwei mickrigen Leveln den Charakter einer Tech-Demo haben. Trotzdem erfüllt es seinen Zweck. Dieses kleine Programm zeigt mir, welches Potenzial in der Technik des HTC Vive XR Elite steckt.
Statt mich in die Welt eines Videospiels zu versetzen, versetzt es die Welt der Videospiele zu mir in die Realität. Das ist ein Schritt in eine neue Richtung des Gamings - und trotzdem nicht der ausschlaggebende Faktor, der mein Hirn auf Overdrive beschleunigt. Mir ist klar: Mit dieser Technik ist mehr als Spielerei möglich.
Ich sehe vor meinem geistigen Auge virtuelle Möbel, die ich zwecks Abstimmung mit meinem vorhandenen Mobiliar in der Wohnung platziere, bevor ich in den Laden gehe. Oder einen virtuellen Kochkurs, bei dem ich mit meinen eigenen Pfannen flambieren lerne, ohne Gefahr, die Küche durch Ungeschick in Brand zu setzen.
Noch etwas unscharf
Konzepte wie diese gehören zu einer VR-Sparte, die sich „Mixed Reality“ nennt – also vermische Realität. Anwendungsideen dafür geistern schon seit Jahren durch die VR-Szene und sie selbst zu erleben, ist wahrlich transformativ.
Wenn auch auf dem Vive XR Elite-Headset noch ein ganzes Stück von der Perfektion entfernt, denn die Wiedergabe der Umgebung ist ein wenig aufgeschwemmt. Gefühlt überschreitet sie Full-HD-Qualität nicht, oder liegt nur knapp darüber.
Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Sämtliche vom Headset generierten 3D-Grafiken sind gestochen scharf, was angesichts einer Display-Auflösung von 1.920 x 1.920 Pixeln pro Auge bei 1.200 ppi Dichte und etwa 110 Grad horizontalem Panorama kaum überrascht.
Was ich auf dem leuchtstarken und sehr dicht besetzten LCD-Screen sehe, ist stabil, plastisch und fühlt sich dank korrekter Größenverhältnisse real an – dem Tiefensensor sei Dank.
Lediglich die dreidimensionalen Kamera-Aufnahmen der Umgebung wirken etwas unscharf. Was Vive XR Elite als Gesamterlebnis vermittelt, hat somit eher den Charme einer TV-Übertragung als den eines positiv aufregenden Fiebertraums.
Diese Kritik klingt ausgeschrieben schwerer als sie sein sollte, denn das Endergebnis empfand ich als überzeugender als der mehrfarbige, aber leider arg zweidimensionale Pass Through von Pico 4, oder die Schwarz-Weiß-Umweltansicht anderer Headsets.
Man darf nicht mit falschen Erwartungen in das Erlebnis hineingehen. Viele Jahre der Entwicklung sind noch nötig, bevor Mixed Reality (MR) täuschend echt wirken kann. Am Spaß oder an den endlosen Optionen produktiver Anwendungen rüttelt das nicht.
Ein echter Allrounder
Ebenfalls wichtig: HTC Vive XR Elite wird zwar laut Pressetext explizit als Mixed-Reality-Headset bezeichnet, macht meiner Meinung nach aber eher den Alleskönner mit hochgesteckten Ambitionen.
MR stellt nur eine von mehreren Anwendungsmöglichkeiten dar, zumal noch nicht viel Software existieren, die damit arbeitet. Neben Yuki konnte ich noch ein Malprogramm namens Open Brush ausprobieren, das nicht minder große Begeisterung entfachte, aber ebenfalls den Wert einer Tech-Demo kaum überschritt.
Wohin sollte man denn selbstgemalte Kreationen exportieren wollen, wenn nicht in ein anderes Headset?
Schon auf Screenshots verpufft die ganze Magie der dreidimensionalen Zeichnungen, sodass sie nicht einmal ansatzweise vermitteln können, wie viel Spaß es bereitet, einer realen Katze lustige Denkblasen oder Rauchschwaden aus dem Kopf wachsen zu lassen.
Man malt sie mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit in die Luft und freut sich einen Keks. Nur doof, dass man das Endergebnis niemand anderem in derselben Intensität zeigen kann.
Was im Moment also fehlt, ist eine sinnvoll vernetzte Benutzerumgebung samt größerer Anzahl an MR-Apps. Vielleicht sogar für professionelle Anwendungen. Immerhin geht es um ein sogenanntes Prosumer-Gerät zum stattlichen Preis von 1399 Euro.
Sei es drum, die meisten potenziellen Käufer dürften das Gerät als extravagantes VR-Headset wahrnehmen, das sowohl Stand-Alone-Spiele aus dem Vive-Store abspielt als auch PCVR-Games.
Letztere speist man entweder per Highspeed-USB-Kabel ein, oder kabellos über ein Wi-Fi 6 fähiges Netzwerk.
Das klappte in Testläufen mit Half Life: Alyx und Beat Saber hervorragend. Über WiFi 5 funktionierte es ebenfalls, dann neigt die Übertragung allerdings zu gelegentlichen Bildaussetzern, was bei meinen Runden im Achterbahn-Simulator No Limits 2 für unangenehme Gleichgewichtsstörungen sorgte.
Mit einer Drosselung der Bitrate für die Übertragung konnte ich dem entgegenwirken, wenn auch auf Kosten der Bildqualität.
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