Hätte man mich vor einem halben Jahr gefragt, ob es so etwas wie einen digitalen Notizblock wirklich braucht, hätte ich mit einem gepfefferten Niemals, was für ein unnötiger Quatsch!
geantwortet.
Mittlerweile habe ich aber mehrere dieser Kritzeltablets ausprobiert und bin mir nicht mehr so sicher. Natürlich sind die Geräte immer noch teure Spielerei, das Preis-Leistungs-Verhältnis ist mindestens fragwürdig. Aber die digitalen Zeichenblöcke fügen sich gleichzeitig auch sehr angenehm in meinen Alltag ein, wie es ein Block aus Papier nicht könnte.
Amazon hat mit dem Kindle Scribe jetzt auch einen solchen digitalen E-Writer herausgebracht - und könnte so dafür sorgen, dass der digitale Notizblock endlich aus der Nische für Enthusiasten mit zu viel Technik-Spielgeld herauskommt. Warum? Weil der Scribe nicht nur ein Notizblock, sondern gleichzeitig auch ein klassischer Kindle im Großformat ist.
Wie gut diese Kombination aus Lese- und Schreibgerät ist und ob sich der Kindle Scribe damit trotz seines doch recht hohen Preises von mindestens 370 Euro lohnt, habe ich über die letzten Tage für euch herausgefunden.
Der Kindle Scribe im Schnelldurchlauf
Amazons Scribe ist mit einer Bildschirmdiagonale von 10,2 Zoll (25,9 Zentimeter) der bisher größte, mit 433 Gramm aber auch der schwerste Kindle. Er erscheint in drei verschiedenen Varianten, die sich lediglich durch ihre Speichermenge unterscheiden: 16 GB, 32 GB und 64 GB.
Die Laufzeit gibt Amazon mit bis zu 12 Wochen an. Ich habe das Gerät nach Erhalt einmal aufgeladen und bin nach knapp einer Woche ausgiebiger Nutzung bei einer Akkuladung von 53 Prozent. Allerdings war das Gerät in meinem Fall auch täglich über mehrere Stunden im Einsatz. Geladen wird der Scribe über einen USB-C-Anschluss, ein entsprechendes USB-A-auf-C-Kabel ist im Versandumfang enthalten.
Der Kindle Scribe verfügt über eine WLAN-Schnittstelle, sodass ich meinen Lesefortschritt auch mit anderen Kindle-Modellen synchronisieren konnte. Außerdem besitzt der Scribe Komfortfunktionen, wie man sie vom Kindle Paperwhite Signature und Oasis kennt.
Namentlich sind das die verstellbare Farbtemperatur und die Lichtsensoren zur automatischen Helligkeitssteuerung. Auf andere Features der oben genannten Kindles wie eine Wasserfestigkeits-Zertifizierung vom Typ IPX8, haptische Knöpfe zum Seitenwechsel, Wireless Charging oder LTE muss man beim Kindle Scribe leider verzichten.
Dafür bietet der Scribe mit dem Eingabestift und der Zeichenfunktion ein Alleinstellungsmerkmal, das ihn deutlich von den anderen Modellen des Line-ups abhebt. Hier hat man die Wahl zwischen einem Standard- und einem Premium-Eingabestift. Letzterer liefert neben der unabdingbaren Schreibfunktion auch noch einen Radiergummi am Stiftende und eine Kurzbefehl-Taste, mit der beispielsweise schnell zwischen Stift und Textmarker gewechselt werden kann.
Für den Test hat uns Amazon einen Kindle Scribe in der 16-GB-Variante mit Premium-Eingabestift zur Verfügung gestellt.
Der Kindle Scribe als digitaler Notizblock
Die ersten drei Tage habe ich den Kindle Scribe bewusst nur als Notiz-Tablet verwendet und ihn mit meinem bisherigen Lieblingsmodell, dem ReMarkable 2, verglichen. Das nutze ich bereits seit mehreren Wochen in meinem täglichen Arbeitsalltag. Den bisherigen Workflow habe ich daher einfach auf den Kindle Scribe übertragen - und geschaut, was mir besser beziehungsweise schlechter gefiel.
Zum Einsatz kam der Scribe also vornehmlich am Schreibtisch: Überschriften brainstormen, To-Do’s abhaken, Notizen in Meetings mitschreiben, Artikel vorplanen und potenzielle News sortieren. Mit dem Kindle Scribe habe ich all das gemacht, was sonst ein klassischer Notizblock übernimmt.
Dabei hat der digitale Notizblock unabhängig vom Modell einen klaren Vorteil gegenüber dem Block aus Papier: Auf meinem Schreibtisch gibt es kein Zettel-Wirrwarr und am Ende des Tages schmeiße ich keine Handvoll vollgeschriebener Seiten in den Papierkorb.
Technische Daten, Verarbeitung und Lieferumfang
Im direkten Vergleich zum ReMarkable 2 fällt direkt auf, dass sich die beiden Modelle zumindest optisch sehr ähneln. Beide wiegen zwischen 400 und 450 Gramm, wobei das ReMarkable 2 mit 404 Gramm etwas leichter und mit 10,3 Zoll (26,16 Zentimeter) auch minimal größer ist. Dafür löst der Scribe mit 300 ppi höher auf als sein Konkurrent mit 226 ppi.
Auch beim Speicher hat das Amazon-Notizbuch die Nase vorn. Während das ReMarkable 2 lediglich über 8 GB Speicher verfügt, bietet selbst die kleinste Version des Kindle Scribe bereits 16 GB.
Der Lieferumfang fällt mit einem der beiden verfügbaren Stifte sowie einer optionalen Schutzhülle ähnlich aus, wobei die aufklappbare und magnetische Hülle des Kindle Scribe zwar den modischen Vergleich verliert, dafür aber mit einem besser nutzbaren Design und einer höheren Stabilität punkten kann.
Insgesamt macht der Kindle Scribe einen stabilen Eindruck auf mich und ich hatte weniger Bedenken, das Amazon Notizbuch auch in den Rucksack einzupacken und unterwegs zu verwenden. Das dürfte unter anderem daran liegen, dass der Scribe mit 8,41 mm fast doppelt so dick ist wie das ReMarkable 2, weshalb Amazons Modell aber auch etwas klobiger wirkt als das besonders schlanke Konkurrenzprodukt.
Akkulaufzeit
Und auch bei der Laufzeit kann der Scribe das Duell klar für sich entscheiden. ReMarkable gibt die Akkudauer seines Gerätes mit bis zu 2 Wochen an, bei meiner intensiveren Nutzung dürften es eher um die 10 Tage sein, die eine Ladung des Gerätes hält. Der Scribe dürfte in der Praxis mindestens doppelt so lang, wenn nicht noch länger durchhalten.
Funktionen und Vorlagen
Das Wichtigste bei einem digitalen Notizbuch ist das Erstellen von handschriftlichen Notizen. Hier zeigen sich beide Modelle von einer starken Seite, das ReMarkable 2 hat als dediziertes Notizbuch aber ein etwas besseres Gesamtpaket.
So schlägt es den Scribe sowohl bei der Anzahl der Vorlagen mit 28 zu 18 als auch bei der Erstellung neuer Notizen. Denn während beim Scribe stets zwei Klicks und die darauffolgende Einrichtung des Notizbuchs notwendig sind, benötigt es beim ReMarkable lediglich einen Klick und die Einrichtung ist dank der Schnellnotiz-Funktion optional.
Auch die Möglichkeit, handschriftliche Notizen in abgetippten Text umwandeln zu lassen, fehlt beim Scribe. Das ist schade, denn gerade für meine Meeting-Mitschriften habe ich die Funktion des ReMarkable 2 gerne genutzt, um die hingekritzelten Action-Points im Nachhinein in eine saubere Form zu bringen.
PDFs lassen sich über verschiedene Wege auf beide E-Writer übertragen. Sowohl dem ReMarkable 2 als auch dem Scribe steht dabei der klassische Weg über USB zur Verfügung. Beide Modelle können Dateien aber auch kabellos empfangen. Für den ReMarkable 2 ist dazu eine eigene App notwendig, beim Scribe könnt ihr sowohl die Kindle-App als auch eine Chrome-Erweiterung oder die An-Kindle-senden-Funktion nutzen.
Damit bietet Amazon hier nicht nur das deutlich umfangreichere Übertragungs-Angebot. Auch bei den unterstützten Formaten gewinnt der Scribe klar. Denn während wir beim ReMarkable neben PDFs lediglich EPUBs übertragen, unterstützt der Kindle Scribe auch Word, HTML, JPEG, GIF und einige weitere Formate.
Wollt ihr die PDF-Dokumente dann weiter bearbeiten, begegnen sich beide Geräte auf Augenhöhe. Handschriftliche Notizen und das Markieren von Textstellen sind auf beiden Modellen möglich.
Ein großer Knackpunkt, der gegen den Kindle Scribe spricht, ist jedoch die fehlende Integration von Cloud-Diensten. Während das ReMarkable 2 mit Google Drive oder OneDrive synchronisiert werden kann, fehlt dieses Feature beim Scribe bislang. Ab Anfang 2023 soll es aber möglich sein, Dokumente direkt aus Microsoft Word an den Scribe zu senden.
Erstmals vorgestellt wurde der Kindle Scribe auf dem Amazon Hardware-Event im September. Was es da sonst noch zu sehen gab, erfahrt ihr hier:
Schreibgefühl und Stift
Beim Schreibgefühl konnte sich der Scribe an der Spitze postieren. Das ist sicherlich eine sehr subjektive Einschätzung, aber in meiner Wahrnehmung fühlte sich der Stift einfach etwas besser an. Beide Geräte begegnen sich hier aber auf hohem Niveau und fühlen sich beim Schreiben fast wie wirkliches Papier an, sodass ich meine Präferenz für den Scribe gar nicht wirklich an Details festmachen kann.
Die Stifte ähneln sich in Form und Funktionsweise sehr. Ich empfehle in beiden Fällen aber das Upgrade auf die Pro-Variante, denn gerade die Radierfunktion am Stiftende sorgt bei der Nutzung für einen zusätzlichen Komfortbonus.
Auf dem Display bietet das ReMarkable deutlich mehr Stift-Typen. Während der Scribe nur einen Stift und einen Textmarker in verschiedenen Dicken bietet, wechseln wir beim Konkurrenten zwischen Fineliner, Marker, Bleistift, Kugelschreiber, Pinsel und einigen weiteren.
Für mich als Linkshänderin war dafür die Anordnung der Bedienelemente auf dem Display beim Kindle Scribe durchdachter. Rechtshänder haben mit beiden Modellen keine Probleme, bei linkshändiger Benutzung kam es aber mehrfach vor, dass ich versehentlich auf das X in der oberen linken Ecke kam und meine Notiz beim Schreiben versehentlich schloss.
Ärgerlich ist, dass der Magnet des Scribe-Stifts recht schwach ausfällt. Eine gewisse Grundhaftung am Kindle ist zwar vorhanden, hält man das Gerät jedoch senkrecht, rutscht der Stift ziemlich schnell vom Display ab.
Zwischenfazit: Digitaler Notizblock
Als digitales Notizblock macht der Kindle Scribe für ein Erstlingswerk eigentlich gar keine schlechte Figur. Im direkten Vergleich zum ReMarkable 2 fehlen aber einige wichtige Funktionen, die das Amazon-Modell im Duell unterliegen lassen. Ein wirkliches No-Go ist aber vor allem die fehlende Cloud-Synchronisation. Hier muss Amazon nachbessern, wenn der Kindle Scribe mehr als ein Gimmick am Arbeitsplatz werden soll.
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