Im ersten Halbjahr 2017 ging ein kleiner Aufschrei durch die Netzgemeinde: Die Landesmedienanstalt NRW forderte zwei der bekanntesten deutschen Live-Stream-Kanäle dazu auf, gegebenenfalls eine Rundfunklizenz zu beantragen. Sowohl PietSmietTV als auch Gronkh könnten per rechtlicher Definition »Rundfunkangebote ohne Zulassung« sein, hieß es damals. Das sei nun zu prüfen und, sollte sich der Verdacht erhärten und weiterhin ohne Lizenz gesendet werden, mit Bußgeldern zu ahnden.
Die Konsequenz: Der Twitch-Kanal PietSmietTV ging mit Ablauf der von der Landesmedienanstalt NRW gesetzten Frist vom Netz, die Betreiber suchten die Öffentlichkeit und den Dialog mit der Politik.
Erik Range versuchte wiederum mit Hilfe des Kölner Medienanwalts Jörg Schaller und einem Antrag auf »rundfunkrechtliche Unbedenklichkeit« seinen Kanal Gronkh vom Verdacht, ein Rundfunkangebot zu sein, freizusprechen. Offenbar mit Erfolg: Eine offizielle Stellungnahme mit Fristablauf am 10. Juli 2017 gab es zwar nicht, die Twitch-Kanäle Gronkh und GronkhTV sind aber weiterhin erreichbar.
Landesmedienanstalt wieder in der Offensive
Nachdem es nun in den vergangenen Monaten erst einmal ruhiger um das Thema wurde, folgt jetzt offensichtlich erneut eine Offensive der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. Getroffen hat es diesmal den Betreiber des Twitch-Kanals Shlorox, der ein offizielles Schreiben unter anderem mit folgendem Wortlaut erhielt:
"[...] Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) ist darauf aufmerksam geworden, dass Sie über Ihren Twitch-Kanal Shlorox regelmäßig Live-Streams verbreiten. Nach den geltenden Regelungen des Rundfunk-Staatsvertrages (RStV) kann Live-Streaming unter bestimmten Voraussetzungen zulassungspflichtigen Rundfunk darstellen. [...]"
Welche Voraussetzungen konkret zur Einordnung eines Streaming-Angebots als Rundfunk führen, erklärt die sogenannte Checkliste WebTV, die derartigen Schreiben in der Regel beiliegt und auf dem Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag - RStV) basiert. Die Kernpunkte:
- es handelt sich um audio-visuelle Bewegtbildangebote, die sich an die Allgemeinheit richten
- die Verbreitung erfolgt linear, also live und kann durch die Zuschauer weder zeitlich noch inhaltlich beeinflusst werden
- es gibt eine Art Sendeplan, also vorangekündigte Zeiten für die Live-Streams
- das Angebot ist journalistisch-redaktionell gestaltet
- es können potenziell mehr als 500 Zuschauer gleichzeitig erreicht werden
Interessant ist hier insbesondere die Auslegung der letzten beiden Punkte. Journalistisch oder redaktionell ist ein Livestream nämlich wohl schon dann, wenn der Streamer das Spielgeschehen kommentiert - was bei so gut wie allen Live-Streams zu Videospielen der Fall ist.
Und bei der maximalen Anzahl der gleichzeitig erreichbaren Zuschauer handelt es sich nicht etwa um die tatsächlichen Zuschauer, sondern um die theoretischen Möglichkeiten. Und in der Theorie kann jeder Twitch-Streamer weit mehr als nur 500 Zuschauer erreichen.
Das Schreiben bedeutet übrigens nicht, dass die Landesmedienanstalt bereits gegen den Kanalbetreiber vorgeht. Es läutet offenbar lediglich das Prüfverfahren ein, in dessen Verlauf ermittelt werden soll, ob es sich tatsächlich um ein Rundfunkangebot handelt. Ist das der Fall, kann es zur Einleitung eines aufsichtsrechtlichen Verfahrens kommen, in dessen Folge Bußgelder für den unveränderten Fortbestand des Live-Streaming-Angebots ohne Lizenz verhängt werden können.
Lizenzgebühren nicht das einzige Problem
Nun könnten sich Streamer wie Shlorox, PietSmiet, Gronkh und Co. einfach fügen und die vielleicht tatsächlich notwendige Rundfunklizenz für ihr Angebot beantragen. Der Gebührenrahmen dafür würde sich zwischen 1.000 und 10.000 Euro bewegen - für Hobby-Streamer sicher eine hohe Hürde, für hauptberufliche Streamer mit vielen Zuschauern aber vermutlich durchaus machbar.
Allerdings ist diese Gebühr wohl noch das geringste Problem. Wer im Rahmen der Rundfunklizenz sendet, unterliegt denselben Verpflichtungen wie jeder deutsche Fernsehsender. Das heißt: Strengere Regeln bei Werbung und - für viele Videospiel-Streamer noch viel einschneidender - strengere Jugendschutzbestimmungen.
Von der in Deutschland für die Altersfreigabe von Videospielen verantwortlichen Stelle »Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle« (USK) erst ab 16 Jahren freigegebene Spiele dürften dann zum Beispiel erst ab 22 Uhr gezeigt werden. Bei einer Freigabe ab 18 Jahren wäre eine Ausstrahlung ausschließlich zwischen 23 und 6 Uhr möglich.
Einem Streamer wie Shlorox, dessen Kanal-Inhalt größtenteils aus Rollenspielen auf inoffiziellen (und von Rockstar Games derzeit still geduldeten) GTA-5-Servern besteht, würde damit quasi die Existenzgrundlage entzogen. Seine Zuschauerzahlen erreichen nämlich in der Regel ab den frühen Abendstunden ihre Höchstwerte, GTA 5 hat jedoch von der USK eine Altersfreigabe ab 18 Jahren erhalten - dürfte also erst nach 23 Uhr gezeigt werden. Genauso wie übrigens das bei Twitch aktuell populärste und am meisten gestreamte Spiel, Playerunknown's Battlegrounds.
Wahl zwischen Pest und Cholera
Im Sinne der aktuellen Rechtslage bleibt Streamern momentan also offensichtlich nur die Wahl zwischen drei Alternativen, die jeweils stets das Ende des bekannten Live-Streaming-Angebots bedeuten würden:
- entweder, sie stellen ihren Live-Sendebetrieb ein,
- sie bauen ihren Kanal so um, dass er nicht mehr als »rundfunkähnlich« gilt
- oder sie beantragen die Rundfunklizenz - mit allen negativen Folgen.
Für die Zuschauer bedeutet das unter anderem, dass Spiele wie GTA 5, Playerunknown's Battlegrounds oder Call of Duty: WW2 erst nach 23 Uhr im Rahmen von Twitch-Live-Streams zu sehen sind. Anders verhält es sich übrigens mit YouTube: Da die Videos hier einzeln und zeitunabhängig abgerufen werden können, handelt es sich per Definition wohl nicht um ein Rundfunkangebot.
Ob ein Antrag auf »rundfunkrechtliche Unbedenklichkeit«, wie ihn Range gestellt hat, erfolgreich sein kann und welche Folgen das nach sich zieht, ist aktuell noch unklar.
Politik reagiert - aber auch rechtzeitig?
Bekommen wir in Deutschland also bald nur noch aufgezeichnete Videos von den bekannten Live-Streamern zu sehen? Möglich ist das - möglich ist aber auch, dass das nur vorübergehend der Fall sein wird. Nachdem die Fälle PietSmiet und Gronkh im Frühjahr 2017 auch in der Politik ihre Kreise zogen, ist im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung Nordrhein-Westfalens bereits das Ziel verankert, die Lizenzpflicht für Live-Streaming-Kanäle abzuschaffen.
Nun mahlen die Mühlen der Politik bekanntlich eher langsam, weshalb es auch Monate später noch keine spürbaren Fortschritte gibt. Wie lange es noch dauert, bis die Landesregierung ihre Pläne diesbezüglich umsetzen kann, bleibt abzuwarten. Selbst wenn es hier jedoch eine neue gesetzliche Regelung geben sollte: Die Medienanstalten anderer Bundesländer müssten sich dem nicht anschließen.
Für Streamer aus beispielsweise Berlin, Sachsen oder Bayern würde sich also selbst dann nichts ändern, wenn die Gesetze in Nordrhein-Westfalen angepasst werden. Allerdings sind uns bisher auch keine Fälle bekannt, in denen die Medienanstalten anderer Länder entsprechende Schreiben an Live-Streamer aus ihrem Zuständigkeitsbereich verschickt hätten.
Mehr dazu:PietSmiet und Gronkh im Visier der Rundfunkanstalt
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