Weltbilder und Spielewelten - Bitte nicht stören!

Über Computerspiele kann man vortrefflich streiten. Aber nur solange es nicht um die Wirkung des Mediums und Verantwortung der Branche geht, dann wird es schnell persönlich und irrational.

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»Ich finde es absurd, dass du das absurd findest«, sagt Jochen Gebauer, sichtlich frustriert. Mir geht es nicht anders. Seit 20 Minuten diskutieren wir über Sexismus in Spielen am Beispiel von Rainbow Six: Siege. Die Fronten sind verhärtet, vermutlich schon bevor die Diskussion zwischen mir und dem GameStar-Chefredakteur beginnt.

Was ist daran verwerflich eine Frau als Geisel darzustellen? Gamespot-Redakteur Tom Mc Shea behauptet in seiner Kolumne:

»Es ist eine Schande, dass diese Frau so wenig tun kann, um sich selbst zu helfen. Sie kann nur schreien, weinen und geht mit jedem Beliebigen mit, der in ihre Nähe kommt. Es ist eine traurige Situation, in der sie kein menschliches Wesen mehr ist, sondern nur noch eine seelenlose Trophäe«.

Mich ärgert das, ich finde die Argumentation absurd, habe beim Lesen das Gefühl, da predigt jemand von seiner hohen Kanzel herab, will mich in die Sexisten-Schublade packen und da gehöre ich nicht hin. Vielleicht kann ich Jochen deswegen auch nicht verstehen, der eine ähnliche Position wie Mc Shea vertritt. Unsere Diskussion kippt immer mehr Richtung Streit, weil keiner seine Position aufgeben will und es uns beide auf die Palme bringt.

Mein Spiel, meine Welt

Vor vielen Jahren, als ich noch bei meiner Mutter wohnte, hing an meiner Zimmertür ein Schild: »Bitte nicht stören«, stand darauf. Sobald mein PC lief und ich ein Spiel gestartet hatte, wollte ich meine Ruhe haben. Nicht nur vor meiner Familie, sondern auch vor der Welt. Es wird oft darüber diskutiert, ob Computerspiele eine Form von Weltflucht sind - ich kann sagen, für mich waren sie es und sind es noch immer. Ich finde daran auch nichts Verwerfliches, so wie ich auch mit einem guten Buch, Film oder auch Musikalbum in eine andere Welt abtauchen kann.

Rene Heuser

Mittlerweile bin ich erwachsen und brauche kein Schild mehr an meiner Tür. Ich arbeite seit zehn Jahren bei einem der bekanntesten deutschen Spielemagazine, und bis auf wenige Ausnahmen hat die Gesellschaft die Spiele und Spieler akzeptiert. Trotzdem trage ich im Kopf das »Bitte nicht stören« weiter mit mir herum. Wenn ich spiele, will ich frei sein, zu tun und zu lassen, was ich will. Niemand soll mir sagen, wie und was ich spiele. Zensur? Nicht mit mir. Gleichberichtigung zwischen Mann und Frau? Wozu? Eine respektvolle Darstellung von anderen Ethnien und Randgruppen? Who cares? Ich bin der König meiner Spielwelten, und dort darf ich machen was ich will, denken was ich will und mein Hirn abschalten wie ich will. Sollen die Gutmenschen, Moralapostel und Gender-Fanatiker bitte draußen bleiben. Es ist doch NUR. EIN. SPIEL.

Beim Blick auf die Kommentare unter dem Gamespot-Artikel fühle ich mich bestätigt. Hunderte andere Spieler zeigen dem Text ihre virtuellen Mittelfinger. »Es sind Jammerlappen wie der Autor, die aus dieser Mücke einen Elefanten machen«, schreibt Nutzer Voodoo in den Kommentaren und fasst damit das Echo der Leser größtenteils zusammen.

Vielen geht insbesondere auch gegen den Strich, dass noch gar nicht klar ist, ob es nicht auch männliche Geiseln im Spiel gibt. Einige sagen, Ubisoft habe das sogar schon angekündigt. Mir ist das zuerst sogar egal: Für mich war die Geisel in der Rainbow Six nur ein Spielelement, keine politische oder moralische Aussage. Wenn ich einen Multiplayer-Modus spiele, ist es mir nicht wichtig, ob ich Mann oder Frau, Amerikaner oder Chinese, Weißen oder Schwarzen erschieße oder rette. Lasst mich einen Sack Kartoffeln retten - auch recht. Es ist doch alles nur ein Spiel!

Und selbst, wenn ich lieber schwache Frauen retten möchte, um mich als Held zu fühlen: Es ist doch meine Welt, sind doch meine Gedanken. Habe ich nicht ein Recht auf Vorurteile und Eitelkeiten, auf Trash-Talk und Gegner-Bashing in dieser virtuellen Welt, in der ich damit niemandem weh tue? Darf ich da nicht mal Spaß daran haben, Dinge zu tun und Gedanken zu denken, die mir sonst sogar fremd sind? Es ist doch nur ein Rollenspiel, und danach kehre ich zu meinem alten Ich zurück. Oder?

Die Darstellung der Geisel in Rainbow Six: Siege wird kontrovers diskutiert. Die Darstellung der Geisel in Rainbow Six: Siege wird kontrovers diskutiert.

Ich muss gestehen, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob Spiele mich und mein Leben beeinflusst haben. Klar, ich bin trotz tausenden Stunden in Counter-Strike, Battlefield und World of Warcraft nicht zum Amokläufer und Soziopathen mutiert. Aber wie viel Einblick haben wir wirklich, was unsere Meinung und Weltanschauung prägt? Habe ich meinen Panasonic-Fernseher wirklich nur wegen der Test-Tabellen und nicht vielleicht doch wegen der Werbung gekauft? Und wie schnell schließen wir von uns auf die Allgemeinheit? Wenn ich Menschen in Spielen die Körperteile abtrenne, dann hat das auf mich selbstverständlich keine Wirkung, also wird es auch auf alle anderen keinen Einfluss haben. Wenn Spiele einen rassistischen, frauenfeindlichen Subtext oder eine entsprechende Handlung haben, dann ist das nur Satire, ein Spiegelbild der Gesellschaft, jeder weiß ja, wie es gemeint ist. Medien sind Medien, und die Realität ist die Realität, das wissen wir alle. Aber stimmt das? Für wirklich alle? Und wenn nicht, wie viele sind zu viele?

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