Nickelodeons heißgeliebte Zeichentrickserie Avatar: Der Herr der Elemente ist eine Geschichte um Balance. Alle zentralen Thematiken lassen sich letztlich unter diesem Begriff zusammenfassen. Es geht um das Gleichgewicht der Welt, das Gleichgewicht der Elemente - aber eben auch um das innere Gleichgewicht jedes einzelnen Charakters.
Gerät jemand oder etwas aus dem Gleichgewicht, hat das in der Regel furchtbare Konsequenzen. Passenderweise lässt sich diese Weltanschauung nahezu perfekt auf die neue Serie von Netflix anwenden, die nach M. Night Shyamalans grotesker Kinoversion nun schon zum zweiten Mal den Versuch antritt, das ganze als Realverfilmung umzusetzen.
Und naja, das gelingt Netflix zumindest besser als seinerzeit dem Kinofilm. Das muss nur nicht besonders viel heißen. In diesem Fall bedeutet es sogar, dass das Ergebnis trotz allem immer noch weit davon entfernt ist, das erstklassige Niveau der Vorlage zu erreichen. Die Gründe dafür habt ihr sicher schon erraten: Dieser Serie fehlt jedwede Balance.
Das Helden-Trio auf großer Tour
Falls ihr bislang noch wenig Kontakt mit einem Avatar hattet, der kein blaues Alienwesen war, dann hier eine kurze Übersicht. In der Fantasywelt, die vor allem von fernöstlicher Kultur geprägt ist, herrscht seit 100 Jahren Krieg. Die Feuernation hat allen anderen Nationen überfallen.
Jede Nation verfügt über Menschen, die eines der vier Elemente beeinflussen können, doch es gibt einen, der sie alle beherrscht: der Avatar. Er wird stets aufs neue in einer anderen Nation wiedergeboren und vermittelt zwischen Menschen und Geistern. Er wäre wohl der einzige gewesen, der den Angriff der Feuernation hätte verhindern können.
In der Geschichte ist besagter Avatar ein zwölfjähriger Luftbändiger namens Aang (Gordon Cormier), der hundert Jahre lang im Eis gefangen war und zu Beginn der Serie von der Wasserbändigerin Katara (Kiawentiio) und ihrem Bruder Sokka (Ian Ousley) befreit wird. Aang muss jetzt seine Rolle als Avatar erfüllen, die anderen drei Elemente meistern und den Krieg beenden.
Als Erstes geht es aber vor allem darum, gemeinsam mit seinen zwei neuen Freunden in den Norden zu reisen und das Wasserbändigen zu lernen. Unterwegs erleben die drei eine Vielzahl an illustren Abenteuern.
Derweil werden die Helden von dem Feuerprinzen Zuko (Dallas Liu) und dessen treuem Onkel Iroh (Paul Sun-Hyung) durchgehend verfolgt.
Alle Fakten zur Serie auf einen Blick
- Release: 22. Februar 2024
- Anbieter: Netflix
- Showrunner: Albert Kim
- Budget: 120 Millionen US-Dollar
- Cast: Gordon Cormier, Dalls Liu, Kiawentiio, Ian Ousley, Paul Sun-Hyung Lee, Elizabeth Yu, Daniel Dae Kim, George Takei, Danny Pudi
Fantasy-Drama statt herzliches Abenteuer
Wie so oft steckt in einer solchen Geschichte und Welt natürlich nochmal etwas mehr, als ich hier abbilden kann. Grundsätzlich erkennt ihr aber sicher, dass die Ausgangslage ursprünglich mal für eine klassische Zeichentrickserie im Nachmittagsprogramm geschrieben war. Eine Serie für Kinder, die allerdings vor allem deshalb bis heute so hochgeschätzt wird, da eben auch viele ernste Themen anklingen.
In der Vorlage wurde oft gelacht, sie war liebenswert albern, die Protagonisten meist Kinder oder Teenager. Trotzdem hat sie immer auch wieder die Kurve hin zur Dramatik gekriegt, zu echten Emotionen, war mal traurig, mal episch. Das große Problem der Netflix-Serie liegt darin, dass sie all das ebenfalls einfangen wollten und noch mehr.
Diese Serie gerät schon in den ersten Minuten komplett aus der Bahn, da sie sich ihrer Ambition sehr unsicher erscheint. Netflix will daraus unbedingt ein Fantasy-Drama stricken, das noch tiefer in politische Hintergründe des Krieges und dem Krieg an sich eintaucht. Verlust spielt nochmal eine deutlich präsentere Rolle.
Aus dem Gleichgewicht geraten
Es gibt Momente, da funktioniert das durchaus gut! Gerade in den späteren Folgen wird die Geschichte um ein paar interessante Details ergänzt.
Das Problem ist nur, dass sich Netflix nicht auf diesen neuen Fokus festlegt. Sie wollen trotzdem alle Fans einfangen und versuchen zwanghaft viele Charaktere aus der Vorlage auftreten zu lassen. Oft mit Kostümen, die sehr nah an der Zeichentrickserie bleiben. Das kollidiert nur eben mit dem Anspruch, hier ein ernsteres Kriegsdrama zu zeichnen.
Ton und Handlung der Episoden sind in den meisten Fällen (nicht immer!) ein absolutes Durcheinander. Da werden ganze Episoden ineinander geworfen, damit die entsprechenden Charaktere auftreten dürfen, die dann komplett fehl am Platze wirken und gleichzeitig Charaktere aus Ereignissen entfernt, die für ihre Entwicklung wichtig gewesen wären.
Zusätzlich wird unheimlich viel und ausufernd geredet. Ständig gibt es Exposition nach Exposition. Oft sagen Charaktere einfach, was sie gerade fühlen, anstatt uns die Emotionen zu zeigen.
Den Humor der Vorlage bekommt die Serie kein einziges Mal auf den Punkt gebracht. Sei es durch die geschriebenen Dialoge oder dem Spiel der Darsteller. Gerade der in der Vorlage so unterhaltsame Sokka wirkt in der Realseriere eher unsympathisch.
Diese Serie hat keine Balance, will einerseits einen erwachsenen Ton anschlagen und gleichzeitig die Vorlage vollumfänglich abbilden. Sie wirkt innerlich zerrissen und erreicht damit nie durchgehend das Potenzial, das sie in ihren wenigen guten Momenten zeigt.
Stärken und Schwächen von Avatar
Was uns an Avatar gefallen hat
- Das Bändigen: Gerade im Vergleich zum Kinofilm wird das Bändigen der Elemente in der Netflix-Serie viel imposanter inszeniert. Es gibt ein paar wirklich unterhaltsame Kampfchoreografien, in denen Feuer, Luft, Wasser oder Erde eindrucksvoll in Szene gesetzt werden.
- Die letzten Episoden: Auch wenn die Mehrheit an Episoden von langweilig bis ermüdend rangieren, gibt es gerade hinten raus noch ein paar Glückstreffer. Man merkt, dass der ernstere Ton der letzten Folgen der ersten Staffel der Realserie hier in die Karten spielt und zwischendurch schaffen sie es sogar, eine von vorne bis hinten stimmige Handlung abzubilden.
- Einige Darsteller: Auch wenn viele Charaktere nicht im Ansatz die charakterliche Tiefe entfalten, die sie in der Vorlage eigentlich haben, gibt es ein paar solide Leistungen. Zuko-Darsteller Dallas Liu bringt die Zerrissenheit der Figur etwa gut rüber und auch Hauptdarsteller Gordon Cormier schafft es, das fröhliche Wesen von Aang nachvollziehbar abzubilden.
Was uns Avatar nicht gefallen hat
- Der Ton: Die Netlfix-Serie kann sich nicht darauf festlegen, welchen Bereich der Geschichte sie nun eigentlich besonders hervorheben wollen. Die Serie verliert sich stellenweisen komplett darin, irgendwie möglichst viele Episoden sowie Figuren aus der Vorlage einzubauen und sorgt damit für ein heilloses Kuddelmuddel, das dem angestrebten ernsteren Ton spürbar im Weg steht.
- Das Tempo: Ergänzend zum unscharfen Fokus hadert die Serie auch sehr damit, welches Tempo sie eigentlich anschlagen will. Die Episoden wirken einerseits gehetzt, andererseits unheimlich träge und langatmig. Es wird viel weniger Handlung in viel längerer Zeit abgebildet als in der Vorlage, da die Charaktere meistens lieber ausgiebig quasseln, als etwas zu tun. Trotzdem werden ständig neue Nebenschauplätze aufgemacht.
- Stellenweise das CGI: Grundsätzlich weist die Netflix-Version von Avatar oftmals ganz anständige CGI-Effekte auf, auch wenn wir mittlerweile selbst von Serien eigentlich besseres gewohnt sind. Manchmal kommen aber Szenen vor, die viel zu sehr auf digital erstellte Charaktere setzen. Dann wird aus Realfilm plötzlich eine Videospiel-Cutscene. Ganz schlimm ist in der ersten Folge ein Zoom auf das Gesicht von Aang, das offensichtlich aus dem Computer kommt.
- Der Humor: Zu keinem Zeitpunkt fängt die Serie den Humor der Vorlage auf unterhaltsame Art und Weise ein. Die Gags sind alle lasch und unpassend, sowohl in Form
gewitzter
Kommentare als auch bei Slapstick-Einlage. Würden die Charaktere nicht selbst lachen, wär nicht mal klar, dass das gerade witzig sein sollte. - Der Soundtrack: Die Zeichentrickserie hat einen grandios charaktervollen Score, der die Welt und den Ton perfekt einfängt. Netflix verlässt sich stattdessen lieber auf generisches Fantasy-Gedudel und greift nur dann auf die ikonische Musik der Vorlage zurück, wenn sie sich nicht anders zu helfen wissen.
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