Titan, Blizzards nächstes Online-Rollenspiel, erscheint also frühestens 2016. Ich könnte kaum weniger überrascht sein, schließlich haben die Jungs »erst« 2006 mit der Arbeit begonnen und für Diablo 3 ja auch schlappe 12 Jahre gebraucht. Schon interessanter ist der Grund für die Verzögerung, es soll um eine Neuausrichtung gehen, um » Änderungen am Design und an der Technologie«, wie es ein Blizzard-Sprecher ausdrückt. Man kann das klarer sagen: In seiner bisherigen Form hätte Titan keine Chance. Und auch das ist, ehrlich gesagt, kein Wunder.
Nun ist es natürlich müßig, über ein Spiel zu spekulieren, das man noch nie gesehen hat. Ich habe allerdings in den letzten Jahren mit vielen Menschen über Titan gesprochen, natürlich auch mit Blizzard-Insidern. Demnach sollte das Projekt kein zweites World of Warcraft werden, sondern eine Art erweitertes Second Life, also ein MMO mit menschlichen Bewohnern, die einem »echten« Leben und Berufen nachgehen, vielleicht sogar eigene Avatare und Landstriche basteln könnten. Klar, ob das stimmt, weiß außerhalb von Blizzard kein Mensch, Gerüchte über Titan hat es viele gegeben - von Ingame-Werbung über eine Xbox-Umsetzung bis zum Zeitreise-Szenario.
Die Second-Life-These könnte aber zumindest einen wahren Kern haben, schließlich erlebte das Lebens-MMO in den späten 2000er-Jahren seine Hype-Blütezeit. Die Hersteller sonnten sich im Ruhmesglanz stetig steigender Spielerzahlen und spekulierten, Second Life könne bald größer werden als die damals aufstrebende Sozialplattform Myspace. Unternehmen investierten in virtuelle Nachbildungen ihrer realen Läden, Gerüchten zufolge soll Microsoft einen sechsstelligen Betrag in seine Second-Life-Präsenz investiert und sogar mit einer kompletten Übernahme des Spiels geliebäugelt haben.
Kurzum: Virtuelle Austob-Welten mit »echten« Bewohnern galten als letzter Schrei. Wer kein zweites Leben im Internet führte, war plötzlich out. Doch spätestens 2010 verebbte der Reiz des Neuen wieder, Second Life schrumpfte in die Bedeutungslosigkeit zurück. Zweites Leben im Netz? Soziales Miteinander? Ach, dafür gab's doch längst Facebook!
Und selbst wenn das Second-Life-Beispiel Mumpitz sein und nichts mit Titan zu tun haben sollte (auch Blizzard-Insider können Quatsch erzählen), so zeigt es doch, wie schnell sich insbesondere die Online-Welt dreht. Was vor sieben Jahren hip und neu war, juckt heute keinen Lurch mehr. Das gilt selbstverständlich auch in der Spielebranche: Nach 2006 verstärkte sich der Aufwärtstrend der Konsolen (deren Absatzmarkt momentan jedoch wieder schrumpft), während auf dem PC zunächst Download-Plattformen à la Steam aufpoppten und danach der Free2Play-Goldrausch ausbrach (der inzwischen auch wieder nachgelassen hat).
In sieben Jahren kann sich also verdammt viel ändern, vor allem für ein Online-Spiel sind sie eine Ewigkeit. Denn gerade Online-Titel sind darauf angewiesen, beim Erscheinen »neu« und trendig zu wirken statt ausgekaut und altmodisch. Denn sonst gehen die Spieler schnell wieder woanders hin - oder kommen gar nicht erst. Die traditionell langen Blizzard-Entwicklungszyklen werden dem sich schnell verändernden Markt einfach nicht mehr gerecht.
Mit World of Warcraft (dessen Entwicklung nur vier bis fünf Jahre gedauert hat) haben die Kalifornier seinerzeit zudem einen perfekten Riecher für den aktuellen Trend bewiesen, der Markt und die Spieler waren reif für ein zugängliches Online-Abenteuer. Bei Titan hat dieser Riecher bislang offensichtlich versagt. Ich bin gespannt, wie Blizzard das Spiel letztendlich ausrichtet. Denn 2016, da bin ich mir ganz sicher, wird der Markt schon wieder ganz anders aussehen.
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