Buffalo-Amoklauf: Wer Spiele liebt, darf Twitch, Steam und Discord nicht den Extremisten überlassen

Erneut missbraucht ein Rechtsextremist eine Gaming-Plattform für seine abscheuliche Bluttat. Eine traurige Wahrheit, die man nicht wegwischen darf, sondern diskutieren muss.

Am 14. Mai 2022 hat ein 18-jähriger weißer Angreifer in der US-amerikanischen Stadt Buffalo einen Supermarkt gestürmt und dort zehn Menschen erschossen sowie drei weitere verletzt – fast alle Opfer sind Schwarze.

Nach Angaben der Polizei von Buffalo übertrug der schwer bewaffnete Täter sein schreckliches Verbrechen dabei live via Helmkamera auf Twitch. Dies bestätigte inzwischen auch die Streaming-Plattform gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, gab aber gleichzeitig an, die Übertragung nach zwei Minuten beendet zu haben und rigoros gegen Re-Uploads vorzugehen.

Nach US-Medienberichten habe der Täter vor der Tat außerdem ein 180-seitiges Manifest online veröffentlicht, das eindeutig eine rassistische Gesinnung dokumentiere.

Die Ermittlungen zeichnen ein klares Bild: Hier hat ein Mörder die Gaming-Kultur für seine Zwecke pervertiert. Darüber muss geredet werden. Denn wir können es nur gemeinsam verhindern.

Attentate mit Gaming-Motiven

Die Kombination aus rechtsextremistischem Online-Pamphlet und Live-Übertragung mit Ego-Shooter-Kamera ist inzwischen ein trauriges Muster. Sowohl der Amokläufer von Christchurch wählte im März 2019 diese Form der Inszenierung als auch der Attentäter von Halle, der im Oktober 2019 ein Blutbad in einer Synagoge anrichten wollte.

Und auch dieses Mal hat es nicht lange gedauert, bis erste Fernsehsender bei der schwierigen Frage nach dem »Warum?« nach einfachen Antworten suchen und – natürlich – Computerspiele als Sündenbock deklarieren. Wenig überraschend ganz vorn dabei: Der rechtskonservative US-Nachrichtensender FOX News, dessen Moderator sich nicht entblödet zu behaupten, dass »solche Dinge so viel schlimmer geworden seien, seitdem Videospiele immer realistischer und gewalttätiger würden.«

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Solche populistischen Quatschaussagen machen es unsereins verführerisch leicht, sich drüber aufzuregen, lustig zu machen oder mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Ich kann diese Reaktionen durchaus nachvollziehen, aber sie dürfen unsere Augen nicht vor der bitteren Wahrheit verschließen: Unsere geliebte Gaming-Kultur wird immer wieder von Extremisten gekapert und missbraucht.

Die Attentäter von Christchurch, Halle oder Buffalo bedienen sich bei ihren schrecklichen Bluttaten ganz bewusst bei Gaming-Motiven. Sie sprechen von Todesopfern wie von Achievements, sie streamen live auf Twitch, sie veröffentlichen ihre Pamphlete auf Plattformen wie Discord oder 4chan.

Die Verantwortung von Steam & Co.

Natürlich ist diese Gamifizierung von Extremismus und Attentaten nicht die Schuld von Computer- und Videospielen. Sondern die logische Folge davon, dass heutzutage jede und jeder mit Spielen aufwächst. Sie sind genauso ein normaler Bestandteil unserer Gegenwartskultur wie Filme, Musik oder Literatur und für junge Menschen wahrscheinlich sogar der einflussreichste.

Ja, selbsverständlich ist es in erster Linie die Aufgabe der Gesetzgeber, den Rahmen für Extremismusbekämpfung zu schaffen und die Plattformhalter hierfür haftbar zu machen. Und dass es hierauf keine einfachen Antworten gibt, nicht zuletzt beim Thema Datenschutz und Persönlichkeitsrechte, ist mir ebenfalls bewusst.

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Nur befreit das weder die Gaming-Unternehmen noch die Communitys von ihrer Verantwortung. Und es gehört zur traurigen Wahrheit, dass rechtsextreme Gruppierungen auf Gaming-Plattformen wie Steam oder Discord nach wie vor nahezu ungehindert agieren und rekrutieren können.

Wie viel hier im Argen liegt, belegte erst 2021 die Amadeu Antonio Stiftung in ihrer Publikation »Unverpixelter Hass – Toxische und rechtsextreme Gaming-Communitys«, die unter anderem nachwies, dass Steam trotz Meldungen weder gegen Profilfotos von Nationalsozialisten wie Heinrich Himmler vorgeht, noch gegen Usernamen wie »Yolocaust« oder »Konzentrationslager« (S. 61ff).

Und auf Discord existieren nach wie vor komplette Server, zu denen nach Beantwortung eines Fragenkatalogs nur diejenigen Zugriff erhalten, die antisemitische, rassistische und/oder LGBTQ-feindliche Ideologien vertreten. Bei Discord sind inzwischen weit über 300 Millionen User registriert, das Unternehmen beschäftigt gerade mal 750 Angestellte.

Man muss auch kein Mathematiker sein, um zu errechnen, dass 13 ehrenamtliche Moderatoren für eine Plattform wie Steam vielleicht ein bisschen wenig sein könnten. Zum Vergleich: GameStar.de hat aktuell 19. Wir reden bei Valve von einem Unternehmen mit geschätzten mehreren Milliarden Dollar Jahresumsatz, das allein 2021 über 31 Millionen neue Kunden gewinnen konnte. Bei solch einem Wachstum liegt auf der Hand, dass Valve eigentlich im gleichen Maße in Moderation und Extremismusbekämpfung investieren müsste. Was sie augenscheinlich weder tun noch wollen.

Wir sind mehr und können etwas bewirken!

Angesichts solcher Ereignisse wie dem Buffalo-Attentat und der offenkundigen Scheißegal-Mentalität mancher Gaming-Plattformen kann ich verstehen, dass man sich manchmal hilflos fühlt. Geht mir nicht anders.

Aber wenn wir nicht diese schmerzhafte, aber notwendige Diskussion führen und die Gaming-Unternehmen in die Verantwortung nehmen, dann machen es eben die anderen. Diejenigen, die keine Ahnung von Spielen haben. Diejenigen, für die Spiele nur ein Sündenbock sind, um vom Versagen in anderen Bereichen abzulenken.

Die Wahrheit ist: Wir sind nicht hilflos! Im Gegenteil: Wir sind so viel mehr als diejenigen, die das schönste Hobby der Welt für ihre extremistischen Ideologien missbrauchen wollen. Wir wissen, dass Gaming die Menschen nicht trennt, sondern zusammenbringt – und das vollkommen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Orientierung.

Es liegt an uns, das jeden Tag zu leben. Den Extremisten keinen Zugang in unseren Communitys zu lassen. Die Unternehmen bei jeder Gelegenheit daran zu erinnern, dass sie die Verantwortung dafür tragen, was auf ihren Plattformen passiert – und dass Hass und Hetze dort keinen Platz haben dürfen.

Und – das ist der schmerzhafte Teil – es liegt ebenso an uns, die eigene Verantwortung wahrzunehmen. Wer nicht will, dass sich sowas etabliert, darf nicht wegschauen oder mit den Schultern zucken. Wenn wir nicht sagen, dass wir das abscheulich finden, dann werden weder die Plattformen noch die FOX-Moderatoren irgendeine Notwendigkeit erkennen, hier in Zukunft anders zu agieren. Die Diskussion über Extremismus im Gaming sollten vor allem diejenigen führen, die es am meisten betrifft und die am meisten dagegen unternehmen können. Und das sind wir.

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