Seite 2: Let’s Play - Die neue Macht - Sprechende Spieler

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Wer sieht sich das an?

Doch wer sind diese Millionen Zuschauer, und weshalb schauen sie sich Aufzeichnungen von Spielen an, statt selber zur Maus oder zum Controller zu greifen? »Ich habe noch nie einen Zuschauer getroffen, deshalb ist es schwer, sich ein Bild zu machen«, erklärt Peter Smits, einer der Gründer des populären Let’s-Play-Kanals »Piet Smiet & Co.«. »Die Youtube-Statistiken verraten mir immerhin, dass unsere Zuschauer zu 90% männlich und zu einem Großteil zwischen 13 und 17 Jahren alt sind.« Diese Einschätzung wird von den meisten Let’s Playern geteilt.

Doch auch wenn das Publikum statistisch gesehen einheitlich ist, sind die Motive für das Anschauen der Videos vielfältig. »Der eigene Rechner kann das Spiel nicht stemmen, man besitzt die Konsole nicht, man hat keine Lust selber zu spielen, möchte aber die Geschichte erleben – und so weiter«, zählt Smits auf. Der ebenfalls beliebte Let’s Player Valentin »sarazar« Rahmel ergänzt: »Manche Fans möchten einfach ein wenig abschalten bei einem kleinen Gameplay-Video, wo man selber nicht viel machen muss. Den meisten Zuschauern geht es aber um den Unterhaltungswert.«

Das erstaunt nicht; schließlich sind die Kommentare und darin durchscheinende Persönlichkeit des Let’s Players das eigentlich Neue, das diese Videos von älteren, weniger erfolgreichen Formen wie dem stummen Walkthrough abhebt. Die besten Let’s Plays verstehen es, zu unterhalten, ohne sich auf Insider-Scherze für Hardcore-Spieler zu beschränken: Ein Yogscast-Video etwa wirkt oft wie die Neuauflage einer geradezu klassischen Comedy-Formel, mit Lane als ungeschicktem Trottel und Brindley als dessen besonnenem Gegenpart. Dass die Nummer in einer Spielwelt statt auf der Bühne aufgeführt wird, schrumpft zur Nebensache. Und auch die Wahl des kommentierten Spiels erscheint gelegentlich zweitrangig.

Yogscast
Simon Lanes und Lewis Brindleys erstes kommentiertes Video erschien 2008: bewusst nutzlose, aber umso unterhaltsamere Tipps für Word of Warcraft: Wrath of The Lich King.

Dieser Comedy-Einschlag ist bis heute das Markenzeichen des Yogscast, der zu einem offiziellen Unternehmen gewachsen ist: Neben täglich veröffentlichten Videos (die zum größten Teil, aber nicht ausschließlich aus Let’s Plays bestehen) umfasst der Yogscast auch einen Podcast, ein Forum und eine Plattform für die Fan-Community. Brindleys Freundin Hannah Rutherford ist mittlerweile das offizielle dritte Mitglied des Teams.

Ein unterhaltsamer Einblick

Andererseits kann das Interesse an einem bestimmten Programm auch überhaupt erst zum Video führen. Peter Smits fand auf diesem Weg zum Let’s Play: »Ich hörte von diesem Indie-Titel namens Minecraft und konnte mir absolut nichts darunter vorstellen. Durch eine flotte Suche bei Youtube bin ich bei einem Video von Gronkh gelandet. Kein noch so nett geschriebener Artikel hätte mir das damals noch recht unerforschte Phänomen Minecraft in der kurzen Zeit so gut nahe bringen und mich dabei auch noch unterhalten können.«

Im Forum der Commedy-Website Something Awful gibt es noch immer viele Text-Let’s-Plays. Im Forum der Commedy-Website Something Awful gibt es noch immer viele Text-Let’s-Plays.

Let’s Plays unterhalten also nicht nur, sie informieren auch und ergänzen damit die klassischen Test-Videos. Denn wo diese nach Kompaktheit und Objektivität streben, bieten Let’s Play die Gelegenheit, durch die Augen eines Normalos ein unbekanntes Spiel in voller Länge zu erleben.

Die Neugierde auf unbekannte Spiele hat aber auch eine Kehrseite: den Reiz des Verbotenen. Wenn Let’s Plays minderjährigen Zuschauern als Ersatz für eine Spieleerfahrung dienen, die ihnen aus finanziellen Gründen verwehrt bleibt – warum dann nicht auch für eine Spielerfahrung, die ihnen aus gesetzlichen Gründen verwehrt bleibt?

Let’s Plays eines indizierten Spiels anzusehen, ist zweifelsohne einfacher, als sich dieses zu beschaffen. »Das ist nicht auszuschließen«, bestätigt Peter Smits. »Es kommt wohl vor, dass Minderjährige mit möglicherweise jugendgefährdenden Inhalten konfrontiert werden. Und das ist ein Problem. Ich sehe hier aber eher auf Seiten von Youtube Handlungsbedarf. Wer Videos hochlädt, bekommt ja nicht mal die Möglichkeit, diese nur volljährigen Zuschauern zugänglich zu machen.«

Die große Rechtsfrage

Die Frage, wer die Verantwortung für den Jugendschutz übernehmen soll, wurde bislang erstaunlich wenig diskutiert – ganz im Gegensatz zu einem anderen Aspekt der Let’s Plays, der sie ins rechtliche Zwielicht rückt: Let’s Play-Videos verletzen strenggenommen das Urheberrecht.

Schließlich zeigen sie geschützte Bilder und Töne; in der Regel, ohne vorher die Nutzungsrechte abzuklären. Als das US-Repräsentantenhaus Anfang 2012 den »Stop Online Piracy Act« diskutierte, der ein restriktives Vorgehen gegen die unerlaubte Verwendung audio-visueller Inhalte ermöglicht hätte, sahen sich viele Let’s Player in ihrer Existenz bedroht.

Diese Furcht wird allerdings dadurch gemildert, dass sich kaum ein Entwickler oder Publisher offen gegen Let’s Plays ausspricht. Im Gegenteil wächst das Bewusstsein dafür, dass diese Videos viel Aufmerksamkeit für die kommentierten Spiele generieren – und dies in der Regel auch noch im Guten. »Da Let’s Player ihre Spiele meist nach persönlichen Vorlieben auswählen, werden sie auch tendenziell positiv dargestellt«, meint Peter Smits.

Kostenlose Werbung

Let’s Plays sind aus Sicht der Industrie also im Idealfall Werbung – unkontrolliert, aber kostenlos. Einige Entwickler gehen sogar einen Schritt über die stillschweigende Duldung hinaus und beziehen Let’s Player direkt in das Marketing von Spielen ein.

Daedalic bewarb sein Adventure Deponia auch mit Let’s Plays – und ist sehr zufrieden. Daedalic bewarb sein Adventure Deponia auch mit Let’s Plays – und ist sehr zufrieden.

So etwa der Adventure-Hersteller Daedalic, der Gronkh in die Promotion von Deponiaeinspannte. Der Daedalic-Geschäftsführer Carsten Fichtelmann erklärt: »Für die restriktive Verfolgung von Copyright-Verletzungen habe ich vollstes Verständnis. Wir verteidigen unsere Rechte auch. Bezüglich Let’s Plays habe ich aber eine andere Sichtweise, denn sie helfen uns dabei, neue Spielerschaften zu erschließen. Der Mehrwert beim Verkauf von Spielen wiegt schwerer als der Verlust einiger Leute, die sich das Spiel womöglich nicht mehr kaufen, weil sie ein Let’s Play gesehen haben.«

Das erstaunt auf den ersten Blick, scheinen doch gerade die verhältnismäßig wenig interaktiven Adventures durch einen »Film« bedroht, der die gesamte Handlung zeigt. Schließlich bleibt fast nichts mehr zum Erleben übrig, wenn man erstmal die Story gesehen hat.

Fichtelmann sieht dies anders: »Die Let’s Plays verwandeln unsere Adventures in Fernsehserien oder in Episoden unterteilte Spielfilme. Leute, die skeptisch sind, ob solche Spiele etwas für sie sind, lassen sich da schon mit wenigen Folgen überzeugen.« Mit Gronkhs Let’s Plays hat sich Daedalic eine jüngere Käuferschicht erschlossen, die sich bislang kaum für Adventures interessiert hatte. Fichtelmann zieht zufrieden Bilanz: »Das Experiment hat sich gelohnt und wird auch bald fortgesetzt.«

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