Menschen und Potenzial unterstützen - Polen setzt auf Spieleentwickler

Volkswirte diskutieren seit Generationen darüber, zu welchem Grad der Staat an der Schaffung von Märkten beteiligt sein sollte, und bis ein Konsens darüber erreicht wird, werden vermutlich noch ein paar Generationen verstreichen.

Von Marcin Strzyzewski

Bei dieser Artikelreihe handelt es sich um einen zweiteiligen Gastbeitrag. Den ersten Teil zum Thema "Warum The Witcher in Polen entwickelt werden musste" könnt ihr hier nachlesen.

Sollte die Regierung die Wirtschaft sich selbst überlassen? Vielleicht sollte sie nur einschreiten, wenn es bergab geht. Vielleicht sollte sie aber auch auf sämtliche Lebensbereiche von A bis Z einwirken? Diese Fragen sind zwar gut, aber auch schwierig, und wenn ich die Antworten kennen würde, würde ich für The Economist schreiben. Jedoch wissen wir, zumindest im Bereich der Videospiele, dass die Antwort der polnischen Regierung auf "Hilf denen, die das Potenzial haben" heruntergebrochen werden kann. Seit ein paar Jahren nun können polnische Entwickler bereits auf echte Unterstützung zählen. War das die richtige Entscheidung?

Die polnische Videospielbranche erblickte Anfang der 90er-Jahre das Licht der Welt, als die Hauptaktivität noch aus dem Verkauf westlicher Raubkopien auf Märkten bestand. Die polnischen Schaffer hatten mit erheblichen Nachteilen gegenüber ihren Kollegen aus den USA, Japan und Westeuropa zu kämpfen. Nur wenige Menschen konnten sich einen Computer leisten, und die Hauptmethode, das Programmieren zu erlernen, bestand im Grunde aus Learning by doing sowie dem gegenseitigen Erfahrungsaustausch. Von daher ist es nicht überraschend, dass in den Anfangsjahren meist nur andere Schaffer imitiert wurden. Die heutigen Entwickler der Bestseller-Serie Dying Light starteten mit einem polnischen Klon von Mortal Kombat, woran sie sich 2019 nur noch ungern erinnern. Die 90er-Echtzeitstrategie-Serie Earth 2100 war inspiriert von Command & Conquer, und das erste, wenn auch auf polnischen Büchern basierende Witcher hatte eine starke Ähnlichkeit zu den Rollenspielen des kanadischen Studios Bioware und wurde auch tatsächlich mit der durch das Unternehmen lizenzierten Technologie entwickelt.

Letztendlich aber begann das Land ebenfalls hochklassige Spiele zu entwickeln, die nicht nur blind den Trends folgten, sondern diese selbst schufen, was sich in den Umsätzen widerspiegelte. Nachfolgende Unternehmen fanden ihre Nischen und konzentrierten sich auf unterschiedliche Marktbereiche. Spiele wie Painkiller, Dead Island oder Sniper: Ghost Warrior bewiesen, dass auch Videospiele ein für die Wirtschaft ertragreiches Exportgut sein können. Und auch wenn einigen Landsleuten immer noch nicht bewusst ist, wie groß der Videospielmarkt in Polen mittlerweile geworden ist, so hat die Regierung das Potenzial erkannt und beschlossen, den Schaffern unter die Arme zu greifen.

Entscheidend ist nicht der Fisch, sondern die Angel

Der am letzten Wochenende im April auf der Sluzewiec-Pferderennbahn veranstaltete Game Jam Square ist nur eine der vielen Initiativen, die die Entwickler unterstützen und somit zum Erfolg der polnischen Videospiele beitragen. Einer der Hauptorganisatoren des Events war die staatliche Agentur für Industrieentwicklung (ARP), die wie ein Videospiel-Inkubator agiert. Seit ihrer Gründung 2016 hat die Organisation polnische Unternehmen mit 1,35 Millionen Zloty unterstützt und 30 unterschiedliche Projekte ermöglicht. Die ARP kooperiert mit Industrieveteranen und bietet auch praktische Unterstützung an - denn oft ist Expertise sogar wichtiger als Geld.

2016 rief die polnische Regierung das vom Nationalen Zentrum für Forschung und Entwicklung (Narodowe Centrum Badan i Rozwoju, NCBiR) geleitete GameINN-Progamm ins Leben. Im Zuge der ersten Ausschüttung erhielten die Entwickler insgesamt 21 Millionen Euro. Zu den Begünstigten zählten sowohl die größten heimischen Unternehmen wie Techland und CD Projekt als auch kleinere Studios wie Carbon Studio, Jujubee, The Farm 51 oder Anshar. Jedes unterstützte Projekt konzentrierte sich auf eine bestimmte Aufgabe, deren Umsetzung überwacht wurde und die, so der Plan, die Fähigkeiten der jeweiligen Unternehmen nicht nur im Rahmen des Spiels steigern sollte, sondern auch im Hinblick auf alle zukünftigen Projekte.

CD Projekt und andere polnische Studios konnten sich auf insgesamt 21 Millionen Euro vom GameINN freuen. CD Projekt und andere polnische Studios konnten sich auf insgesamt 21 Millionen Euro vom GameINN freuen.

Diese Initiative gibt es nach wie vor, die letzte Förderung wurde im Januar 2019 angekündigt. Dieses Mal wird die Industrie mit 100 Millionen Zloty bezuschusst. Das ist eine Menge Geld, vor allem für ein Land, das immer noch einen Großteil seiner Infrastruktur entwickeln muss, gleichzeitig ist es aber eine hervorragende Entscheidung. In erster Linie, da die Videospielbranche sehr stark exportorientiert ist. Laut einem Bericht von Newzoo gaben die Polen 2018 bis zu 541,5 Millionen Dollar für Videospiele aus. Der Markt ist groß, aber immer noch relativ klein im Vergleich zu den USA oder China. 2017 machten die Entwickler von The Witcher, CD Projekt, 54 Prozent ihres Umsatzes in den USA und weitere 24 Prozent in der Europäischen Union. Dies wiederum kommt der Wirtschaft zugute, weswegen die Entscheidung, genau diese Branche mit Fördermitteln zu unterstützen, genau richtig war.

Auch wenn das GameINN-Programm auf eine greifbare finanzielle Art das beeindruckendste Programm ist und Events wie der Game Jam Square viel Aufmerksamkeit durch die Medien erfahren, endet die Unterstützung für die polnische Industrie hier noch nicht. Im Jahr 2017 organisierte das Ministerium für Kultur und nationales Erbe ein Programm in Höhe von fünf Millionen Zloty. Die Entwickler können also auch auf Hilfe zählen, wenn es darum geht, Fahrten zu Branchenevents zu organisieren.

Dennoch würden all die Unterstützung, Fördermittel und Events wie der Game Jam Square zweifellos immer noch nicht ausreichen, um einen dynamischen Industriesektor in einem Vakuum zu erschaffen. Glücklicherweise ist dies in Polen nicht der Fall. Seit drei Jahrzehnten nun ist das Land voll Leidenschaft, Talent und vor allem sehr harter Arbeit Hunderter Spieleentwickler. Die Tatsache, dass ihre harte Arbeit Anerkennung findet und sie über die nötige Energie verfügen, neue Generationen an Programmierern und Designern zu inspirieren, ist jedoch der wohl großartigste Teil daran. Und auch wenn es Jahrzehnte gedauert hat, dies zu erreichen, gilt Polen heute als Beispiel einer erfolgreichen Kooperation von Staat und Privatsektor.

Mateusz Morawiecki, Premierminister von Polen fördert die heimische Spieleindustrie und sieht enormes Potenzial in der Branche. Mateusz Morawiecki, Premierminister von Polen fördert die heimische Spieleindustrie und sieht enormes Potenzial in der Branche.

Drei Fragen an Mateusz Morawiecki, Premierminister von Polen

Was kann die polnische Regierung für die Ausbildung und Entwicklung der Spieleentwicklern tun?

Mateusz Morawiecki: "Diese Menschen haben ein unglaublich breites Spektrum an Fähigkeiten und verdienen daher unsere volle Unterstützung. Ich habe bereits eine Reihe von Finanzierungsmechanismen erwähnt - insgesamt über eine halbe Milliarde Zloty für die Produktion polnischer Titel. Unterstützung, die nur auf Finanzierung basiert, ist jedoch wie ein zweidimensionales Spiel - ein Relikt der Vergangenheit ohne Tiefe. Wir müssen auch in multidisziplinäre Ausbildung investieren und den talentiertesten bei der Expansion helfen. Das Wichtigste ist jedoch, den Entwicklern selbst aufmerksam zuzuhören, daher die Beratungsinitiative Games Square.

Was macht Polen zu einem neuen Silicon Valley für die Gaming-Branche?

Mateusz Morawiecki: "Was sehen Sie um uns herum? Talent in Reinform und auf höchstem Niveau! Um ein großartiges Spiel zu entwickeln, benötigen Sie zwei Dinge - Entwickler- und Programmierkenntnisse und eine spannende Geschichte. Wir haben auch in Polen viel von beidem (und ich sage das als Historiker), weil die polnische Geschichte faszinierende Szenarien schreiben konnte. Wenn wir dies mit einem rekordverdächtigen Wirtschaftswachstum verbinden, haben wir ein Erfolgsrezept."

Warum wollen ausländische Entwickler und Publisher auf dem polnischen Markt investieren?

Mateusz Morawiecki: Videospiele zeigen das moderne Gesicht Polens, nicht nur unsere Fähigkeit, sich an jede Realität anzupassen, sondern auch eine neue Realität von Grund auf neu zu erschaffen. Es steckt großes Potenzial im polnischen Gaming.