Politik in Spielen - Kaiser ist cooler

Nennen Sie ein Spiel, in dem ein Politiker eine Vorbildrolle einnimmt! Schwierig? Kein Wunder, denn Politik ist in Computerspielen entweder korrupt oder irrelevant – oder reaktionär.

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Politik ist ein kompliziertes, verdorbenes Metier, und regelmäßig erreichen uns neue Botschaften von Verfehlungen seiner Protagonisten. In den USA lässt ein Kongressabgeordneter seinen Onkel ermorden, um mit dessen Erbe seinen Wahlkampf zu finanzieren. Dem US-Botschafter im Vatikan werden Verbindungen zu einem Kinderprostitutionsring nachgewiesen. In Dubai vertuscht die Stadtverwaltung eine humanitäre Katastrophe und bringt ausländische Rettungskräfte zum Schweigen.

Das sind Skandale von erschütterndem Ausmaß, und doch fügen sie sich nahtlos ein in das Bild vom allgemeinen politischen Moralbankrott. Auch wenn diese Beispiele nicht aus den Nachrichten stammen, sondern aus den Videospielen GTA 4: The Lost & Damned, Hitman: Contractsund Spec Ops: The Line.

In keinem anderen Medium kommen Politiker so schlecht weg wie in Videospielen. Wenn sie auftauchen, selten genug, dann als Versager, Verhinderer oder Bösewichte. Dem gegenüber steht kein Korrektiv: Der Typus des »guten Politikers« hat in Spielen keine Tradition. Was bedeutet es, wenn ein globales Unterhaltungsmedium einen der Grundpfeiler unseres Zusammenlebens ausnahmslos von seiner schlechten Seite zeigt?

Über den Autor
Christian Schmidt, 34, war Spielejournalist und als solcher zuletzt stellvertretender Chefredakteur bei GameStar, ist jetzt aber Game Analyst bei einer Spielefirma. Er gehört zur ersten Generation, die mit Videospielen groß geworden ist, und lässt keine Gelegenheit aus, das der zweiten Generation aufs Brot zu schmieren.

Er hat (noch) keine eigene Kinder, aber 4.200 PC-Spiele in seiner Privatsammlung, was in Sachen Sozialverträglichkeit, Liebe und Kosten in etwa aufs Gleiche hinausläuft. Gemeinsam mit Gunnar Lott betreibt er den Retrospiele-Podcast Stay Forever.

Natürlich liegt es am Sujet, wenn Spiele den intriganten Stadtrat oder machtgierigen Senator als Antagonisten auffahren – es sind Genre-Archetypen vor allem in Dystopien, Gangster- und Verschwörungsgeschichten wie GTA, Mafiaoder Deus Ex, in denen das Bröckeln gesellschaftlicher Strukturen zum Thema gehört. Das halten Filme und Bücher nicht anders.

Die wesentlichere Frage ist, wie (und ob) Spiele diesen einseitigen Blick auf ein Berufsbild ausbalancieren. Für jeden korrupten digitalen Polizeichef lassen sich genügend Beispiele von Spielen finden, in denen gute Cops auftreten, selbstverständlich kommt auf jeden größenwahnsinnigen General mindestens ein integrer Anführer, und selbst skrupellosen Konzernlenkern steht mit den Tycoon-Spielen ein ganzes Genre gegenüber, das wirtschaftliche Entscheidungskraft glorifiziert. Wo also sind die guten Politiker?

Artikel aus dem WASD-Magazin

Dieser Text stammt ursprünglich aus Ausgabe 2 des Print-Magazins »WASD - Texte über Games«. WASD ist ein Essaymagazin, das alle sechs Monate in einer kleinen Auflage erscheint. Die WASD dreht sich um Computerspiele.

Dieses Bookzine kommt ohne Prozentwertungen daher, ohne Tabellen, ohne Stiftung-Warentest-Attitüde und Spielspaßgraphen. Sie zählt nicht die Polygone eines Kampforks und enthält keine Previews zu Spielen, die erst in eine paar Jahren erscheinen. Die WASD enthält Texte. Texte zu Computerspielen.

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Heroische Gesetzlose

Es ist eine schwierige Suche, man kann sich über ihr den Kopf zerbrechen. Wenn Spiele Mentoren und integre Führungspersönlichkeiten auffahren, dann stammen sie in der Regel aus dem Militär, der Polizei oder Geheimdiensten, gern sind es auch Rebellen oder Lone Ranger, die sich explizit außerhalb gesellschaftlicher Strukturen stellen.

Der politische Aufklärer dagegen, der besorgte Minister als treibende Kraft? Eher nicht. Selbst im jeden Tiefgangs unverdächtigen Facebook-Spielchen SimCity Socialkommt in einer der späteren Quests unter viel Jubel der Gouverneur zu Besuch und versucht prompt, die Herrschaft über die Stadt an sich zu reißen.

Man kann das für eine Banalität halten; wir sprechen immerhin von einem Unterhaltungsgut, das naturgemäß einen dramatisierten Blick auf die Realität hat, keinen Anspruch auf Authentizität. Dabei ist eine so eklatante Einseitigkeit für ein Medium, das energisch auf seine gesellschaftliche Relevanz pocht, ein unangenehmer Makel.

Viel mehr fällt aber ins Gewicht, dass Spiele mit ihren Rollenbildern immer auch Interpretationen der Wirklichkeit anbieten. Ganz unabhängig davon, ob das Spiel an sich eine politische Agenda hat oder nicht, schwingt allein in der krass negativen Darstellung von Politikern ein Weltbild mit, und zwar ein dezidiert antipolitisches.

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