Seite 2: Politik in Spielen - Kaiser ist cooler

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Einer entscheidet

Videospiele sind das Medium einer politikverdrossenen Generation, und sie bedienen deren Vorurteile bedenkenlos. In der Welt von Computerspielen sind Parlamente immer zerstritten und machtlos, werden Entscheidungen von oben gefällt, nie von unten. Präsidenten, sofern sie eine Rolle spielen, sind Alleinentscheider, die sich keiner Parteiräson unterwerfen, schon gar keinem Parlament: „Wir marschieren da jetzt ein!“, und also wird einmarschiert.

In Anno 1404 haben Bürger zumindest ein Bedürfnis nach Glauben. In Anno 1404 haben Bürger zumindest ein Bedürfnis nach Glauben.

Das sind implizit diktatorische Strukturen, und ja, natürlich wäre es absurd zu folgern, dass sich jeder Spieler gleich den Kaiser zurückwünscht. Spiele sind Eskapismus, die Sehnsucht nach reduzierter Komplexität, aber man sollte sich vor Augen halten, auf was da reduziert wird: auf strikte Hierarchien und „Da geht’s lang!“-Bosse, auf monarchische Führer-Herrscher, wie sie vor allem von Fantasy-Spielen mit durchaus wohlwollendem Blick dargestellt werden – so schwierig die Suche nach dem guten Politiker ist, so einfach fällt die nach dem guten König. Politik in Spielen ist Basta-Politik.

Ihr Wert definiert sich über ihre Abwesenheit. Kaum ein Kriegsshooter macht sich die Mühe, seinen Einsatz anders als durch »Die haben zuerst geschossen!« zu legitimieren. In der Siedler-Serie baut man ein Gemeinwesen auf, in dem kein Rathaus oder Verwaltungsgebäude existiert, selbstverständlich aber Militärlager. Genauso Anno 1404, das zusätzlich Kirchen bis hoch zur Kathedrale voraussetzt, immerhin haben die Bürger ein Bedürfnis nach Glauben. In SimCity oder CityVille ist man nominell Bürgermeister, tatsächlich aber ausschließlich Bauherr. Weil Spiele ihren Spielern die Möglichkeit bieten müssen, Konflikte mit politischen Institutionen zu lösen, wird in ihnen Korruption zur Selbstverständlichkeit, etwa im Klassiker Transport Tycoon, wo man widerspenstige Stadträte so lange besticht, bis sie dem Abriss von Häusern für die neue Bahnstrecke zustimmen.

Zu simpel

Man kann all das als Kompromiss im Sinn des Spielflusses begreifen, als notwendige Auslassung von unwichtigen Details – zum Dasein als Digitalsoldat gehört es ja auch nicht, seine Waffe zu reinigen oder Einsatzberichte zu verfassen, und politische Prozesse sind nun mal langsam, kompliziert und kaum kontrollierbar. Das ist schon richtig. Aber das erklärt nicht den Unwillen, sich überhaupt mit ihnen auseinanderzusetzen, geschweige denn positiv.

Woanders geht’s doch auch: Manche Spiele entwickeln eine nachgerade besessene Akribie bei der Nachbildung militärischer Rangstrukturen und Befehlsabläufe, moderne Werke beweisen immer größere Raffinesse bei der Schilderung komplexer zwischenmenschlicher Themen oder großer Konflikte. In Deus Ex: Human Revolutionkann man im Firmensitz von Sarif Industries jedes Büro betreten, mit Mitarbeitern sprechen und ihre E-Mails lesen, und bekommt so ein ziemlich klares Bild von der Struktur des Unternehmens, den Aufgaben seiner Angestellten und ihrer Weltanschauung. Warum sollte das nicht auch in einem Regierungssitz möglich sein?

Firmenchef David Sarif treibt in Deus Ex: Human Revolution ein doppeltes Spiel. Firmenchef David Sarif treibt in Deus Ex: Human Revolution ein doppeltes Spiel.

Das Leitmotiv des Computerspiels ist die Freiheit des Individuums, die Macht des eigenverantwortlichen Handelns. Seine Ikone ist der unabhängige Held, der seine Verpflichtungen selbst bestimmt (während er gleichzeitig völlig fremdgesteuert ist, wie Bioshockso prägnant aufgezeigt hat). Dieses Idealbild ist schwer zu vereinbaren mit gesellschaftlichen Zwängen, vor allem politischen, die ja immer Unterordnung unter eine Mehrheitsmeinung erfordern, und damit die Aufgabe von Entscheidungsfreiheit.

Spiele lösen diesen Konflikt, indem sie Politik marginalisieren. Sie ist entweder korrupt oder irrelevant. Videospiele tragen damit bei zu den gesellschaftlichen Fliehkräften, die Einzelinteresse über Gemeininteresse stellen. Es ist vielleicht zu viel behauptet, dass sie damit Gleichgültigkeit und Vorurteile gegenüber demokratischen Prinzipien fördern würden, aber sie stellen dem zumindest auch nichts entgegen – wirklich nichts, im Gegensatz zum Beispiel zu Filmen, in denen es selbstverständlich auch differenzierte Auseinandersetzungen mit politischen Karrieren gibt, das Doku-Drama Frost/Nixon zum Beispiel, Milk oder Mit aller Macht.

Ich bin sicher, dass sich die meisten Spieler als liberal bezeichnen würden, vermutlich zu Recht. Aber ihre Spiele sind es nicht; sie sind im Gegenteil oft erschreckend reaktionär, in ihrem vieldiskutierten sexistischen Frauenbild zum Beispiel, in ihrer Prüderie und Homophobie. Und eben in ihrer antipolitischen Grundhaltung, die unterschwelliger ist und damit tückischer.

Ich mache mir wenig Sorge um die Reflexionsfähigkeit der Generation Internet, die es gewohnt ist, aus vielen Quellen und Informationsstücken ihre Schlüsse über die Welt zu ziehen, und für die Computerspiele nur eine Unterhaltungsquelle von vielen sind. Aber ich gräme mich einmal mehr über die ideelle Armut unseres Mediums, das so gerne künstlerische Relevanz besäße und doch so wenig zu sagen hat. Und allzu oft, wie hier, das Falsche.

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