Call of Cthulhu – Atmosphärischer Leckerbissen mit bitterem Beigeschmack

Was haben die Entwickler von Resident Evil 4, Bloodborne und Amnesia – The Dark Descent, abgesehen vom erklommenen Horror-Spiele-Olymp gemeinsam? Alle haben...

von Henry Scholl am: 19.11.2018

Edward Pierce hat so einiges durchgemacht. Er gehörte 1918 zu einer verlorengeglaubten Einheit im Ersten Weltkrieg und stand zusammen mit seinen Kameraden tagelang unter Beschuss des Feindes. Ohne Wasser, ohne Vorräte, ohne Hoffnung. Als Resultat besteht seine Gegenwart aus Schlaftabletten, einer ungesunden Vorliebe für harte alkoholische Getränke und einem Job als Privatdetektiv.

Schon im ersten Kapitel bekommt man ein Gefühl für die Tiefe des Spiels. Die Charaktere sind zumeist düster, unterschiedlich und wundervoll geschrieben. Eingebettet in eine Geschichte voller Tod, widerwärtigen Ungeheuern und mysteriösen Ereignissen kann das ja eigentlich nur gut gehen, oder? Nun ja, teilweise. Es würde ja dem Spieler ganz leichtfallen, in die Spielwelt einzutauchen, wäre da nicht der Schleier verschwommener Texturen und unbeholfener Animationen der NPCs. Eine Grafikbombe ist "Call of Cthulhu" mit Sicherheit nicht, das bemerkt man bei jedem genaueren Blick auf so ziemlich alles was sich nicht bewegt. Was sich nämlich bewegt sind hauptsächlich die Figuren, und wie. Diese erinnern mehr an das Ergebnis eines betrunkenen Puppenspielers, als an eine ausgefeilte digitale Gestik.

Überraschend ist dabei jedoch die Tatsache, dass dies so gut wie nichts daran ändert, dass die Atmosphäre wahrlich berauschend ist. Auch wenn Licht- und Schatteneffekte veraltet wirken, hält man auf Blackwater Island inne und betrachtet gefesselt die Nebelwand, die über dem Meeresspiegel schwebt und hofft insgeheim, eine Silhouette des Großen Alten zu erspähen. Vielleicht ist also Grafik und Engine doch nicht alles, was ein Spiel braucht.
Grundsätzlich hatten die Entwickler auch eine gute Vorlage, an die sie sich auch gehalten haben. Das Design von Umgebung und Monstern erinnert schon sehr an den Stil von Lovecraft, weswegen man sich an manchen Stellen das Grinsen einfach nicht verkneifen kann. Kleiner Tipp am Rande: Gleichnamige Kurzgeschichte davor lesen, dann macht's noch mehr Spaß!

Eine Geschichte über den Cthulhu-Mythos wäre Mangelware, wenn nicht die Thematik des Wahnsinns miteinfließen würde, und das hat sie auch getan. Denn von Kapitel zu Kapitel verliert Mr. Pierce immer mehr den Verstand, was auch im Menü mit adäquaten Texten erklärt wird. Dies wirkt sich so aus, dass man als Spieler Kreaturen oder unnatürliche Ereignisse nicht direkt ansehen kann, dies erinnert an die gnadenlos grandiose Mechanik aus "Amnesia – The Dark Descent", dank der man nicht zu lange im Dunklen verweilen sollte. Das Spiel schafft es, dass sich die Psyche unseres Detektivs auf uns überträgt und lässt das gesamte Spielerlebnis real wirken. Nicht selten musste der Pausenknopf gedrückt und eine kleine Kaffeepause eingelegt werden.
Das war es aber auch schon mit den Horrorelementen. Denn wer einen waschechten Horror-Titel wie das oben schon erwähnte "Amnesia" oder "Outlast" erwartet, wird bitter enttäuscht. Schon immer lebten die Geschichten von Lovecraft mehr von der Furcht selbst, dem nicht-gezeigten und verborgenen Grauen. Somit kommt es so gut wie nie zu billigen Jumpscares oder ähnlichem, was grundsätzlich positiv ist. Etwas mehr hätte dem Spiel aber mit Sicherheit nicht geschadet.
Rein cineastisch wird man in machen Zwischensequenzen auch überrascht, grafische Mängel hin oder her. So werden manche Kameraeinstellungen oder Metaphern verwendet, die man so in einem "einfachen Horrortitel" eigentlich nicht erwarten würde. Spätestens dort bemerkt man, dass das Entwicklerstudio nicht einfach etwas hingeklatscht, sondern mit viel Liebe fürs Detail gearbeitet hat.

Angepriesen wurde es als Horrortitel, in Wirklichkeit stellt es jedoch mehr ein Detektivspiel mit einem Horrorfaktor und einem kleinen rollenspielähnlichen Beigeschmack dar, das mit vielen bekannten Elementen punkten möchte. In puncto Charakterpunkten beispielsweise. Nach dem Lösen bestimmter Rätsel werden dem Spieler unterschiedlich viele Punkte gewährt, die man dann für verschiedene Kategorien verwenden kann. Steckt man diese in Kraft, kann man eventuell schwere alte Zahnräder bewegen oder sich verteidigen, bei Redegewandtheit löst man Konflikte mit Worten statt mit Fäusten. So spannend sich das auch anhört, wurde diese Mechanik nicht sonderlich gut umgesetzt. Viel zu oft hat man das Gefühl, dass einem die erworbenen "Fähigkeiten" so gut wie nichts bringen, da man sowieso besonders bei Rätseln sehr leicht ans Ziel kommt. Diese sind nämlich nicht sonderlich fordernd, bis auf eines in der Mitte des Spiels, das nicht schwer, jedoch einfallslos, nervend und deplatziert wirkte. So setzt das Spiel weder in der Entwicklung des Charakters, noch in den Rätseln neue Maßstäbe. Ebenfalls störend sind oftmals Dialogoptionen. So soll man in der Theorie zwar die Möglichkeit bekommen, entweder mehr Hintergründe zu erfragen oder gleich mit der Hauptgeschichte fortzufahren, in der Praxis ist dies jedoch eher ernüchternd. Denn viel zu selten ist klar, ob man durch das Auswählen einer Option nur nachfragt, oder die anderen optionalen Sätze daraufhin verwehrt bleiben. Sehr frustrierend bei einem Spiel, das so viel von seinen Gesprächen und Geschichten lebt. Apropos Geschichten: Diese sind im Menü zwar zahlreich vertreten und die Sammlung wächst von Minuten zu Minuten, doch in der deutschen Fassung sind auch einige Rechtschreibfehler vorzufinden, was den Lesegenuss mit Sicherheit nicht vorantreibt.

Nach runden 15 Spielstunden soll es das auch schon gewesen sein und das Spiel findet sein Ende, je nachdem wie man sich im Laufe der Geschichte entschieden hat. Ob die vielen Entscheidungen, die man treffen muss, sich so massiv auf das Ende auswirken, ist anzuzweifeln, zumal es nur vier verschiedene Enden gibt, von denen zwei standardmäßig auswählbar sind.


Fazit:

"Call of Cthulhu" ist eine mehr als würdige Interpretation des von Lovecraft erschaffenen Cthulhu-Mythos. Es lebt mit Sicherheit nicht von seiner Grafik oder seinen Animationen, jedoch von seiner düsteren Atmosphäre und erschütternden Lethargie, ganz im Lovecraft Stil. Einige Mechaniken wurden in anderen Spielen bereits viel besser umgesetzt und sollten eventuell mittels eines Updates noch wirkungsvoller gemacht werden. Der Horrorfaktor ist nicht gewaltig, doch absolut ausreichend. Wer Spaß an mythischen Kreaturen und Seemannsgarn hat und vielleicht sogar ein Fan von Lovecrafts Feder ist, kann ohne Nachzudenken zugreifen. Horrorfans müssen abwägen, ganz besonders bei dem stolzen Preis von fast 50€.


Zum Ende sei nur eines gesagt: "Ph'nglui mglw'nafh Cthulhu R'lyeh wgah'nagl fhtaghn"

 

 


Wertung
Pro und Kontra
  • Düstere Atmosphäre
  • Packende Story
  • Interessante Charaktere
  • Würdige Interpretation Lovecraft's Mythos
  • Leichte Rollenspielelemente
  • Wahnsinnig guter Wahnsinn
  • Cthulhu
  • Verschwommene Texturen
  • Grausige Animationen
  • Geringer Horrorfaktor
  • Mangelhafte Gameplaymechanik
  • Relativ teuer für Umfang
  • Innovationsarme und deplatzierte Rätsel

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher leicht

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



Kommentare(5)
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