Cyberpunk 2077 - Ein Spiel mit polarisierenden Gegensätzen

Selten hat ein Spiel mich so hin- und hergerissen wie Cyperpunk 2077. Das Spiel ist einerseits fantastisch und andererseits maximal mittelmäßig. Warum? Lest...

von raven1386 am: 02.01.2021

Story (ohne Spoiler)

Die Hauptstory von CP2077 ist spannend und wird fantastisch präsentiert. Das ist ein richtiger Erlebnistrip mit auch ein paar wenigen emotional starken Momenten und ein wenig Dramatik. Wenn man sich in dem Spiel nur der Hauptstory und den wichtigen Nebenstories widmet, dann kann CP2077 irre viel Spaß machen und man würde die vielen Unzulänglichkeiten im Gameplay nicht so sehr bemerken. Das Storytelling ist aber absolut grandios. Man fühlt sich mittendrin dabei. Die Hauptstory, die wichtigen Nebenquests und das Storytelling sind fast die einzigen großen Stärken des Spiels, aber leider ist auch hier noch Luft nach oben.

Enden (ohne Spoiler)

Es ist toll, dass CP2077 insgesamt 8 verschiedene Enden bietet. Traurig daran ist, dass man sieben verschiedene Enden erleben kann, indem man einfach nur den Savegame eine Stunde vor Schluss erneut lädt und jeweils andere Entscheidungen auswählt. Das gesamte Spiel davor hat keinen echten Einfluss auf sieben der acht Enden und nur ein einziges (geheimes) Ende kann man nur erreichen, indem man in wichtigen Dialogen mit Johnny die passenden Dialoge auswählt. Ohne Hilfe im Internet würde mir das nicht gelingen, da die essentiellen Dialogoptionen für mich teilweise nicht infrage kommen. Auch hier wurde viel Potential verschenkt und der Wiederspielwert des Spiels stark verringert.

Origns / Charakter-Hintergründe

Anfangs habe ich mich auch total auf die drei verschiedenen Origins (Hintergründe) vom eigenen Charakter gefreut und habe wie bei Dragon Age: Origins eine zweistündige Origin-Story erwartet. Auch hier wurde ich leider massiv enttäuscht. Die Origins ändern den Anfang nur marginal und es gibt keine richtige Origin-Storyline. Geil wäre es z. B. gewesen, wenn man als Nomade auch wirklich erst einmal in der Nomadenfamilie gewesen wäre und die Auflösung der Bakkers miterlebt hätte, und zwar in einer zweistündigen spannenden Geschichte. Auch die Auswirkungen auf die Hauptstory sind nicht vorhanden. Hier und da ein paar zusätzliche Dialogoptionen, in 90 % der Fälle absolut unnütz und nicht spielentscheidend, doch dazu gleich noch mehr. Ich war Nomade, doch ich fühlte mich nicht so. Ich wusste anfangs nicht einmal, was es genau mit den Nomaden auf sich hat, weil mir das gar nicht richtig gezeigt wurde.

Lore / Hintergrundgeschichte

Die Hintergrundgeschichte des Cyberpunk-Universums ist interessant und bietet eine Menge Potential. Aber auch hier wurde leider viel Potential verschenkt. Die meisten Computer im Spiel beinhalten nur Spam-Mails, und auch hier immer und immer wieder dieselben. Hintergrundinfos zur Lore oder zur direkten Location sind selten und wenn, dann eher oberflächlich. Jeder Computer ist zudem bereits entsperrt, reinhacken muss man sich da nicht. Sowas wie eine Computersperrung kennt man in Night City wohl nicht. Aber da sowieso fast niemand relevante E-Mails bekommt, scheint das auch nicht wichtig zu sein. Sogar die Computer in einem wichtigen Konzernbüro enthalten nur Spam-Mails. Wer hier pikante E-Mails von Arasaka oder anderen hochrangigen Mitarbeitern erwartet, wird enttäuscht. Auch die PDA’s (Splitter) im Spiel enthalten zwar einige interessante Hintergrundinfos zum Universum, zu Night City, den Konzernen, den Gangs und der Polizei, doch findet man jedes einzelne PDA gefühlt hundertfach im Spiel. Jedes der Splitter wird mir dann als „neu“ angezeigt, obwohl ich ihn schon dreißig Mal eingesammelt habe. Langweilig, unbefriedigend und sogar frustrierend. Hier habe ich mich mit Wehmut an Deus Ex: HR / MD, Mass Effect oder Fallout: NV zurückerinnert. Die Welt von Cyberpunk strotzt vor Ideen, Kreativität und Potential, das nur leider viel zu selten ausgeschöpft, meistens sogar nur ansatzweise angekratzt wird.

Auch schade finde ich, dass die Gangs in Night City zu simplen Kugelfängern degradiert werden. Sie haben keine echten Geschichten, ich kann nicht mit ihnen reden und ich kann mich auch nicht mit ihnen gutstellen oder mir einen Ruf bei ihnen erarbeiten. Leider ist das ein kleiner Immersionskiller. V‘s bester Freund Jackie ist Mitglied der Valentinos. Und wenn man in Night City auf Valentinos trifft, kann man sie meist nur töten, weil sie feindlich sind. Klar, kann ja nicht sein, dass die Gangmitglieder nicht auch mal so wie Jackie eigene nette Persönlichkeiten haben könnten. 99 % der Gangmitglieder sind hirnlose Feinde. Gut und böse, Zwistigkeiten innerhalb der Gang erlebt man selten, die Gangs fühlen sich nur wie hingeklatscht an, ohne echten Sinn und Verstand. Sie sind nur selten Teil der Welt, sondern meist nur Fremdkörper, die man entfernen muss. Kanonenfutter.

Nebenquests

Die Nebenquests unterteilen sich in simple Aufgaben für Fixer (Tötungen, Sabotagen, Diebstähle, Cyberpsychos, Autos kaufen, Organisierte Verbrechensbanden ausschalten, etc.) und in etwas größere Nebenmissionen, die mir teilweise sogar noch besser gefallen haben als so manche Hauptmission. Spannend und emotional. Leider gibt es zu wenige davon. Aber auch hier haben die Entscheidungen keinerlei Relevanz auf den Ausgang der Hauptstory, was ich schon etwas schade finde.

Charaktere (leichte Spoiler)

Kommen wir zu den Charakteren. Hauptcharakter V ist mir unsympathisch. Er weiß oft nicht, was er eigentlich will. Ihm geht es fast immer nur um sich selbst, sein eigenes Überleben und sein Ego, das größer ist als Night City. In den Dialogen (oder Monologen) ist er häufig frech, undankbar, egoistisch, egomanisch und ein Arschloch. Manchmal heult und jammert er mir zu viel rum und dann markiert er wieder den Dicken Macker. Da überrascht es umso mehr, dass er manchmal plötzlich nett und selbstlos sein kann. Leider habe ich als Spieler selten die Möglichkeit, auch mal nett, freundlich und selbstlos zu sein, auch wenn ich es gerne will. V hat seinen eigenen Kopf, und der ist oftmals voll von Scheiße. Häufig faselt er was davon, dass es um sein (oder ihr) Leben geht, tötet dabei aber unzählige andere Menschen und nimmt oft nicht einmal Rücksicht auf seine Freunde. Was für ein schlechter Mensch. Mit ihm will ich nicht befreundet sein.

Johnny Silverhand hingegen mag oft wie ein Arschloch und Egomane wirken, aber sehr oft merkt man, dass in ihm ein emotionalerer und weicher Kern steckt, der viel mehr zu bieten hat als dumme Sprüche. Johnny ist der wahre Held, nicht der oder die dumpfe V, der/die Johnny bei fast jeder Gelegenheit beleidigt, ohne dass ich als Spieler ein Mitspracherecht habe. Viele Gespräche laufen nämlich automatisiert ab. Aber manchmal ist auch Johnny wieder ein echter Idiot, weil er plötzlich wieder ganz anders ist als noch einen Moment vorher.

Die beiden Haupt-Charaktere sind nicht immer konsequent in ihren Verhaltensweisen.

Was die anderen Charaktere im Spiel angeht, so gibt es eine handvoll Charaktere, die mir wirklich ans Herz wachsen. Andere wiederum sind mir völlig egal, weil diese mir einfach zu wenig Hintergrund haben oder weil sie nicht genug mit mir sprechen oder sie einfach nur nebensächlich sind, obwohl ich sie gerne besser kennenlernen würde. Sogar die ganzen Fixer, für die man haufenweise Aufträge erledigt, bleiben nur sehr blass und sind völlig irrelevant für die Geschichte. Da hätten die Entwickler viel mehr draus machen können und sollen.

Romanzen

Echte Romanzen gibt es im Spiel scheinbar auch nur sehr wenige, und diese enden schneller als sie beginnen. So richtig einfühlen kann ich mich in die Beziehungen nicht. Hier haben Mass Effect 1-3 oder The Witcher 2 & 3 wesentlich besser und emotionaler abgeliefert.

Dialoge

Kommen wir zu den Dialogen. In vielen Dialogen der Haupt- und Nebenmissionen habe ich mehrere Dialogoptionen zur Auswahl. Leider haben diese nur selten eine echte Auswirkung und unterscheiden sich nur marginal voneinander. Schade finde ich auch, dass die eigenen Attribute, die eigene Herkunft und die Skills kaum relevant sind bei den Dialogen der Haupt- und Nebenstories. Hier und dort kann man zusätzliche Dialogoptionen auswählen, aber die haben nur selten einen echten Einfluss und sind mehr Beiwerk als dass sie einen echten Mehrwert bieten. Zudem haben die fünf verschiedenen Attribute (Konstitution, Reflexe, Technik, Coolness und Intelligenz) völlig unausgewogene Relevanz bei den zusätzlichen Dialogoptionen. Technik, Reflexe und Intelligenz kommen am häufigsten vor, während Konstitution weniger relevant ist und Coolness praktisch gar keine Relevanz hat. Manchmal hat man als Voraussetzung 5 bis 10 Punkte, dann plötzlich eine Mission später Intelligenz und Tech 20. Auch hier wirkt das wenig durchdacht und schlecht balanced.

Zudem ist mir nicht ein einziges Mal aufgefallen, dass ich durch das Beobachten der Umgebung auch nur eine zusätzliche Dialogoption bekommen habe. Wurde das nicht im Vorfeld immer so vollmundig angepriesen, dass man durch Beobachtungen zusätzliche Dialogoptionen freischalten kann? Bei den Dialogen wurde seitens CD Projekt viel Potential verschenkt. Wenn ich an geniale Spiele wie Deus Ex: Mankind Divided, Fallout 1 & 2 & New Vegas, Dragon Age: Origins oder Mass Effect 1-3 denke, werde ich traurig, wie viel Potential hier verschenkt wurde.

Gameplay

Kommen wir zu den problematischen Teilen des Spiels: dem Gameplay, der Open World und dem Balancing.

Kämpfe

Die Kämpfe sind zwar spaßig, aber auch sehr oberflächlich und stumpf. Fernkampf macht mir am meisten Spaß, aber auch diese sind weit weg von einem „sehr gut“. Es gibt unzählige Waffen und Waffengattungen, aber innerhalb der Gattungen sind die Mengen sehr unausgewogen. Es gibt gefühlt unendlich viele Faustfeuerwaffen, aber nur ca. 8 verschiedene MP’s, Sturmgewehre und Schrotflinten, noch weniger Scharfschützengewehre und nur EIN leichtes Maschinengewehr. Dann gibt es da noch die „Präzisionsgewehre“, bei denen mir erst sehr viel später aufgefallen ist, dass diese gar nicht zur Gattung der „Scharfschützengewehre“ zählen. Auch hier gibt es nur drei verschiedene. Dann gibt es die Kategorien „Power-Waffen“, „Smart-Waffen“ und „Tech-Waffen“. Power-Waffen sind mehr oder weniger absolut irrelevant und nutzlos. Geschosse prallen von Wänden ab. Hm, naja… nutzlos und wenig präzise. Tech-Waffen schießen durch Wände, was durchaus Spaß machen, besonders als Scharfschütze. Allerdings ist es oftmals auch unbefriedigend, denn wenn man Gegner durch Wände anpingt und sehen kann, dann weiß man leider nicht, wie viele Wände oder Gegenstände sich zwischen mir und dem Gegner befinden. Tech-Waffen schießen jedoch meist nur durch eine einzige Wand, wobei die Stärke der Wand völlig unerheblich ist. Zwei dünne Wände gehen oft nicht. Auch hier gibt es jedoch manche Tech-Waffen, die auch durch mehrere Wände schießen. Ob es sich dabei um einen Bug oder Absicht handelt, kann ich nicht sagen. Eine Logik ist dahinter nicht erkennbar.

Mit dem Nahkampf habe ich nur wenig Erfahrung, da dieser mir von Anfang an nicht gefallen hat. Die Schwünge der Waffen sind viel zu schnell und die Kämpfe sehr unübersichtlich. Hier hätte man sich lieber mal an Spielen wie Dark Messiah of Might & Magic oder Dying Light orientieren sollen. Zudem gibt es für meinen Geschmack viel zu wenige Nahkampfwaffen. Auf Faustkampf habe ich noch weniger Lust, weil es hier einfach nicht so geile Faustwaffen wie z. B. bei Fallout: NV gibt.

Weiterhin sind die Skills und deren Koppelung an Fernkampfwaffen unlogisch. Konstitution ist für Schrotflinten zuständig, Reflexe für Gewehre und Faustfeuerwaffen, Technik wiederum aber für Tech-Waffen, wodurch man zusätzlich zu Konstitution oder Athletik noch Tech benötigt, wenn man mit Tech-Waffen effektiv sein will. Zudem hatte ich Reflexe auch nur auf Level 10, was für das Wegpusten aller Gegner auf „schwer“ locker ausreicht. Höhere Werte sind völlig unnötig.

Dann gibt es da noch den Skill-Tree „Kampfmaschine“, der sich –aufgepasst- unter dem Attribut „Coolness“ verbirgt. Unter Coolness befindet sich übrigens auch der Skilltree „Stealth“. Das wirkt auch irgendwie an den Haaren herbeigezogen.

Die KI der Gegner ist oftmals sehr dumm. 

Schleichen

Das „Schleichen“ ist ebenfalls mehr als unbefriedigend. Das hat mehrere Gründe. Zum einen reagieren Gegner völlig unterschiedlich auf bestimmte Aktionen. Wenn ich z. B. Flaschen umwerfe oder dank der „tollen“ Physik Gegenstände zum Zerbersten bringe, weil ich nur dran vorbeigehe, dann interessiert das die Gegner überhaupt nicht. Eigentlich zum Glück, denn manche Gegenstände berührt man eigentlich gar nicht. Weiterhin nervt es, dass Feinde sich nach einem Saveload plötzlich ganz woanders befinden als beim Speichern. Wenn sie beim Saveload plötzlich direkt vor mir stehen, ist das ziemlich ärgerlich. Weiterhin ist das Neutralisieren eines Feindes umständlich. Man muss nah heran gehen, den Feind mit einer Taste in den Schwitzkasten nehmen und ihn dann mit derselben Taste töten oder mit einer anderen Taste bewusstlos machen. Statt den Körper dann direkt aufzunehmen, lässt man ihn erst einmal fallen und muss ihn mühsam wieder aufheben. Wenn man nicht-tödlich vorgehen möchte, kommt ein weiteres Problem hinzu: Dank der “tollen“ Physik muss man aufpassen, an welchen Stellen man den bewusstlosen Körper ablegt. Manchmal passiert es nämlich, dass beim Ablegen der Körper zermatscht und einen Fleisch- und Bluthaufen zurücklässt. Dieses Problem hatte ich nicht selten. Im Schnitt kam auf zehn abgelegte bewusstlose Körper einer, der mir zermatscht ist. Andererseits ist es sowieso irrelevant, ob man die Gegner tötet oder nur bewusstlos macht, denn es hat keinerlei Auswirkungen. In sehr wenigen Auftrags-Missionen bekommt man die Anweisung, nicht aufzufallen oder zu töten. Tut man es doch, bekommt man nur etwas weniger Geld und einen Rüffel. Auch das ist letztlich absolut irrelevant. Das Spiel belohnt lautloses und unbemerktes Vorgehen in keinster Weise, und auch das Bewusstlos-Machen wird nicht honoriert. Ganz im Gegenteil. Tötet man einen bewusstlos gemachten Feind nachträglich, sahnt man sogar doppelte Erfahrungspunkte ab. Wäre schön gewesen, wenn ein pazifistisches Vorgehen auch eine Auswirkung auf V‘s oder Johnny‘s Moralvorstellungen und auf bestimmte Dialoge und auf das Ende gehabt hätte. Übrigens wurde im Vorfeld immer versprochen, dass man CP2077 komplett ohne Töten oder Gewalt durchspielen kann. Das ist definitiv nicht so. Man kann praktisch keine Mission einfach nur durch „Reden“ gewaltlos lösen. Man muss immer Gewalt anwenden, sei es durch Hacking oder durch Waffengewalt.

Beim Schleichen sind mir noch einige Fehler aufgefallen. Oft ist es so, dass ich mitten in einer Mission plötzlich von weit entfernten Gegnern entdeckt werde, die dann alle alarmieren. Dies lässt sich leider auch nach einem Saveload reproduzieren. Ich habe alle bewusstlosen Feinde sicher und weit weg deponiert und irgendwann bemerkt mich ein Feind, der weder mich noch einen bewusstlosen Körper sehen dürfte, weil er sich am anderen Ende des Lagers befindet, an dem ich noch nicht einmal gewesen bin. Auch das ist das ein oder andere Mal bei mir frustrierend gewesen.

Hacking / Sonstiges

Das Hacking ist ebenfalls ein zweischneidiges Schwert. Einerseits macht das Hacking sehr viel Spaß. Man kann Gegner brutzeln, kurzschließen oder gar zum Selbstmord oder zur Cyberpsychose treiben, was bei mir immer wieder für einen Lacher gesorgt hat. Leider jedoch ist das Hacking auch absolut übermächtig. Wenn man erst einmal Gegner durch Wände und auf große Entfernungen hacken kann, ist man quasi Gott. Was mich beim Hacken aber auch gewaltig stört, ist das „Anpingen“ der Feinde (und elektrischen Gegenstände). Später hält ein Ping über 60 Sekunden lang an. Wenn jedoch zwanzig Feinde und massenhaft Geräte wie Automaten in knalligem rot aufleuchten, kann ich in meiner direkten Umgebung quasi nichts mehr richtig erkennen. Das führt zu extremer Unübersichtlichkeit. Ein großer Wunsch von mir ist ein „Ein-Aus-Schalter“ dafür.

Schade auch, dass es keine Augmentierung gibt, mit der man gezielt durch Wände schauen kann. Auch fehlt mir, dass man Gegner anderweitig ausschalten kann als durch Waffen, Hacken oder Schwitzkasten. Ich darf keine Fallen stellen, keine Betäubungspfeile abschießen, keine Taser verwenden. Klar kann man Waffen als „Taser“ missbrauchen, indem man eine Mod „nicht tödlich“ anbringt. Dann ist diese Waffe aber grundsätzlich nicht mehr tödlich, egal ob man auf den Kopf schießt oder die Gegner verbrennen. Sie bleiben dennoch einfach am Leben. Das ist nur leider völlig unrealistisch und ein Immersionskiller. Ich schieße mit einer Tech-Waffe durch eine 1-Meter-dicke Wand und der Feind dahinter wird am Kopf getroffen, bleibt aber am Leben. Welch ein Wunder diese „nicht-tödliche“ Mod doch ist.

Weiterhin finde ich, dass es innerhalb einer kleinen Mission zu wenige Lösungswege gibt. Es gibt meistens drei Eingänge in ein Haus. Eine Tür kann man nur mit roher Gewalt (Konstitution) öffnen. Hat man nicht genügend Konstitution, geht’s zur zweiten Tür. Die kann man dann ausschließlich durch „Technik“ öffnen (also sowas wie Schlossknacken). Komisch nur, dass man in der Zukunft keine einzige Tür durch Hacking öffnen kann. Gibt es in der Zukunft keinerlei digitale Schlösser mehr? Tresore braucht man übrigens niemals zu knacken, denn diese sind immer offen. Über die Dächer kommt man meistens ohne Fähigkeiten rein. Durch reines Reden kommt man nicht weiter, weil man nicht einmal jemanden ansprechen kann.

Auch die Augmentierungen haben mir das alle zu wenig Relevanz. Ein „Gorilla-Arm“ soll laut Beschreibung helfen, Türen aufzubrechen. Leider stimmt das nicht. Ein Gorilla-Arm ändert nichts an der Fähigkeit, Türen gewaltsam zu öffnen. Und weshalb man Türen immer nur auf eine Weise öffnen kann, erschließt sich mir auch nicht. Mal NUR mit Gewalt, mal NUR mit Technik. Beides geht nicht. Hacking gibt‘s nicht.

Apropos Hacking: Das sogenannte „Breaching“ ist irgendwie auch komplett nutzlos. Man kann damit diverse Geräte hacken, aber als Ergebnis bekommt man immer nur Geld und Komponenten zur Herstellung von Hacking-Mods. Auf Dauer eintönig und nervig.  Computer muss man nie hacken, um an Infos zu gelangen. Die sind immer entsperrt. Auch auf Sicherheitsterminals kann man jederzeit zugreifen, ohne sie erst freischalten zu müssen. Übrigens sind auch die Sicherheitsterminals oftmals unlogisch. Beispielsweise macht man gerade eine kleine Auftragsmission in einem kleinen Gebäude mit drei Stockwerken. In diesem Haus befinden sich drei Sicherheitsterminals und sechs Kameras. Sicherheitsterminal Nummer 1 ist verbunden mit 8 Geräten. Ich schalte ab. Von sechs Kameras laufen noch drei. Hmmm…. Sicherheitsterminal 2 ist verbunden mit…. 11 Geräten. Wow… denke ich mir. Alle abschalten. Weiß der Teufel, wo sich diese Kameras alle befinden sollen. Terminal 3 ist auch wieder mit haufenweise Kameras verbunden, die gar nicht existent sind.

Hin und wieder gibt es auch die Möglichkeit, einen Stromkasten (?) zu manipulieren und dort eine Karte zu entfernen. Welche Auswirkungen das haben soll, hat sich mir nach 120 Spielstunden nicht erschlossen. Gestrichenes Feature?

Charaktersystem / Skills

Was die vielen Skillbäume und Skills angeht, so ist für meinen Geschmack die Hälfte davon unbrauchbar und manche scheinen nicht einmal korrekt zu funktionieren. Z. B. konnte ich mit dem Skill „Qualitätsstufe einer Waffe erhöhen“ dennoch keine epische Waffe zur legendären machen. Das hat irgendwie nicht funktioniert. Es gibt scheinbar keinen neuen Button dafür und auch zufällig beim Upgraden passierte das bei mir nie. Entweder ist das ein Bug oder ich war zu blöd, um zu verstehen, wie das funktionieren soll. Auch blöd ist, dass es praktisch unmöglich ist, auch nur einen Skilltree auf Level 20 zu bringen. Nicht einmal bei den Skilltrees, die ich am häufigsten eingesetzt habe (Hacking, Gewehre, Item-Herstellung) bin ich am Ende nach 120 Spielstunden höher als Level 14 gekommen. Dann sind da Skill-Trees wie „Athletik“, die quasi gar nicht hochgehen. Ich habe Athletik am Ende gerade mal auf Level 6 bekommen. Level 20 zu erreichen, scheint mir unmöglich zu sein. 

Leider ist das gesamte Gameplay vom Hacken über das Schleichen und über die Skills bis hin zum Kampf sehr unausgewogen und vor allem sehr undurchdacht und unausgewogen.

Loot / Items

Bei den Items und dem Loot wollte CD Projekt mit CP2077 anscheinend echte Konkurrenz zu Borderlands und Co. Erschaffen. Leider ist dies nach hinten losgegangen. Die besten Items erhält man während der Story oder bei den Händlern. Alles, was man an Loot findet, ist zu 99 % Schrott und dient nur dazu, es zu zerlegen oder zu verkaufen. Geld und Material hat man zum Abwinken genug und das Aufwerten von Waffen ist spätestens nach der sechsten Aufwertung so extrem teuer, dass es sich nicht mehr lohnt. Weiterhin ist es am Ende sogar fast egal, welche Waffen oder Rüstungen man nutzt, selbst auf „schwer“. Auch die Übersichtlichkeit im Inventar ist mangelhaft. Von einigen Waffen werden nicht einmal die Werte angezeigt, weil der Kasten scheinbar zu groß ist für die Bildschirmhöhe. Manchmal gehen Texte vom Hintergrund auch in die Waffentexte über.

Fahrzeuge

Die Fahrzeuge sind auch mehr Schein als Sein. Es gibt ein paar coole Fahrzeuge, doch relevant ist es am Ende wieder nicht, was man fährt. Kein NPC reagiert auf mein Fahrzeug und manche Fahrzeuge steuern sich unter aller Sau. Zudem schalten die Fahrzeuge manchmal gar nicht hoch. Da fährt man dann mit gefühlten 4.000 U/Min. und die Schaltung reagiert nicht.

Open World

Nun komme ich zur Open World: Die Open World ist vom Design her wirklich gelungen und toll anzusehen. Die Menschenmengen sind auf Märkten auch schön dicht und es gibt den einen oder anderen Dialog zwischen NPC’s. Auch ein paar nette einzigartige Dialoge sind dabei. Das war es aber leider auch schon. Die Stadt ist einfach nur eine Kulisse, die wieder einmal unnötig mit Firlefanz gefüllt wurde (unzählige Auftragsmissionen, die fast immer nach Schema F ablaufen; Organisiertes Verbrechen, das man kurzerhand zerschlagen muss; etc.). Es gibt ein paar handgesetzte Belohnungen in der Open World (z. B. Waffe Skippy) sind zwar ganz nett, aber durch die schiere Größe der Welt ist es fast unmöglich, diese zu entdecken. In einer solch großen Welt erkunde ich doch nicht jede einzelne Gasse. Erst recht nicht, wenn es in 95 % der Gassen nichts Relevantes zu entdecken gibt. Ein weiteres Problem der Open World und den vielen Nebenaufgaben ist, dass dies die Story torpediert. In der Story geht es um Zeit, aber letztlich ist Zeit auch wieder völlig irrelevant.

Das Schnellreisesystem ist wieder mal sehr uninspiriert und langweilig. Schnellreisepunkte, die man erst finden muss und dann darf man nur von diesen zu anderen bereits gefundenen Schnellreisepunkten reisen. Es wäre so toll gewesen, wenn es möglich wäre, an jedem Punkt im Spiel ein Taxi (Hallo Delemain!?!) rufen zu können und frei einen Zielort auf der Karte wählen zu können, wo ich dann in Echtzeit hinkutschiert werde. Dann könnte man sich entspannt zurücklehnen und die Stadtkulissse genießen, während man kutschiert wird. Genau das hat mir oft in so mancher Mission gut gefallen: Beifahrer zu sein und einfach nur die Fahrt zu genießen. Ist fast so schön wie in der Realität, wo ich auch gern Beifahrer bin und die Umgebung beobachte und genieße. Und wenn man möchte, sollte man man die Fahrten auch einfach überspringen können. Genauso fehlen auch die U-Bahn / Stadtbahn-Fahrten oder Magnetschwebebahnen in luftiger Höhe. Das wäre so geil gewesen!

Grafik

Die Grafik ist meist ziemlich hübsch, vor allem so manche Textur, die Beleuchtung, die Schatten oder auch die volumetrischen Effekte. Aber die Vegetation z. B. sieht in CP2077 ekelhaft aus. Der Park mit den Bäumen und Pflanzen sieht scheußlich aus. Da wundert man sich, dass The Witcher 2 & 3 auf derselben Engine basieren. Und leider sehen auch diverse Gesichter und Gesichtsanimationen schlecht aus. Mit einer 1080 Ti, einem Ryzen 5800X, 32 GB RAM und einer m.2 SSD läuft es auf 3440 x 1440 mit mittleren Details mit ca. 45 stabilen fps recht flüssig. Könnte aber auch besser laufen. Horizon Zero Dawn z. B. läuft auf maximalen Details mit durchweg 60 fps, sieht dabei aber mindestens so gut aus.

Was HDR betrifft: Ob eingeschaltet oder ausgeschaltet, ich sehe optisch keine wirklichen Veränderungen in Cyberpunk 2077. Sieht immer gleich aus. Ich habe ein wenig mit verschiedenen Einstellungen herumgespielt, aber ich sehe keine wirklichen Veränderungen oder Verbesserungen. Auch hier verweise ich gerne wieder auf Horizon Zero Dawn: HDR sorgt hier für eine sichtbare Verbesserung des Gesamtbildes bei den Farben, Kontrasten und Lichtstimmungen. SO muss HDR integriert werden, nicht so wie bei CP2077. Schämt euch, CD Projekt!

Deutsche Synchronisation

Ein paar Worte noch zur deutschen Synchronisation: Diese ist einfach nur fantastisch! Jeder Haupt- und Nebencharakter hat eine eigene Stimme bekommen. Die Betonungen passen kontextbezogen zu 99 % perfekt und die Sprecher haben sich unglaublich ins Zeug gelegt. Auch die Lippensynchronisation passt meistens sehr gut. Allerdings bewegen sich die Münder so mancher Statisten und kleinen Charaktere gar nicht und bleiben einfach geschlossen, obwohl sie gerade reden. Sowas muss heute nicht mehr sein.

Musik

Was die Musik des Spiels angeht, so ist diese zwar recht passend, trifft aber nicht so recht meinen Nerv. Ich habe leider nicht einmal eine Gänsehaut bekommen. Da gefällt mir die Musik eines Deus Ex viel besser. 

Bugs / Glitches / Bedienung

Was die Bugs und Glitches angeht: Darüber wurde ja nun schon ausführlich überall diskutiert und gesprochen, daher gehe ich darauf nun nicht mehr groß ein. Hier nur noch einmal eine Auflistung der zehn nervigsten Bugs und schlechten Bedienungskonzepten, die ich bemerkt habe:

  1. Man kann bestimmte Tasten im Steuerungsmenü nicht neu belegen (z. B. „E“ oder „R“ oder die WASD-Tasten auf Pfeiltasten umlegen)
  2. Die Schrittgeräusche des eigenen Charakters verschwinden ganz häufig, was doch schon ziemlich stört.
  3. Es gibt bei vielen Interaktionen im Spiel oder im Inventar / Skillmenü keinerlei Geräusche, z. B. beim Herstellen von Items. Sowas stört mich.
  4. Polizeieinheiten ploppen einfach so neben einem auf. Und manchmal mag es die Polizei auch nicht, wenn ich Gangmitglieder erschieße.
  5. Fahrzeuge auf der Straße ploppen direkt vor einem auf oder Verschwinden einfach so direkt.
  6. Man kann viele Items nicht anvisieren und einsammeln
  7. Einige Skills scheinen nicht korrekt zu funktionieren.
  8. Man kann während eines Gesprächs keine richtigen Items einsammeln, ohne versehentlich eine Dialogoption auszuwählen.
  9. Der Charakter wechselt oft ungefragt von der Hockposition in die Stehposition nach bestimmten Aktionen wie durch ein Fenster springen oder beim herunterspringen von höheren Ebenen.
  10. Die Ausweichen-Funktion ist beim Schleichen extrem nervig. Zwei Mal eine Bewegungstaste hintereinander drücken führt leider oftmals ungewollt zu einem Ausweichschritt, womit man sich häufig beim Schleichen verrät. Sowas muss man als Betatester doch merken! Spielen die ihre Spiele denn nicht selbst?

Questbugs, Plotstopper oder Abstürze / Freezes oder Savegame-Bugs hatte ich nicht. Nie. Dahingehend läuft das Spiel - zumindest bei mir - sehr rund.

Fazit

Abschließend lässt sich nur sagen, dass CD Projekt sich offensichtlich massiv übernommen hat und dass durch die vielen hochgesteckten Ziele am Ende leider fast alle Aspekte des Spiels nur mittelmäßig sind, das Balancing mies ist und einzig und allein die Hauptstory und einige der wichtigen Nebenmissionen das Spiel noch retten können. Es wäre besser gewesen, wenn CD Projekt sich auf seine Stärken fokussiert hätte (Story, Charaktere, Atmosphäre, Dialoge, Entscheidungen, Konsequenzen, mehrere Enden auf Basis ALLER Entscheidungen im Spiel). Die Open World, das Lootsystem, das mangelhafte Charaktersystem und auch die vielen langweiligen Nebenaufträge sind leider eine dicke Schwäche des Spiels. Und leider wurde an vielen Ecken Potential verschenkt.

CP2077 ist stellenweise sehr emotional, aber leider sind mir diese Momente im Spiel zu selten. Es hätte mehr solcher emotionalen Momente geben müssen.

Doch trotz der vielen Mängel und Probleme hat CP2077 bei mir eine echte Sogwirkung erzeugt, die mich bis spät in die Nächte weiterspielen ließ. Das zeigt, dass das Spiel halt auch sehr vieles richtig macht. Dennoch ist es leider weit von einem grandiosen oder sehr guten Spiel entfernt. Vieles wirkt unfertig, es gibt unzählige kleinere Bugs und Fehler und das Gameplay ist nur mittelmäßig. Ein Jahr mehr Entwicklungszeit hätten dem Spiel sicher sehr gut getan.

Ich bin gespannt, was CD Projekt noch aus dem Spiel machen wird und wie das Spiel sich in den nächsten 12 Monaten entwickeln wird.

Sehr gerne würde ich dem Spiel eine höhere Wertung geben, aber das fühlt sich einfach nicht richtig an bei all den Problemen und Unzulänglichkeiten und Schwächen, die das Spiel nun einmal leider hat. 


Wertung
Pro und Kontra
  • - die Hauptstory ist sehr spannend und wendungsreich
  • - die wichtige Nebenmissionen sind spannend und abwechslungsreich
  • - das Storytelling ist grandios
  • - die Grafik ist meistens sehr schick
  • - die Atmosphäre ist extrem dicht
  • - diverse Charaktere wachsen mir ans Herz
  • - Die deutsche Synchronisation ist spitze
  • - Die Dialoge fühlen sich toll an, aber...
  • - ...die Dialoge haben viel Potential verschenkt
  • - Hauptcharakter V ist mir unsympathisch
  • - unglaublich viele kleinere Bugs und Glitches
  • - diverse Unzulänglichkeiten in der Steuerung
  • - mieses Balancing
  • - CP2077 wirkt an allen Ecken unfertig
  • - Schleichen ist unausgereift und macht wenig Spaß
  • - Die Erzählung der Lore (über Computer und Splitter) ist mangelhaft
  • - Die Kämpfe sind unausgewogen
  • - Das Charakter- und Skillsystem ist nicht durchdacht und schlecht balanced.
  • - einige Skills nutzlos und manche nicht funktionsfähig.
  • - Hacking der Feinde übermächtig stark
  • - kein Hacking von Computern
  • - keine interessanten E-Mails auf diversen Computern
  • - schlechtes Fahrgefühl der Fahrzeuge
  • - kein Echtzeit-Reisesystem über Taxi, Schwebebahn oder U-Bahn
  • - blödes Schnellreisesystem
  • - unübersichtliches Lootsystem, unnütze Loot-Items
  • - Herstellen von Items langwierig, kein Herstellen von größeren Stückzahlen auf einmal
  • - zu wenige Entscheidungen und Konsequenzen
  • - Die verschiedenen Enden kann man alle in einem Durchgang sehen, indem man den Save eine Stunde vor Ende lädt und es anders macht.
  • - Open World zu voll mit nutzlosen Aufgaben und zu leer an reichhaltigen Aufgaben oder einzigarten Dingen und Erlebnissen. Größtenteils nur hübsche Kulisse.
  • - Die Musik trifft nicht meinen Geschmack
  • - zu wenige Geheimisse im Spiel, die mich staunen lassen oder die mich motivieren, alles genauer zu erkunden
  • - dumme Gegner-KI
  • - Schwierigkeitsgrad erhöht oder verringert nur den Schaden und die Gesundheit der Feinde und ist somit absolut nutzlos.

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

zu leicht

Bugs:

Oft, regelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



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