Nach dem von Bugs verseuchten Gothic 3 zerstreiten sich das Entwicklerstudio Piranha Bytes und der Publisher JoWood. Erstere entwickeln mit Risen zwar eine neue Spielereihe, orientieren sich aber klar an ihren alten Titeln. JoWood verpflichtet indessen Spellbound, um einen direkten Nachfolger zu der beliebten Fantasy-Rollenspiel-Serie auf den Markt zu bringen: Arcania: Gothic 4. Ich muss an dieser Stelle vorausschicken, dass ich die ersten beiden Gothic-Teile nicht gespielt habe (ja, ich weiß: Schande über mein Haupt), aber ein Fan des dritten bin. Und daher bin ich auch sehr enttäuscht über Arcania, denn es verdient seinen Untertitel nicht.
Es gibt eine positive Änderung!
Im vierten Teil der Serie übernimmt der Spieler nicht mehr die Kontrolle über den allseits bekannten namenlosen Helden, sondern schlüpft in die Rolle eines neuen Protagonisten. Dieser ist zwar genauso namenlos (und wird später auch zum Helden), fängt allerdings erstmal klein an – als Schafhirte. Sein Leben auf der Insel Feshyr ist zwar wenig spannend, aber durchaus nicht ohne Freude. Im Prolog gelingt es dem Protagonisten, um die Hand seiner Freundin anzuhalten, die auch noch schwanger ist. Das Glück währt jedoch nicht lange, denn eine Flotte von Kriegsschiffen greift Feshyr an und tötet seine Freundin. Der Übeltäter: König Rhobar III. – der Held aus den alten Spielen, der von einer dunklen Macht besessen ist und sich nun auf einem Feldzug befindet, um die südlichen Inseln zu erobern. Zusammen mit seinem Freund Diego macht sich der neue namenlose Held auf, um Rache an den Mördern seiner Geliebten zu nehmen. Dazu bereist er die Insel Argaan, auf der der Großteil des Spiels stattfindet.
Die Insel Feshyr ist doch ganz idyllisch, oder? Das hindert die Flotte des Königs aber nicht daran, das Dorf niederzubrennen und alle Einwohner zu töten.
Generell nimmt die Story einen höheren Stellenwert ein als noch in Gothic 3 („Finde Xardas!“). Glücklicherweise erzählt Spellbound eine (vor allem am Anfang) recht brauchbare Geschichte, auch wenn die Entwickler gegen Ende etwas über das Ziel hinausschießen. Damit meine ich, dass ich bodenständige Geschichten sehr schätze. Wenn dann der Fokus auf Götter und dergleichen gelegt wird (wie bei Arcania), bin ich relativ schnell raus. Das ist natürlich sehr subjektiv, deswegen werde ich es dem Spiel nicht explizit ankreiden. Prinzipiell kann Arcania dennoch eine der größten Schwächen des Vorgängers korrigieren (viele Dialoge sind aber immer noch zum Fremdschämen). Schade nur, dass es sich hierbei um die einzige wirkliche Verbesserung handelt.
Eingeschränkte Fortbewegungsmöglichkeiten
Optisch hat Arcania noch am meisten mit seinen Vorgängern gemein: Wie gewohnt steuert der Spieler aus der Third-Person-Sicht, unterhält sich mit NPCs und kloppt Gegner um. So weit, so bekannt. Recht schnell fällt jedoch auf, dass der vierte Teil weit von der ursprünglichen Trilogie abweicht. Dies fängt schon bei einer alltäglichen Beschäftigung in Open-World-Spielen an: der Fortbewegung. In Gothic 3 musste man nach versteckten Teleportsteinen zu wichtigen Örtlichkeiten Ausschau halten, ansonsten waren lange Laufwege angesagt. Arcania versucht sich an einem Teleporter-zu-Teleporter-Prinzip. Dumm nur, dass dieses quasi unsinnig ist, da das Schnellreisen ebenfalls eine Weile dauert und nur zu einem anderen Teleporter in der gleichen Region möglich ist. Damit kann ich Arcania also doch noch einen Preis überreichen: den „Award für das unnützeste Schnellreisesystem“.
Sobald man zwei Teleporter in derselben Gegend entdeckt hat, besteht eine Verbindung. Einen wirklich Mehrwert bringt das Schnellreisen aber nicht.
Doch halt: In der gleichen Region? Korrekt, denn der vierte Teil wirft die offenen Spielwelten der Vorgänger praktisch über Bord – die Insel, auf der das Abenteuer stattfindet, ist in Sektoren unterteilt, zwischen denen immer Barrikaden existieren. Ein Beispiel: Im ersten Gebiet besetzen Räuber eine Brücke, über die man Zugang zum zweiten Areal erhält. Um die Ganoven zu vertreiben, muss man in der Hauptgeschichte voranschreiten. Die Gebiete sind in der ersten Hälfte des Spiels übrigens noch deutlich weitläufiger als im zweiten Teil – dann hat man quasi nur noch mit Levelschläuchen zu tun. Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Ausreden, warum die nächste Region nicht direkt erreichbar ist. Dies führt nicht nur zu Frustration beim Spieler („Warum kann ich diesen mickrigen Stein eigentlich nicht überspringen?“), auch die Gegnertypen sind somit exakt auf das eigene Level abgestimmt. Das hört sich erstmal nicht schlecht an, war aber immer eine wichtige Facette von Gothic. Wer sich mit den viel zu starken Gegnern anlegen wollte, konnte das tun.
Das ist der höchste Schwierigkeitsgrad?!
Das wirkt sich natürlich auch massiv auf den Anspruch des Spiels aus. In Arcania gibt es insgesamt vier Schwierigkeitsgrade: die klassischen drei (leicht, mittel & schwer), aber auch den höchsten namens „Gothic“. Für diese Rezension habe ich eben jenen ausgewählt und muss ernüchternd berichten: Wer hier ein echtes Hardcore-Erlebnis erwartet hat, wird enttäuscht. Prinzipiell bleibt alles wie auf den niedrigeren Schwierigkeitsgraden, aber die Gegner verursachen eben mehr Schaden und halten mehr aus. Im direkten Vergleich mit dem Vorgänger ist Arcania auf seiner höchsten Stufe so anspruchsvoll wie Gothic 3 auf seiner leichtesten. Das alleine zeigt schon, wie sehr Arcania auf eine Mainstream-Zielgruppe getrimmt wurde.
Gegner wie dieser Dämon sollten eigentlich schwierig zu bewältigen sein. Doch wehe dem, der dem namenlosen Helden im Einzelkampf gegenübertritt!
Doch lassen Sie mich erklären, was zu dieser Anspruchslosigkeit geführt hat: Das Tempo in den Kämpfen wurde massiv überarbeitet, so schwingt der Held selbst schwere Zweihänder mit einer Wahnsinns-Geschwindigkeit. Die Gegner hingegen weisen kaum Unterschiede in ihrem Vorgehen auf. Dafür haben die meisten von ihnen einen schweren Angriff, der nur unterbrochen werden kann, wenn der Spieler den Gegner zuerst mit einer schweren Attacke trifft. Von solchen Schlägen sollte man sich besser nicht treffen lassen. Glücklicherweise darf der Spieler Ausweichrollen ausführen, mit denen man schnell Distanz zwischen sich und die Gegner bringen kann. Normale Angriffe bewirken übrigens keinen Schaden am Spieler, solange er rollt! Es ist somit kaum mehr ein Problem, aus einer Umzingelung zu entkommen oder sich Fernkämpfern zu nähern.
Von langweiligen Kämpfen und öden Skills
Wenn man gerade nicht ausweicht, hämmert man auf die Angriffstaste. Anfangs kann man nur vier Mal hintereinander schlagen, dann muss der Protagonist eine kurze Pause einlegen. Später kann man jedoch einen Skill freischalten, der unendlich lange Schlagfolgen ermöglicht. Ab diesem Zeitpunkt wird Arcania zu einem reinen Klickfest. Vor allem der Kampf gegen einzelne Gegner ist eine Farce, da diese keinen Gegenangriff starten können, solange der Held auf sie eindrischt. Gruppen sind da schon etwas kniffliger, auch auch machbar. Ich will nicht sagen, dass ich nie gestorben bin, aber es hat sich auch nicht nach einem wahren höchsten Schwierigkeitsgrad angefühlt. Frustration kommt hingegen auf, wenn man in Höhlen kämpfen muss und dann an Gegenständen auf dem Boden hängen bleibt, über die man mit einer Ausweichrolle nicht hinwegkommt. Genauso frustrierend ist es, wenn die Gegner-KI nicht mit engen Tunneln zurechtkommt und sich deshalb über kurze Strecken teleportiert. Ansonsten ist das Spiel aber, wie bereits erwähnt, nicht allzu anspruchsvoll. Dies liegt unter anderem auch daran, dass viele Rüstungsteile über HP-Regeneration verfügen, wodurch Essen nicht unbedingt nötig ist. Ich sage nicht, dass all dies notwendigerweise schlecht ist, aber Gothic-Fans freuen sich über solche Mechaniken natürlich überhaupt nicht. Wer hingegen ein Rollenspiel sucht, in dem man schnelle Erfolge feiert, ist hier richtig aufgehoben. Wie seltsam, dies über einen Gothic-Titel zu sagen!
An wichtigen Stellen innerhalb der Handlung darf man sich zwischen drei Rüstungen entscheiden, welche die verschiedenen Spielweisen (Krieger, Fernkämpfer und Magier) widerspiegeln.
Wo wir eben schon bei den Skills waren: Auch hier wurden massive Einschnitte vorgenommen. Man levelt zwar immer noch im klassischen Sinne auf und erhält drei Punkte pro Stufenaufstieg. Fähigkeiten werden aber nun direkt in einem (erstaunlich schmucklosen) Menü verliehen – Lehrer und Goldkosten entfallen somit. Wirklich interessante Fähigkeiten bleibt uns das Spiel übrigens schuldig: Man kann aufgrund des klassenlosen Systems zwar selbst entscheiden, inwiefern man Krieger, Fernkämpfer oder Magier sein will, aber in jedem Fall kann man nichts erreichen, was über das absolute Minimum hinausgeht. Zum Beispiel kann man die Fähigkeit erlangen, das man als Bogenschütze zoomen darf. Woooow, wie kreativ... nicht. Arcania hat den spielerischen Tiefgang eines Tümpels.
Licht und Schatten
Auch die Interaktionen mit der Welt wurden vereinfacht. Lagerfeuer, Betten und Bücherständer sind beipielsweise zur reinen Dekoration verkommen. Es gibt zwar noch ein Crafting-System, hier wird aber nur noch alles ohne große Umschweife im Inventar hergestellt. Aber bei der Spielwelt muss ich ein paar positive Dinge hervorheben: Ich bin froh, dass man auch in Arcania mit begrenzten Ressourcen auskommen muss. Sprich: Gegner, Pflanzen und Erze spawnen nicht nach. Ebenfalls finde ich gut, dass man viele Quests schon de facto lösen kann, bevor man sie überhaupt angenommen hat. Sie kennen doch bestimmt diese Spiele, wo man irgendeinen Gegenstand sammeln muss und dieser dann plötzlich irgendwo in der Welt auftaucht. Arcania funktioniert zum Glück (meistens) nicht so.
Die wenigsten Quests sind kreativ. Hier muss man einige Untote umbringen – diesmal aber endgültig!
Wie sieht's denn umfangsmäßig aus? Um Arcania durchzuspielen, sollte man 15 bis 20 Stunden einplanen. Mit einer solchen Zeit befinden wir uns, was Rollenspiele angeht, schon im unteren Feld, aber der Umfang ist noch akzeptabel. Arcania bietet zwar Nebenbeschäftigungen, diese sind allerdings sehr generisch (Sammel- sowie Umhau-Aufgaben). Ein Beispiel: Ich habe in meinem Questlog vier (!) Aufgaben, für die ich jeweils 30 (!) Artefakte sammeln muss. Bei solchen Aktivitäten sage ich dann „Nein, danke“ und spiele lieber ein tatsächlich gutes Spiel. Insofern glaube ich auch nicht, dass mehr Umfang per se zu einer besseren Erfahrung geführt hätte, denn es ist wahrscheinlich, dass uns Arcania einfach nur noch mehr 08/15-Quests an den Kopf geworfen hätte. Die (nicht ganz so) offene Spielwelt fällt übrigens recht groß aus, zum Teil größer, als für sie gut ist. So entstehen nämlich nervige Laufwege (sei verflucht, Teleport-System!) und Gebiete, in denen fast nichts los ist.
Zweischneidige Präsentation
Arcania lag bei seinem Erscheinen im Jahr 2010 grafisch auf einem guten Niveau, sodass es selbst nach einem Jahrzehnt immer noch ganz passabel aussieht. Speziell die Landschaften in den Startgebieten wissen zu überzeugen, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entwickler nicht dazu kamen, mehr als drei Charaktermodelle zu erstellen. Okay, das ist vielleicht ein wenig übertrieben – immerhin verfügen die wichtigsten Figuren über ein individuelles Aussehen –, spätestens bei den weniger relevanten NPCs kommt aber dann doch das Gefühl einer Klon-Armee auf. Lippensynchronität (bzw. die Abwesenheit eben jener) ist übrigens auch ein Problem. Schade drum, denn dadurch verliert Arcania einiges an Glaubwürdigkeit.
Bei Panoramen wie diesem hier geht mir als Fantasy-Fan das Herz auf.
Zu den besten Aspekten des Titels gehört zweifelsfrei sein Soundtrack, dem das Kunststück gelingt, die recht langweiligen Kämpfe noch halbwegs episch wirken zu lassen. Wird die musikalische Untermalung etwas gefühlvoller, ergänzt sie sich hervorragend mit den ansprechenden Landschaften, was zu einer intensiven Atmosphäre führt. Der Soundtrack mag nicht ganz so gut sein wie der aus Gothic 3, aber er ist dennoch ein klarer Pluspunkt. Weniger schön ist die Performance: In manchen Gebieten kommt es regelmäßig zu nervigen Framerate-Einbrüchen und auf den höchsten Einstellungen wirkt das Spiel gelegentlich nicht komplett flüssig. Mein Rechner (GTX 980, i7-6700k, 16 GB DDR4) sollte mit Arcania eigentlich kein Problem haben, aber die Optimierung hätte durchaus besser sein können.
Fazit
Die negative Reaktion der Spielerschaft auf Arcania ist absolut verständlich. Wer sich „Gothic“ auf die Packung schreibt (wenn auch nur als Untertitel), muss sich die Vergleiche mit den alten Serienteilen gefallen lassen – und in dieser Hinsicht bekommt Arcania fast immer volles Pfund auf's Maul. Viele der traditionellen Gothic-Tugenden wurden hier über Bord geworfen: Es ist restriktiver, anspruchsloser und es mangelt diesem Ableger auch an eigener Identität. All das sind valide Kritikpunkte, die man einer Fortsetzung ankreiden solllte, aber ich sehe meine Aufgabe als Rezensent auch darin, die positiven Aspekte zu erwähnen. Soundtrack, Optik und Atmosphäre passen soweit und wiegen viele Fehler wieder auf. Daher muss man sich fragen: Ist Arcania wirklich ein schlechtes Spiel oder doch nur ein schlechtes Gothic? Ich bin zum Entschluss gekommen, dass es eigentlich gar nicht so verkehrt ist – in seinen besten Momenten hatte ich ja auch durchaus Spaß. Wer ein leicht zugängliches, sehr actionlastiges Rollenspiel für Zwischendurch sucht, könnte hier sogar fündig werden. In diesem Sinne scheint mir eine Wertung im unteren 60er Bereich gerechtfertigt.
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