Ein Gedicht in der Form eines Programmiercodes

Die Verbindung zwischen antiker Kultur und Science Fiction ist in den letzten Jahrzehnten derart oft gezogen worden, dass uns diese, eigentlich seltsame,...

von cptcaps am: 13.10.2016

Die Verbindung zwischen antiker Kultur und Science Fiction ist in den letzten Jahrzehnten derart oft gezogen worden, dass uns diese, eigentlich seltsame, Kombination schon unzertrennlich erscheint; Science Fiction und griechische/römische Namen für Planeten, Waffen, Galaxien gehören ebenso wie das Verarbeiten von Mythen und Erzählungen etc. etc. schlicht zusammen. Heute soll es um ein Spiel gehen, das diese häufige Verbindung aufgreift, sie aber gänzlich neuartig und frisch darstellt. Es geht um "The Talos Principle", das bereits seinen Titel aus der griechischen Philosophie entlehnt.

Die Interaktion mit der Welt

Bei unserem Erwachen in der unbekannten Welt werden wir von der Stimme Elohims begleitet, der sich durch seine Sprechweise und auch seine Worte als eine Art Schöpfergott darstellt. Wir erfahren allmählich, dass wir ein Roboter sind und dass es von unserer Sorte noch andere gibt. Wirklich treffen tun wir sie selten - von ihnen erfahren wir hauptsächlich durch die Spuren, die sie in der Welt hinterlassen haben. Ab und zu bietet das Spiel uns auch die Gelegenheit, eigene Botschaften an der Wand zu hinterlassen, aber wirkliche Gespräche entstehen dadurch nicht. (Ausnahme: Road to Gehenna DLC, s.u.) Anders gestaltet sich die Interaktion mit den Computerterminals - in diesen steckt eine Art intelligentes Programm, das ausführlich Philosophie mit uns diskutiert. Das klingt aufs erste nach Gefasel, ist aber äußerst clever ins Spiel gebracht; Die KI zwingt uns immer wieder Begriffe zu definieren, über die die wenigsten von uns wirklich nachgedacht haben, um sie dann durch strenge kausale Logik zu zerpflücken und Widersprüche aufzudecken. Durch diesen recht schonungslosen Umgang mit den eigenen Aussagen zeigt das Spiel mit einfachsten Mitteln, wie wenig über so wichtige Dinge wie Ethik und Moral nachgedacht wird - und das stets ohne einen belehrenden Zeigefinger, der zu einem richtigen Weg zwingt - alles bleibt offen, und man kann auch auf logisch inkonsequenten Positonen beharren. Als letztes finden wir in den Computerterminals, ist das Gespräch mit der KI beendet, etliche kleinere Dateien, die oft nicht vollständig lesbar sind. Es sind verschiedenste Texte, von fiktiven Romanen über Athene zu Ausschnitten aus griechischer, ägyptischer und christlicher Philosophie und Literatur; dazu Protokolle der Mitarbeiter eines Forschungsprogramms, welche allmählich zu dem Schluss führen, dass dieses Programm sehr viel mit der Existenz von uns und unserer Umwelt zu tun hat.
Elohim leitet uns zu Beginn allein durch seine Worte durch die Szenerie und in die Rätsel (dazu unten mehr) - durch die später dazukommenden weiteren "Stimmen" durch die Botschaften der anderen Roboter und die Diskussionen mit der KI und die vielen Dateien, die der Spieler wie Puzzlestücke zu einem Gesamtbild zusammensetzen muss, werden gehörige Zweifel an Elohims Status und Position hervorgerufen. Alles bleibt aber stets ohne klare Linie, die vielen Schnipsel lassen den Spieler in einem wahren Chaos an Informationen und Meinungen zurück, die er ordnen und bewerten muss - auf deren Basis muss er nämlich eine Entscheidung treffen. Es gibt allerdings keinen festen Punkt, an dem er durch Tür A oder B gehen muss (rein theoretisch schon, aber ich meine, dass die Entscheidung schon viel früher getroffen wird, nämlich dadurch, was der Spieler als "Richter" im Prozess basierend auf den ganzen Informationen als für "wahr" und "richtig" erachtet.)

Die Welt und die Rätsel

Wir beginnen in einer idyllischen Welt nach griechisch-römischem Vorbild. Die Architektur und Landschaften, mal auf einer Insel, mal auf einer Ebene, sind einfach nur wunderschön geraten und laden zum Verweilen und Staunen ein. Innerhalb dieser Welten gibt es diverse kleine Rätselabschnitte. Für die Rätsel stehen gewisse Werkzeuge und Hindernisse zur Verfügung, die sich mit dem Fortschritt erweitern. So gibt es beispielsweise Jammer, mit denen wir Kraftfelder öffnen, Ventilatoren anhalten oder schwebende Minen einfrieren können - allerdings stets nur eins von diesen Dingen, und der Einsatz will immer gut überlegt sein. Des weiteren gibt es Kisten, mit denen wir Schalter auslösen oder auf hohe Vorsprünge springen können. Besonders witzig: man kann sie auf die schwebenden Minen setzen, und so mit ihnen durch die Gegend schweben. Das übrige soll nicht zu ausführlich hier erklärt werden; es gibt noch Kristalle, mit denen sich Strahlen um Ecken leiten lassen, was immer recht knifflig wird, da man blaue und rote Laser nicht kreuzen kann. Und, besonders ausgefeilt und komplex: es gibt eine Art "Replay" Schalter in den späteren Levels, in denen man sich selbst aufnehmen und dann abspielen kann, sodass man quasi mit sich selbst als Koop Partner die Rätsel löst.
Schafft man ein Rätsel, bekommt man sogenannte Sigils, Steine in Tetrisform, mit denen man entweder neue Rätseltypen (Replay und Kristalle sind z.B. nicht von Anfang an verfügbar) oder neue Welten freischalten kann. Rote Sigils werden später auch noch für ein gewisses Ende benötigt - entscheidet der Spieler sich allerdings gegen dieses Ende, kann er das Spiel auch ohne sie beenden. Daneben gibt es noch Sterne, für die man den Kopf besonders anstrengen (und meistens besonders "um die Ecke" denken muss); auch diese werden für ein weiteres, drittes Ende benötigt und sind daher nicht zwingend Pflicht um das Spiel zu beenden.
Neben der ersten, der griechisch-römischen Welt kommen wir in eine Art Zwischenstation, die die erste mit der zweiten und dritten Welt verbindet. In der Zwischenwelt findet sich unter anderem der riesige Turm, vor dem Elohim uns vehement und ständig warnt, und in den wir natürlich (hust) nicht hineingehen werden. Die zweite Welt ist dem Ägypten zur Zeit der Pharaonen nachempfunden, und bietet mit ihren Tempeln und auch einer Sphinx und Pyramiden, trotz des Sandes, ebenso fantastische Landschaften wie die erste. Bei der dritten geht es um eine Darstellung des Europas im Mittelalter mit seinen Burgen, Klöstern und Kathedralen - auch diese ist sehr eindrucksvoll. Das Verhältnis schöner Landschaften und ebenfalls schöner Gebäude ist im gesamten Spiel großartig geraten, und die atmosphärische Musik tut ihr übriges.

Die Darstellung

Der Umgang des Spiels mit seinen Vorlagen aus Antike und Mittelalter ist erst das, was es so besonders macht. Es fühlt sich fast so an, sich tatsächlich in der Antike selbst zu bewegen. Dazu tragen auch die Texte bei, die oft direkt die Übersetzungen antiker Texte zitieren und die der Spieler selbst erstmal in den Science-Fiction Kontext bringen muss (oder er tut es nicht, und genießt sie einfach ohne diesen Kontext). Es ist eine völlig einzigartige Mischung, und das Angewiesensein der Welt auf die Interpretation des Spielers macht sie zu einem für jeden einzigartigen Erlebnis.

Die Schwächen

Es fällt mir schwer, dem Spiel eindeutige Schwächen zu attestieren, da diese oft ihren Teil zur Atmosphäre beitragen und gewissermaßen als Kunstgriff gesehen werden können. So könnten viele Spieler sich an der etwas indirekten Interaktion und dem Alleinsein in der Welt stören, aber das führt wiederum zu einem besonderen Spielgefühl. Oft wird in den Steamforen kritisiert, dass manche Level gegen Ende einfach viel zu schwer geraten sind - durch geduldiges Ausprobieren und Nachdenken habe ich aber alle Rätsel, auch die richtig harten, irgendwann knacken können. Nur die Sterne habe ich meistens ausgelassen, denn diese können, wenn man nicht auf den Ansatz kommt, sehr frustrierend werden. Nun möchte ich dem Spiel aber auch nicht wirklich anlasten, dass es zu schwer ist, da ich das eine schöne Ausnahme im Casualstrom finde. Die Entwickler hätten aber durchaus noch etwas neben den Rätseln einbauen können, denn immer nur diese zu lösen kann manchen Spieler sicherlich langweilen.

 

Fazit

Ein Spiel von unvergleichlicher Schönheit ist den Entwicklern mit Talos Principle gelungen - die Welt, die Atmosphäre und auch die ganzen verstreuten Texte sind allesamt pure visuelle und virtuelle Lyrik, das sich zu einem Gesamtbild zusammenfügt, wie man es selten in der Spieleindustrie gesehen hat. Es fällt mir schwer, aus dem Bauch heraus eine objektive Wertung festzusetzen, vor allem da dieses Spiel sich so subjektiv wie kein anderes gestaltet. Basierend auf der Genialität, die die Entwickler an den Tag gelegt haben und wie detailliert sie alles ausgestaltet und zusammen mit den Rätsels zu einem tiefgehenden philosophischen Erlebnis gestaltet haben, vergebe ich eine 90.

 

Falls jemand noch etwas zum Road to Gehenna DLC lesen möchte, der die KI in den Computern auf eine interessante Art und Weise ersetzt, gebt mir in den Kommentaren bescheid.


Wertung
Pro und Kontra
  • Atmosphäre
  • Musik
  • Rätsel
  • flüssige Steuerung
  • verschiedene Enden
  • regt auch außerhalb der Rätsel zum Nachdenken an
  • Sterne evtl. zu umständlich
  • spielt man lange am Stück werden die Rätsel etwas eintönig

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



Kommentare(2)
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