Gut, aber schlechter als die Vorgänger

Das letzte Spiel der Entwickler Animation Arts war das 2010 erschienene Lost Horizon. Dieses beeindruckte nicht nur durch, wie es vom Genre des...

von seletre am: 10.09.2012

Das letzte Spiel der Entwickler Animation Arts war das 2010 erschienene Lost Horizon. Dieses beeindruckte nicht nur durch, wie es vom Genre des Point&Click-Adventures erwartet wird, knackige, aber stets logische Rätsel, sondern punktete in meinen Augen auch mit einer tollen Story rund um das geheimnisvolle Reich Shambala und einer dichten Atmosphäre.  Nun schickt uns der Entwickler mit Geheimakte 3 in der Fortsetzung zur Geheimakte-Reihe in ein neues Abenteuer - ob es sich die Entwickler damit selbst nochmal übertreffen, auf der Stelle tanzen oder gar einen Rückschritt machen, möchte ich in meinem (ersten) Test klären.

Die Geschichte

Nach dem Intro, in dem wir sogar selbst kurz Hand anlegen müssen, wacht unsere Hauptprotagonistin Nina Kalenkow neben ihrem Verlobten Max von einem Albtraum auf. In diesem wird die Kirche, in der sie heiraten wollen, während der Zeremonie durch ein Feuer zerstört und Nina sieht einen geheimnisvollen Wächter, wacht dann aber wegen ihrer Angst vor Feuer wieder auf, bevor sie weiteres herausfinden kann. Während Max sie darüber ausfragt, wird die Wohnung der beiden von einer Spezialeinheit gestürmt und Max ohne Angabe von Gründen verhaftet. Da aber keine Behörde von der Festnahme weiß, macht sich Nina auf die Suche nach Max und stößt dabei auf das Projekt ihres Archäologen-Freundes. Dabei scheint Max an dem Ausgrabungsort am Nabelberg in einem über 10000 Jahre alten Tempel, über den sich Forscher bis heute nicht einig sind, wie er erstanden sein kann, auf etwas geheimnisvolles gestoßen zu sein, was seinen Entführern offensichtlich nicht passt.

Im Verlauf der gut gelungenen Story, die immer und wieder von vorgerenderten Zwischensequenzen erzählt wird und die sich rund um das Geheimnis der von Archimedes entdeckten Kreiszahl Pi dreht, bereist der Spieler recht viele Schauplätze in der Gegenwart (in Berlin, Türkei, San Francisco, Alcatraz, einen Ort irgendwo im Mittelmeer und das Forschungszentrum Cern) und in Ninas Träumen und Visionen in die Vergangenheit (Leonardo da Vincis Werkstatt in Italien im 15. Jahrhundert) und auch kurz eine alternative Zukunft. Dabei spielt man nicht immer Nina Kalenkow, sondern auch ihren Verlobten Max und weitere, sodass man am Ende auf 5 spielbare Charaktere kommt. Die meiste Zeit des Spiels spielt man allerdings Nina, nur am Anfang ca. 10-15 Minuten einen Dieb und zwischendurch für ein paar Mausklicks Max und zwei andere.
Der Wechsel zwischen den Charakteren in der Gegenwart, wo man an manchen Stellen unverständlicherweise  in die Rolle eines anderen Charakters gesteckt wird, der sich sogar im gleichen Raum befindet und dann Aufgaben erledigt, die auch die Hauptfigur Nina ebenso gut erledigen könnte, scheint mir aber zu aufgesetzt, zumal Situationen, in denen zwei Charakter durch den Austausch von Gegenständen ans Ziel kommen müssen, weil sie bis auf eine Kommunikationsmöglichkeit voneinander getrennt sind, fehlen. Lediglich einmal müssen sie komplett unterschiedliche Aufgaben getrennt voneinander gleichzeitig erledigen und wiederum nur ein Mal muss man zwei Charakter abwechselnd steuern, um ein Schalter-Rätsel zu lösen. Durch genannte Situationen hätte man den Charakterwechsel sinnvoller gestalten können, schließlich klappte das in Lost Horizon gleich an 3 Stellen im Spiel und hat sich wunderbar angefühlt!
Die Charakter sind aber trotzdem gut gelungen, jeder hat im gewissen Maße eine Persönlichkeit und Nina wächst einem mit humorvollen oder auch selbstironischen Sprüchen sogar ein bisschen ans Herz.
Ebenfalls eine Neuerung sind die 4 alternativen Enden. Klingt gut? Tjaja, die vier Enden unterscheiden sich nur im Abspann,  in dem erklärt wird, wie sämtliche im Spiel vorkommenden Personen enden. Ich habe das Spiel zwar nur einmal durchgespielt, aber man merkt deutlich, bei welchen Personen an welchen Stellen im Spiel sich etwas hätte ändern können. So kommt bei einer Entscheidung mit zwei Möglichkeiten bei der ersten die Hochzeit von Nina und Max doch noch zustande, wenn man die andere Möglichkeit wählt, dann enden sie als Single.

Die Rätsel

Hiermit wären wir also bei den Rätseln, dem der Herzstück eines P&C-Adventures angekommen. Diese sind an fast allen Stellen verständlich und mit Verstand recht schnell zu lösen. Wüste Kombinations-Rätsel, in denen man durch Zufall Gegenstände im Inventar miteinander kombinieren muss, sind nicht vorhanden, sodass die Kombinationen nicht mehr als 3 Gegenstände umfassen. Dafür sind Kombinationen aber zu selten und zu schnell durchschaubar. Kombinationen, die erst auf den zweiten Blick ersichtlich werden, fehlen weitgehend.
Die gefundenen Gegenstände, die man an allen Schauplätzen einsammelt, benutzt man in der Regel dann mit Gegenständen in der Umgebung, einfachstes Beispiel: Keycard + elektronischer Türöffner. Hin und wieder muss der Spieler auch technisches Gerät verwenden, z.B. ein Gemälde röntgen, eine Suchmaschine bemühen oder einen QR-Code mit dem Handy einscannen.
Selten muss man auch Schalterrätsel knacken, in denen man an Anzeigen eine bestimmte Zeichenfolge einstellen muss, damit sich etwas öffnet. Diese Passagen sind meist wirklich schwer, und ohne die Spielhilfe, die hilfreiche Tipps gibt, ohne zu viel zu verraten, schwer zu verstehen. Aufgelockert wird das Ganze ab und zu von Puzzle-Einlagen, in denen man z.B. ein zerissenes Fax zusammensetzen muss. Bei diesen Puzzles kann man sogar anfangs eine schwierigere Version der Puzzles wählen.
Aufgrund des etwas niedrigen Schwierigkeitsgrades habe ich nicht so lange rätseln müssen, wobei ich auch immer die Lupenfunktion benutzt habe (laut Statistik über 10.000 Mal...) und wenn ich wirklich keine Ahnung hatte, die Spielhilfe benutzt habe. Somit war das Abenteuer nach bereits 5 Stunden und 23 Minuten vorbei.
Positiv ist anzumerken, dass der Spieler trotz einer brenzligen Situation nie unter Zeitdruck gerät und es somit nicht Game over heißt, wenn man nicht schnell genug auf die Sprünge kommt.

Um auch mal ein Beispiel zu zeigen, wie das Rätseln in der Praxis funktioniert, erkläre ich ein Rätsel am Anfang des Spiels, bei dem ich anfangs nicht mal verstanden habe, was ich machen muss...
Auf der Suche nach Max gelangen wir in sein Büro, um dort Informationen zu seinen Forschungen zu finden. An der Wand hängt ein in der Mitte senkrecht geteiltes Bild mit Metallschienen am Rand, was sich offensichtlich bewegen lassen muss - mit der Hand geht das aber nicht. Also nehmen wir das Bild mal genauer unter die Lupe: ein nächtlicher Vulkanausbruch, keine Sterne am Himmel, das Meer im Vordergrund. Anschließend schauen wir uns im Büro genauer um. Auf ein paar Kisten liegt ein Grabungswerkzeug - mitnehmen. An der Wand ist eine ausgeschaltete Klimaanlage zu sehen, die nur bei großen Temperaturunterschieden anspringt. Auf einem Kühlschrank steht eine Lavalampe, die wir anschalten können. Auf dem Schreibtisch eine Lampe und ein Aquarium mit Beleuchtung - und neben dem Aktenschrank noch ein Planetenmodell, das bei Stromfluss leuchtet und sich dreht.
Was tun wir also? Wir stellen die Situation auf dem Bild nach. Dazu stecken wir erstmal das Grabungswerkzeug in den Kühlschrank, als es kalt ist, halten wir es an den Temperaturfühler der Klimaanlage, damit diese anspringt, et voilà: es wird warm. Jetzt noch das Licht des Aquariums  und die Lavalampe anschalten und schon öffnet sich der Safe. Mit den Akten darin kommen wir schon mal ein Stück weiter und mit dem Telefon daraus können wir eine Nachricht seines Kollegen abhören. Auf geht's zum nächsten Schauplatz!

Weiter hinten im Spiel haben die Entwickler auch eine nette Idee umgesetzt: wir müssen in einer Vision einen Flüchtenden folgen, dieser entwischt uns aber, als er einen Abschnitt weiter ist. Danach verlieren wir seine Spur. Deswegen geht es per Zeitreise wieder zum Augenblick vor der Flucht zurück und wir müssen den nun entdeckten Abschnitt so präparieren, dass wir seinen Weg verfolgen können. Im nächsten Bild entwischt er uns wieder und so setzt sich die "Jagd" dann fort, bis wir ihn zu seinem Ziel verfolgt haben - eine gute Idee!

Die Technik

Auf technischer Seite ist Geheimakte 3 eher schwach. Zwar sind die Schauplätze wunderbar gezeichnet und sehen toll aus, ansonsten wird optisch aber wenig geboten. Die Charakter sind zwar gut modelliert, die Texturen an ihnen aber sehr niedrig aufgelöst und die (Gesichts-)Animationen in heutiger Zeit eigentlich ein schlechter Witz. Während die Animationen zum Beispiel bei Drehen eines Rades, wo sich Nina einfach nur bückt und nicht mal die Arme bewegt, wenigstens noch irgendwie vorhanden sind, werden viele Aktionen mit einer Schwarzblende überdeckt und anschließend sieht man dann das daraus resultierte Ergebnis.
Der Sound des Spiels ist sehr gut: Der orchestrale Soundtrack ist super und passt immer zur Situation, ist also unspektakulär, wenn man gerade ein Büro durchsucht und schwillt stark an, wenn es gerade brenzlig wird. Auch die Sprecher leisten einen super Job, alle sind gut ausgewählt und passen zu ihrer Figur.

Der Gesamteindruck

Ja, Geheimakte 3 ist ein gutes Spiel geworden und setzt die Reihe gelungen fort. Einige Schnitzer trüben den Eindruck allerdings. Was jedem sofort auffällt, ist die schwache Technik: diese war schon in Geheimakte 1 und 2 nicht mehr ganz zeitgemäß und Animation Arts hätte bei den Animationen durchaus mehr Zeit investieren dürfen. Als nächstes fällt mir auf, dass die Atmosphäre in Geheimakte 3 einfach nicht so gut gelungen ist wie in Lost Horizon - ich weiß, dass ist Kritik auf hohem Niveau, aber ich als Spieler hatte nie das Gefühl, mich in einer richtigen Stadt zu bewegen, da die Schauplätze nicht zusammenhängend sind, sondern ich immer nur an dem einen Schauplatz abgesetzt werde und von da an weiterkommen muss, zurück geht's in der Regel nicht mehr. In den Räumen eines Hauses ist das zwar nicht so, aber dort passiert auch nichts (Verkehr, Vögel, Passanten). Vielleicht bin ich ja von Lost Horizon verwöhnt, wo man in Tokio und in Berlin auf einem Stadtplan den jeweiligen Schauplatz auswählen konnte um dorthin zu kommen. Auch in Geheimakte 2 gab es einen kleinen Stadtabschnitt mit einer U-Bahn-Station, einer Brücke, einem Park und einer Straße. So etwas fehlt hier einfach.

Und zu guter letzt ist der Umfang einfach nicht groß genug. Gut 5 Stunden bei blindem Spielen? In Lost Horizon habe ich selbst beim zweiten Durchspielen knapp 10 Stunden gebraucht! Da helfen auch die 4 alternativen Enden nicht viel.

Mein Fazit

Meiner Meinung nach das bisher schwächste Spiel in der Geheimakte-Reihe, was aber nicht daran liegt, dass das Spiel schlecht ist, sondern daran, dass die Vorgänger (und Lost Horizon vom selben Entwickler) einfach nahezu perfekt waren.
Trotzdem eine klare Empfehlung an alle Freunde von Point & Click Adventures, die Wert auf eine packende, durchdachte, intelligente Story legen!

Wertungskorrektur (12. 9.)

Um das Spiel den Pro & Contra Punkten besser anzupassen, habe ich nochmal auf dem Papier eine kleine Wertungstabelle mit Punkten erstellt, dabei kommt Geheimakte 3 bei mir nicht mehr auf 80, sondern nur noch 75 Punkte. Man möge mir bitte verzeihen! An meiner Meinung zum Spiel ändert sich aber nichts und der positive Eindruck bleibt.


Wertung
Pro und Kontra
  • Durchdachte, spannende, auf Fakten basierende Story
  • Gute Kombinations-Rätsel
  • 5 spielbare Charakter...
  • Knifflige, aber seltene Schalter-Rätsel
  • Verfolgungspassage gut gelöst
  • Viele Rätsel, Schauplätze und Hintergründe
  • Hintergründe sind sehr hübsch
  • Toller Soundtrack
  • Gute Sprecher, die zu den Figuren passen
  • Insgesamt eher zu einfach
  • Charakterwechsel in der Gegenwart aufgesetzt
  • ...davon 3 aber nur recht kurz
  • Animationen und Texturen der Figuren unzeitgemäß
  • Keine Rätsel, in denen Figuren Gegenstände tauschen müssen
  • Keine weitläufigeren Stadt-Schauplätze
  • Kurze Spieldauer (5:23)

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher leicht

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



Kommentare(2)
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