Komplex, düster, atmosphärisch

The Witcher (Enhanced Edition) (V. 1.6, DVD-Version)

von ModuGames am: 15.02.2020

Geralt von Riva, seines Zeichens Hexer, ein professioneller Monstertöter — und seit neuestem auch Amnesiepatient. Ja, der gute Herr leidet unter Gedächtnisschwund, als er im Prolog des Spiels halb tot aufgefunden und von seinen Freunden in die Festung Kaer Morhen gebracht wird. Zeit zum Erholen ist aber nicht drin, denn eine mysteriöse Gruppe namens "Salamandra" greift die Burg an und stiehlt die Geheimnisse der Hexer. Ehrensache, dass sich Geralt auf den Weg macht, um sich an den Verbrechern zu rächen...

 

Die Suche nach den Salamandra

Geralts Reise führt ihn dabei in das Reich Temerien, wobei dessen Hauptstadt Wyzima den Dreh- und Angelpunkt der Handlung darstellt. Weiterhin besucht der Hexer Wyzimas Umland mitsamt einigen Dörfern, einen Sumpf, Friedhöfe etc. — im Allgemeinen eher unfreundliche Gegenden. Die Handlung ist hierbei in sieben Teile gegliedert: Prolog, Kapitel I-V und Epilog. Harte Einschnitte in der Erzählstruktur erfolgen jedoch nur recht selten, stattdessen dienen kurze, aber effektive gemalte Zwischensequenzen zur Überleitung. Die Geschichte des Hexers versteht es ziemlich gut, Spannung aufzubauen, vergisst aber auch die oftmals so essenziellen Ruhepausen nicht. So fängt man nach dem recht turbulenten Einstieg erstmal wieder klein an und wird langsam an das Hexerhandwerk herangeführt, die Bedrohung ist zwar gegenwärtig, aber nicht erdrückend. Erst nach und nach verschärft sich der Konflikt, gleichzeitig werden Handlungsstränge effektiv etabliert und ausgebaut, wobei sich das Spiel gebührend Zeit lässt, um nichts überstürzt wirken zu lassen.

Der Enhanced Edition liegen noch einige zusätzliche Abenteuer bei, die aber letztlich nur eine nette Dreingabe darstellen und das Spiel, wenn überhaupt, nur minimal aufwerten. Nach wie vor ist und bleibt die Haupthandlung der wichtigste Kaufgrund.

 

Erwachsene Themen und weitreichende Entscheidungen

Die Themen, die Motive der Handlung sind es jedoch, die The Witcher von der Konkurrenz abheben. Neben Geralts Versuch, sein Gedächtnis wiederherzustellen und als solches auch seine Identität zurückzuerlangen, diskutiert das Spiel etwa die Rolle von Hexern, welche von vielen Menschen nicht nur als Mutanten oder Missgeburten beschimpft, sondern auch als schlichtweg veraltet und unnötig angesehen werden. Auch Rassismus spielt ein großes Thema in der Erzählung, so bildet der Konflikt zwischen Menschen und Anderlingen (Elfen, Zwerge) einen Grundpfeiler der Handlung, nicht zuletzt, weil Geralts Überzeugung, sich aus diesen weltlichen Angelegenheiten herauszuhalten, immer mehr in Frage gestellt wird und man sich irgendwann zwischen den beiden Parteien entscheiden muss.

Jene Entscheidungen — nicht nur im Menschen/Anderlinge-Konflikt, sondern allgemein — sind dabei angenehm differenziert und vermeiden klassische Schwarz-weiß-Schemata. In einer Welt, in der praktisch jeder Dreck am Stecken hat, wird der Hexer, dieser Monsterschlächter, plötzlich zu einer Figur, die über Moral nachdenken muss. Geralts Herz ist prinzipiell am rechten Fleck, doch oft muss er sich zwischen zwei Übeln entscheiden und hoffentlich das geringere wählen. Durch diese moralischen Zwickmühlen wird auch der Spieler gezwungen, über seine eigenen Taten zu reflektieren.

Im Bezug auf die Entscheidungen ist vor allem wichtig, dass selbst kleinere Beschlüsse sehr viel später noch wichtig werden können, etwa ob Geralt gewisse Monster verschont oder welche Personen er Verbrechen beschuldigt. Entscheidungen und deren Konsequenzen sind ein Grundstein des Spiels.

 

Komplexität in Charakteren und Quests

Eine der größten Stärken von The Witcher besteht darin, wie das Spiel seine Charaktere behandelt. Zum einen wären da natürlich die Hauptfiguren der Handlung, wie etwa die Magierin Triss Merigold, die Heilerin Shani oder der Zwerg Zoltan Chivay, welche zwar freundlich zu Geralt stehen, aber über ihre eigenen Motive verfügen und deswegen nicht mit jeder Entscheidung, die Geralt trifft, konform gehen. Aber auch die unwichtig erscheinenden NPCs haben es gerne mal in sich. Wenn man etwa Questgeber aus anderen RPGs gewohnt ist, geht man mit der Erwartungshaltung an diese heran, dass sie nach Erledigung der aufgetragenen Aufgabe mehr oder weniger ihre Daseinsberechtigung verlieren. Klar, solche Fälle gibt es auch in The Witcher, aber ich muss hier positiv herausstellen, dass selbst Nebendarsteller zum Teil über komplexe Hintergrundgeschichten und Beweggründe verfügen. Nicht selten werden Figuren, die man als "abgeschlossen" betrachtet, später in der Handlung wieder relevant.

Doch bleiben wir beim Thema Quests, denn hier sehe ich eine weitere Stärke des Spiels. Neben den klassischen Aufträgen wie "Sammle 10 Items, bringe sie zu Person xy" wartet The Witcher auch mit strukturell komplexen Quests auf. Ein großer Teil des Spiels beschäftigt sich mit Geralts Ermittlungen rund um die Salamandra, was sich wie ein Detektivabenteuer spielt. So lassen sich manche Aufgaben und Rätsel auch nicht direkt lösen, stattdessen sind Questreihen oft miteinander verzahnt und ergänzen sich gegenseitig.

 

Der indirekte Hexer

Das Kampfsystem funktioniert so: Geralt verfügt sowohl über ein Stahl- als auch über ein Silberschwert, wobei ersteres gegen Menschen und normale Tiere am effektivsten ist. Das Silberschwert wiederum ist für den Kampf gegen Monster gedacht. Weiterhin kann der Hexer sich an unterschiedliche Situationen anpassen, indem er zwischen einem starken, einem schnellen oder einem Gruppenkampfstil wechselt. Diese beiden Entscheidungen (Welches Schwert? Welcher Stil?) bringen ein wenig Taktik in das ansonsten recht unspektakuläre Kampfsystem. Tatsächlich ist es so, dass Geralt zu großen Teilen automatisch angreift — als Spieler gilt es, in bestimmten Momenten (wenn der Cursor gelb aufleuchtet) zu klicken, um Angriffe aneinander zu reihen und somit Kombos zu erreichen. Böse Zungen mögen behaupten, dass es sich hierbei nur um ein glorifiziertes Quick Time Event handelt, doch ich würde widersprechen: Positionierung ist wichtig, so muss man beim Kampf gegen Gruppen etwa abwägen, ob man lieber einzelne Gegner gezielt mit dem schnellen/starken Kampfstil ausschaltet oder ob man sich mitten in die feindlichen Horden wirft, um mit dem Gruppenkampfstil richtig auszuteilen. Zumal es fünf verschiedene Zauber gibt, welche sich aber als wenig effektiv herausstellen und im Vergleich zu den Schwertern in den Hintergrund treten.

Auf seine Reisen erhält Geralt natürlich reihenweise Erfahrungspunkte, die er beim Levelaufstieg in neue Fähigkeiten stecken kann. Um diese jedoch verteilen zu können, muss er an einem Lagerfeuer meditieren, was aus heutiger Sicht etwas ungewohnt ist, schließlich ist man mittlerweile doch sehr darauf konditioniert, dass man dies sofort in einem Menü erledigen kann. Solche Designentscheidungen verleihen The Witcher jedoch Tiefgang und Individualität. Die Fähigkeiten sind in Bronze-, Silber- und Goldkategorien eingeteilt, wobei letztere natürlich die besten sind. Besagte Fähigkeiten sind in der Regel nur statistischer Natur, d.h. sie erhöhen etwa Geralts Fähigkeit zu parieren um 10% oder seinen Schaden um 30%. Verbessert man hingegen den Schwertkampf, führt Geralt auch tatsächlich neue Bewegungen aus, sodass dem Spieler wirklich das Gefühl vermittelt wird, dass der Hexer nach und nach mächtiger wird.

 

Von guten und schlechten Komfortfunktionen

Die Menüführung von The Witcher wird häufig kritisiert, doch mir ist sie sogar recht positiv aufgefallen. Die wichtigsten Teile des Menüs (Journal, Inventar, Glossar, Karte) sind schnell erreichbar und nicht unnötig verschachtelt. Das Inventar verfügt weiterhin über eine Sortierfunktion, die einem hilft, den Überblick über die doch sehr zahlreichen Icons zu behalten, was hilfreich, aber nicht überlebenswichtig ist. Das Inventar ist jedoch dummerweise zu klein, was sich vor allem bei den Waffen zeigt: Neben der Stahl- und der Silberklinge kann der Hexer noch zwei andere "Werkzeuge" mit sich herumtragen, was allerdings bei weitem nicht ausreicht, um einen Haufen toter Gegner um ihre Habseligkeiten zu erleichtern. Wenn man einen Raum voller Waffen verlassen muss, weil man effektiv nur eine oder zwei aufsammeln kann, ist das unbefriedigend. Die Entwickler hätten hier die Häufigkeit fallengelassener Waffen reduzieren können, um allzu oft überfüllte Inventare zu vermeiden. Den Glossar muss ich aber ausdrücklich loben: Wo Texte, die in einem Kodex abgespeichert werden, in anderen Rollenspielen oft nur Beiwerk darstellen, sind sie in The Witcher absolut essenziell. So werden alle wichtigen Daten über Charaktere, Orte und vor allem Monster kurz und bündig dokumentiert, sobald sich eine entsprechende Informationsquele (wie etwa ein Buch) gefunden hat. Der Nutzen für einen Hexer liegt auf der Hand.

Der Zahn der Zeit nagt am Hexer

The Witcher präsentiert sich als sehr dunkles Spiel, Braun- und Grautöne dominieren große Teile der Umgebung und helleres Grün etwa sieht man nur recht selten, was hervorragend zur Darstellung der Hexerwelt passt. Schwächen in der Präsentation offenbaren sich allerdings an anderen Stellen, hauptsächlich bei den Charaktermodellen. Viele NPCs, die wichtigsten natürlich ausgenommen, sind nämlich einfach nur Klone voneinander, die sich, wenn überhaupt, nur durch ihre Farben unterscheiden. Dies schmälert die Glaubwürdigkeit der Welt ein bisschen, dafür muss ich sagen, dass die Modelle der Hauptcharaktere ordentlich gelungen sind, vor allem Geralts Aussehen hat es mir sehr angetan. Kritisiert werden müssen allerdings die Ladezeiten von The Witcher. Es ist natürlich selbstverständlich, dass man größere Areale voneinander abtrennt, zumal ich es gut finde, dass das Spiel seine dichte Atmosphäre nicht mit einer potenziell langweiligen Open World verwässert, doch wenn man jedes Mal in den Ladebildschirm geschickt wird, wenn man zwischen den beiden Stockwerken eines winzigen Hauses wechselt, ist das schon nervenstrapazierend. Die Monsterdesigns sind wiederum gut gelungen, der Soundtrack effektiv, aber nichts Besonderes, und wenn man bedenkt, dass es sich hier um ein Spiel handelt, das ursprünglich 2007 veröffentlicht wurde (die Enhanced Edition 2008), kann ich die Präsentation gerade noch als gut bewerten.

 

Fazit

Wird ein Rollenspiel als qualitativ hochwertig empfunden, so liegt dies in vielen Fällen an der Atmosphäre, die es aufbaut. Doch meiner Meinung nach beherrschen nur wenige Titel diese Kunst so wie The Witcher, kann es doch mit einer durchdachten, komplexen Welt aufwarten, die sich nicht in den heutzutage so üblichen Open-World-Eskapaden verliert. Kleinere Schwächen im Kampf- und Charaktersystem sowie in der Präsentation kann man verschmerzen, wenn man dafür mit interessanten Geschichten, moralischen Fragen und Mut zur Eigenständigkeit belohnt wird. The Witcher ist sicher kein gewöhnliches Rollenspiel, aber dennoch — oder gerade deswegen — ein sehr gutes.


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher leicht

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



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