Nichts als eine Grafik-Demo?!

Die Launch-Version war eine Unverschämtheit. Aber auch Patches machen CP2077 nicht zu einem Meisterwerk.

von Armageddon2021 am: 19.04.2021

Diese Rezension enthält keine Spoiler!

Gebrochene Versprechen, Hype und ein unfertiges Produkt

Wohl kaum ein Spiel wurde in den letzten Jahren so sehnlichst erwartet wie Cyberpunk 2077 (ab jetzt abgekürzt: CP2077 weil ich schreibfaul bin!). Kaum ein Spiel wurde vorab derart gehypt. Neue Massstäbe sollte CP 2077 setzen, nicht nur grafisch, sondern auch spielerisch. Ja, auch ich habe mich hinreissen lassen und das Spiel gekauft nachdem die ersten "Profiwertungen" der Fachpresse eingetrudelt sind (ein Fehler den ich nie wieder begehen werde). Kann ein Spiel von CD Projekt RED, dessen Fingerübung sich konstant gesteigert haben (Witcher 1, 2 und dann das grandiose Witcher 3!) denn alles andere als ein Meisterwerk sein?

Absolute Traumwertungen hagelte es (Gamestar: 91, PC Games: 10 / 10, 4Players: 90, usw.). Also ist den Jungs aus Polen wieder ein Meisterwerk gelungen? Leider weit gefehlt. Liebe Gamestar Redaktion und andere, die Version die ihr getestet habt war sicherlich so ziemlich diesselbe die ich Anfang Dezember von GOG bezogen habe, und eine 91 (mittlerweile abgewertet auf 88) und schon fast so dreist wie dieses "Spiel" so zu veröffentlichen.

Mehr und mehr kam auch heraus, etwa sollten die Mitarbeiter entsetzt gewesen sein über den Veröffentlichungstermin, das Spiel "brauche noch mindestens ein Jahr". Das Fahndungssystem sei offenbar noch gar nicht vorhanden und wurde notdürftig in letzter Minute mehr schlecht als recht programmiert. Die Story wurde auf Grund von Keanu "John Wick" Reeves komplett umgeschmissen, viel an Handlung zugunsten seiner Figur Johnny Silverhand entfernt, usw. Sind diese Gerüchte wahr? Offiziell wurden sie nicht bestätigt, aber auf Grund meiner persönlichen Erfahrung mit diesem "Spiel" im Dezember letzten Jahres sagt mir: JA!

Ich habe gut 40 Stunden in Night City verbracht (inzwischen habe ich CP2077 wieder von der Platte geputzt). Und ja, das war VOR dem letzten Patch, aber mehr dazu später. Genau diese Version, die im Dezember veröffentlicht wurde und notdürftig gepatcht wurde verdient auch KEIN 49%, sondern eher etwas in Richtung 20-30% (auf gar keinen Fall 88 oder 91!!!!).

Das Fahndungssystem wurde zu Recht kritisiert: begeht man ein Verbrechen (auch wenn es keine Zeugen geben konnte!) spawnte die Polizei grundsätzlich immer direkt hinter einem. Autofahren konnten sie nicht (können sie immer noch nicht, dafür reicht die KI der NPCs - oder die Programmierkünste von CDPRRED - nicht aus). Begeht man ein Verbrechen neben einem Tatort andem die Polizei schon ist (inklusive Polizeiauto), verfolgt diese einem trotzdem nur zu Fuss, auch wenn man selbst im Auto flüchtet. Der Neuste Patch spawnt jetzt immerhin eine Drohne und einen Netrunner, die zumindest etwas schneller sind als die Donut-Brigade, aber spannende Fluchtszenarien wie in GTA (V) darf man hier keines Falls erwarten. Mord und Totschlag lohnen sich in Night City weiterhin, bricht man den Sichtkontakt zu den Ordnungshütern für einige Minuten ist alles auch schon wieder vergeben und vergessen. Wird man doch gesichtet kennen die Cops nur eins: ballern! Sich ergeben - oder, wie CDPRRED vorab versprochen hatte, korrupte Cops zu bestechen is' nicht! Und bevor jetzt die CDPRRED Fanboys angerannt kommen und jammern "Aber CP2077 wollte nie GTA sein und setzt auf Storytelling": BS! CP2077 war von Anfang an als Open World Spiel gedacht und konzipiert und würde nach Aussagen von CDPRRED neue Massstäbe setzen, nicht nur grafisch, sondern auch im Gameplay. Und CP2077 erfüllt nicht einmal die Kriterien für ein DURCHSCHNITTLICHES Open World Spiel, von einer Referenz brauchen wir erst gar nicht zu sprechen.

Die KI in dem "Spiel" ist generell dumm: parke ich mein Auto so, dass auch nur ein Pixel (!) in die Fahrbahn ragt verursache ich einen Stau, da die KI nicht ausreicht um einen Pixel auszuweichen. Schiesse ich in die Luft springen ALLE NPCs aus ihren Autos, schlagen die Hände über den Kopf und ducken sich neben ihren Fahrzeugen. Springe ich (ohne gezogene Waffe) in die Luft schreien alle NPCs nach Hilfe und gehen ebenfalls in Fötusstellung. Solche Immersionskiller gibt es in CP2077 zu Hauf!

Das Fahrverhalten an Anfang war eine Katastrophe (soll wohl auch mit Patch 1.2 verbessert worden sein) aber richtiges Fahrgefühl kam nie auf: fährt man (langsam) eine scharfe Kurve fühlt es sich an als führt man einen Panzer auf Ketten und kein Auto. Pionierarbeit die CDPRRED mit Witcher 3 leistete wurde hier wieder Rückgängig gemacht: Setzte ich in Witcher 3 ein Ziel konnte ich mit gedrückter Shift-Taste den "Autopilot" einschalten: Pferdchen Plötze trabte fröhlich drauf los zum Ziel und nahm die richtigen Abbiegung von alleine. Dieses Feature fehlt hier völlig unverständlicherweise. Die immer eingeblendete Minimap ist ausserdem ein Graus: fahre ich mit Höchstgeschwindigkeit (Tach zeigt 120 Meilen pro Stunde, fühlt sich eher an wie 50!) zeigt die Minimap Abbiegungen leider zu spät an, da die Karte sich nicht zoomen lässt. Nervig!

Night City wirkt auch nicht wie eine lebendige Welt, sondern wie eine Facade. Passanten sind Zombies, die ein und den selben Satz von sich geben wenn man sie anspricht, einige werden eingespawnt und laufen die Strasse runter um dann wieder zu verschwinden, andere sind Tag und Nacht an ein und derselben Stelle angewurzelt. Ein Auto, dass ich aus dem Blick verliere ist wirklich weg, ich kann also nicht hinterherfahren und es ist noch da. Ein Next Gen Spiel ist CP2077 definitiv nicht!

Grafisch gut, aber nicht bahnbrechend!

Ich habe die ausreichende Rechenleistung um CP2077 mit maximalen Detailstufen und Ray-Tracing Optionen "geniessen" zu können. Ja ich weiss - schön für mich! Ich muss sagen, ich bin etwas entsetzt. Ein grafisches Meisterwerk ist CP 2077 ebenfalls nicht geworden. Zugegeben, die Kulisse von Night City mit den Neonlichtern ist schön anzusehen - erstmal - aber es gibt definitiv besser aussehende Grafiken. Die Qualität der NPC Charaktermodelle reicht von hui! (Hauptfiguren) regelrecht bis pfui (08/15 Passanten). Einige Details fallen negativ auf wenn man schon mal in den USA Auto gefahren ist (gelbe Strassenmarkierungen bedeuten entgegengesetzter Verkehr, hier wurde das vermischt mit den europäischen Markierungen). Sicher, das ist nicht gravierend, aber es sind Details die einfach die Immersion brechen. Fahre ich in Far Cry 5 durch die Pampa fühle ich mich wirklich wie im ländlichen Amerika, fahre ich in GTA V durch die City, dann fühle ich mich wie in Los Angeles. Fahre ich in CP2077 durch die Gegend... lassen wir das. CP2077 ist grafisch "gut" mehr aber auch nicht! Ausserdem fällt auf, dass im Vergleich zum Gameplay Demo von 2018 (?) die Grafik deutlich schlechter aussieht als in der Demo: dieses Phänomen kennen wir beriets aus The Witcher 3.

Mittelmässige Story gut erzählt

Eins vorneweg: durch das Einbringen von Keanu Reeves' Figur Johnny Silverhand wurde die Story massgeblich geändert. Das fällt leider sehr oft auf. Bestimmte Figuren hatten wohl wesentlich mehr "Screen Time" wirken jetzt aber irgendwie "abgehackt", was wirklich schade ist. Ich empfand die Story um Johnny eher mittelprächtig (und ja, ich mag Keanu Reeves!). Haupdarsteller(in) V bleibt leider total blass! Ich konnte keine richtige Beziehung zu ihr aufbauen, am Ende  war es mir wirklich egal was mit ihr passiert. Sie ist definitiv kein Geralt. Gut erzählt wird die Story zwar, leider bringt das nicht viel wenn die Story an sich - bis auf das Finale des Ersten Aktes - eher lauwarm ist!

Vom RPG zum "Action-Adventure" degradiert

CDPROJEKT RED bewarb CP2077 von Anfang an als "echtes" RPG. Mittlerweile haben sie es korrigiert und nennen es ein "Action-Adventure". Das macht sich vor allem bemerkbar bei den Handlungsoptionen: gross angekündigt waren eine Vielzahl von Optionen beim Lösen von Quests - diese beschränken sich jetzt allerdings nur auf "töte Alle" oder ein eher lausiges "Stealth" System oder "laber dich raus". Weder die Stealth Mechaniken, noch das Schiessen sind auf hohen Niveau, Waffen sind eher mau und das Kampsystem erinnert stark an Fallout 3.

Die RPG Elemente wirken etwas abgespeckt, allerdings hat man das eher schlechte Leveling System das man aus so ziemlich jedem Open World Spiel kennt beibehalten: neben der Spielerfigur haben auch Waffen "Levels": greife ich mit einer Waffe einen Gegner an der über meinem Level und den meiner Waffe ist verursache ich kaum Schaden "Bullet Sponge", gehe allerdings nach einem oder zwei Treffern zu Boden. Grinding ist also angesagt. Auch die Perks die man freischaltet sind eher durchschnittlich "Level 1 Handfeuerwaffen: verursache X % mehr Schaden", "Level 2 erhöht den Schaden um X". Next-Gen Gameplay? Nix da! Altes Gameplay neu aufgewärmt.

Geschnittene Inhalte

Nein, nicht die USK hat hier zugeschlagen, es geht nicht um Zensur, sondern um entfernte Features seitens der Designer. Entfernt wurden unter Anderem die korrupten Cops, die Möglichkeit Matrix-like Seitenwände entlang zu rennen, das Metrosystem das als Schnellreisesystem dienen sollte (wurde durch lahme Klötzchen ersetzt, Immersionskiller Nr. 713). Andere Dinge wirken "entschlackt", so scheint mir das RPG System etwas reduziert worden zu sein, ein Attribut wurde wohl gestrichen (im Menü sieht man noch den Block wo die Ziffer sein sollte) und die Interaktionsmöglichkeiten wirken auch drastisch reduziert. Viele Gegenden wirken als hätten sie betretbar sein sollen und wurden im Nachhinein dann gestrichen und lassen sich auf "normalem" Wege nicht mehr erreichen. Der Multiplayer steht jetzt wohl auch auf der Kippe. Viel wurde versprochen, nur ein Bruchteil wurde eher schlecht als recht gehalten.

Ein Bug-Terrarium?

Bugs sind mir persönlich kaum unter gekommen, auch nicht vor den ganzen Patches. Ich blieb weder in der Landschaft "hängen", noch wurde mein Spielstand zerstört, noch kam es zu "Plot-Stoppern". Einigen grafischen Bugs bin ich begegnet, aber diese hielten sich in Grenzen. Zumindest in diesem Punkt war ich positiv überrascht. Das wars aber auch schon mit dem Positiven...

Ein bisschen was von Allem - aber nichts davon überragend...

So lässt sich CP2077 kurz zusammenfassen. Es bietet Elemente aus allen möglichen Genres - aber eben nur durchschnittlich umgesetzt. Das aus anderen Spielen bekannte Stealth System ist da, aber eher mangelhaft umgesetzt, die Ballereien sind da, aber eben nur 08/15 zweckmässig umgesetzt. RPG Elemente - ja, aber eben nur wie gehabt. Eigene Akzente setzt CP2077 nicht. Es wirkt wie ein durchschnittliches Spiel. Von einem Meisterwerk ist CP2077 weit entfernt, da helfen alle Patches der Welt nichts. Was bleibt ist ein Flickenteppich aus mehreren Spielen mit einem nicht ganz ausgelutschtem Szenario, aber ein Next Gen Titel ist CP2077 weder grafisch noch spielerisch geworden. Ganz im Gegenteil: vergleiche ich einzelne Aspekte des Spieles mit anderen Titeln, so wird CP2077 in jedem Bereich von einem anderen Spiel haushoch geschlagen!

Meine Finale Wertung für Cyberpunk 2077 - neuster Patch mit verbessertem Fahrverhalten und Fahndungssystem: 48 von 100 Punkte. Das Spiel ist unterdurchschnittlich. Die Verbesserungen hieven CP2077 aus der 20er Region die die Dezember-Version von mir bekommen hätte ("Grafikdemo") in die 40er Region ("unterdurchschnittlich"). Zukünftige Patches  werden hier auch nicht mehr viel reissen.

Wertung
Pro und Kontra
  • Story ist gut erzählt
  • teilweise gute Grafik (Night City, Ray-Tracing)
  • teilweise schreckliche Charakter-Modelle
  • deutlich weniger RPG Elemente und Lösungsmöglichkeiten als ursprünglich angekündigt
  • viele geschnittene Inhalte
  • mangelhafte KI bei Gegnern und NPCs
  • sterile, unglaubwürdige Open World
  • Story nur 08/15
  • viele Spielmechaniken nur mittelprächtig umgesetzt
  • Fahndungssystem katastrophal schlecht (bereinigt mit Patch)
  • Fahrmechananik katastrophal schlecht (teilweise bereinigt mit Patch)

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

zu leicht

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



Kommentare(2)
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