Endlich mal Janeway sein!
Große Hoffnungen und Vorbilder:
Das Weltall, unendliche Weiten! Verloren im Delta-Quadranten, selber mal Captain Janeway sein, naja, halt als Mann in meinem Fall. Die Geschichen und Entdeckungen des altehrwürdigen Star Control, das seit Ewigkeiten auf eine Wiederbelebung wartet. Die motivierte gejagter-Jäger-Jagd eines großartigen FTL. Das schwierige, weil halbwegs realistische Flugverhalten im All, mit Trajektorien (Bewegungsbahnen im All), mit sichtbaren RaumZeit-Krümmungen ala Einstein, mit Ausnutzen von Schwerkraftfeldern oder ihrer fatalen Unterschätzung mit dem tragischen Ende in einem Schwarzen Loch. Mit der kniffligen Steuerung einer Landefähre eines Urahns der Computerspiele, Lunar Lander. Knallhart, wie es sich für ein Roguelike gehört. Motivierend, weil nichts erklärt wird, man noch selber denken muss. Erkundung, Abenteuer, Handel, Aliens, Kulturen, Konflikte, Geschichten, Geheimnisse, Kampf, Crew, Schiff, Artefakte, Forschung, Ressourcen. Wow! Alles zusammen. Alles in einem Spiel. Hört sich doch phantastisch an, oder nicht? Hört sich doch nach dem Spiel an, das No Man's Sky hätte werden sollen, aber nicht wurde. Ist es das auch? Ist The Long Journey Home so phantastisch?
Nein, leider nicht.
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Dinge, mit denen man leben kann
Dass ich nicht wie bei vielen anderen Spielen selbst bei offensichtlichen Dingen an der Hand geführt (und damit für unzurechnungsfähig erklärt) werde, kritisiere ich nicht. Dass die Präsentation sich auf Standbilder, animierte 2D-Planetenoberflächen und das All beschränkt, praktisch ohne Sequenzen, ohne Vertonung, mit einem Textticker only - all das kritisiere ich nicht. Dass das User Interface bestenfalls als pragmatisch bezeichnet werden kann, aber den Eindruck erweckt, als wäre 2017 eine Verschwörungstheorie und in Wirklichkeit die 90er Jahre immer noch zugange - kritisiere ich nicht. Dass der Spielablauf immer gleich ist (System Jump, gucken welche Ressource man braucht , landen, interagieren, Item bekommen, Item benutzen, simples Kämpfen, weiterfliegen) kritisiere ich nicht.
Selbst die sehr gewöhnungsbedürftige Steuerung kritisiere ich nicht (Argh! Doch! *Ausflipp*!) oder nur wenig. Schön wäre gewesen, wenn das Raumschiff größer wäre und ich sehen könnte, wo ich hin fliege. Navigieren in Multi-Systemen ist dank schwieriger Gravitationsverhältnissen sehr heikel, aber noch kein Vergleich zur Steuerung meiner absturzgefährdeten Bleiente namens "Lander". Viel Geduld, viele Nerven und viel Übung sind nötig. Trotzdem geschenkt, fällt unter Geschicklichkeitsprobe, muss man Zähne zusammen beissen, üben, üben, üben. Fällt zwar Leuten wie mir, die nur ein mäßiges Kontingent an Geduld haben schwer, aber okay. Man will gerade bei einem Roguelike ja auch nix geschenkt haben - und es ist zumindest anfangs ein tolles Gefühl überhaupt von A nach B zu kommen wie geplant! Was man in anderen Spielen nicht mal als Feature wahr nimmt, ist hier schon eine echte Leistung für sich.
Dass dauernd irgendwas ist, dass dauernd irgendwas kaputt geht, manchmal auch ohne erkennbaren Grund, kritisiere ich nicht. Dass die Steuerung des Landers sich mit dem Pad deutlich besser spielt, als mit MT kritisiere ich nicht. Doch! Ich bin ein Pad-Legastheniker. Dass der Schwierigkeitsgrad zwischen Schwer und unfair schwankt, kritisiere ich nicht. Dass ich keine Zahlenwerte bei meiner Crew sehe, sondern anhand ihrer Beschreibung meinen eigenen Kopf nutzen muss, zu vermuten worin sie gut sein könnten, kritisiere ich nicht. Dass bei einigen Objekten im All nicht sofort klar wird, ob es sich um zugängliche oder kollidierbare handelt, kritisiere ich nicht.
Ein Widerspruch, der es in sich hat
Ja, was zur Hölle kritisiere ich also?
Warum kann ich nur eine bedingte Empfehlung aussprechen?
Bin ich zu blöd, ist es mir zu schwer, habe ich einen Kindergeburtstag erwartet, wenn ich im Deep Space gestrandet bin, auf der anderen Seite der Galaxie?
Das mit dem zu blöd lasse ich mal offen, aber nein, es ist etwas anderes. Etwas, das ich nie erwartet hätte, nachdem ich mich so lange auf ein Spiel dieser Art freute:
Das Spiel möchte von mir gar nicht gespielt werden.
Es möchte, dass ich es beende - und zwar so zügig, wie es geht.
Und das ist absurd!
Die gute Nachricht ist: Es gibt keine.
Man möchte in allem, was man tut von Natur aus besser werden.
Man möchte eine Herausforderung und aber auch sehen, dass das, was man dazu gelernt hat, sich positiv auswirkt. Das ist mit meinem Schiff möglich, denn ich kann es mit Items verbessern. Aber bei meiner Crew nicht! Sie lernt nichts. Sie wird nicht besser, kann das gar nicht werden. Diese startet bereits mit dem maximalen Status Quo und kann - und wird - nur noch schlechter werden. Rückwärts-RPG nennt man das - und das versaut mir den Spielspaß.
Wenn mein Schiff einen "Kratzer" abbekommen hat, lande ich und bohre nach Metallen. Dabei läuft aber fast schon unter Garantie irgendwas schief, was zur Folge hat, dass mein Pilot sich den Arm bricht. Oder eine Verbrennung bekommt. Oder sonst was. All diese Status-Änderungen sind zunächst mal persistent. Sie können mit Medi-Kits u.a. aufgehoben werden. Aber bis dahin sind sie bleibend. Eine Handvoll davon sind das Limit, danach heisst es: Ein Crew-Member weniger - von vier. Und man kann keine neuen rekrutieren. Das alleine ist es aber nicht, sondern der Umstand, dass es nichts auf der Haben-Seite gibt! Die Belohnung? Das Erlernte? Nichts. Die Belohnung ist, dass ich es (vielleicht) nach Hause schaffe. Oder auch nicht, weil GERADE dieser Ausflug mein Ende eingeleitet hat.
Indem ich also mein Schiff verbessern wollte, sorgte ich ungewollt für mein Spielende, weil es auf Kosten meiner Crew ging. Und es ist immer nur so rum. Was zur Folge hat, dass ich gar nichts erkunden will! Dass ich ganze Systeme links liegen lasse, wenn möglich. Ja, na klar ist es ein Notfall. Na klar bin ich gestrandet und der Name des Spiels sagt es schon: Es soll um die Reise nach Hause gehen - und nicht um Befriedigung meiner Neugier. Aber wozu dann das alles? Wozu dann die Interaktion, die neugierig machenden Geschichten, das Kopfkino, die Entdeckung?
Man fühlt sich wie ein Kleinkind, das vor dem Schaufenster steht, wo das tolle LEGO-Raumschiff zu sehen ist, aber dessen Taschengeld sagt: "NEIN! Heute nicht, morgen nicht und eigentlich nie!" Wo ich beim Vorbild FTL gar nicht genug bekam und mir so manches Mal die Rebellenflotte den Hintern versengte, weil ich das System und das noch - und komm, das eine schaffe ich auch - oh, doch nicht, hab's übertrieben - abklapperte, nicht nur, um Waffen und Equipment für mein Schiff zu bekommen, sondern weil meien Crew auch besser wurde, da mache ich hier das Gegenteil: Ich meide Erkundungen - in einem Überlebens- UND Erkundungsspiel! Nee, Daedalic, sorry, so sehr ich euch mag und so sehr ich harte Roguelikes mag, aber diese Gamedesignentscheidung war ein Griff ins Klo.
Was mich nicht tötet, macht mich auch nicht härter
Es wirkt auf mich, als ob man sich in der Konzeptphase oder auch später nicht entscheiden konnte, ob man nun eher die Entdeckungsmotivation eines Star Control, die Equipmentmotivation eines FTL oder die "Ich werde überleben!"-Motivation, also den Survivalaspekt eines harten Roguelikes fokussieren wollte. Ich kann mir regelrecht vorstellen, wie der Gamedesigner sagte: "Komm, lass es uns NOCH härter machen, die Leute stehen auf sowas, für die ist schon Dark Souls zu lasch!" Tun sie vielleicht sogar auch - aber überseht doch bitte nicht den Spielspaß!
So enteht dieser widersprüchliche Motivationseffekt, der zumindest bei mir mehr Frust erzeugt, als er für ein Roguelike nötig oder gut wäre. Scheinbar bin ich es aber nicht alleine. Nicht nur, weil das Game schwer oder die Steuerung ungewohnt ist. Anders kann ich mir auch die Diskrepanz zwischen Presse- und Userwertung nicht erklären, denn die liegen meilenweit auseinander. Das kann man auch nicht mehr mit dem üblichen "Alles weichgespült, alles Mainstream-verseucht"-Argument begründen, in Einzelfällen vielleicht.
Ein Großteil meiner Spiele sind Roguelikes und einen Großteil des Rests spiele ich meistens auf höchsten Schwierigkeitsgraden. Wenn ich also wirklich so weichgespült sein sollte, dann gehe ich besser nicht mehr unter Menschen. Kriegst ja Komplexe, wenn da draußen nur Bruce Willis - Klone rumlaufen und die Namen des Rest mit Norris enden und mit Chuck beginnen!
Die Karotte, die keine war
Scherz beiseite: Statt also wie in anderen Roguelikes einen Reiz zu versprüren durch die ewige Suche nach der Balance zwischen Gefahr und Nutzen, erscheint mir hier ALLES als Gefahr - bei praktisch keinem Nutzen. Zumindest nicht für die Crew. Wo ich in anderen Roguelikes von Zeit zu Zeit realisiere, dass die Karotte vor meiner Nase in Wirklichkeit eine Dynamitstange ist, ist es hier umgekehrt: Von Zeit zu Zeit realsiere ich, dass die omnipräsente Dynamitstange, die vor meiner Nase hängt, auch mal eine Karotte sein kann - aber auch nur für das Schiff.
Stellt euch vor, ihr würdet FTL so spielen, dass ihr möglichst jedes System auslasst und möglichst früh gegen den Endboss anzutreten, um dann sagen zu können: "Uff, geschafft, bin froh, dass es vorbei ist und schnell ging!" Es ist absurd. Wenn ich selbst schuld bin, wenn ich es übertrieben habe, wenn meine Neugier stärker war als mein Verstand und ich meine schwer angeschlagene Truppe von Phobikern, Psychotikern und Neurotikern bei einem Darkest Dungeon doch noch den in den Bosskampf schicke und sie dabei drauf gehen, dann ist es okay. Dann ist es absolut okay dafür bestraft zu werden. Denn es lag an mir, ich wollte, dass sie noch besser werden - und übertrieb es, meine Gier wurde mir zum Verhängnis. Aber hier bestraft mich das Spiel dafür, dass ich es spielen will - und das verzeihe ich ihm wiederum nicht.
Von Sinnlosigkeit über Hoffnung zu Fairness
Je mehr ich sehen will, umso mehr gefährde ich mein Spielziel. Je weniger ich jedoch sehen will, umso eher und früher treffe ich auf eine Plot-Stopper Situation - und gefährde somit auch mein Spielziel. Eine Balance zu halten ist aufgrund des hohen Zufallsfaktors (mit manchmal unfairen und unlösbaren Bedingnungen) und der problematischen Steuerung auch kaum möglich oder bestenfalls unnötig schwer. Somit erscheint einem die ganze Reise, das ganze Spiel sinnlos. Man sehnt sich nach einem Button, der einen sofort nach Hause bringt. Und es gibt ihn: Beenden.
Sinnlos im Weltraum - so fühlt es sich an durch diese mehr als nur fragwürdige Design-Entscheidung mit dem Backwards-RPG. SiW war mal ein Geheimtipp, eine STTNG-Parodie, die mich wirklich zum Lachen brachte. Das ist hier leider nicht so. Aber vielleicht wird es besser:
Die Entwickler arbeiten derzeit an einem neuen, zugänglicheren Schwierigkeitsgrad, der mit einem Patch an diesem Wochenende kommen soll. Mal sehen, was dieser mit sich bringt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich aber keine Empfehlung aussprechen. Zumindest nicht für Leute, denen es ähnlich geht in Sachen Spielmotivation, wie mir. Und das ist verdammt schade, denn TLJH ist eines dieser Spiele, das man schon wegen seiner Idee, wegen des Wagnis echt nicht kritisieren will! Um also fair zu sein: Ich bin bereit nach dem Patch die Rezension hier zu überbeiten, auch die Richtung des Daumens zu ändern. Und bis dahin sehe ich folgende Wertungen fairer Art:
Bewertung
80 / 100 für eingefleischte Masochisten - Punktabzüge nur wegen repetitiven Gameplay und altbackener Präsentation - Daumen hoch
75 / 100 für kompromisslose Dark Souls Fanatiker - Punktabzüge wie oben plus Steuerungsprobleme - Daumen hoch
67 / 100 für Freunde harter, aber auch motivierender Spiele (ich falle darunter) - Punktabzüge wie die beiden oben plus elementarer Widerspruch in der Spielmotivation - tendenziell Daumen runter
58 / 100 für Otto-Normalspieler - Punktabzüge wie alle drüber plus zuweilen unfairer Schwierigkeitsgrad - Daumen runter
40 / 100 für Casual-Spieler - Punktabzüge wie alle drüber plus viel zu schwer - Daumen runter
FAZIT:
The Long Journey Home ist momentan eher ein The Pointless Journey Home. Selbst, wenn man motiviert sein möchte, gibt es sich alle Mühe das erfolgreich und dauerhaft zu unterbinden. Nicht weil es schwer ist, sondern weil es sich in seiner Kernmechanik selbst widerspricht: Es zeigt mir ein interessantes Weltall, das ich erkunden soll - und bestraft mich dann, wenn ich es tue. Mit zunehmender Anzahl an Versuchen erhöht sich sogar die nötige Frusttoleranz, da dann auch noch der letzte Rest an Neugier den unvermeidlichen Wiederholungen trotz prozeduraler Generierung zum Opfer fällt. Wodurch dann auch noch der an sich hohe Wiederspielwert leidet. Man hätte sich bei Daedalic besser entscheiden sollen, was man nun eher will: Ein Dark Souls in Space oder eine Mischung aus Star Control und FTL. Beides zusammen ist keine gute Idee.
Dabei muss man schon blind sein, um das Potential nicht erkennen zu können, das das Spiel mit seiner Idee, den großen Vorbildern und seinem Mut sich vom Mainstream-Einerlei in mehr als nur einem Punkt abzuheben ausströmt. Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens Änderungen in der Balance das momentan sehr schlechte Kosten-Nutzen-Verhältnis von Landungen verbessern. Doch selbst wenn, ändert sich nichts daran, dass es für unsere Crew auch weiterhin heißt: Es kann nur schlechter werden. Schade.
Edit:
Nachtest Story-Mode:
Der Modus wurde in höchster Eile zusammen gezimmert, als man sah, dass der Steam-Durchschnitt sich bei unter 70% bewegte. Dieser "Newbie"-Modus ist zwar leichter, als der bisherige "leichte" (Abenteuer-Modus) - aber immer noch so schwer, wie der Hardcore-Modus in anderen Spielen. Das liegt vorrangig an zwei Dingen: Erstens ist die Steuerung, insbesondere des Landers, nach wie vor sehr heikel, erfordert viel Geduld und Übung und kann auch für einen Geübten jederzeit wieder rückläufig werden, nicht nur bei Planetem mit hohem Risiko. Ein Moment der Unachtsamkeit reicht. Nicht selten ist es so, dass man selbst bei voll aktiviertem Schub nach der Einflugphase zu Beginn ungebremst auf dem Boden aufschlägt (von Bremsfallschirmen hat Daedalic noch nie etwas gehört) - dann aber wieder mit nur etwas Schub raketenartig die Fluchtgeschwindigkeit zum Verlassen des Planeten erreicht. Die Balance- und Steuerungsprobleme blieben also erhalten. Treibstoff, der nicht nur für die Reise, sondern auch die Lebenserhaltungssysteme benötigt wird, kann nur im sehr viel Geduld abverlangenden Schwebeflug über Geysiren abgebaut werden, wie schon in den anderen Modi zuvor. Und der zweite Punkt: Am Rückwärts-RPG Ansatz wurde nichts geändert und nach wie vor gilt es, so viele Systeme wie möglich auszulassen und sich auf die Heimreise zu konzentrieren. Man wird in der Tendenz für Erkundungen eher bestraft, als belohnt - immer noch. Ein "Story-Mode" im eigentlichen Sinne, also die Einladung dazu das Spieluniversum zu erkunden, ist es nach wie vor nicht. Damit ändert sich auch nichts an der Wertung.
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