Steel Division 2 lässt jede andere Weltkriegsstrategie alt aussehen - wenn man einmal reinkommt

SD2 löst den Konflikt von Realismus und Spielbarkeit besser als jedes andere Weltkriegs-RTS und macht gigantische Verbesserungen gegenüber seinem Vorgänger.

von T33K3SS3LCH3N am: 21.06.2021

Als Panzer-Fan seit der Kindheit waren Strategiespiele für mich immer vor allem eins: Enttäuschend. Denn während man in der Literatur von Kampfentfernungen im Kilometerbereich liest, können die Blechbüchsen in Echtzeit-Strategiespielen meist kaum von einer Straßenseite auf die nächste schießen.

Steel Division setzt genau bei diesem Problem an und bescherte uns schon mit dem ersten Teil, Steel Division: Normandy 44, realere Systeme. Als eines der ersten Spiele war es ein durchaus spielbares Taktik-RTS mit weitestgehend realistischen Sicht- und Kampfentfernungen. Damals war das ganze mit grauenhaften UI und dem komplizierten Terrain der Normandie aber noch sehr frimelig und schmerzhaft zu spielen.

Mit Steel Division 2 wurde genau hier aufgeräumt. Das UI ist ordentlich, Enheitenstatistiken gleichzeitig vollständiger und verständlicher, und das Terrain der nun thematisierten Ostfront ist deutlich leichter zu navigieren. Um Spielkomplexität muss man allerdings nicht bangen, davon gibt es noch locker genug.

Die Größenverhältnisse stimmen auch im kleinen Maßstab erstaunlich gut

Die Spielerfahrung

Hauptspielmodus ist ein Battlefield-artiger Eroberungsmodus, bei dem zwei Spieler oder Teams um Flaggen auf der Karte konkurrieren. Im Normalfall gibt es davon 24 Stück. Wer weniger hat, verliert langsam Tickets und irgendwann das Spiel.

Vor Spielbeginn platzieren beide Seiten ihre Starteinheiten, welche fast jeden Typ von Infantrietrupp, Panzer, Flugzeug oder Artillerie der Ostfront des Jahres 1944 umfassen können. Im typischen 1 gegen 1-Modus hat man hierfür 750 Beschaffungspunkte, welche man von kleinen Spätrupps oder Jeeps für 10 Punkte bis zum fast unbesiegbaren schweren Königstiger-Kampfpanzer für  290 Punkte verteilen kann. Im Laufe der Partie können vom eigenen Kartenrand zusätzliche Truppen angefordert werden um auf die Lage zu reagieren, im angesprochenen Standardspielmodus erhält man hierzu zum Beispiel um die 100 Punkte pro Minute.

Allerdings steht von jedem Truppentypen nur eine beschränkte Anzahl zur Verfügung - vom genannten Königstiger können in den meisten Spielmodi höchstens vier oder fünf genutzt werden, von kleineren Panzer IV oder T-34 dagegen durchaus auch über ein dutzend.

Die meisten Infanterieeinheiten sind motorisiert und beginnen die Partie in einem Jeep oder Lastwagen, was bei den Kartengrößen von etwa 6x6 km aufwärts auch bitter nötig ist.  Selbige verschwinden nach dem Ausladen größtenteils einfach, sofern sie keiner der selteneren bewaffneten Truppentransportern sind. Dies ist eines der Zugeständnisse zur Spielbarkeit, denn auch ohne dutzende LKW gibt es auf den langen Frontlinien der großen Schlachtfelder schon bald genug zu tun.

Meist geht es schon innerhalb der ersten Minute hoch her - mit Sturmtruppen, die sich in Wäldern und Städten im Nahkampf mit Maschinenpistolen und Flammenwerfern begegnen, Duellen zwischen Panzern und Panzerabwehrkanonen aus Entfernungen bis 2000 Metern und Artilleriefeuer, welches teils über die gesamte Karte reichen kann.

Auf einer Distanz von 1500 Metern hat der feindliche KV-1 keine Chance gegen unseren Tiger

Die Kamerasteuerung und Übersicht funktioniert dabei hervorragend. Es ist gleich einfach sich einen Überblick zu verschaffen oder die Artillerie auf eine Stellung auf der anderen Kartenseite zu fokussieren, wie Truppen in einer Stadt von einem Gebäude ins nächste zu bewegen. Enorm hilfreich ist dabei die Anzeige der Sichtweite und Distanzen von der aktuellen Cursorposition, denn die meisten Einheiten können nur auf das schießen, was sie auch sehen können. Somit wird viel taktisches Micromanagement verlangt.

 

Die Spielmechaniken

Ähnlich wie World of Tanks benutzt Steel Division ein Aufklärungssystem, bei dem jede Einheit individuelle Sicht- und Tarnstärken hat. So kann ein Aufklärer einen schweren Panzer meist schon aus mehreren Kilometern sehen, während sich Infantrie erst auf ein paar hundert Metern begegnet und kleine Spähtrupps für einen Panzer fast unsichtbar bleiben. Elementar hierfür ist auch das Deckungssystem - Truppen in Wäldern oder Gebäuden sind deutlich besser getarnt.

Diese Sicht- und Deckungsmechaniken erlauben ein großartiges vielschichtiges Spielgeschehen, in denen alle Truppentypen klare Stärken und Schwächen haben, aber auch taktisch ausgespielt werden können. Eine gut positionierte schwere Panzerabwehrkanone könnte zum Beispiel etliche mittlere Panzer aus großer Entfernung ausschalten, ist aber sowohl gegen Artillerie als auch im Nahkampf verwundbar.

Hierbei zeigt sich auch ein großartiger Realismus, da ein Hitpoint-System kaum existiert. Ausschlaggebend für die Panzerbekämpfung sind vor allem realistisch festgelegte Panzerungs- und Durchschlagswerte, angepasst für die Distanz. Hier haben Panzerkenner einen klaren Vorteil, das UI kann die entsprechenden Werte jedoch auch direkt auf dem Spielfeld visualisieren. Datenblätter studieren muss also niemand.

Neben dem Bodenkampf gibt es auch dutzende Flugzeugtypen, welche als  Aufklärer, Jäger oder Bomber fungieren. Auch hier funktioniert die Balance hervorragend. Lufteinheiten dominieren das Spiel nicht (allein schon deshalb, da Bodeneinheiten die Flaggen halten müssen), sondern bleiben in einer Unterstützerrolle. Bodenbasierte Luftabwehrgeschütze können zudem meistens effektiv gegen entweder Infantrie oder Panzer eingesetzt werden und bleiben so stehts nützlich.

 

Die Kampagnen

Hauptmodus für Einzelspielerfreunde ist der Armeegeneral-Modus, in dem Schlachten aus der sovietischen Sommeroffensive 1944 "Operation Bagration" nachgespielt werden können, welche in historischer Reihenfolge und stimmungsvoller Einleitung angeboten werden. Jede hiervon deckt einen Zeitraum von etwa einer Woche ab und kann aus Deutscher oder Sovietischer Sicht gespielt werden. Da jede Schlacht eine unabhängige Kampagne darstellt, können wir die Geschichte somit auch als deutscher General nicht vollständig umschreiben.

Kernstück des Armeegeneralsmodus ist die stragische Karte, in der wir Regimenter und Brigaden Rundenweise über ein Schlachtfeld von hunderten Kilometern bewegen können. Diese sind zu Beginn mit einem erstaunlichen Grad historischer Korrektheit aufgestellt.

Bis zu drei pro Regimenter pro Seite können in das selbe Gefecht verwickelt werden, welches dann im zuvor beschriebenen Eroberungsmodus stattfindet. Fliegergeschwader können über die ganze Karte eingreifen, aber nur einmal pro Zug (welcher einem halben Tag entspricht).

Dabei kann es durchaus stören, dass Regimenter und Geschwader nicht weiter aufgeteilt werden können. So kann es sein, dass man ein gesamtes Bombergeschwader von 60 Flugzeugen einsetzen muss um ein Gefecht zweier angeschlagener Regimenter von 10-20 Infantrietrupps zu entscheiden, obwohl 2-3 Bomber dafür vollkommen gereicht hätten. Ähnlich verhält es sich oftmals mit den Panzerregimentern. Dies kann man durch die schlechte Einsatzfähigkeit des Großgeräts dieser Ära plausibilisieren (so standen häufig mal die Hälfte einer Panzerabteilung in der Werkstatt), fühlt sich aber doch oft nervig an.

Im Generalsmodus wird auch ein anderes Punktesystem verwendet, in dem die meisten Truppen identische Punktwerte (1 Punkt für Infanterie und Geschütze, 3 Punkte für Panzer und Artillerie, 3-6 für Flugzeuge) haben. Pro Regiment erhält der Spieler 20 Startpunkte und weitere 3 pro Minute. Hiermit wird die historische zahlenmäßige Überlegebenheit der Roten Armee relativiert um das Spiel halbwegs zu balancen. Dies funktioniert sehr gut, was auch den oft überzogenen Mythos der überlegenen deutschen Truppenqualität effektiv auf ein realistischeres Maß relativiert. Insbesondere bei den Panzergefechten wundern sich viele Spieler schnell, wie der Großteil der deutschen Panzern den häufigsten Soviettypen höchstens ebenbürtig oder sogar unterlegen war, während die berühmten Tigerpanzer 1944 auch nicht mehr unbesiegbar waren und in ihrer geringen Stückzahl oft als Feuerwehr dienen müssen.

Allerdings leiden die Kampagnen auch an typischen Problemen dieses zwei-Ebenen-Prinzips: Oft ist ein signifikanter Anteil der Echtzeitgefechte arg unausgeglichen. Insbesondere gegen Ende einer Kampgne wenn nur noch Reste aufgemobbt werden müssen. Ganz besonders ärgerlich ist hierbei, das die Autoresolve-Funktion fast unbrauchbar ist, da sie der verteidigenden KI absurde Vorteile gibt. So geschah es mir bereits, dass 6 unbewaffnete feindliche Versorgungs-LKWs eines dezimierten Artilleriebattallions einen Angriff von 300 schwer bewaffneten Panzergrenadieren abwehrten und diese vollkommen aufrieben. Also neu laden, manuell ins Gefecht gehen, und schnell alle Fahnen einnehmen, was selbstverständlich zum verlustfreien Sieg führt. Zum Glück gibt es 3-fache Spielgeschwindigkeit, sodass ein solches Gefecht in  etwa 2-3 Minuten abarbeitbar ist, die offensichtliche Zeitverschwendung ist aber dennoch ärgerlich.

Insgesamt kann das komplette Durchspielen einer Kampagne durchaus 20-40 Stunden in Anspruch nehmen - pro Seite natürlich.

Viele Anfänger werden auch die sehr trockenen Tutorials nerven. Für erfahrene Spieler fällt die Schwierigkeitskurve dagegen leider etwas zu kurz und selbst die höchste der drei Schwierigkeiten wird erfahrenden RTS-Spielern nach ein paar Kampagnen trivial. Dazwischen befinden sich aber dennoch einige dutzend Stunden mit sehr guter Schwierigkeitskurve.

Der Kampagnenmodus funktioniert dennoch insgesamt hervorragend und verschafft eine großartige historische Übersicht über eine ansosten arg unterrepräsentierte, aber enorm wichtige Phase des 2. Weltkriegs Interessanterweise haben DLCs das Geschehen auch um die Finnische und Rumänische Front erweitert.

Resultat eines Gefechts: Skill wird stark belohnt, aber die KI hält auch auf höchster Schwierigkeitsstufe nur mäßig mit

Gefechte und Deckbau

In Multiplayer un Singleplayer-Gefechten tritt jeder Spieler mit einem Deck an, welches aus Einheiten einer historischen Division zusammengesetzt wird. Hierzu hat man 50 Aktivierungskeitspunkte. Jede Division hat unterschiedliche Einheiten zur Auswahl und unterschiedlich viele Slots und Kosten pro Truppengattung. So hat die 352. Infantriedivision nur 3 Slots für Panzerkarten und muss auch noch jeweils 2-4 Punkte Zahlen um einen zu belegen. Dafür bietet sieh aber 10 Infantrieslots an, von denen die Hälfte nur je 1 Punkt kostet. Und während die Panzer lediglich veraltete französische Beutefahrzeuge und mittelmäßige Sturmgeschütze sind, können in der Panzerabwehrkategorie bis zu zwei Karten des mächtigen Jagdpanthers ausgewählt werden, welcher nur in dieser Division verfügbar ist.

Wichtig ist auch die Verfügbarkeit: Gefechte sind in 30 Phasen aufgeteilt, die alle 10 Minuten wechseln: Eine Jagdpanzerkarte kann entweder für maximal einen Jagdpanzer ab Phase A (ab Spielbeginn), 2 ab Phase B (ab Minute 10), oder 4 ab Phase C (ab Minute 20) verwendet werden.

Auch in diesen Spielmodi funktioniert die Balance hervorragend, obwohl viele Einheiten fast nur durch ihre Punktwerte gebalanced werden können. Durch viele DLCs und kostenlose Erweiterungen sind in diesen Spielmodi auch viele Truppen der Westfront erweitert worden.

Beispiel eines Decks. Verteidigungsanlagen gibt es kostenlos und können nur in speziellen Spielmodi verwendet werden.

Qualitätsfehler

Leider gibt es einige unnötig nervige Probleme - manchmal schließen sich Tooltips nicht richtig, der "Gefecht Starten"-Knopf wird bei bestimmten Auflösungen teilweise von anderen Menüs überbedeckt und viele Erklärungstexte in den Ladebildschirmen sind merkbar schlecht geschrieben. Alles nichts kritisches, aber es wirkt bei einem ansonsten so hochwertigen Spiel schon komisch.

Fazit

Wer sich einmal an den Realismus der Größenverhältnisse und Mechaniken von Steel Division 2 gewöhnt hat, wird sich oft nur noch schwer mit den arg "kurzsichtigen" Einheiten von Spielen wie Company of Heroes abfinden.


Wertung
Pro und Kontra
  • Realistische Größenverhältnisse
  • Unübertroffene Kombination von Realismus und Spielbarkeit
  • Deutlich verbesserter Einstieg gegenüber dem Vorgänger
  • Gigantischer Umfang
  • Ausführliche Kampagnen
  • Gutes Balancing zwischen Einheiten und Truppentypen
  • Grafik auf jeder Zoomstufe ordentlich
  • Historisch Lehrreich
  • Langweilige Tutorials
  • Kampagnenschwierigkeit flacht zu früh ab
  • Zuviele einseitige Schlachten in den Kampagnen und schwaches Autoresolve-Feature
  • Einige Qualitätsmängel in den Menüs

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(1)
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