Stirb, Nebling!, oder: Das Spiel der zahllosen Geschichten

Sträflich vernachlässigt verbrachte Witcher 3 tatsächlich zwei Jahre nach dem Kauf auf der Festplatte, ohne dass ich mich an das Spiel heranwagte. Nun endlich...

von Ikelos am: 24.01.2019

Sträflich vernachlässigt verbrachte Witcher 3 tatsächlich zwei Jahre nach dem Kauf auf der Festplatte, ohne dass ich mich an das Spiel heranwagte. Nun endlich habe ich mich dazu aufraffen können, den Monstern mal wieder ordentlich das Fell zu gerben! Wie sich der dritte Teil des gelebten Monsteralmanachs spielt, versuche ich im folgenden Test wiederzugeben.

 

Worum geht es?

Namengebend für dieses Spiel ist die wilde Jagd. Diese hat noch immer nicht von Geralts Ziehkind Cirilla abgelassen. Wenn man das Spiel destillieren und von jeglicher Monsterjagd befreien will ist der Kern der Geschichte wohl die heitere Schnitzeljagd nach dem weißhaarigen Satansbraten, an dem des Hexers Herz doch sehr hängt.

Das Spiel darauf zu reduzieren wird den Machern allerdings kaum gerecht, denn die Hauptstory ist nur ein kleiner Bestandteil dieses Werks, welcher so voller kleiner und großer Geschichten steckt, dass man am Ende schon einen kleinen Rittersporn braucht, um diese in den Chroniken des Nordens zusammenzufassen. Selbstverständlich gibt es neben der Story auch jede Menge Getier zu zähmen (wobei zahm hier meist tot bedeutet) und unter den Menschen für klare Verhältnisse zu sorgen.

 

How to be a Witcher

Um den ihm drohenden Gefahren gewappnet zu sein, muss sich Geralt in seinen Künsten ausbilden und stets verbessern. Das Handwerk des Hexers umfasst einige handwerkliche Aufgaben. So wollen Extrakte, Öle und Bomben hergestellt werden. Bei Schmieden lassen sich bessere Waffen und Rüstungen bauen, deren Baupläne man vorher gefunden hat.

Natürlich gibt es nicht nur das Handwerk, sondern auch einen Hexer zu entwickeln. Geralt lässt sich mit Skillpunkten nach Stufenaufstiegen in diversen Disziplinen verbessern, sodass sich ein ganz eigener Hexer bauen lässt, der auf den persönlichen Spielstil angepasst ist. Die aktiven Skills lassen sich noch mit Mutagenen kombinieren, die ihre eigenen Stärken haben.

An der Umsetzung von Steuerung und Kampfsystem ist wenig auszusetzen. Die Steuerung ist flüssig, anfangs musste ich mich lediglich an die Tasten gewöhnen, aber das war sehr schnell verinnerlicht. Lediglich in der Präzision von Geralts kleineren Schritten habe ich etwas auszusetzen. Ich hatte an einigen Stellen Probleme damit, mich einer Sache zuzudrehen. Auf der Stelle drehen? Ein echter Hexer macht stets einen Schritt vorwärts! Und wie sagt man so schön? Gestern standen wir noch am Abgrund, heute sind wir schon… naja, jeder weiß, wohin das führt.

Kritik habe ich bisweilen an der inneren Logik auszusetzen. Die Armbrust ist nun wahrlich nicht die größte Gefahr für alle Monster. Es sei denn, man benutzt sie unter Wasser. Plötzlich tötet sie Feinde, als wäre sie von Melitele persönlich zusammengeschraubt und von Freya geheiligt worden.

Und was wäre ein echter Hexer ohne seine Hexersinne? Die ersten 87 Quests ist es noch cool, sich damit durch die Weltgeschichte zu suchen, aber irgendwann könnte man doch auf den Gedanken kommen, dass die Mechanik etwas repetitiv ist. Das mag aber auch täuschen.

Grundsätzlich sind die Fähigkeiten von Geralt weit gefächert bieten jede Menge Abwechslung. Wenn ich hier meckere und schimpfe, dann auf hohem Niveau und um über das Spiel auch was Negatives sagen zu können.  

 

Präsentation

Eine der großen Stärken von Witcher 3 ist meiner Meinung nach alles, was Stimmung aufbaut. Die Grafik ist wahrscheinlich nicht die beste, auch im Erscheinungsjahr nicht, aber was ihr gelingt ist ein gelungenes Erzeugen von Stimmung, wie ich sie in einer Witcherwelt erwarten würde. Unterschiedliche Bereiche sind stilistisch klar voneinander getrennt und bewirken für mich ein sehr immersives Spielgefühl. Ich würde hier nach Grafik und Optik trennen. Die Optik ist mit das Beste, was ich in einem Videospiel bisher gesehen habe. Die Grafik ist trotz kleinerer Schwächen (es gab da eine Kontroverse zu qualitativen Unterschieden zwischen Ingame- und Trailergrafik) sehr gut.

Was für mich zudem noch das Spielgefühl verstärkt ist der Soundtrack. Dieser hat mich sofort gepackt und läuft mittlerweile auch häufiger über Spotify bei mir. Abstriche gibt es bei der ständigen Wiederholung des gleichen Kampfthemas. Gerade wenn einem häufiger kleinere Gruppen von zufälligen Feinden über den Weg laufen, wird das irgendwann zu viel des Guten.

Natürlich trifft das nun jeweils persönlichen Geschmack, aber mir haben auch die Synchronsprecher im Großen und Ganzen gut gefallen. Erwähnt sei hierbei die Vollvertonung. Bei unwichtiges NSCs wiederholen sich die Sprachsamples, aber immerhin hat nicht jeder zweite Wächter einen Pfeil im Knie stecken (vielleicht doch, aber dann war der Treffer über Wasser).

Im Ansatz steckt eine große Stärke in der Erzählweise des Spiels. Wie bereits gesagt, die Hauptstory fällt etwas ab. Ein Grund dafür ist, dass Zeitdruck suggeriert wird, dem Spiel aber egal ist, ob du dich nun sofort drum kümmerst oder noch jede Menge Wasser die Jaruga herabfließt. Vielmehr sind es wie bereits erwähnt die Quests, die drumherum laufen. Eine sehr stark erzählte Questreihe ist für mich die um den blutigen Baron. Um nicht zu spoilern werde ich nicht weiter darauf eingehen, aber es sei gesagt, dass hier mit persönlichen Schicksalen gearbeitet wird, die möglicherweise viele Spieler auch aus eigener Erfahrung nachvollziehen können. Es gibt einige Geschichten, die einen emotional mit einbinden, wenn man sich darauf einlässt.

Auch hier gibt es kleinere Abstriche, denn gefühlt werden manche Geschichte nicht fertig erzählt und man hat hinterher offene Fragen. Da dieser Text lange Jahre nach der Veröffentlichung entsteht bin ich mir auch sicher, dass eine Antwort nicht mehr folgen wird.

 

Die Open World, oder: Velen - unendliche Weiten!

Zugegeben, ich habe Angst vor diesem Absatz. Zum einen, weil das Thema der Open World unerschöpflich ist und die Anforderungen an eine gute Open World so anspruchsvoll sind, dass mit ihnen ein Spiel steht und fällt, und zum anderen, weil die Welt von Witcher 3 einfach sehr viel bietet.

Mein erster Eindruck der ersten Map war: Boah, gar nicht so klein. Ich hatte den Anspruch an mich selbst, jeden Zipfel zu erkunden und alle Symbole auf der Karte zu erledigen. Als ich auf die Hauptkarte Velen kam wurde mir klar, wie naiv ich an die Sache rangegangen bin. Gar nicht so klein? Das Spiel ist ein Monster! Die an sich schon großen Städte Oxenfurt und Novigrad waren auf der Karte auch eher Randnotizen (übertrieben gesprochen). Und damit nicht genug, es geht außerhalb dieser Hauptkarte noch weiter. Und nicht zu knapp. Witcher 3 ist riesig, und das ist auch gut so.

Der Anspruch an eine Open World muss sein, dass man sich in ihr nicht langweilt. Dabei ist es ganz wichtig, dass man die Welt nicht einfach nur füllt, sondern dass man sie in einem Maße füllt, dass man die einzelnen Ecken mit einzigartigen Quests in Erinnerung behält. Schafft CD Project RED das?

Ich würde das bei aller Neutralität mit ja beantworten. Nahezu jeder Winkel der Welt ist zwar voller generischer Monsternester, Banditen oder wilder Viecher, aber diese Winkel erreicht man hauptsächlich durch die zahllosen Quests, wenn man nicht gerade einfach durch die Gegend reist und die schönen Landschaften erkundet. Es gibt an nahezu jeder Ecke etwas zu sehen.

Doch ist hier auch nicht alles Gold, was glänzt. Viele Hexeraufträge laufen nach Schema F ab. Finde Ort, nutze Hexersinne, finde Monster, töte Monster. Hier wäre etwas mehr Abwechslung schön gewesen, aber natürlich stellt sich da die Frage: wie? Extrem eintönig sind hier die Erkundungen in Skellige. Zur See sind hier nahezu endlose Fragezeichen auf der Karte, die es zu erkunden gilt. Ich habe nach einer Weile aufgehört, weil für mich nichts Sinnvolles dabei heraussprang.

Zudem wandeln die Spieldesigner auf einem engen Pfad. Wie designe ich die Hauptstory für die, die alles erkunden, und die, die die Geschichte erleben wollen, gleichermaßen fair? Für das erfüllen von Quests erhält man naturgemäß Erfahrung und je mehr Quests erledigt wurden, desto mächtiger wird der Hexer irgendwann. Das führt leider dazu, dass Kämpfe im späteren Spielverlauf sehr leicht werden.

Abschließend zur Open World bleibt zu sagen, dass diese in Witcher 3 sehr gelungen ist. Für das Erkunden der Welt wird man mit vielen kleinen Geschichten und Locations belohnt. Man trifft auf diverse Charaktere aus der Romanvorlage oder den Vorgängertiteln und kann natürlich auch das eine oder andere Schäferstündchen einlegen. Und wenn man nicht aufpasst, kann ganz schnell in Vergessenheit geraten, dass man doch eigentlich aus einem ganz anderen und viel dringlicheren Grund unterwegs ist…

Hearts of Stone

Es wäre gelogen zu sagen, dass dies der erste DLC für den Titel wäre, da bereits viele KleinstDLC’s erschienen sind. Richtiger wäre zu sagen, dass dies die erste ausführlichere Storyerweiterung darstellt.

Die Geschichte wird gelungen ergänzt um einen sehr ausführlichen Storypfad, welcher in die alte Karte eingebunden wird. Man trifft auf einen alten Bekannten, dessen abscheuliches Wesen man hier erst wirklich kennenlernt. Die Story lässt sich wohl knapp und frei zusammenfassen mit einem Vergleich auf den polnische Faust Pan Twardowski.

An Spielelementen wurden mächtigere Verzauberungen von Waffen und Rüstungen implementiert. Diese müssen bei einem Handwerker durch eine kleine Questreihe freigeschaltet werden. Dies erlaubt einige nette Spielereien, man kommt aber auch gut ohne klar.

Insgesamt ist Hearts of Stone eine gelungene Erweiterung, die das Hauptspiel aufwertet.

Blood and Wine

Hätte man diesen DLC als Witcher 4-Vollpreistitel verkauft, hätten sich wahrscheinlich die wenigsten Spieler darüber beklagt und es als grandioses Spiel wahrgenommen.

Es wird eine weitere große Karte hinzugefügt, deren Erkundung bestimmt weitere 20 Spielstunden in Anspruch nimmt. Stilistisch erhält man dazu eine komplett neue Stimmung als das kriegverseuchte Niemandsland von Velen. Man bereist hier das prächtige Toussaint, hinter dessen Kulissen man immer den fauligen Kern der Gesellschaft erkennt. Ritter und ihre Tugenden sind das prägende Thema dieses Teils, und natürlich – wie könnte es bei dem Titel auch anders sein – Vampire.

In diesem DLC erwarten den Spieler unter anderem ein Ritterturnier, ein mächtiges Schwert, Weingüter, Rapunzel und das alles auch noch sinnvoll miteinander verknüpft!

Wo hier die kritische Stimme zu ist? Nun, es ist schwer eine zu finden. Ich könnte bestenfalls sagen, dass nach unzähligen Stunden in diesem Spiel die Motivation für noch einen Marathon schwergefallen ist. Aber wenn man sich erstmal aufgerafft hat, lässt einen auch dieser Teil nur sehr ungern wieder los in die Freiheit des wirklichen Lebens.

Mit Blood and Wine finden die Abenteuer um Geralt einen würdigen Abschluss. Vermutlich hat er sich den Ruhestand auch herbeigesehnt. Auf jeden Fall hat er ihn sich verdient.

Fazit

Dieses Spiel ist ein Monster. Und ich bin froh, es erschlagen zu haben. Witcher 3 ist nicht für jeden etwas. Sich täglich mal eine Stunde damit zu beschäftigen wird einen nicht voranbringen. Seine Stärke entfaltet es, wenn man Zeit hat, in die Welt einzutauchen und die vielen kleinen Geschichten im Gesamtbild zu genießen.

Humorvolle Anekdoten und dunkle Themen wechseln sich ab und erzeugen ein stimmungsvolles Gesamtbild. Das Spiel ist jedem zu empfehlen, der gute Geschichten schätzt und sich in der von Szapkowski entworfenen Welt wohlfühlt. Abstriche? Kleinigkeiten. Unterm Strich bleibt ein Spiel, welches sich die Game of the Year-Edition mehr als verdient hat. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr fällt mir ein, was man noch hätte erwähnen können. Eine vollumfängliche Review würde allerdings jeglichen Rahmen sprengen. Was wohl auch nicht gerade gegen das Spiel spricht.


Wertung
Pro und Kontra
  • schier endloser Umfang
  • jede Menge Abwechslung
  • gelungene Präsentation
  • optionale Minispiele wie Gwent, Boxkämpfe oder Pferderennen
  • Plötze!
  • ein DLC, der auch ein eigenes Spiel sein könnte
  • streckenweise zu leicht
  • bisweilen zu viele Sammelquests (Fragezeichenjagd für generisches Loot)
  • vergleichsweise lahme Hauptstory

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher leicht

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(3)
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