Trash-Perle mit hohem Kult-Potenzial

Dieses Spiel ist Schrott!Nein, es ist kultiger Trash!Was ist der Unterschied?!Battlefield Earth ist Schrott, Dark Star ist kultiger Trash!Dieses grob aus dem...

von Magistrat am: 22.11.2012

"Dieses Spiel ist Schrott!"
"Nein, es ist kultiger Trash!"
"Was ist der Unterschied?!"
"Battlefield Earth ist Schrott, Dark Star ist kultiger Trash!"

Dieses grob aus dem Zusammenhang gerissene Zitat aus einer Diskussion über "Into the Dark" trifft den Nagel auf den Kopf und dient mir hier als Einleitung, wobei ich jetzt schon vorab verrate, dass der Kultfaktor von Into the Dark jenen von Dark Star noch übertreffen könnte.

Nachdem ich bisher abgesehen von dem seltsam ernsten Adventure und den Iphone Games alle Homegrown Produkte selbst gespielt hatte, war ich nach der Ankündigung eines "spielbaren B-Movies" mehr als gespannt auf das Ergebnis. Schon der "geistige Vorgänger" aus dem Jahr 2007, "Das Erbe Cthulhus", hatte einige wundervolle Trash Komponenten, nahm sich aber insgesamt zu ernst und war spielerisch auch nicht ausgereift genug, um es bedenkenlos konsumieren zu können. Technisch war es einfach nur schlecht, Spaß hat es trotzdem gemacht.

Ist "Into the Dark" nun der große Wurf?

Beginnen wir mit der Story: Pete O`Brannon, geboren als Peter Brenner im schönen Österreich und als Teenager in die Staaten eingewandert (kommt Anderson-Veteranen bekannt vor) hadert nicht nur mit seinem grausamen Akzent, sondern mit dem Leben an sich: Als ehemaliger Soldat, Irak-Kriegsveteran, in Ungnade gefallener Polizist und nunmehr versoffener Privatdetektiv jagt er in erster Linie vermisste Haustiere und untreue Ehemänner, um seine Rechnungen zu bezahlen und Schnaps zu kaufen. Sein einziger Lichtblick ist die ebenso attraktive wie undurchsichte Versicherungsmanagerin Samantha Miller, die ihm gelegentlich die Drecksarbeit zuschanzt, die benötigt wird, um sich vor dem Zahlen großer Versicherungssummen zu drücken. Ihr neuester Auftrag klingt simpel - in eine alte Holzhütte in den Bergen einzudringen, wo ein hochbetagter Wissenschaftler den Löffel abgegeben hatte, und Beweise zu finden, dass der gute alte Mann in Wirklichkeit ein Regierungsagent war. Ist dem so, triggert eine spezielle Klausel seiner Lebensversicherung, und Samanthas Firma erspart sich 10 Millionen Dollar - 2 davon bekäme Pete. Alle seine Probleme wären gelöst.

Das Grauen lauert darunter

Natürlich kommt alles ganz anders, als erhofft. Lediglich mit einem Handy - seine Verbindung zu Samantha - ausgestattet, dringt Pete illegal in die Hütte ein. Doch diese entpuppt sich als Eingang in einen riesigen unterirdischen Forschungskomplex, in dem die US-Regierung auf dem Höhepunkt der Antikommunismusparanoia der McCarthy Ära perverse Experimente durchgeführt hatte um sich den Sieg über die UDSSR zu sichern, und offenbar erst nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Europa langsam die Finger davon ließ. Schon bald braucht Pete mehr als nur ein Handy, er braucht Waffen.
"Dicke, fette Kanonen, die alles platt machen, was sich ihnen in den Weg stellt!"
(na, woher stammt dieses Zitat?!)
Und er braucht einen scharfen Verstand - denn Into the Dark verbindet durchaus geschickt Shooter und Adventure zu einem innovativen Gameplay.

Adventure oder Shooter? Keines von Beidem!

Die Entwickler nennen das Spiel "Investigation Game". Das trifft insofern zu, als dass sich die meisten Rätsel lösen lassen, indem man die Umgebung akribisch absucht und "interessante Gegenstände" (Items heißen wirklich so) miteinander oder mit der Umgebung kombiniert. Allerdings ist der Spieler nicht (wie z.B. in Amnesia) wehrlos, insgesamt 10 Waffen helfen gegen Mutanten, verrückt gewordene Soldaten, Zombies, Nazizombies und verwesende Prostituierte.

Der Clou an der Sache:

Man mixt sich sein Gameplay selbst zusammen. Im Mission Log werden links die Adventure, rechts die Action Aufgaben gelistet. Je nachdem, was man weiterverfolgt, bekommt man knackigere Rätsel oder härtere Gegner - aber auch die entsprechenden Belohungen serviert. Teilweise verändert sich sogar die Levelarchitektur abhängig von den gewählten Aufgaben. Das gab es in dieser Form noch nie, und es funktioniert erstaunlich gut. Die Shooterszenen sind knackig, insbesondere die Soldaten in den höheren Levels kombinieren eine erstaunlich gute KI mit mörderischer Treffsicherheit, während die strunzdummen Mutanten und Zombies zwar an Hindernissen hängenbleiben, aber im Nahkampf Pete mitunter nach zwei Schlägen ins Jenseits befördern. Autoheal sucht man vergeblich, ebenso eine prozentuale Healthanzeige. Der Bildschirm verschwimmt immer röter, je mehr man sich dem Tode nähert, und verbinden muss man sich manuell.
Zusammen mit den gemeinen Spawnpunkten und plötzlichem Gekreische sorgt das für Gänsehaut und Adrenalinschub.
Die Rätsel sind durchaus abwechslungsreich, neben Schalter- und Schlüsselsuchen zum Abwinken werden Bomben gebaut, elektrische Schaltungen verkabelt, kopulierende Zombies gestört und Schrödingers Katze gefüttert. Gerade in den höheren Leveln werden die Hiwneise allerdings immer vager und man muss schon um die Ecke denken und die Hinweise genau studieren, um die Lösungen zu finden.

Technisches Grauen - doch wo viel Schatten, da auch viel Licht

Immer noch setzen die Jungs von Homegrown Games auf ein seltsam gepanschtes Engine / Script Gebräu basierend auf dem Shooter-Baukasten "FPSC". Allerdings hat sich da in den Jahren seit Anderson einiges getan. Licht-Schatten Spiele, Wandtexturen, einige der Monster und schicke Shader (wie Unterwasser) verleihen teilweise einjen sehr professionellen Look, an manchen Stellen sieht man aber, dass der Kern der Technologie 8 Jahre auf dem Buckel hat.

Clipping Fehler und gelegentliche Abstürze trüben das Spiel, und man muss auch dezidiert alle paar Level das Spiel speichern und beenden, um das RAM freizugeben. Das wirkt amateurhaft, wird aber im Handbuch und der Readme erklärt und stört den Spielfluß letztendlich kaum.

Wirklich störend ist nur die technische Qualität der Sprachaufnahmen. Der furchtbare, wirklich extreme Akzent des Hauptcharakters gehört zur Handlung und sogar zu einem der Rätsel und trägt massiv zu dem tollen Trash Faktor bei, aber die Stimmen von Pete und Sam klingen teilweise wie in einem Skype Telefonat aufgenommen. Daumen runter!

Das Schadens-HUD hingegen ist sehr fein geworden, nicht nur die den Bildschirm einfärbenden Blutspritzer, sondern auch der "Du bist gleich tot" Shadereffekt mit pulsierendem Motion Blur nach kritischen Treffern sieht sehr schick aus und jagt auch den Adrenalinspiegel des Gamers hoch.

Insgesamt ist Into the Dark ein technischer Riesensprung nach vorne im Vergleich zu Anderson, aber hat noch einige gravierende Mängel.

Der Humor macht das Kraut fett

Zugegeben: Würde sich das Spiel ernst nehmen und gäbe es keinen so gelungen Humor darinnen, wären wir jetzt bei einer Wertung um die 60% - 70% und einer vagen Empfehlung.
Aber dem ist nicht so. Von der ersten Kellerszene bis zum Abspann, ist man in jedem Moment, in dem man nicht erschrocken zusammenzuckt oder Gegner bekämpft, ständig am Grinsen oder gar am Lachen. Es wird schnell klar, dass all jenes, was man im ersten Moment als "unfreiwillig komisch" wahrgenommen hat, berechnete Absicht war und zusammen mit den meistens extrem gut gesetzten Gangs und Eastereggs dafür sorgt, dass man blendend unterhalten wird. Spätestens wenn das Achievement "Hentai-Proof" über den Bildschirm flackert, gackert man vor Vergnügen. Und das Handbuch krönt das Ganze zu einer neuen Gottheit des gepflegten Trash.

Ich will hier nicht allzusehr ausschweifen, ich empfehle lieber die Lets Plays von GameTube. Auch hier sieht man wunderschön wie es Michi & Co langsam dämmert dass sie nicht in einem gescheiterten Amnesia-Abklatsch, sondern einem beinahe perfekt gelungenen Bruce-Campbell-Film gelandet sind.

http://www.youtube.com/watch?v=Amo5nv6u9mA
(Spoilergefahr)

Der Umfang

Ich habe in einem Mix aus Adventure und Shooterweg knapp 15 Stunden gebraucht, und werde die 10 Level, die das Spiel hat, sicher noch zweimal (einmal nur Shooter, einmal nur Rätsel) durchzocken. Der Umfang ist damit sehr OK, es gibt als Bonus zwei Multiplayer Games, in denen man sich in Into-the-Dark-inspirierten Levels niederknallt. Deathmatch mit Points of Interest. Nett, aber unnötig.

Das Fazit:

Mission Accomplished! Es ist tatsächlich der (beinahe) perfekte spielbare B-Movie geworden. Wenn die technischen Macken nicht wären, würde ich 100 Prozent geben, eben weil das Versprochene wie zu erhoffen geliefert wurde.
Wer allerdings mit Trash als eigenem Genre nichts anfangen kann, und Tanz der Teufel als Schrott bezeichnet (und eben nicht als kultigen Trash), sollte einen weiten Bogen um das Spiel machen.

PS - das ultimative Grauen: Man sieht den Entwicklerchef und die Grafikerin in einer Zwischensequenz NACKT. Dafür sollte es einen eigenen Warnhinweis auf der Packung geben (Wegen ihm, nicht wegen ihr)!

EDIT 31. 5. 2005

Wertung korregiert und jetzt auf die TGOTY Version bezogen. Meine Wertung war ein Übertreiben, das ich so heute nicht mehr nachvollziehen kann. Der deutschen Box Version würde ich 77 oder 78 Prozent geben, die verlinkte Special Edition hat (jetzt realistische und ernst gemeinte) 85% wirklich verdient.



Wertung
Pro und Kontra
  • Unglaublich dichte Atmosphäre
  • Einige grafisch überraschend gute Elemente
  • Herrlicher B-Movie Charme im gesamten Spiel
  • Funktionierender Gameplay Mix aus Untersuchen und Ballern
  • Dutzende Eastereggs, Anspielungen, Filme, Spezialsequenzen
  • Humor vom Feinsten
  • Triefende Selbstironie und Sarkasmus
  • Der Akzent!
  • Das Handbuch!!!
  • Clipping Fehler en masse
  • Einige grafisch miese Levelabschnitte
  • Gelegentliche Abstürze
  • Spiel beendet sich beim Ableben
  • Levelmusik resetet sich beim Neuladen
  • technisch schlechte Aufnahmequalität der Stimmen

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Häufiger, unregelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



Kommentare(5)
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