Atmosphärischer Bandenkrieg in London

Ubisoft hat aus Fehlern gelernt und liefert mit Syndicate einen der besten Teile der Assassin's Creed Reihe ab. Assassin's Creed Unity ist als schwarzes...

von Darmanfan am: 01.10.2016

Ubisoft hat aus Fehlern gelernt und liefert mit Syndicate einen der besten Teile der Assassin's Creed Reihe ab.

Assassin's Creed Unity ist als schwarzes Schaf der Reihe in die Geschichte eingegangen. Umso skeptischer war ich, als kurz darauf erste Bilder des Nachfolgers, „Syndicate“ (damals noch Victory), an die Öffentlichkeit gerieten. Würde sich die Reihe von diesem Tiefschlag wieder erholen? Würde ich wieder in den Genuss kommen, ein Spiel dieser Größe, ohne Bugs und Glitches zu spielen, die mich immer und immer wieder aus der Atmosphäre reißen? Die Antwort hat mich sehr überrascht: Ja, die Reihe hat sich erholt. Und nicht nur das, sie ist sogar in Bestform! Denn mit Syndicate liefert Ubisoft Quebec nicht nur ein großartiges Spiel, sondern auch einen der besten Teile der Reihe ab.

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Simpel und doch begeisternd

Der Spieler schlüpft in die Rollen von Jacob und Evie Frye, zwei Geschwister aus Crawley, einem Vorort Londons. Von den dortigen Ereignissen und dem Gefühl nichts bewirken zu können gelangweilt, reisen die Beiden 1868 nach London, um die Stadt aus den Klauen der Templer zu befreien. Das gestaltet sich jedoch schwieriger als gedacht, da der Templer-Großmeister der Stadt, Crawford Starrick seine Finger in jedem Winkel Londons zu haben scheint. Egal ob Banken, Politik, Fabriken oder Transportgeschäfte: Starrick beherrscht alles. Die Templer haben sogar eine eigene Straßen-Gang, die „Blighters“, mit der sie die Stadt unterdrücken. Um die feindliche Gang zu bekämpfen gründet Jacob aus den verbleibenden Mitgliedern rivalisierender Organisationen seine eigene Gang, namens „Rooks“. Zudem bekommen die Fryes Hilfe von berühmte Persönlichkeiten aus der damaligen Zeit, mit denen wir zusammenarbeiten. So lässt sich die Rahmenhandlung von Syndicate beschreiben. Jeder dürfte merken, dass die Geschichte nicht der Komplexität eines BioShock Infinites entspricht. Allerdings braucht sie das auch gar nicht. Leider sind die Gegenwartsabschnitte erneut nur kleine Zwischensequenzen, die uns zeigen, was Shaun, Rebecca und Bishop tun, während wir unsere Zeit in London verbringen. Hier wurde erneut massenweise Potential verschenkt. Lediglich die letzte Filmsequenz lässt etwas Gegenwartsatmosphäre aufkommen.

Die Story rund um Bandenkriege, den ewigen Konflikt zwischen Templern und Assassinen und die Unterdrückung der Arbeiterklasse kann aber trotzdem durch ihre interessanten Figuren und ihre kurzweilige Erzählweise begeistern. Die Geschichte nimmt sich nicht all zu ernst, was die Geschichte greifbarer macht, und die Handlung etwas auflockert. Gelegentlich gibt es sogar tolle Anspielungen auf andere Teile der Reihe, was vor allem Fans der Ezio-Trilogie gefallen dürfte. Die Story lebt vor allem von ihren interessanten und fesselnden Charakteren. Crawford Starrick zum Beispiel, ist ein charismatischer Bösewicht, der nicht nur einer dieser gesichtslosen Schurken mit fraglicher Motivation bleibt, sondern tatsächlich an Tiefe gewinnt. Durch eine starke Überzeichnung, sorgt das Spiel dafür, dass wir sofort eine gewisse Abneigung gegen ihn entwickeln. Und das, obwohl er nur gelegentlich in kurzen Zwischensequenzen zu sehen ist. So muss ein guter Antagonist gestrickt sein.

Crawford Starrick gelingt es, dass wir bereits nach kurzer Zeit eine gewisse Abneigung gegen ihn entwickeln. Das liegt vor allem an seinem gelungen überzeichneten Charakter.

 

Ladies & Gentlemen: Jacob und Evie Frye!

Doch Starrick ist nicht der einzige Charakter mit Tiefe: Jacob und Evie sind zwei der besten und sympathischsten Assassinen, die wir in der Reihe bisher spielen durften. Sie sind zwar Geschwister, könnten aber vom Charakter her nicht unterschiedlicher sein. Während Evie sich auf die Suche nach einem Edensplitter konzentriert, um zu verhindern, dass Starricks Macht weiter wächst, interessiert Jacob sich nicht besonders für das Vorläufer-Artefakt und beschäftigt sich lieber mit den Rooks. Evie ist also sozusagen der klassische Assassine, während Jacob ähnliche Züge wie Edward Kenway, der Protagonist aus Black Flag, aufweist. Wer selber Geschwister hat, wird sich schnell mit den beiden identifizieren können. Sie streiten, vertragen sich wieder, nur um sich dann wieder zu streiten und machen Witze übereinander. Die beiden wachsen uns schnell ans Herz und vor allem die Gespräche der Zwillinge in den sehr gelungenen, wenn auch nicht immer lippensynchronen Zwischensequenzen zaubern mir immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht. Trotzdem nehmen wir die beiden ernst. Dem Spiel gelingt der Spagat zwischen locker und ernst, die Geschichte wirkt weder aufgesetzt, noch albern.

Jacob und Evie sind zwei der sympathischsten und interessantesten Assassinen der Reihe. Wir können uns sofort mit ihnen identifizieren.

Auch spielerisch unterscheiden sich die Beiden: Evie geht eher bedacht vor und bewegt sich leise durch die Reihen der Gegner, sie schleicht lieber. Jacob hingegen ist der Schläger der Beiden, mit ihm bestreiten wir vorzugsweise Nahkämpfe. Das heißt jedoch nicht, dass Evie nicht gut kämpfen, oder Jacob nicht gut schleichen kann. Beide Charaktere können beides gleich gut, der Unterschied liegt in den Fähigkeiten, die wir mit Erfahrungspunkten freischalten, die wir für das erledigen von Zielen erhalten: Beide haben drei Fähigkeiten, die nur der jeweilige Charakter erwerben kann. Evie kann zum Beispiel doppelt so viele Messer mit sich tragen, wie ihr Bruder. Jacob kann dafür einen Gegner noch vor Beginn eines Kampfes niederschlagen, wenn man schnell genug reagiert. Es gibt jedoch eine Fähigkeit, die bereits auf der Gamescom wenig Liebe empfing: Evie kann sich mit der „Chameleon-Fähigkeit“ unsichtbar machen, wenn sie sich im Schleichmodus nicht bewegt. Das zerstört die sonst so dichte Atmosphäre des Spiels gelegentlich, man kann sie nach einmaligem Erwerben auch nicht wieder deaktivieren. Glücklicherweise ist sie allerdings eine der Fähigkeiten, die man zuletzt freischaltet, die meiste Zeit verbringt der Spieler also ohne sie.

 

Der Schriftsteller, der Entdecker und der Philosoph

Neben den Hauptmissionen und Eroberungsaktivitäten (dazu später mehr) gibt es noch jeweils vier Auftraggeber, die uns um Hilfe bei bestimmten Problemen bitten. Dabei handelt es sich um vier der wichtigsten Persönlichkeiten des Viktorianischen Zeitalters: Schriftsteller Charles Dickens, Biologe und Entdecker Charles Darwin, Philosoph und Kommunist Karl Marx, sowie Queen Victoria die II. Höchst persönlich. Neben diesen vier Charakteren gibt es natürlich noch eine Menge weitere historische Persönlichkeiten, doch die haben meist nur kurze Auftritte, und sind eher eine nette Ergänzung zur Haupthandlung, als ein entscheidender Teil davon. Das ist aber keines Falls schlimm, denn da der Fokus auf eine kleine Gruppe gerichtet ist, lernen wir diese besser kennen und sie wachsen uns teilweise sehr ans Herz.

Dickens, Darwin und Marx sind uns auf ihre eigene Art schnell sympathisch, wir wollen wissen, was sie zu erzählen haben, welche Abenteuer sie für die Fryes bereit halten. Lediglich die Queen ist recht steif, was aber natürlich zu ihrem realen Vorbild passt. Wir untersuchen für Dickens im Namen des „Ghostclubs“ mysteriöse Geschehnisse, vernichten Drogen für Darwin und helfen Marx Mitglieder für seine Sache zu gewinnen. Diese Missionen unterscheiden sich Thematisch wie spielerisch deutlich voneinander. Wenn wir Karl Marx helfen sollen zu verhindern, dass ein Arbeiter den Tod seines Sohnes rächt, indem er die Fabrik in die Luft sprengt, und dieser uns daraufhin seine Geschichte erzählt, erzeugt das Spiel eine unheimliche Dichte, wir wollen sofort wissen, wie es weiter geht. Es sind diese kleinen Geschichten, die uns bewegen, und durch die Auftraggeber näher gebracht werden. Zudem führen die historischen Persönlichkeiten uns so gekonnt in manche Winkel der Spielwelt, die wir sonst nicht unbedingt zu Gesicht bekommen hätten. Das ist auch gut so, denn London hat eine ganze Menge zu bieten.

Charles Darwin ist eine der Personen, für die wir unterschiedlichste Aufträge erledigen. Hier kann man bereits die detaillierte Gesichtsanimation erkennen.

 

Das Zentrum der modernen Welt

Jedes Mal, wenn wir mit den Fryes die Stadt erkunden, fällt uns etwas auf. Diese Spielwelt ist besonders.Egal ob wir uns bei berühmten Sehenswürdigkeiten aufhalten, oder einfach durch die Straßen schlendern: Überall spürt man, dass die Stadt lebendig ist. In jedem Winkel gibt es etwas zu entdecken. Die Bewohner der Stadt haben alle eigenen Geschichten. Zum Beispiel können wir eine Mutter treffen, die mit ihrer Tochter überlegt, wie man gut „arm“ aussehen kann, damit sie mehr Geld erbetteln können, zwei fein gekleidete Herren belauschen, die sich über die Absurdität eines möglichen Frauenwahlrechts unterhalten oder einen armen Arbeiter beobachten, der von zwei Schlägern verprügelt wird, weil er seine Schulden nicht bezahlen kann. Die Stimmung der industriellen Revolution wird perfekt eingefangen, wir haben stets das Gefühl, dass die Welt in Bewegung ist, die unteren Schichten der Bevölkerung aber trotz des Fortschritts auf der Stelle treten.

Ein Teil dieses Fortschrittsgefühls erhält die Stadt durch die Fahrzeuge, die sich komplett selbstständig durch die Stadt bewegen. Eisenbahnen, Kutschen und Schiffe erzeugen eine ganz eigene Dynamik und tragen zur stimmigen Revolutionsatmosphäre bei. Vor allem, da sie nicht nur als Kulisse dienen, wir können jeder Zeit mit ihnen agieren. Wenn uns der weg vom einen Punkt zum anderen zu lang ist, können wir auf Knopfdruck die Zügel einer Kutsche ergreifen, und damit selbst zu unserem Zielpunkt fahren. Die steuern sich sehr arcadig, auch das Schadensmodell ist eher auf schnelle Action getrimmt. Die Kutschfahrten machen aber trotzdem Spaß und bereichern das Gameplay. Wir können aber auch zum nächsten Bahnhof gehen, und den Zug in Richtung Ziel nehmen. Dabei verzichtet das Spiel komplett auf einen Ladebildschirm, man fährt die ganze Strecke tatsächlich mit dem Zug. Das gilt auch für die Schiffsfahrten auf der Themse. Hier sieht man vor allem die zahlreichen Docks der Stadt. Alternativ kann man natürlich auch zu Fuß gehen, was allerdings mehr Zeit in Anspruch nimmt, als mit einem der Fortbewegungsmittel zu reisen. Selbst wenn man für einen Moment stehen bleibt, spürt man das Zusammenspiel der einzelnen Mechaniken: Wenn man am Marktplatz steht, den Blick über die Themse schweifen lässt, und ein Zug an uns vorbei zieht, hat das etwas magisches.

Zum ersten Mal, dürfen wir Kutschen selbst durch die offene Welt bewegen. Wir können sogar auf und mit ihnen Kämpfen.

Die Vielfältigkeit der Stadt zieht uns sofort in ihren Bann. Jeder der sieben Boroughs hat seine eigene Atmosphäre, die Gebiete unterscheiden sich stark voneinander. Das liegt vor allem daran, dass ein extrem starker Kontrast zwischen den einzelnen Bereichen existiert. Das edle Westminster hebt sich durch seine vielen Grünflächen und den Reichtum der Bewohner deutlich von Industriehochburgen wie Southwark ab, wo Fabrikhalle an Fabrikhalle grenzt und Arbeiter im Schlamm leben. Markenzeichen wie diese, machen es möglich, anhand der unmittelbaren Umgebung zu deuten, wo wir uns grade befinden. Auch die zahlreichen Sehenswürdigkeiten sind beeindruckend detailliert und realistisch in Szene gesetzt. Vor allem die Houses of Parlament, der Big Ben (Elizabeth Tower) und die St. Paul's Cathedral sind wunderschön anzusehen.

Weniger schön, ist die Tatsache, dass es extrem viele unnötige Sammelobjekte gibt. Truhen bringen uns zwar schnelles Geld ein, doch das können wir uns auch im normalen Spielverlauf verdienen. Datenfragmente schalten Animus-Datein frei, die mehr über Vergangenheit und Gegenwart der Assassinen verraten. Das ist zwar interessant, reißt uns aber immer wieder aus der dichten Atmosphäre des Spiels, da wir uns ins Hauptmenü begeben muss, um darauf zuzugreifen. Doch es gibt auch spielerisch wertvolle Sammelobjekte. Durch das sammeln von Blüten z.B. erhalten wir neue Farbkombinationen für unsere Kleidung. Diese Sammelobjekte sind großflächig über die Welt verteilt, denn London ist ein drittel größer als Paris, die Stadt des Vorgängers Unity. Das merkt man vor allem, wenn man grade eine der besagten Sehenswürdigkeiten hochklettert und dort den Blick über die Stadt schweifen lässt. Der Ausblick ist einzigartig. Von hier können wir fast jeden Winkel der Stadt von oben sehen. Als plötzlich eine Menge Symbole über den Dächern der Stadt aufploppen, erinnern wir uns daran, dass es neben den Erkunden der Welt eine Stadt zu befreien gilt. Und so machen wir uns an die Arbeit.

London ist gigantisch und mit Paris die schönste Stadt der Reihe. Die sieben Boroughs unterscheiden sich stark voneinander, was für optische Abwechslung sorgt.

 

Diese Stadt gehört uns!

Das Ziel der Fryes ist schließlich die Befreiung der Arbeiterklasse Londons. Damit dieses Unterfangen gelingen kann, müssen wir die Stadt Stück für Stück von den Blighters zurück erobern. Dazu begeben wir uns in einen der von den Blighters regierten Boroughs und erledigen dort verschiedene Aufgaben, um einen kleinen Teil des Boroughs für die Rooks zu beanspruchen. Die ansässige Gang ist nämlich gar nicht gut auf die Assassinen und deren Leute zu sprechen. Wir eigenen uns also deren Territorien an, indem wir wichtige Templer eliminieren, Hauptquartiere einnehmen, Blighters der Polizei übergeben oder Kinderarbeiter aus Fabriken befreien. Haben wir sämtliche Gangaktivitäten im Gebiet unserer Wahl erledigt, fordert uns der dortige Anführer der rivalisierenden Straßenbande zu einem Gangkrieg heraus. Beide Gangs treffen sich dann an einem bestimmten Ort, um aufeinander loszugehen und so zu klären, welche die stärkere ist. Nachdem wir mit den Rooks alle Feinde eliminiert haben, gibt es einen 1 gegen 1 Kampf, indem wir die Anführer der Gang alleine besiegen müssen, wenn wir das nicht bereits bei einer vorherigen Gelegenheit erledigt haben. Diese Aufeinandertreffen sind wahre Höhepunkte des Spiels. Hier haben wir jedes Mal das befriedigende Gefühl, dass sämtliche unserer Aktionen zu diesem Punkt geführt, und wir unsere Zeit nicht verschwendet haben. Zudem kommt durch die Gangkriege die grandiose „Gang-Atmosphäre“ auf, die das Spiel vermitteln will.

Die Gangkriege sind wahre Höhepunkte des Spiels. Wenn die Kämpfer beider Banden aunfeinander losgehen, ist die Atmosphäre zum schneiden dicht.

Die große Faszination des Spiels, ist das Gefühl, dass jede unserer Aktionen der Story untergeordnet ist. Das Ziel ist Starrick zu Fall zu bringen. Und alles was wir tun, Frachtdiebstähle, Eroberungen, Gangkriege, Attentate und die Story-Missionen, dient genau diesem Ziel. Jedes mal, wenn die Rooks einen Erfolg feiern, spüren wir förmlich, wie wir einen weiteren Ziegelstein aus Starricks Mauer der Unterdrückung schlagen. So geraten wir in die bekannte „nur noch eben dies, nur noch eben das...“ Situation, die uns für mehrere Stunden an den Bildschirm fesseln kann.

Apropos Rooks: Je mehr Gebiete wir einnehmen, desto größer wird der Einfluss der Assassinen-Gang in diesem Bereich. Die Präsenz unserer Mitstreiter ist jedoch nicht passiv, wie z.B. in Black Flag (Kenway's Flotte), wo wir uns lediglich durch kleine Textfenster und unnötige Minispiele arbeiten mussten. Wir können die Rooks überall in der Spielwelt auffinden und per Knopfdruck rekrutieren. So können sie uns in offenen Kampf unterstützen, damit wir es leichter haben oder einfach ein paar Gegner ablenken, während wir in ein feindliches Gebiet schleichen. Optional können wir auch eine Kutsche rufen lassen, die vollbesetzt ist. Die Gangmitglieder können sofort mitgenommen werden. Damit unsere Verbündeten nicht sofort das Zeitliche segnen, wenn sie in einen Kampf verwickelt werden, lohnt es sich Geld und Materialien in die Talentbäume der Gang zu stecken. Ähnlich wie die beiden Hauptfiguren, können wir unsere Gang nämlich ständig verbessern. Wir heuern neue Kämpfer-Klassen an, verschaffen den Mitgliedern neue Waffen und sabotieren die Blighters. Um diese Verbesserungen durchzuführen begeben wir uns in unser Zugversteck, das sich auf Londons Schienennetz durch die Stadt bewegt. Das Metall-Ungeheuer dient uns als Dreh- und Angelpunkt. Hier starten wir Kapitel, holen Geld ab, welches wir durch Investitionen in örtliche Geschäfte erhalten, bestaunen Andenken, die uns an die abgeschlossenen Haupt- und Nebenmissionen erinnern, und holen uns Aufträge ab, die wir erledigen, um den Zug zu verbessern. Glücklicherweise können wir uns im Versteck auch gleich ein paar neue Waffen besorgen. Die benötigen wir schließlich immer wieder.

 

Von Kukris und Stockdolchen

Auf unserer Reise durch London werden wir natürlich immer wieder von Feinden angegriffen. Eine gute Gelegenheit das Kampfsystem genauer zu betrachten. Hier hat sich nämlich einiges getan. Als wir das erste Mal in einen offenen Konflikt geraten fühlen wir uns sofort an eine andere Spielreihe erinnert: Batman: Arkham. Genau wie in den Abenteuern des dunklen Ritters, besteht das Kampfsystem aus Angriff, Konter und Verteidigung durchbrechen. Konterkills wie in Black Flag gibt es nicht, bereits im Vorgänger Unity wurde darauf verzichtet. Wir greifen an, kontern, durchbrechen die Verteidigung des Gegners und greifen wieder an. Sobald wir einen Gegner genug geschwächt haben, taumelt er umher, wir können ihm den Gnadenstoß versetzen. Dabei lassen sich bis zu vier taumelnde Gegner gleichzeitig mit spektakulär anzusehenden Gruppenkills erledigen. Zusätzlich können wir unsere Pistole in den Kampf einbinden und so massiven Schaden anrichten, oder Gegner, die ebenfalls ihre Schießeisen im Nahkampf verwenden, davon abhalten, uns eine Kugel in den Rücken zu jagen. Einige Fans (darunter auch ich) hatten vor Release einige Bedenken, was die Animationen und Kampfbewegungen angeht, denn die sahen in den gezeigten Szenen immer sehr ruckelig und abgehackt aus. Das ist im Spiel jedoch nicht der Fall, sämtliche Animationen laufen flüssig und durchgängig ab. Das neue Kampfsystem passt perfekt in das Gang-Szenario des Spiels und erzeugt einen Gameplay-Fluss, der Spaß macht und uns immer wieder in seinen Bann zieht.

In Syndicate kommen vor allem kleine und heimliche Waffen zum Einsatz. Hier durchbohren wir den Schädel eines Templers mit unserem Kukri.

Da in den 1860er Jahren keine Schwerter mehr benutzt wurden, tragen Jacob und Evie der Zeit angepasste Waffen. Insgesamt gibt es drei unterschiedliche Waffenarten: Stockdolche, Kukris und Schlagringe. Von jeder dieser Waffenarten gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Exemplare, mit unterschiedlichen Werten. Die Waffentypen haben dabei jedoch keinerlei Auswirkungen auf das Gameplay, der Spieler entscheidet lediglich, welche Waffenart ihm am meisten zusagt. Die Gegner haben, wie auch der Spieler, eigene Stufen von eins bis zehn. Die Stufe unserer Widersacher hängt von der Stufe des jeweiligen Boroughs ab, in dem wir sie antreffen. Grade zu Beginn des Spiels stellt uns das vor eine richtige Herausforderung, da wir oft unterlegen sind und sehr lange brauchen, um unsere Feind kampfunfähig zu machen. Vor allem die Bobbys sind mit ihren Schlagstöcken extrem harte Gegner. Des öfteren müssen wir die Beine in die Handnehmen und fliehen, da die Gegner durch ihre Anzahl verdammt gefährlich werden können. Die Jagd nach immer besserer Ausrüstung motiviert die meiste Zeit, lediglich gegen Ende des Spiels sind wir fast schon übermächtig und erledigen selbst die härtesten Gegner nach wenigen Schlägen. Waffen und Ausrüstung (Gürtel, Umhänge, Monturen und Handschuhe) können wir übrigens nicht wie in den Vorgängern im Laden erwerben, sondern schalten diese durch erledigte Missionen frei, oder müssen sie selber herstellen. Dazu benötigen wir Materialien, die wir ebenfalls durch absolvierte Missionen oder durch Frachtdiebstähle erhalten. Im Menü können wir dann die jeweiligen Ausrüstungsstücke zusammenschustern, sobald wir die benötigten Baupläne, Ressourcen und eine gewisse Menge an Geld zusammen haben. Die Zwillinge verändern sich durch die Ausrüstung optisch und spielerisch.

 

Es lebe die Freiheit

Neben den bereits genannten Ausrüstungsstücken, haben Jacob und Evie als erste Assassinen Zugang zu einem weiteren, wichtigen Werkzeug: Dem Greifhaken. Die Straßen des 18. Jahrhunderts waren breiter, damit mehrere Kutschen nebeneinander fahren konnten. Folglich standen auch die Häuser weiter auseinander. Damit wir aber trotzdem über die Dächer kraxeln können, ohne ständig wieder auf den Boden zurückkehren zu müssen, können wir den Greifhaken nutzen, um ein Seil zwischen zwei Dächern zu spannen, und daran entlang zu rutschen oder klettern. Der Seilwerfer befördert uns auch vom Boden auf die Dächer der Häuser. Dazu genügt ein Knopfdruck, wenige Sekunden später können wir die Stadt von oben begutachten. So lassen sich selbst die größten Gebäude (unter anderem der Big Ben) schnell besteigen. Wer Angst hat, dass das Parkours-System, das ein fester und entscheidender Bestandteil der Reihe ist, dadurch an Bedeutung verliert, kann beruhigt sein. Alles kann nach wie vor selbst erklettert werden, die Nutzung des Greifhakens ist zu 100% optional.

Freiheit spielte in der Reihe schon immer eine wichtige Rolle. Das Spiel ermöglicht uns diesmal nicht nur in Sachen Bewegungen mehr Freiheit, sondern auch im Missions-Design. In den bereits aus Unity bekannten „Blackbox-Missionen“ nimmt das Spiel Hitman artige Züge an. Wir bekommen ein Ziel, das es zu eliminieren gilt, den Weg dorthin müssen wir aber selber suchen. Zu Beginn werden uns verschiedene Möglichkeiten vorgeschlagen, die müssen wir aber nicht zwingend beachten. Es macht verdammt viel Spaß sich zu überlegen, wie man am besten vorgeht. Wollen wir die Schlüssel der Wachen stehlen, und unser Ziel leise ausschalten, oder wollen wir als Einmannarmee durch die Gegner stürmen und unser Ziel öffentlich niederstrecken? Vielleicht holen wir uns ein paar Rooks dazu, damit wir den Kampf schnell beenden können? Oder wir nutzen sie als Ablenkung, damit wir ungestört das Gelände erkunden können. Das Spiel bietet uns viele verschiedene Möglichkeiten, unser Ziel zu eliminieren. Und genau das macht den Reiz dieser Missionen aus. Wir können selber entscheiden was wir machen, mit den Möglichkeiten experimentieren und unseren eigenen Weg zum Ziel wählen.

Die Blackbox-Missionen bieten uns die Möglichkeit selbst zu entscheiden, wie wir unser Ziel erreichen und ausschalten wollen. Hier lassen wir uns von einer Wache abführen, um ins Innere des White Towers zu gelangen.

Natürlich gibt es auch wieder die ein oder andere lineare Mission, doch die sind meist spektakulär inszeniert und begeistern so auf eine ganz andere Weise. Mal kämpfen wir auf einem fahrenden Zug, und werfen die Gegner vom Dach, mal gibt es rasante Verfolgungsjagden mit anderen Kutschen, mal sollen wir einen Ort infiltrieren und etwas stehlen. Und auch in diesen linearen Missionen können wir ein Stück weit entscheiden, wie wir vorgehen. Wenn wir zum Beispiel einen mit Sprengstoff beladenen Zug stehlen sollen, damit er den Templern nicht in die Hände fällt, können wir den Bahnhof alleine oder mit den Rooks an unserer Seite stürmen und alle Blighters im Nahkampf erledigen. Optional können wir auch unsere Kapuze überstreifen und den Zug entführen, ohne, dass wir entdeckt werden. Die dabei entstehende Abwechslung lässt die Missionen an keiner Stelle langweilig werden.

 

Ein Schritt vor, ein Schritt zurück

Eine der wohl wichtigsten Fragen, die man sich nach den massiven Technikproblemen des Vorgängers leider stellen muss, ist, ob Syndicate das selbe Schicksal ereilt. Hier kann jedoch Entwarnung gegeben werden, das Spiel hat nicht annähernd technische Probleme dieses Ausmaßes. Ubisoft hat sich für die PC-Version einen Monat mehr Zeit gelassen, um eine gute Portierung zu ermöglichen. Und das hat funktioniert. Glitches und Bugs treten nur selten auf, die Häufigkeit dieser Fehler hält sich absolut im Rahmen des Akzeptablen. Die PC-Version sieht sehr gut aus, das hat jedoch seinen Preis. Die Systemanforderungen für Syndicate fallen recht hoch aus. Wer die Anforderungen erfüllt, wird aber mit einem tollen, optischen Ergebnis belohnt. Auf dem Heimrechner sieht das Spiel etwas besser aus, als auf der Konsole. Umgebungsverdeckung, besonders genaue Schattendarstellung und Antialiasing sind PC exklusive Features. Die haben vor allem Einfluss auf die Spielwelt, auf Ultra-Settings sieht London fantastisch aus. Hinzu kommt ein dynamischer Regen-, sowie Tag-, und Nachtwechsel (alle Plattformen), der die Stadt durch seine aufgehende und sinkende Sonne stimmig beleuchtet. Viele sind der Meinung, dass Unity besser ausgeleuchtet war, ich bin jedoch der Meinung, dass auch Syndicate fantastisch beleuchtet ist. Das Figuren-Design hat sich übrigens verbessert. Die Gesichter sind detaillierter und realistischer als je zuvor. Wir können jeder Zeit Gefühle und Stimmungen der Charaktere vom Gesicht ablesen.

Trotz diesen zahlreichen positiven Punkten, gibt es einige Wermutstropfen. Aufgrund der happigen Systemanforderungen, schaffen es selbst High-End Rechner nur mit großer Mühe, eine konstante Framerate von 45 FPS aufrecht zu erhalten, wenn die PC exklusiven Schatteneffekte auf „Ultra“ stehen. Die Dichte der NPCs fällt deutlich geringer aus als im Vorgänger, lediglich die Bahnhöfe erreichen eine an Diesen erinnernde Anzahl, an gleichzeitig dargestellten Passanten. Auch wenn die Grafik durch die Bank weg sehr gut ist, sieht das Spiel leider insgesamt nicht ganz so gut aus, wie Unity. Selbst auf „Ultra“ Einstellungen gibt es immer wieder Kantenflimmern. Das hätte besser sein können. Dafür gibt es im Soundbereich nur Gutes zu berichten. Die Charaktere sind fantastisch vertont, sowohl in der englischen, als auch in der deutschen Sprachausgabe. Die Sprecher wirken motiviert, die Frye Zwillinge, Starrick, sowie Darwin und Dickens stechen besonders hervor. Leider sind die Dialoge in der deutschen Sprachausgabe manchmal nicht lippensynchron, das tritt jedoch nur selten auf. Ebenso grandios wie die Vertonung ist auch der Soundtrack. Austin Wintory (Journey) hat ein wahres Meisterwerk geschaffen. Die Musik untermalt die Stimmung des Spiels perfekt, die Stücke sind abwechslungsreich und passen sich stets der Situation im Spiel an.

Grafisch kann Syndicate durchaus beeindrucken. Vor allem Sonnenuntergänge sorgen für eine besonders schöne Beleuchtung Londons.

 

Der Aufstieg nach dem Fall

Ich war mir anfangs nicht sicher, was ich von Syndicate erwarten sollte. Die Enttäuschung nach Unity war groß. Doch ich hatte (abgesehen von Black Flag) noch nie so viel Spaß mit der Reihe, wie mit Syndicate. Das liegt vor allem an der Kombination aus diversen Elementen: Das Gameplay, die kurzweilige Story, die Charaktere und die Spielwelt erschaffen eine großartige Atmosphäre, die mich immer wieder in ihren Bann zieht. Grade die Freiheit, die mir das Spiel gibt, motiviert ungemein. Ich entscheide selbst, was ich mache, und wie ich es mache. Ob ich meine Ziele schnell nach einander ausschalte, und die Story schnell beende, oder mit den Rooks die ganze Stadt erobere. Alles greift perfekt ineinander, so, wie man es von einer authentischen und lebendigen Spielwelt erwartet. Grafisch hat sich zwar nicht viel getan, doch das ändert nichts daran, dass Syndicate einfach wunderschön aussieht. Unterm Strich ist Assassin's Creed Syndicate ein grandioses Open-World Spiel mit einer unheimlich dichten Atmosphäre, spannenden Charakteren und einer offenen Welt, in der sich sämtliche Aktionen der Story unterordnen. Aus diesem Grund erreicht das Spiel in meinen Augen auch die 90er Wertung.


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